Hercule Poirot, sind Sie es? No, Monsieur! Nicht ganz,... oder besser gesagt, ich wollte es mal werden. Das französische Software-Unternehmen Delphine Soft International (DSI) veröffentlichte 1991 über den Publisher U. S. Gold ihr drittes und letztes P&C-Grafik-Adventure 'Cruise for a Corpse'. Der französische Originaltitel lautet 'Croisière pour un Cadavre'. Inspiriert von Agatha Christie's Romanen um den Meisterdetektiv entstand ein, mit starker Ähnlichkeit versehener, Protagonist in einer auch bekannten Rahmenhandlung. Aus rechtlichen Gründen mussten viele Änderungen während der Entwicklung gemacht werden, um sich von der Ähnlichkeit zum Vorbild zu entfernen. Und so stammt die Story-Konzeption nicht von der berühmten Krimi-Autorin, sondern von DSI selbst. Ob das Kriminal-Adventure um Raoul Dusentier den Vergleich zur Romanfigur gerecht wird und welche Qualitäten sich in Sachen Spannung, Grafik und Gameplay in ihm verbergen, das ermitteln wir in diesem Klassiker-Test.
Paris 1927
Es war an einem kalten Frühlingsmorgen, das Schicksal klopfte ungnädig an seine Tür. Ein Postbote auf einem Fahrrad blieb vor Dusentier's Haus stehen und warf etwas auf die oberste Stufe der Eingangstreppe. Ein paar Sätze nervös auf einen Umschlag gekritzelt,... eine harmlose Einladung, die ihm den wohligen Vorgeschmack auf einen sonnigen Urlaub bereitete, an Bord des einzigartigen Segelschiffes seines Gastgebers, dem wohlhabenden Niklos Karaboudjan. Direkt nach seiner Ankunft wurde Inspektor Dusentier von Niklos Karaboudjan's Butler Hector aus seinem Zimmer gerufen. Es ist etwas Furchtbares passiert. Karaboudjan lag in seinem Büro ausgestreckt auf dem Boden... TOT! Als der Inspektor sich der Leiche nähern wollte, wurde er hinterrücks niedergeschlagen.
Ich bin unschuldig
Bevor es ans Ermitteln geht, müssen wir erstmal mit Hilfe des Code-Wheels unsere eigene Unschuld beweisen. Der hier angewandte Kopierschutz ist ähnlich dem der ersten beiden 'Monkey Island'-Teile. Wir drehen die Scheibe zu der Zahl, die uns angegeben wird, und erhalten unter jedem Buchstaben diverse Gegenstände. Wir schauen uns an, welcher Buchstabe verlangt wird und geben die Gegenstände ein.
Die Abfrage wird zwei Mal beantwortet, danach besitzen wir die Spiel-Berechtigung für den gesamten weiteren Verlauf bis zum Schluss.
Á la Agatha Christie
In Niklos Karaboudjans Büro beginnen die ersten Ermittlungen. |
Am nächsten Morgen 8 Uhr schlüpfen wir also in die Rolle des Inspektors und beginnen mit den Ermittlungen. Jeder Fortschritt, jeder Hinweis und jedes wichtige erhaltene Objekt bewegt den Zeiger 15 Minuten weiter bis das Adventure laut Bedienungsanleitung um 18:30 Uhr endet.
Die Vorgehensweisen des Inspektors besitzen nachvollziehbare Logik. Raoul Dusentier ist sehr gesittet und tut nichts, was anderen schadet. So kann man während der Untersuchungen diverse Handlungen von vornherein ausschließen. Während unser Inspektor leblos wirkt und so gut wie ohne nennenswerte Charakterzüge auskommt, sind die Mitreisenden hingegen alle eigener Natur. Man taucht ein in die Vergangenheit eines spielsüchtigen Priesters, einer alkoholsüchtigen Familienfreundin Karaboudjans, Niklos Frau, seiner Tochter und vielen weiteren Charakteren. Nach und nach werden Geheimnisse offenbart und ganz nach Agatha Christie-Manier die Verstrickungen zwischen den einzelnen Personen erkennbar. Jeder hat ein Motiv, jeder kann es gewesen sein. Bei dieser Komplexität wird Aufmerksamkeit gefordert.
Leider, leider, leider
Auf dem Oberdeck geniessen wir die Aussicht. |
Durch das sehr gut gelungene Interface und dadurch dass sich sehr viele Objekte aus der Umgebung untersuchen lassen, entsteht zu Anfang eine Illusion von Freiheit. Der Schein trügt, denn mit den wenigsten Gegenständen kann man tatsächlich sinnvoll interagieren. Sehr oft stellt sich die Situation ein, bei der sich, ohne jeglichen Hinweis, zum nächsten Fortschritt, im wahrsten Sinne des Wortes, abgemüht werden muss. Da können 15 Minuten schon mal Stunden dauern. Was bleibt da übrig, als alle Passagiere wiederholt zu allen Punkten noch mal zu befragen oder alle (wirklich alle) Objekte an allen Orten wiederholt zu untersuchen. Die anfängliche Freiheit entwickelt sich zur quälenden Sucherei, denn nicht selten befindet sich in schon zig Mal durchsuchten Körben, Töpfen, Schubladen ohne jeglichen Anhaltspunkt plötzlich der benötigte Gegenstand. Dass es sich bei manchen Objekten auch mal um kleinste Pixel handelt, macht es nicht besser. Der gesamte Spielverlauf findet auf dem Schiff statt. Unter anderen Umständen wäre die eingeschränkte Spielewelt eventuell zu bemängeln, doch in Anbetracht der Vorgehensweisen zu denen man hier gezwungen ist, ist sie allemal als Vorteil zu sehen. Einen weiteren Pluspunkt stellt die Schiffskarte dar, sie erlaubt es ohne lange Märsche von einem Ort zum nächsten zu springen.
Ungünstig gelöst
Welche Rolle spielt Julio in der Geschichte? |
Insgesamt enthält 'Cruise for a Corpse' wenig Rätsel. Die meisten Fortschritte werden durch Befragungen der Passagiere erreicht. Während eines Dialogs wählt man erst ein Kern-Thema aus. Zu den betroffenen Personen oder gefundenen Indizien werden die Fragen gestellt. Dadurch erhält man neue Dialogpunkte. Die Fragen können immer wieder gestellt werden, wobei sich die Antworten nie ändern. Der Nachteil ist, dass der Fragenbaum wächst und wächst und man den Überblick verliert. Welche Fragen wurden bereits gestellt und welche Frage-Themen sind neu dazugekommen? Im Endeffekt verbringt man viel Zeit damit Dialoge mehrfach zu führen, zumal sehr viele Dialoge nichtssagend und überflüssig sind. Die deutschsprachige Version enthält außerdem einen großen Fauxpas, der den Spielspaß erheblich trübt. Bei einigen Personen passen die Antworten nicht zu den Fragen. Sie wurden schlichtweg vertauscht. Fragt man beispielsweise Hector, etwas zu Nikos verstorbener Tante Agnes, berichtet er etwas von seiner Frau. Das ist erstens sehr mühselig und zweitens sehr irreführend, also ein absolutes No-Go.
Wird 'Cruise for a Corpse' im letzten Viertel gegen die Langeweile aufholen?
Im letzten Viertel ändert sich etwas. Plötzlich werden die Ermittlungen verschärft. Ereignisse bringen Leben bzw. Tod auf das Schiff. Mit einem beginnenden Mordversuch an einer Passagierin, tätlichen Angriffen und einem weiteren Mord, gerät man nun auch selbst in Gefahr. Handelt man in bestimmten Situationen falsch, hat das Stündlein für Inspektor Dusentier geschlagen und das Adventure ist vorzeitig beendet. Die Spannung steigt und bis zur Auflösung des Falls werden die Verbindungen der Ereignisse und Charaktere immer komplexer. Das Ende des Abenteuers sorgt für Überraschung. Hat man alle Indizien richtig zusammengesetzt, gelingt es in der letzten Szene durch Auswahl des richtigen Verdächtigen den Fall zu lösen. In der Schluss-Sequenz erläutert der Täter den gesamten Tathergang mit allen Einzelheiten und beseitigt fast alle Unklarheiten. Sehr gut gelungen ist im Abspann die Fortführung der Werdegänge aller überlebenden Charaktere. Das macht das Ende sympathisch und eine lange Reise deutlich, die man soeben mit diesen Personen hinter sich gebracht hat. Was Raoul Dusentier angeht, er wartet wohl seit 1991 auf einen neuen Fall.
Whodunit?
Nein,ich verrate Euch jetzt nicht, wer der Mörder in diesem Whodunit-Krimi ist, sondern wer sich für das Spiel verantwortlich zeigt. Paul Cuisset, französischer Programmierer und damaliger Lead-Designer, entwickelte unter Verwendung der Cinematique-Engine auch schon die ersten beiden DSI-Adventures 'Future Wars' und 'Operation Stealth', die der Firma den ersten richtigen Erfolg brachten. Man steuert die Spielfigur aus der 3rd-Person-Perspektive. Wurden zu der Zeit noch häufig Text-Adventures veröffentlicht, Spiele mit Parser oder Befehlsmenü, wurde hier auf ein innovatives Popup-Menü gesetzt. Jedes Objekt, besitzt eine eigene Verben-Liste, die mit einem Rechtsklick geöffnet wird, wobei einige Befehle lediglich als kleiner Scherz eingebaut wurden. Auch kann sich die Verben-Liste zu den Objekten ändern, je nachdem in welchem Raum man sich befindet. Wenn man bedenkt, dass selbst 'Microsoft Windows' einige Zeit später erst diese Art von Menüführung einbrachte und bis heute weiterführt, ist das sehr beachtlich.
Bild und Ton
Suzanne macht es sich zu mittelmäßiger Musik mit einem starken Drink an der Bar gemütlich. |
Zum damaligen Zeitpunkt stellte 'Cruise for a Corpse' eine Innovation dar, denn erstmalig in diesem Genre wurden flüssige 2D-Vektorgrafiken für die Spielfiguren eingesetzt. Diese bewegen sich auf schön gemalte und detaillierte Hintergründe, was für überraschende Raumtiefe sorgt. Die Atmosphäre auf dem Schiff wirkt durch die Farbgebung trotz des Mordes sehr gemütlich. Raoul Dusentier muss als Vektor leider mit wenigen Details auskommen und erscheint plump. In den Animationen ist dies nicht der Fall. Die Zwischensequenzen erscheinen sauber und flüssig und bringen Schwung in die öden Ermittlungen. Während der Dialoge bekommt man die Gesprächspartner in Nahaufnahme zu sehen. Untermalt wird das gesamte Geschehen durch Hintergrundmusik, die 20er-Jahre Feeling erzeugen soll. Der unterdurchschnittliche Sound ist beim ständigen Durchstreifen der Decks auf Dauer zu aufdringlich und erzeugt, obwohl es das definitiv vertragen kann, keine zusätzliche Spannung. Da ist man von anderen Spielen aus der Zeit schon viel mehr gewohnt.
Funktionalität + Verfügbarkeit
'Cruise for a Corpse' erschien für 'DOS', Amiga und Atari ST und enthielt fünf 3,5" Disketten, Bedienungsanleitung, Hintergrundinformationen, Code-Wheel und die Karte des Schiffes. Auf XP oder Vista bekommt man das Spiel mit Hilfe des kostenlosen Tools 'DOSbox' problemlos zum Laufen. Auch lässt es sich einwandfrei mit der 'ScummVM'-Engine auf dem Smartphone spielen. Der Kauf dieser Rarität kann sich als schwierig erweisen, denn auf den gängigen Auktions- und Handelsportalen wird die Dos-Version selten angeboten, die Amiga-Version ist erhältlich.
Fazit: Wäre das gesamte Spiel so verlaufen, wie das letzte Viertel, würde es Hercule Poirot alle Ehre machen. Es hat gut begonnen, der Abschluss war sehr überraschend und spannend. Der langatmige Mittelteil ist eine absolute Qual und obwohl das Ende sehr gut gelungen ist, lohnt es sich nicht diesen langen, quälenden, sehr starren Weg auf sich zu nehmen. Alle hartnäckigen Nostalgiker, die wie ich das Spiel aus ihrer Jugend kennen und es schon immer mal durchspielen wollten, müssen es wohl einfach tun. Wer eine durchweg spannende Kriminal-Geschichte und knackige Rätsel sucht, der sollte lieber zu einem anderen Spiel greifen.
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Cruise for a Corpse
- Entwickler
- Delphine Software International
- Publisher
- U.S. Gold
- Release
- 6. Oktober 1991
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
1 Kommentar
Ein absoluter Graus war übrigens der Kopierschutz. Ich bin wirklich Fan von Codewheels, Roten Lupen, Würfeln und was es noch alles so gab. Zumindest seit die Zeiten vom Schulhoftausch vorbei sind
Aber das hier ist echt eine Katastrophe. Die im Test angesprochenen Symbole auf dem Codewheel sehen nahezu alle anders aus als im Spiel und nutzen auch andere Farben. Das wäre nicht so schlimm, wenn es bei der Symbolauswahl im Spiel nicht tatsächlich auch mal auf Farben ankommen würde oder auf die genaue Ausrichtung. Im Spiel gibt es also z.b. einen grünen Cocktail und einen gelben. Die Codescheibe zeigt einen hellblauen Cocktail. Alle andern Details sind identisch. Klickt man falsch, muss die Codeeingabe direkt wiederholt werden. Da der Code zweimal abgefragt wird, kann man unter Umständen gleich die ersten fünf Spielminuten „Spaß“ mit dem Kopierschutz haben.