Fantasy trifft auf die Roaring Twenties, J.R.R. Tolkien trifft auf 'Der große Gatsby' – Valiant Game Studios haben 2018 mit den ersten beiden Episoden ihres Adventures 'Pendula Swing' eine recht einzigartige Genre-Mischung vorgelegt, die zu gefallen wusste. Mittlerweile liegen alle Episoden vor und im März steht die Veröffentlichung von 'Pendula Swing: The Complete Journey' ins Haus. Wir haben uns angesehen, ob der eigenwillige Genre-Mix über die Dauer von sieben Episoden funktioniert und sagen Euch, welche Veränderungen seit der Veröffentlichung der ersten beiden Episoden vorgenommen wurden.
Geruhsamer Ruhestand? Keine Spur!
Wir steuern die Zwergenheldin Brialynne Donu Tenúm, die sich nach vielen Jahren des Abenteuers zur Ruhe gesetzt hat, um gemeinsam mit ihrer Ehefrau auf einer abgeschiedenen Insel ein ruhiges Leben zu führen. Nach dem Tod ihrer Frau ist Brialynne mit Katze Katya und einigen Hühnern allein, ihr Alltag besteht daraus, sich um die Tiere zu kümmern und das Haus in Schuss zu halten. Ihr friedlicher wenn auch melancholischer Ruhestand wird jäh unterbrochen, als Brialynne eines Morgens Fußspuren im Wohnzimmer entdeckt und feststellen muss: Ihre magische Axt, die ihr während ihrer Abenteuer so gute Dienste geleistet hat, wurde gestohlen! Der Dieb ist schon längst über alle Berge, die Spur führt in die nächste größere Stadt, Duberdon. Wenn Brialynne ihre Axt wiederhaben möchte, bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihren Ruhestand zu unterbrechen und sich nach Duberdon zu begeben. Dort wird ihr sehr schnell klar, dass es um mehr als nur eine gestohlene Axt geht: Rassismus ist allgegenwärtig; speziell Orks und Goblins werden von Menschen, Elfen und Zwergen mit Geringschätzung und Verachtung behandelt.
Brialynne muss sich außerdem mit den technischen Errungenschaften auseinandersetzen, die sich überall in der Stadt finden und die ihr völlig fremd sind: Da gibt es Züge, Autos und Telefonzellen, ein Kino, Nachtclubs, Sandwich- und Eisverkäufer bieten auf der Straße ihre Waren feil, die Einwanderungsbehörde erweist sich als äußerst bürokratisch und zeigt sich von Brialynnes Heldenstatus völlig unbeeindruckt – kurz: Es ist nichts mehr so, wie es einmal war, und Brialynne hält entsprechend oft fest, dass es bestimmte Dinge zu ihrer Zeit nicht gegeben hat. Obwohl sie sich schon lange zurückgezogen hat, ist sie erstaunlich anpassungsfähig und darüber hinaus noch immer bekannt wie ein bunter Hund. Das ist ein Umstand, den sie im Verlauf des Spiels nutzen, der ihr aber auch schaden kann, wenn die falschen Personen ihre Identität erfahren oder erraten.
Isometrische Sicht auf die Roaring Twenties
Die Optik von 'Pendula Swing' kommt ziemlich old school daher: Brialynnes Zuhause, die Insel, verschiedene Gebäude in Duberdon und so weiter betrachten wir aus der isometrischen Sicht. Das macht viele Abschnitte, speziell Innenräume von Gebäuden, in der Regel sehr übersichtlich, ohne dass an Details gespart wurde. In Brialynnes Heim hängen verschiedene Trophäen, die Küche ist perfekt ausgestattet, der Garten lauschig. Duberdon glänzt mit verschiedenen Stadtteilen, die von hochpoliert bis industriell und heruntergekommen reichen. Überall gibt es etwas zu sehen; viele Personen, Gegenstände oder Gebäude können wir auch einfach so anklicken, ohne dass das nennenswert zum Spielverlauf bzw. zur Geschichte beiträgt. Dafür kann man sich aber so richtig schön in die Welt fallen lassen - das Zauberwort lautet hier "Immersion".
Die Mischung aus Fantasy und dem Stil der 1920er Jahre funktioniert dabei erstaunlich gut – Menschen, Elfen, Orks, Zwerge und Goblins tragen teilweise die Kleidung dieses Jahrzehnts, Plakate kommen im Art Deco-Stil daher, und gleichzeitig erinnern manche Abschnitte der Stadt an ein klassisches Fantasy-Setting. Da gibt es gepflasterte Straßen und Plätze, mittelalterlich anmutende Gebäude, armselige Behausungen... und wenige Meter weiter verlaufen die Schienen der Eisenbahn.
Eine willkommene Änderung gegenüber der Erstveröffentlichung sind Charakterportraits, die aufpoppen, wenn wir einen Dialog führen. In der ersten Fassung konnten wir lediglich Brialynne über das Inventar etwas genauer betrachten. Abgesehen davon blieben die Charaktere etwas detailarm, was sich in der Vollversion nun zum Glück geändert hat. Hin und wieder kann es vorkommen, dass ein Charakterportrait etwas verzerrt wirkt. Da die Entwickler aber ständig nachbessern und auch die Community sehr fleißig etwaige Fehler einmeldet, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch das behoben ist. In der ersten Version etwa tauchten bei mir immer wieder seltsame Querbalken in der Mitte des Bildschirms auf, dazu kam es auch zu Kantenflimmern. Beides ist in der Endversion verschwunden.
Einer optischen Generalüberholung wurde auch die Schriftart unterzogen, die für Dialoge und Gedanken benutzt wird. Jede Rasse verfügt nun über ihre eigene Schriftart. Dazu wurden die Buchstaben etwas vergrößert, sodass Texte nun leichter lesbar sind. Generell präsentiert sich das Layout der Texte am Bildschirm jetzt um einiges benutzerfreundlicher. Dialoge lesen wir wie alles andere auch vom Bildschirm ab; als Sprache ist derzeit nur Englisch verfügbar.
Wer sich auf die Fahnen schreibt, Fantasy mit den Roaring Twenties zu vereinen, der darf das natürlich nicht nur optisch tun, sondern muss auch in Sachen Musik glänzen. Und das passiert hier: Der Soundtrack ist sehr jazz- und swinglastig, jeder Ort hat seinen eigenen Mini-Soundtrack erhalten. Das macht Laune und passt hervorragend zum Spiel. Hintergrundgeräusche tragen zur Atmosphäre bei. Eine Sprachausgabe gibt es nicht. Zwar hören wir die Charaktere „sprechen“, allerdings handelt es sich dabei um unverständliches Gemurmel im Stil der 'Sims', das mit der Zeit auch etwas nervig wird. Über die Optionen lässt sich diese rudimentäre „Sprachausgabe“ jedoch abstellen.
So viele Quests!
Gut, der Begriff „Quest“ mag etwas übertrieben erscheinen, denn Abend füllende umfangreiche Quests im RPG-Stil darf man nicht erwarten. Für Brialynne stellt aber jede Aufgabe eine Quest dar. Schließlich war sie mal Abenteurerin, und alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen. Folgerichtig gibt es ein Questlog, in dem alle Aufgaben festgehalten werden. Sie werden dabei in ausstehende und erledigte Aufgaben unterteilt, manche sind optional. Mit Sternchen gekennzeichnete Aufgaben müssen wir abschließen, um mit der Hauptgeschichte voranzukommen.
Das Notizbuch verfügt weiters über einen Abschnitt, in dem man via Tastatur Notizen eingeben kann. Dazu werden sämtliche Gespräche mitgeloggt, was ganz praktisch ist, wenn man mal ein Detail nachschlagen möchte. In einem Analyse-Abschnitt kann sich Brialynne außerdem Gedanken über das bisher Geschehene machen und ein bisschen Sherlock Holmes spielen. Das ist eine Funktion, die in der ersten Episode eingeführt wird, nur um dann für mehrere Episoden brach zu liegen. Das fand ich sehr schade, denn eigentlich ist das ein ziemlich cooles Feature, das ruhig öfter zum Einsatz hätte kommen können.
Die Aufgaben, die Brialynne übernimmt, sind vielfältig und fächern sich im Verlauf des Spiels immer weiter auf. Geht es anfangs nur darum, die Hühner zu füttern und Hinweise auf den dreisten Axt-Dieb zu finden, so muss Brialynne später entscheiden, ob sie jemandem aus der Patsche hilft oder eine Person verpetzt, die Kräuter in die Stadt schmuggeln will. Sie kann im Gespräch auch immer wieder ihre Hilfe anbieten, etwa, wenn ein Bettler dem Hungertod nahe ist, wegen seiner Religion aber vom nahegelegenen Suppenkoch nicht bedient wird. Botengänge sind allgegenwärtig, egal, ob im Rahmen der Hauptgeschichte oder in den Nebenquests. Wichtige Hinweise erhalten wir hauptsächlich über Gespräche, wobei wir entscheiden können, ob Brialynne ihre Identität preisgibt oder nicht – mitunter ist hier Vorsicht anzuraten, denn nicht jedes Gegenüber reagiert auf die Offenbarung, es mit Brialynne, der Zwergenheldin zu tun zu haben, mit frenetischem Jubel. Manche Charaktere wollen unter Umständen nichts mehr mit ihr zu tun haben, sobald sie wissen, wen sie da vor sich haben. Apropos Dialoge: Es kann vorkommen, dass die Auswahl einer bestimmten Antwort alle anderen Dialogoptionen obsolet macht und diese nicht mehr ausgewählt werden können.
Klick' mal!
Bewegt wird Brialynne mit der Maus, per Doppelklick können wir sie laufen lassen. Bleiben wir mit dem Finger auf der linken Maustaste und ziehen den Cursor über den Bildschirm, lässt sich Brialynne noch komfortabler steuern. Rechts unten befindet sich unser Rucksack, der als Inventar dient und dessen Platz begrenzt ist. In Duberdon stehen zum Glück überall Mülltonnen, in denen wir Inventargegenstände ablegen können, die wir gerade nicht brauchen. Auch hier ist der Platz begrenzt; in Kombination mit dem Rucksack kommt man aber gut über die Runden, zumal man ja nicht alles mitnehmen muss, was nicht niet- und nagelfest ist. Die meisten Inventargegenstände verschwinden im Rahmen von Aufgaben auch sehr rasch wieder. Sie werden dem jeweiligen Questgeber automatisch ausgehändigt, wenn die passende Dialogoption ausgewählt wurde. Gegenstände, die wir nicht benötigen, können wir verkaufen.
Viele Aufgaben der Hauptgeschichte lassen sich übrigens auf unterschiedliche Weise lösen, was den Wiederspielwert deutlich erhöht und vermutlich auch Trophäenjäger motiviert. Denn nicht jede Trophäe kann beim ersten Durchgang freigeschaltet werden. Es kann auch passieren, dass man eine Quest in Angriff nimmt und nicht zu Ende bringen kann, weil man zwischenzeitlich etwas Anderes gemacht hat. Auf diese Eigenheit wird man unter anderem während der Ladezeiten hingewiesen, ebenso auf den Umstand, dass man im ersten Durchgang nicht 100 Prozent Spielfortschritt erreichen kann. Der Spielfortschritt lässt sich ebenfalls im Questlog nachlesen.
'Pendula Swing' kann auch als vollwertiges Spiel mit sieben Episoden überzeugen. Zwar gibt es nach wie vor technische Kinderkrankheiten. So lässt sich das Spiel mitunter nur im Fenstermodus starten und das auch nur, wenn man die Grafikqualität etwas herunterschraubt. Teilweise verschwinden Inventargegenstände oder Questgeber. Das ist zwar etwas nervig, man muss sich allerdings vor Augen halten, dass das Team hinter dem Spiel aus grade mal drei Leuten besteht. Das Trio hat insofern wirklich Beachtliches geleistet, auch wenn die Hauptgeschichte nicht wahnsinnig aufregend ist und relativ rasch durchgespielt werden kann. Lässt man die Nebenaufgaben beiseite, ist man mit der eigentlichen Story in etwa vier Stunden durch.
Ratsam ist das allerdings nicht. Denn die Nebenaufgaben lassen einen tiefer in die Welt von 'Pendula Swing' eintauchen und ermöglichen es dem Spieler auch, Brialynnes Charakter in gewisser Weise zu formen, etwa, indem man sie mildtätige Aufgaben vollbringen lässt. Wer alle Nebenquests annimmt und jeden Dialog durchspielt, wird sicher mindestens sechs bis acht Stunden in der Welt von 'Pendula Swing' verbringen, wer einen erneuten Durchlauf startet, kommt auf eine entsprechend höhere Spielzeit. Der Schwierigkeitsgrad bleibt durchgehend auf einem eher niedrigen Niveau; dadurch wird das Spiel entsprechend einsteigerfreundlich.
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Pendula Swing
- Entwickler
- Valiant Game Studio
- Publisher
- Valiant Game Studio
- Release
- 8. März 2020
- Spielzeit
- 4 Stunden
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://pendulaswing.com/
- Art
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Independent
- Sprachen
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