Der deutsche Entwickler und Publisher Starbyte wollte eigentlich bereits im Jahr 1994 das Point- & Click-Adventure 'Bazooka Sue' auf den Markt bringen. Gemäß Packungstext retten wir darin mit Sue die Welt, unterbinden die Machenschaften von Dr. Bruth, der einst ein genialer Erfinder und Wissenschaftler war und vereiteln die ehrgeizigen Pläne des Sheriffs. Das "sexy Schweinchen mit dem guten Herzen" soll uns durch ein "saustarkes Adventure im Stil von LucasArts" begleiten. Wirklich los ging es dann aber erst einige Jahre später. Warum das so war und ob man die Versprechen der Packung einhalten konnte, verraten wir Euch in unserem neuen Klassiker-Test.
Planlos in Swamp Rock
Nach einem umfangreichen Intro landet die namensgebende Mischung aus Mensch und Schwein im ehemaligen Westernstädchen Swamp Rock. Dort versucht sie sich vor den Fahndungsbehören zu verstecken. Während sie vom FBI wegen illegalem Schnapsbrennens gesucht wird, hat sie der örtliche Sheriff aufgrund ihrer Fahrweise auf dem Kieker. Zu allem Überfluss ist nun auch noch der Tank ihres Wagens genauso leer wie Ihr Portemonnaie. Lediglich ein paar alte Schmuddelhefte, die von Sues Vergangenheit als Nacktmodel zeugen, befinden sich noch in ihrem Besitz. Nun liegt es also an uns, für Sue eine Bleibe zu organisieren und die Kasse aufzubessern. Ganz nebenbei durchkreuzen wir die Pläne des bösen Wissenschaftlers Dr. Bruth und retten Swamp Rock vor den Plänen des Sheriffs, der die ganze Stadt an Investoren verkaufen will.Ja, das klingt verwirrend und das ist es auch. Wie gut, dass die Hintergrundgeschichte für alle Spieltage im Handbuch nachzulesen ist. So wissen wir immerhin ein wenig, was Sue eigentlich zu erledigen hat. Leider erfahren wir so aber auch Teile der Geschichte, die uns vielleicht später noch überraschen würden. Wir erfahren auf diese Weise, dass Swamp Rock zwar ein Hotel hat. Dieses ist jedoch von Japanischen Touristen ausgebucht. Immerhin hilt uns diese Erkenntnis aber später bei einem Rätsel weiter. Wir erfahren ebenfalls, dass Dr. Bruth an einer Klon-Armee werkelt und zuerst das kleine Dörfchen, später dann die ganze Welt mit seinen Ebenbildern überrennen will. Und irgend etwas scheinen seine Pläne auch damit zu tun haben, dass immer mehr Einwohner Swamp Rocks verschwinden...
Während die Geschichte schon einige Klischees erfüllt, so sind die Charaktere nichts anderes als Musterbeispiele für Stereotypen. Fangen wir gleich bei Sue an: Blonde, lange Haare, High-Heels, zu knappe Wäsche und ein übergroßer Vorbau werden garniert mit dem "dummen Blondchen" (immerhin ist sie stolz darauf eine Legasthenikerin zu sein), das zur Problemlösung oft und gern den Körper einsetzt. Trotzdem weiß Sue, was sie will und kann auch anders auftreten. Der Wissenschaftler Dr. Bruth (mit österreichischem Dialekt) ist kleinwüchsig und erinnert nicht nur optisch an Dr. Fred aus 'Day of the Tentacle'. Vom Japaner mit einer Kamera bis zum Finanzbeamten werden wirklich alle Figuren ihren Klischees gerecht. Stellt Euch eine Figur vor, genauso findet Ihr sie in 'Bazooka Sue'.
"Tachcheeeeen"
Das müsste nicht so schlimm sein, wird mit zunehmnender Spielzeit aber anstrengend. Insbesondere da Sue viel zu oft auf ihre körperlichen Reize reduziert wird und noch dazu in den Gesprächen auch extra Dumm wirkt, was schon mit der Begrüßung "Tachcheeeeen" beginnt. Zwar passt die Stimme der Synchronsprecherin Silke Buchholz gut zu Sue und den übrigen Charakteren und sie macht Ihre Sache auch gut. Wären doch nur die Dialoge besser geschrieben und nicht einfach platt und zum Teil auch zusammenhanglos oder stupide. Und ja: Richtig gelesen, neben Sue wurde ein Großteil der übrigen weiblichen Rollen von nur einer Person eingesprochen, wie Silke Buchholz in den Kommentaren unter einem Lets Play bei YouTube verrät. Für die männlichen Rollen soll es sogar nur einen Sprecher gegeben haben. Beide tauchen namentlich übrigens nicht in den Credits auf, die Schilderungen in den YouTube-Kommentaren klingen aber durchaus plausibel. Es scheint den Beteiligten zwar Spaß gemacht zu haben, viel Geld wurde für die Aufnahmen offensichtlich aber nicht investiert. Das könnte auch eine Erklärung für die stark schwankende Qualität der Aufnahmen sein: Einige Sätze klingen, als ob sie durchs Telefon gesprochen wurden, weil man sie im Tonstudio vergessen hat.
Was zum Henker?
Die Geschichte und die Dialoge gehören also nicht zum Besten, was das Genre 1997 zu bieten hatte. Bleiben als wichtige Adventure-Zutat noch die Rätsel. Und auch hier versagt 'Bazooka Sue' regelmäßig. Immer wieder stehen wir da und wissen eigentlich nicht, warum wir etwas machen. Sofern wir denn überhaupt eine Ahnung haben, was als Nächstes ansteht. Und wenn wir endlich eine Lösung haben, fragen wir uns oft genug, was die Entwickler da wohl geritten hat. Dass man ein Passwort benötigt, um in einen recht normalen Buchladen zu kommen, mag für Adventures vielleicht noch akzeptabel sein. An einer anderen Stelle benötigen wir einen Schlüssel, um ein Motelzimmer zu bekommen. Mittels Brecheisen haben wir bereits für Zugang zur Rezeption gesorgt, wo Sue nun vor einem Schlüsselbrett steht. Daran hängen vier Schlüssel. Wir müssen nun die Schlüssel in einer bestimmten Reihenfolge anklicken und tauschen, damit wie von Zauberhand ein Zimmerschlüssel (ja, ein weiterer!) auf dem Tresen des Motels auftaucht. Dieser ist nun der richtige für Sues Zimmer. Warum dann die richtige Kombination für den Hotel-Safe auf einer Plakette an einem Brunnen hängt, können wohl nichtmal die Entwickler erklären. Aber vielleicht wissen sie ja, warum man einen Barkeeper bewusstlos schlagen muss, um eine Handvoll Fliegen einzusacken? Ja, wir haben schon viele unlogische Rätsel in Adventures gesehen. Aber 'Bazooka Sue' gehört hier zu den Glanzlichtern, die ganzen verqueren Ideen können wir hier nicht aufzählen, das würde den Rahmen sprengen. Aber habt Ihr schon einmal Strom in einer Isolierkanne transportiert?
Vielleicht wären die Rätsel etwas nachvollziehbarer, wenn man im Inventar noch Informationen zu den eingesammelten Objekten erhalten könnte. Doch leider finden wir hier nur Piktogramme. Nicht einmal ein Name wird dazu eingeblendet. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bildchen oft keinerlei Ähnlichkeit mit der vorherigen Grafik in der Spielwelt haben. Oft werden sie im Inventar sogar umgefärbt. Respekt, wer da den Überblick behält!
Bis ein Objekt endlich im Inventar gelandet ist, kann es auch einige Zeit dauern, denn die Steuerung ist leider nicht sonderlich präzise, dafür aber umständlich. So muss man einige Male den gleichen Punkt am Bildschirm anklicken, ehe etwas passiert. Dass dort etwas zu tun ist, zeigt uns der Cursor an, der die mögliche Aktion andeutet. Meistens jedenfalls, denn mindestens an einer Stelle ändert sich der Cursor nicht, was ohne eine Lösung mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass man als Spieler nicht weiterkommt. Bis zu diesem Punkt hat das nämlich immer nur damit zu tun, dass Sue eine andere Aufgabe noch nicht erledigt hat - ob diese aktuell Sinn ergibt, steht auf einem anderen Blatt.
Optisch schick
Positiv sticht die Grafik heraus. Zwar läuft das Spiel nur in 640×480 Bildpunkten, dennoch sieht Swamp Rock aus wie aus einem Comic-Heft gefallen. Ja, zwar Pixelig, aber schön Bunt. Man erkennt den Stil von Carsten Wieland (dem wir u.a. Lula oder Chewie zu verdanken haben). Lula und Sue könnten vom Körperbau sogar Schwestern sein (sieht man einmal von Nase und Ringelschwänzchen ab). Wie bei Lula wird auch hier Wert auf die anatomisch korrekte Bewegung der anatomisch inkorrekten Körperteile geachtet, was auch für die Nebencharaktere und die gesamte Szenerie gilt. Besonders die Straßen von Swamp Rock wirken für ein Adventure erstaunlich belebt. Ja, es sind immer die gleichen Figuren, die hier ihre Runde drehen. Dennoch ist überraschend viel los. Leider bewegen sich Sue und die anderen Swamp-Rocker sehr gemächlich, was die Spielzeit noch einmal etwas in die Länge zieht.
Eine Dauerschleife dreht leider auch die Musik, die in nahezu allen Szenarien identisch ist. Was bei den Charakteren für Freude sorgt, wird hier schnell eintönig.
Zwischensequenzen im Überfluss
Dass die Entwickler Spaß an Animationen hatten, bezeugen auch die unzähligen Zwischensequenzen und anderen Animationen, die oftmals nur für einen ausführlichen Wegwerfgag genutzt werden. Eine recht umfangreiche Sequenz wird beispielsweise abgespielt, wenn Sue nach einer Aktion unvermittelt stirbt. Im Himmel trifft sie dann auf einen der Entwickler, plaudert kurz mit ihm und stellt fest, dass sie ja eigentlich garnicht sterben kann. Der Entwickler gibt dann auch zu, dass diese Sequenz nur zum Spaß im Spiel ist und Sue jetzt weiter machen kann. Solche und ähnliche Animationen gibt es häufiger. Und als Spieler fragt man sich, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, stattdessen kleine Filmchen ins Spiel zu packen, die für eine nachvollziehbarere Handlung sorgen.
Mit dem Holzhammer durch die vierte Wand
Mit solchen wie der eben beschriebenen Zwischensequenz durchricht das Spiel immer wieder die vierte Wand. Das beginnt schon im Intro, wenn Sue bei der Verfolgungsjagd über den Schreibtisch des Grafikers saust und hört auch bei dem Büro der Entwicklerschmiede, das sich ebenfalls im Spiel findet, noch lange nicht auf. Das muss man mögen. Insbesondere, wenn die damit verbundenen Witze sich auf die Entwickler und deren Arbeit beziehen. Außenstehende haben daran weniger Spaß, wenn sie die Scherze denn überhaupt verstehen können. Die übrigen Späße kommen auch meistens mit dem Holzhammer daher. Manchmal klappt das sogar, meistens ist man peinlich berührt ob dieses spätpubertären Humors.
Kompatibilität und Verfügbarkeit
'Bazooka Sue' gibt es aktuell nur am Gebrauchtmarkt zu kaufen. Beispielsweise bei eBay finden sich hin und wieder Schnäppchen für die Kartonsammler unter Euch um die 30 €. Das Spiel gab es auch als Heft-Version in der PC Joker 11/1997 sowie auf einigen Compilations. Diese Versionen gibt es deutlich günstiger. Um es unter aktuellen Betriebssystemen starten zu können, benötigt man den Emulator DosBox. Leider treten beim Spielen aber einige Fehler zu Tage, die man nicht ohne Weiteres überwinden kann: Die Entwickler hatten seinerzeit einige der Audiodateien mit Umlauten versehen. Was heute kein Problem mehr ist, führt im DOS-Emulator zum Absturz des Spiels. Daher werden einige Anpassungen notwendig, die das Community Mitglied "Bakhtosh" in einem Installer zusammengefasst hat. Mit diesem kleinen Tool, das wir Euch unter dem Test verlinken und einer Original-CD bekommt Ihr 'Bazooka Sue' ganz einfach auch auf aktuellen Rechnern zum Laufen. Eine Garantie für die fehlerfreie Funktion seines Installers gibt es aber weder von "Bakhtosh" noch von uns.
War es schon zu spät?
Woran scheitert es in 'Bazooka Sue' nun eigentlich? Schließlich sollte Sue schon um den Jahreswechsel 1994/1995 loslegen, wie ein Test vom PC Joker verrät. Im Januar 95 hieß es dann im Rahmen einer Messenachlese, dass "Ein Komplett- und Generalsabsturz des Entwicklungs-Rechners (...) Teile des bereits getesteten und kurz vor der Veröffentlichung stehenden Grafikadventures" vernichtet habe. Eine Software-Firma ohne Backup? Das klang schon damals seltsam. Näher an der Wahrheit dürfte daher die Begründung aus dem tatsächlichen Test in der Joker-Ausgabe 4/1997 sein. Demnach kam es kurz vor der Veröffentlichung zum Streit zwischen Programmierer Volker Zinke und Starbyte. Zinke soll daraufhin das Unternehmen verlassen und dabei auch die Engine mitgenommen haben. In der Folge kam es zu einem Gerichtsstreit um die Rechte an dem Spiel, der zur Veröffentlichung dann endete. Zwischenzeitlich hatten die neu angeheuerten Programmierer Carsten Wieland und Axel Plinge die Rätsel, Grafiken und andere Teile des Spiels überarbeitet, wodurch unterschiedliche Lösungswege entfallen sein sollen. Trotz dieser Verschiebung wirkt 'Bazooka Sue' unrund. Es gibt verschiedene Bugs und insgesamt bleibt der Eindruck eines unfertigen Spiels. Es liegt vielleicht auch daran, dass 'Bazooka Sue' das letzte Spiel von Starbyte sein sollte.
Grafisch konnte 'Bazooka Sue' im Jahr 1997 durchaus noch mithalten. Sicher gab es deutlich hübschere Adventures wie beispielsweise 'Larry 7' oder 'Monkey Island 3'. Der Comic-Stil des "Sexy Schweinchens" wirkt aber in sich stimmig und weiß zu gefallen. Etwas mehr Professionalität bei der Sprachausgabe hätte dem Spiel gut getan, hätte aber auch nicht über die großen Probleme hinwegtäuschen können, vor die Sue die Spieler stellt. Oft stehen wir planlos in Swamp Rock herum, weil das Spiel mit Hinweisen geizt. Die unlogischen Rätsel helfen da ebenso wenig weiter wie das unbeschriftete Inventar. Dass die Dialoge meist platter als eine Flunder sind und der Humor auch damals schon zu pubertär war, macht es nicht besser. Immerhin dürften sich Starbyte-Kenner (also die Entwickler selbst) über die unzähligen und aufwändigen Anspielungen freuen. Alle anderen sind spätestens nach dem dritten Insider genervt.
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11 Kommentare
Aber danke für den ausführlichen Test, ich denke das werd ich mir nicht mehr antun.
Wenn das einen nicht stört: ein nettes Adventure, wer damit nicht in Berührung kommen will, sollte sich weniger nach einen leicht versauten Ferkelchen in einen Spiel Namens Bazooka Sue umsehen.
Habe Bazooka Sue sogar auf Cd-Rom zu Hause
Da wohl weder Steam noch Gog Bazooka Sue anbieten ist das Spiel wohl eine Rarität geworden. O_o
Und was habt ihr bloß mit euch das Spiel antun?
Könnte von alten guten klassischen Adventures nie genug kriegen.
Fazit: Das Spiel hat seine netten Momente (wie gesagt mit dicker Nostalgiebrille), aber vor allem der Anfang in Swamp Rock ist ein planloses langsames Umherwandern und Ausprobieren. Die Rätsel sind selten nachvollziehbar und ohne den ein oder anderen Hint hätte ich das Projekt mit Sicherheit abgebrochen.
Jetzt kann ich hinter das Abenteuer einen Haken setzen und freue mich auf das nächste... es kann nur besser werden