Hinter dem Titel 'Richard & Alice' möchte man fast eine romantische Komödie vermuten. Davon ist dieses Indie-Adventure vom kleinen Entwickler-Kollektiv Owl Cave jedoch meilenweit entfernt. Geboten wird vielmehr ein sehr persönlicher Endzeit-Thriller, der inhaltlich während einer weltweiten Eiszeit (oder besser Schneezeit) angesiedelt ist. Ausgangspunkt der kühlen Erzählung ist ein Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses, in dem Richard und Alice plötzlich als Insassen aufeinander treffen. Wir haben uns dieses bereits 2013 erschienene, mysteriöse Retro-Spiel näher angesehen und einen Test dazu verfasst.

Wenn ein Gefängnis zum sichersten Ort wird
Schon länger lebt Richard im Gefängnis. Mit seinem Schicksal hinter Gittern scheint er sich abgefunden zu haben, obgleich in der Aussenwelt eine Tochter auf ihn wartet. Eigentlich lebt es sich hier nicht so schlecht. Es gibt einen Fernseher, Essen, Dusche und im Problemfall benutzt er einfach seinen Computer, um eine Mail an die Verwaltung zu senden. Diese Gelassenheit ist leicht dadurch zu erklären, dass draußen seit geraumer Zeit eine Art Eiszeit herrscht und die Menschen tagtäglich ums Überleben kämpfen. Überall liegt dicker Schnee. Nahrungsmittel und Medikamente sind rar. Geregelte Institutionen zerfallen zusehends und Freunde und Familie entscheiden immer öfter über das eigene Überleben. Angesichts dieser extremen Situation ist das Gefängnis wahrscheinlich sogar der sicherste Ort - wenn auch einsam und trostlos.
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Im Knast hat Richard sich gut eingelebt |
Sein eintöniger Knast-Alltag ändert sich jedoch schlagartig, als Alice eines Tages in die Nachbarzelle einzieht. Angeblich sei ihre Verurteilung ein böser Irrtum. Allerdings hat es nicht den Anschein, als würde das jemanden auch nur ansatzweise kümmern, von einer baldigen Entlassung ganz zu schweigen. In den folgenden Tagen lernen die beiden einander besser kennen und erfahren mehr darüber, wie sie an diesen Ort kamen. Allerdings wird auch das sichere Gefängnis irgendwann vom Unglück heimgesucht...
Interessante Story
'Richard & Alice' besticht diesmal nicht durch Grafik, Musik oder Rätsel, als vielmehr durch eine sehr bedrückende, langsam erzählte Kurzgeschichte, in der wir Schritt für Schritt tiefer in die zerrüttete Psyche der beiden Hauptfiguren vordringen. Themen wie Familie und der Kampf ums Überleben rücken zusehends in den narrativen Mittelpunkt des Dramas. Einen klassischen bösen Gegenspieler sucht man vergeblich und dieser ist auch gar nicht notwendig. Vielmehr erleben wir zwei Menschen, die verschieden mit einer nahezu ausweglos scheinenden, extremen Situation umgehen und wir erleben Menschen mit Geheimnissen...
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In den Rückblenden von Alice ist Weiß die dominierende Farbe |
Weil diese komplex verschachtelte Geschichte eine intensive emotionale Komponente hat, bilden Entscheidungen ein wesentliches interaktives Element. In etwa einer handvoll Situationen treffen wir diese auf kommunikativer Ebene, was dann nach schätzungsweise drei bis vier Stunden Spielzeit zu einem von drei verschiedenen Ausgängen führt. Die Entscheidungsmöglichkeiten regen zum Nachdenken an, allerdings kann man sich gegen Ende fragen, ob ihr Effekt für die finale Auflösung dann nicht doch etwas übertrieben ist. Inhaltlich fühlte ich mich ungeachtet dessen prima unterhalten und insbesondere die Charaktere sehr greifbar. Nur die Auflösung war für meinen Geschmack einen Tick überladen. Das konnte ich jedoch verschmerzen, zumal die Erinnerungen von Alice für sich genommen bereits einen sehr runden Bogen boten.
Durchschnittliches Gamedesign
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An manchen Orten sind - optional - Tagebucheinträge von Verstorbenen zu entdecken |
Während wir Richard vorwiegend in der Gegenwart (im Gefängnis) steuern, leiten wir Alice durch ihre Erinnerung. Die Steuerung passiert in recht klassischer Point-and-Click-Manier und es gibt sogar ein (kleines) Inventar. Problematisch sind hingegen die unkreativen Rätsel, die mitunter mit weiten Laufwegen verbunden sind. Einerseits tragen eben diese Laufwege zur interessanten Stimmung bei (man kann sich so eher in Alice hineinversetzen, während sie mit ihrem kleinen Sohn mühsam durch den alles erfassenden Schnee stapft). Gleichzeitig würde man sie vermutlich viel eher in Kauf nehmen, wären die Herausforderungen halbwegs spannend. Letztlich ist die Umgebung erstaunlich arm an Hotspots und Details. Wer nach minutenlangem Abgrasen die drei, vier relevanten Objekte gefunden hat, für den liegt die Lösung üblicherweise auf der Hand. Hinzu kommt leider auch, dass es bei ein, zwei Schauplätzen etwas undurchsichtig ist, ob und vor allem wo es zu einem weiteren Ort weitergeht.
Schlichte AGS-Umsetzung
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Nette Schauplätze wie dieser, haben eher Seltenheitswert |
Damit wären wir auch schon bei der grafischen Umsetzung angelangt: Optisch erinnert 'Richard & Alice' an manche Konsolen-Rollenspiele aus den 90ern. Wer nicht gründlich hinsieht, würde womöglich den Einsatz des RPG-Makers bei der Entwicklung dieses Adventures vermuten. Allerdings wäre diese Annahme falsch, da hier die AGS-Engine Einsatz findet, die schon bei der Retro-Schmiede Wadjet Eye Games seit jeher die erste Wahl ist. Sonderlich ästhetisch ist dieses Indie-Adventure nicht. Es ist schlicht und bietet wenige Details, was gleichzeitig immerhin die Trostlosigkeit der Situation unterstreicht. Das ist nun aber das einzig Positive daran. Eher schlicht ist auch die musikalische Vertonung ausgefallen, die dennoch gut zur Atmosphäre passt. Auf eine Sprachausgabe wurde leider verzichtet und abseits von englischen Untertiteln, fehlt eine deutsche Übersetzung. Das ist insofern ungünstig, weil es einiges zu lesen gibt (über die Textgeschwindigkeit entscheidet der Spieler selbst). Derartige Einschränkungen schmälern unterm Strich den eigentlich sehr positiven Gesamteindruck.
Umsetzungstechnisch und spielerisch muss man bei 'Richard & Alice' teils erhebliche Abstriche in Kauf nehmen. Dafür ist die erwachsene Kurzgeschichte ungemein lohnend und macht vieles wett - zumindest sofern man sich mit einem eher gemächlichen Erzählstil anfreunden kann. Erschienen ist das Spiel zudem in einer Zeit, in der das Survival-Thema noch nicht so überstrapaziert wurde. Doch selbst heute ist die hier gewählte, menschliche Herangehensweise keineswegs abgenutzt. Es ist angenehm, zur Abwechslung ein Endzeit-Setting ohne Zombies zu erleben. Obgleich mich das Ende nicht gänzlich zu überzeugen vermochte und die Rätsel weit origineller hätten sein können, fühlte ich mich ziemlich gut unterhalten. Wer sich von der minimalistischen Grafik und der fehlenden Sprachausgabe nicht abschrecken lässt und interessante Geschichten mag, der sollte unbedingt einen Blick darauf werfen.
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Richard and Alice
- Entwickler
- Owl Cave
- Publisher
- Mastertronic
- Release
- 21. März 2013
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://owlcave.net/richard-alice/
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