Inflation und Deflation
Verfasst: 10.08.2010, 17:45
Die Abwärtsspirale ist bereits in Gange.10.08.2010
Double Dip
Amerikas Angst vor dem Abschwung
Von Arvid Kaiser
Der Aufschwung lahmt, der Arbeitsmarkt stockt, die Inflationsrate fällt. Die USA fürchten den Rückfall in die Rezession und japanische Zustände. Die Politik ist gelähmt, jetzt soll es die Zentralbank mit der Notenpresse richten. Die Erwartungen vor der Fed-Sitzung heute Abend sind hoch.
Hamburg - "Es" ist nicht nur das pure Böse in einem Horrorroman von Stephen King. "Es" ist auch das Gespenst, vor dem Zentralbanker am meisten Angst haben, weil es ihnen ihre Macht entreißen könnte: Deflation, eine Spirale aus sinkenden Preisen und schrumpfender Wirtschaftsleistung, die Zinsen auf null drücken und die Geldpolitik danach zur Untätigkeit verdammen würde.
Wie ein Heilsversprechen wirkt eine berühmte Rede, die der heutige Präsident der US-Notenbank Federal Reserve Ben Bernanke schon 2002 hielt. Er erklärte, wie zu gewährleisten sei, "dass 'es' hier nicht passieren kann". Mit den modernen Mitteln der Zentralbanken wäre es immer möglich, Deflation zu verhindern oder, falls das scheitern sollte, schnell wieder loszuwerden. "Wir können uns damit beruhigen, dass sich die Logik der Notenpresse durchsetzen wird", so das Fazit.
Heute bedient derselbe Ben Bernanke die Schalthebel der Notenpresse, doch das Gespenst wird er nicht los. Er hat den Leitzins schnell auf null gesenkt, die Geldbasis mit billionenschweren Käufen von Staatsanleihen und anderen Papieren locker verdoppelt, die Fortsetzung dieser lockeren Geldpolitik "für einen ausgedehnten Zeitraum" versprochen - und trotzdem fallen die Inflationsraten weiter, nähern sich bereits der Nullmarke.
Von der Sitzung des Fed-Offenmarktausschusses an diesem Dienstag wird erwartet, dass Bernanke und Kollegen erklären, wie es weitergehen soll. Diskutiert wird eine Ausweitung der Geldmenge über weitere Käufe von Staatsanleihen oder Hypothekenpapieren, niedrigere Zinsen auf Bankreserven oder ein offizielles Bekenntnis, in Zukunft höhere Inflation zuzulassen.
US-Wirtschaft wächst nach furiosem Start wieder langsamer
Im Juli hatte Bernanke vor dem Kongress versprochen: Die Fed "steht bereit und wird handeln", sollte die Wirtschaft keine Fortschritte machen. Danach sieht es nun aus.
Nach einem furiosen Start - im Herbst 2009 wuchs die US-Wirtschaft um 5 Prozent - macht der Aufschwung schon wieder schlapp. Die Arbeitslosenquote stagniert nahe 10 Prozent. Mit einer Wachstumsrate von 2,4 Prozent im zweiten Quartal stehen die USA "immer noch besser da als der Euro-Raum", stellt Commerzbank-Ökonom Bernd Weidensteiner klar, doch "dort liegt die Latte einfach höher". Denn die Bevölkerung und das Produktionspotenzial wachsen auch schneller.
Zugleich sprechen immer mehr Faktoren dafür, dass die Träger des Wachstums in den kommenden Quartalen wegbrechen. Rudolf Besch von der Dekabank zählt sie auf: Das staatliche Konjunkturprogramm läuft aus, die Verbraucher halten ihr Geld zusammen, die Unternehmen haben ihren Nachholbedarf an aufgeschobenen Investitionen gedeckt und ihre Warenlager wieder gefüllt. Der Export wächst zwar stark, aber weniger als der Import - Amerika rutscht immer tiefer ins Defizit.
2. Teil: Fed warnt vor japanischen Zuständen
Die regionale Federal Reserve von San Francisco sieht nun ein "erhebliches Risiko" eines Rückfalls in die Rezession. Schwache Nachfrage und ungenutzte Kapazitäten könnten die Preise weiter unter Druck setzen. Dann würde die Last der bestehenden Schulden steigen, Am Ende droht eine Stagnation wie in Japan, das bereits zwei verlorene Jahrzehnte hinter sich hat. "Die USA sind japanischen Zuständen näher als je zuvor in der jüngeren Geschichte", warnt James Bullard, Fed-Chef in St. Louis.
Die Anleger stellen sich bereits auf ein solches Szenario ein. "Deflation ist nicht bloß ein Thema intellektueller Neugier, sie passiert bereits", meint Bill Gross, als Fondsmanager der billionenschweren Allianz-Tochter Pimco der König des Bondmarkts. In einer aktuellen Umfrage des "Wall Street Journal" erklären fast drei Viertel der Befragten Deflation in den kommenden Jahren für "sehr wahrscheinlich" oder "wahrscheinlich".
Die ganze Last, mit dem Problem fertigzuwerden, liegt auf der Fed. Denn zugleich schwindet die Hoffnung, dass die Regierung angesichts der hohen Arbeitslosigkeit tätig wird. Am Freitag trat Christina Romer als ökonomische Chefberaterin zurück, zwar offiziell aus familiären Gründen, drückte zugleich aber ihre Enttäuschung aus. Darüber, "dass 9,5 Prozent Arbeitslosigkeit nicht als Notlage wahrgenommen werden" und "man mit Dingen wie dem Konjunkturprogramm nur eine Chance bekommt".
Sie hatte im Herbst 2008, vor dem Antritt von Präsident Obama, mit einer Produktionslücke von zwei Billionen Dollar als Folge der Krise gerechnet und ein Konjunkturprogramm von 1,2 Billionen Dollar dagegen vorgeschlagen. Das Paket wurde im politischen Prozess halbiert und mit ineffektiven Steuerrabatten verwässert, während die Krisenfolgen nur noch größer wurden. Nun, vor den Kongresswahlen im November ist die Idee weiterer staatlicher Konjunkturhilfen politisch diskreditiert, mögen auch noch so viele prominente Ökonomen Appelle dafür unterschreiben.
In seiner Rede von 2002 erklärte Bernanke noch, warum Japan den eigentlich einfachen Ausweg aus der Deflationsfalle nicht finde: aus Gründen, "die auf die US-Wirtschaft glücklicherweise nicht zutreffen", nämlich "massive finanzielle Probleme der Banken und Unternehmen", ein "großer Überhang von Staatsschulden" und "eine politische Blockade". Doch inzwischen passt seine Beschreibung auch auf Amerika.
http://www.manager-magazin.de/politik/a ... -2,00.html
Mittelfristig kommt die Inflation, aktuell ist eher ein Deflationsszenario wahrscheinlich.10.08.2010
Rohstoffpreise
Die Inflationsspirale kommt in Gang
Von Henrik Müller
Nahrungsmittel, Energie, Metalle: Die Rohstoffpreise steigen und steigen. Die Hausse kann leicht zu höheren Inflationsraten führen - gerade in Deutschland.
Es ist gespenstisch: Die Szenerie weckt Erinnerungen an die Hunger-Hausse vom Frühjahr 2008. Die Rohstoffpreise verteuern sich dramatisch; der HWWI-Index (ohne Energie) hat in Euro gerechnet seine Höchststände vom Sommer 2008 übertroffen. Die Angst vor Hungerrevolten und politischem Aufruhr geht um.
Und wie im Sommer 2008 treibt die Explosion der Rohstoffpreise die Inflation. Damals stemmten sich einige Notenbanken, darunter die Europäische Zentralbank (EZB), gegen den Preisschub. Gestoppt wurde die Entwicklung schließlich durch die Lehman-Pleite im Herbst 2008 und die folgende Weltrezession.
Jetzt droht abermals ein globaler Inflationsschub, der bei den Rohstoffpreisen beginnt und dann in die übrige Wirtschaft überschwappt. Denn die fundamentalen Tendenzen, die bereits vor zwei Jahren Energie, Nahrungsmittel und Metalle verteuerten, wirken nach wie vor:
* Die Schwellenländer erleben ein rasches und rohstoffintensives Wachstum. Ob Weizen, Kupfer oder Öl: China, Indien und Co. fragen inzwischen mehr dieser Produkte nach als der Westen. Die rasche Industrialisierung in den Schwellenländern treibt den Bedarf. Und viele hundert Millionen Menschen dort steuern einen westlich geprägten, rohstoffintensiven Mittelklasse-Lifestyle an.
* Der Westen seinerseits fragt verstärkt Agrarprodukte nach, um unabhängiger vom Erdöl zu werden (siehe den Report im aktuellen manager magazin). Ackerfrüchte gewinnen außerdem an Bedeutung für die Energieversorgung ("Biodiesel") und als Rohstoffe für die Industrie.
* Die Spekulation verstärkt die realen Knappheiten und sorgt für dramatische Preisausschläge. So reagieren dieser Tage die Weizenmärkte extrem volatil auf Nachrichten über die erntegefährdenden Brände in Russland.
* Die Notenbanken lassen die Entwicklung laufen. Insbesondere die beiden führenden Geldbehörden der Welt, die amerikanische Fed und die EZB, waren schon in der letzten Rohstoffkrise um die Finanzstabilität besorgt - schon damals war der Geldmarkt zusammengebrochen, was sie von entschlossenem Gegensteuern abhielt. Durch die andauernde Finanz- und Schuldenkrise sind nun neue Prioritäten neben das Ziel Geldwertstabilität getreten. Die Notenbanken selbst haben eine globale Überschussliquidität geschaffen, die nun die Nährlösung für die dramatischen Preisentwicklungen auf den Rohstoffmärkten darstellt.
Es mag auf den ersten Blick abwegig erscheinen, derzeit über Inflationsgefahren zu sprechen. Schließlich sind die Inflationsraten in Europa und Nordamerika niedrig. Außerdem schwächt sich die Konjunktur in den USA gerade abermals ab, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, und auch in Euro-Staaten wie Irland bereiten eher deflationäre Entwicklungen Sorgen. Selbst teures Öl führt nicht per se zu Inflation, weshalb sich Notenbanken vor allem an der "Kerninflation" orientieren, die die Rohstoffpreise herausrechnet.
2. Teil: Zur Beruhigung besteht wenig Anlass
Und doch: Zur Beruhigung besteht wenig Anlass. "Selbstgefälligkeit wäre gefährlich", warnt Morgan-Stanley-Ökonom Manoj Pradhan die Notenbanker dieser Welt. Insbesondere in den Schwellenländern führen höhere Nahrungsmittelpreise unmittelbar zu anziehender Verbraucherpreisinflation - einfach weil ärmere Konsumenten relativ mehr für Essen ausgeben. In Indien liegt der Anteil der Nahrungsmittelpreise am Verbraucherpreisindex bei rund 50 Prozent, in Russland bei rund 40 Prozent, in China und Brasilien bei rund einem Drittel. In den reichen Ländern hingegen geben die Bürger im Schnitt deutlich unter 20 Prozent für Essen aus.
Mit anderen Worten: Teurere Nahrungsmittel sind für das Gros der Bürger der Schwellenländer unmittelbar spürbar. Wenn, wie in den vergangenen Monaten, die Lebensmittelpreise in Indien mit Jahresraten von 15 bis 20 Prozent oder in China mit Raten von mehr als 5 Prozent steigen, dann hat das Auswirkungen auf das gesamte Preisgefüge.
Damit aus dem Rohstoffimpuls eine inflationäre Eigendynamik werden kann, müssen allerdings auch die Löhne steigen. Eine Entwicklung, die sich ebenfalls längst abzeichnet. So sind in China - das Land des angeblich unendlichen Angebots an billigen Arbeitskräften - im vorigen Jahr die Einkommen der Wanderarbeiter um stolze 17 Prozent gestiegen. Für Aufsehen sorgte kürzlich ein Streik in einer chinesischen Honda-Fabrik, in dessen Folge die Entlohnung der Beschäftigten um fast die Hälfte stieg.
Schön, dass die Leute dort besser verdienen. Aber das Ausmaß der Lohnerhöhungen zeigt, wie groß das versteckte inflationäre Potenzial ist. Die "Zweitrunden-Effekte" der derzeitigen Rohstoffhausse sind nicht zu unterschätzen.
Die Bedingungen für eine Lohn-Preis-Spirale sind gegeben
Auch in Deutschland sind die Bedingungen für eine sich beschleunigende Lohn-Preis-Spirale gegeben: Der Aufschwung der Schwellenländer befeuert die hiesige Industrie; die Nachfrage nach Arbeitskräften zieht stark an. Parallel dazu wirkt sich die demografische Wende aus, die das Angebot an Arbeitskräften verknappt, wie die laufende Debatte über den Mangel an Fachkräften zeigt. Folge: steigende Löhne.
Die Volkswirte der Commerzbank rechnen damit, dass ab dem kommenden Jahr die Effektivverdienste in Deutschland deutlich anziehen werden. Der "Boden für einen stärkeren Lohnanstieg" sei "bereitet". Und das werde Auswirkungen auf die Entwicklung der Preise insgesamt haben: Die "Inflation schläft, aber der Wecker ist gestellt".
Für die Notenbanken gäbe also gute Gründe, den Ausstieg aus den Liquiditätsprogrammen ins Auge zu fassen. Zumindest gilt das für Länder wie China und Indien, aber auch für Deutschland.
Nur: Solange hochverschuldete Volkswirtschaften wie die USA, Großbritannien, Spanien und Griechenland in heikler Verfassung sind, werden die Notenbanken die globale Geldschwemme nicht eindämmen.
Die Rechnung - in Form höherer Inflationsraten - kommt später.
http://www.manager-magazin.de/politik/a ... -2,00.html