Vier Jahre gingen ins Land, ehe Electronic Arts den berühmten Londoner Detektiv Sherlock Holmes erneut auf die Spieler loslies. Dass es so lange dauerte, lag zum Einen an der Art, wie sich Adventures verkaufen - Der Vorgänger hatte zunächst die Erwartungen des Publishers nicht erfüllen können - zum Annderen aber auch an einer neuen Technik. Während Watson und Holmes 1992 noch durch gezeichnete Grafik mit einer Auflösung von 320x200 Bildpunkten rätselten, laufen jetzt echte Schauspieler durch gerenderte Kulissen. Die Entwickler liegen damit voll im Trend: Speziell Sierra setzt mit 'Gabriel Knight 2' und den beiden 'Phantasmagoria'-Spielen Maßstäbe. Ob Mythos Software und EA hier mithalten konnten? Das erfahrt Ihr im Klassikertest...

Explosion im Diogenes-Club!
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Eine Explosion im Diogenes-Club erschüttert London |
So lauten zu Beginn des Abenteuers die Schlagzeilen, die von den Zeitungsverkäufern in die Gassen Londons gerufen werden. Holmes und Watson sind mehr als besorgt, schließlich zählt auch Sherlocks Bruder Mycroft zu den Stammgästen des vornehmen Clubs. Schnell stellt sich heraus, dass Mycroft unter den Opfern war und nun in einer Art Wachkoma im Krankenhaus liegt. Für Sherlock ein Schock: Der Meisterdetektiv verschanzt sich in seinem Zimmer und will Nichts und Niemanden sehen. So liegt es zunächst an Dr. Watson, die Ermittlungen aufzunehmen und erste Indizien zu finden, mit denen Holmes kriminalistischer Spürsinn wieder ans Tageslicht gefördert werden kann. Ist das endlich geschafft, geht das Abenteuer erst richtig los: Holmes setzt sich die berühmte Mütze auf und findet auch bald Spuren, die auf eine große Affäre schließen lassen. Nahezu alle Staaten Europas sind hinter einer neuen Sprengstoff-Formel her, selbst Kaiser Wilhelm II. hat seine Finger im Spiel. Ebendiese Formel wurde kürzlich gestohlen und Mycroft hatte eine Untersuchung gestartet - Die Explosion kam dem aber zuvor. Was also, wenn diese Explosion gar kein Unfall war? Holmes stürzt sich in die Ermittlungen und verhört Verdächtige durch alle Londoner Schichten hindurch vom schmuddeligen East End bis zu den Villen der High-Society.
Wie schon im ersten Teil der 'Lost Files' bereisen wir alle wichtigen Orte bequem über eine Stadtkarte, auf der immer wieder neue Ziele hinzukommen. Die Schauplätze erstrecken sich teilweise über mehrere Screens, so dass gescrollt wird. Auch die Karte scrollt mit, was sich dann als Problem entpuppt, wenn die Orte am Rand des jeweiligen Ausschnitts liegen. Bewegt man den Cursor nämlich dorthin, scrollt die Karte extrem schnell in die entsprechende Richtung. Schwupps ist man in einem anderen Abschnitt und kommt nicht mehr an das Icon, das man eigentlich anklicken wollte. Überraschend viele Orte finden sich an diesen Schnittstellen. Das Problem mag aber auch mit dem eingesetzten Emulator zusammenhängen und somit nicht immer auftreten. Irgendwann schafft man es schließlich doch, den gewünschten Ort zu bereisen. Dann blendet das Spiel ein paar zeitgenössische Fotos von London ein, die einen Eindruck der damaligen Orte vermitteln können.
Watson, was sollen wir machen?
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Im Spiel sehen wir digitalisierte Schauspieler |
Nur in Ausnahmefällen kann man die größeren Aufgaben in loser Reihe angehen, meist besteht die spielerische Freiheit nur in der Entscheidung, wann man welches Thema mit welcher Person bespricht. Weiter geht es oftmals nämlich nur dann, wenn wirklich alles erledigt ist. Zu den regelmäßigen Aufgaben des Meisterdetektivs gehört natürlich auch das Gespräch mit seinem Freund Dr. Watson. Dieser steht mit Rat und Tat zur Seite und funktioniert ein wenig wie eine Ingame-Hilfe. Er gibt zwar nicht den kompletten Lösungsweg vor, liefert aber immer wieder einmal Tipps. Und so kommt es dann dazu, dass man im Spiel wirklich erst dann weiter kommt, wenn man auch mit Watson über bestimmte Themen gesprochen und sich bei ihm einen Tipp für die Ermittlungen geholt hat. Nur passt das nicht zur Figur des Sherlock Holmes. Leider kommt auch die Geschichte nicht annähernd an die des Vorgängers heran. Während wir seinerzeit noch eine interessante Reihe von Morden im Umfeld von Jack the Ripper untersuchen durften, verheddert sich die Storyline jetzt in so unterschiedlichen Themen wie Spionage, Kindsentführung oder Terror.
B-NU-C H-O-H & R-HI-C
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Natürlich darf der Labortisch nicht fehlen |
Wenig geändert wurde beim grundlegenden Spielprinzip: Neben den Verhören und dem Finden von Spuren dürfen wir wieder im Dart antreten oder Experimente am Labortisch durchführen. Dass dabei die Wohnung von Holmes und Watson nicht in Flammen aufgeht, grenzt immer wieder an ein Wunder. Neu sind auch kleine Knobeleien, wie das Rätsel aus der Überschrift. Es ist der Hinweis darauf, wie wir eine Geheimtinte sichtbar machen können. Die meisten Fortschritte bringen aber tatsächlich Gespräche, Inventarrätsel treten dagegen in den Hintergrund. Wie im Vorgänger warten überwiegend Multiple-Choice-Dialoge auf uns, bei denen nahezu immer alle Themen angesprochen werden müssen. Bereits erledigte Sätze werden abgedunkelt, so dass man hier immer eine Übersicht behält, sich die Aussagen im Zweifelsfall aber noch einmal anhören kann. Oftmals kommen nach bestimmten Aktionen auch neue Gesprächsoptionen hinzu. Über sämtliche Aussagen führt Dr. Watson gewissentlich sein Tagebuch, das man nach Wunsch auch abspeichern oder ausdrucken kann. Einige der Rätsel bescheren dem Spiel absolute Tiefpunkte. Unzählige Male kommt der berühmte Detektiv nicht an Wachpersonal vorbei. Selbst ins Revir von Shottland Yard will man ihn nicht hineinlassen. Um an dem Wächter vorbei zu Inspector Lestrade zu gelangen, muss sich Holmes zunächst den Diensten eines Hütchenspielers bedienen, der direkt neben dem Eingang seinen Geschäften nachgeht. Noch schlimmer wird es, als Holmes nach Cambridge reist. Dort steht er vor einem schlafenden Pförtner. Die Aufgabe lautet nun, diesen aufzuwachen. Wie würde das ein Meisterdetektiv anstellen? Genau, er schick Watson los, ein Bier zu holen. Dessen Geruch weckt den Pförtner auf und stimmt ihn ob des großzügigen Mitbringsels auch gleich gnädig. Eine Verbesserung bringt die Steuerung mit sich. Statt der Verbenleiste, die im Vorgänger rund ein Drittel des Bildes beansprucht hat, erwartet uns hier ein Kontextmenü, das per Rechtsklick aufgerufen wird. Angezeigt werden nur zum Objekt passende Optionen. Den Pförtner aus dem Beispiel eben können wir also nicht nehmen, das Bier könnte man (sofern es noch aktiv wäre) trinken.
Wow, echte Schauspieler!
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Die Grafik bietet viele Details, wirkt dennoch nicht so schön wie beim Vorgänger |
Zumindest war das 1996 doch noch eher eine Ausnahme. Im Vergleich zu den Sierra-Adventures bewegen sich die Charaktere hier auch etwas flüssiger, die SVGA-Grafik ist auf einem Stand mit 'Riddle of Master Lu', dem wir ebenfalls einen Klassikertest gewidmet haben. Wobei die Entwickler für die Schauspieler auch auf eigenes Personal zurückgegriffen haben. Wir sehen beispielsweise den Grafikdesigner auch als Charakter im Spiel. Der Darsteller von Sherlock Holmes, George Gregg, hat nicht nur das Anatomieprogramm 'Bodyworks Voyager' für Mythos Software entwickelt sondern hat in 'Lost Files 2' noch eine zweite Rolle. Passenderweise spielt er auch Holmes Gegenspieler Professor Moriarty. Gegenüber Mobygames berichtet er, dass das Makeup für Moriarty drei Stunden gedauert habe und er nach einem Blick in den Spiegel beinahe selbst geglaubt hätte, 30 Jahre älter zu und abgrundtief böse zu sein. Selbst, wenn Holmes und Moriarty beide im selben Raum sind, fällt diese Dopplung nicht auf. Es wurden jedoch auch andere Darsteller doppelt besetzt und so erleben wir die britische Königin auch als einfache Arbeiterin. Nicht überall hat das Makeup also so gut geholfen. Dafür, dass hier aber Laien am Werk sind, wirken die Darstellungen sehr gut. Leider verpixeln die Charaktere etwas, wenn sie vergrößert werden, aber auch darüber kann man hinweg sehen. Es bleibt allerdings dabei, dass die Charaktere wie ausgeschnitten und aufgeklebt wirken. Der Kontrast zu den gerenderten Hintergründen ist - wie bei anderen Spielen dieser Art - oft dann doch zu groß. Die Grafiker haben sich dennoch große Mühe gegeben, die Szenen belebt wirken zu lassen. Neben den Menschen wurden auch viele Tiere gefilmt und ins Spiel eingebaut, von Vögeln über Hunde und Katzen bis zu Mäusen wird viel geboten. Nebeleffekte und Rauch aus Schornsteinen dürfen wir auch bewundern. Dazu haben wir auch viel Zeit, denn Holmes und Watson bewegen sich recht gemächlich durch die Orte.
Sehr gut gelungen ist die deutsche Sprachausgabe. Die Verantwortlichen hatten durch den Erfolg des ersten 'Lost Files' erkannt, dass es viele deutschsprachige Fans von Sherlock Holmes und Adventures gab. Die Übersetzung selbst ist ebenso sehr gut geraten. Leider fällt die Musik qualitativ etwas ab, passt aber immer sehr gut zu den Szenen. Beim Gespräch mit deutschen Kaiser ertönt standesgemäß der Marsch 'Preußens Gloria'. Das dieser zur Zeit, in der die Geschichte spielt, noch nicht so bekannt war - Geschenkt.
Verfügbarkeit und Kompatibilität
'Lost Files of Sherlock Holmes 2' kann problemlos via DosBox oder ScummVM gespielt werden. Das Spiel selbst gibt es ab rund 30 € im Karton bei ebay. Für gut erhaltene Versionen oder die seltenere deutsche Ausgabe zahlt man etwas mehr.
'Lost Files of Sherlock Holmes 2 - Das Geheimnis der tätowierten Rose' setzt die Reihe konsequent fort und fügt sich mit SVGA-Grafik und echten Schauspielern technisch hervorragend in die Zeit der frühen CD-ROM-Adventures ein. Aus heutiger Sicht fallen die dadurch bedingten Probleme allerdings auf. Angefangen mit Charakteren, die wie aufgeklebt wirken über Hintergründe, die trotz allem Detailreichtum künstich wirken, gefällt die Optik des Vorgängers einfach besser. Schon bei Veröffentlichung waren die zum Teil abstrusen Aufgaben problematisch (das Beispiel mit dem "Bier-Wecker" sei hier nochmals erwähnt) und auch die Geschichte will zu viel und verzettelt sich. Wenn man also nur eines der 'Lost Files'-Adventures nachholen möchte, sollte man zunächst auf den ersten Teil setzen. Trotzdem zählt auch 'Das Geheimnis der tätowierten Rose' zu den besseren Adventures um den britischen Detektiv. Es ist leider auch das letzte Spiel aus dem Hause Mythos Software.
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Lost Files of Sherlock Holmes 2: Das Geheimnis der tätowierten Rose
- Entwickler
- Mythos Software
- Publisher
- Electronic Arts
- Release
- 1996
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