Stellt Euch vor, Ihr findet ein Smartphone, noch dazu eines, das nicht mit einem Passwort gesichert ist und in dem Ihr ungehindert stöbern könnt – was würdet Ihr tun? Genau diese Frage stellt uns Accidental Queens, das Entwicklerteam hinter 'A Normal Lost Phone'. Gleichzeitig werden wir aufgefordert, die Wahrheit herauszufinden und uns auf digitale Spurensuche zu geben. Das haben wir uns natürlich nicht zweimal sagen lassen und das fremde Smartphone ausgiebig für Euch durchforstet.

Wer ist eigentlich Sam?
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Mit dieser Nachricht fängt alles an. |
Entschließt man sich dazu, im ungesicherten Smartphone herumzustöbern, dann erfährt man als erstes, dass Sam, der 18-jährige Besitzer des Telefons, offenbar verschwunden ist – just am Tag seines 18. Geburtstags. Besorgt klingende SMS des Vaters zeugen davon, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmt. Natürlich könnte Sam das Telefon auch einfach verloren haben, so etwas passiert schließlich öfter. Aber wir sind ja zum Spionieren hier und lesen erst mal weiter. Zunächst nehmen wir uns die SMS von Sams Vater vor, dann die seiner Freunde und anderer Verwandter. So entsteht langsam ein klareres Bild von Sam und seinem Leben. Musikalisch begabt, offenbar sehr beliebt, Mitglied in einem Leseclub und einer Brettspielrunde, dazu eine bildhübsche Freundin und eine beste Freundin – klingt eigentlich ganz toll.
Schnell müssen wir feststellen: Wir kratzen grade mal an der Oberfläche. Die Beziehung läuft nicht so toll, Sam hat sich unter zwei unterschiedlichen Namen auf einer Online-Partnervermittlung angemeldet, seine beste Freundin Alice kannte seine Freundin Melissa nicht... um mehr zu erfahren, reichen die SMS nicht aus. Wir müssen die Mails abrufen und Sams Lovbird-Accounts knacken, wenn wir herausfinden wollen, was passiert ist und was hinter der Fassade steckt.
Ich will an dieser Stelle nicht zu viel verraten, denn die durchdachte und sehr sensibel transportierte Geschichte ist ganz klar die Stärke von 'A Normal Lost Phone'. Über SMS, Mails, Bilder sowie Postings in Online-Formen erzählen Accidental Queens eine berührende Geschichte über die Suche nach der eigenen Identität, wobei „Identität“ in diesem Fall wirklich viele Facetten einschließt. Mehr zu verraten würde jedoch zu viel spoilern.
Sieht bekannt aus...
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Wir können ungehindert in den Textnachrichten stöbern. |
Wir haben es ausschließlich mit einer an Smartphones angelehnten Spieloberfläche zu tun. Auf dem Startbildschirm befinden sich verschiedene Apps, die wir benutzen können. In der Galerie finden wir Fotos von Sam und seiner Familie, später können wir auch Fotos aus einem Forum bzw. aus Mails hinzufügen. Grafisch ist das Spiel recht einfach und unspektakulär gehalten, funktioniert aber vermutlich gerade deswegen sehr gut. Am Smartphone selbst spielt es sich vermutlich noch um einiges „authentischer“, da man dann nicht klickt, sondern wischen und tippen muss, um eine bestimmte App zu öffnen oder um zur nächsten Nachricht bzw. zum nächsten Bild zu gelangen.
In Sachen Sound können wir den integrierten Musikplayer im Hintergrund laufen lassen, der eine Mischung aus eher ruhigen, sanften Melodien bietet. Verzichtet man darauf, bleibt das Spiel komplett stumm, eine Sprachausgabe gibt es logischerweise nicht. Apropos Sprache: 'A Normal Lost Phone' wurde in mehrere Sprachen übersetzt, unter anderem auch ins Deutsche. Im Optionsmenü (das natürlich ebenfalls als App dargestellt ist) kann man die gewünschte Sprache auswählen.
Codes knacken, Mails lesen – das Gameplay
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Um Sams Mails oder den Lovbirds-Account durchforsten zu können, müssen wir das W-Lan aktivieren. |
Zugegeben: „Gameplay“ ist ein etwas starkes Wort, denn im Grunde tut man in 'A Normal Lost Phone' nichts anderes, als eine App nach der anderen zu durchsuchen, jeden nur auffindbaren Text zu lesen (und davon gibt es eine ganze Menge!) und Ausschau nach Zahlencodes zu halten. Diese Zahlencodes sind in SMS, Mails und anderen Texten versteckt und in der Regel leicht auffindbar, da das Spiel uns einen unmissverständlichen Hinweis darauf gibt, worauf wir achten müssen. In Summe brauchen wir fünf Codes, die uns den Zugriff auf bisher verborgene Daten wie z.B. ein geheimes Tagebuch gewähren oder die es uns erlauben, uns in Sams Lovbirds-Account einzuloggen. Mehr ist im Grunde nicht zu tun. Zweimal können wir auch eine unvollendete Mail bzw. ein Foto verschicken, wobei das nicht mehr als einen Klick in Anspruch nimmt und, im Fall des Fotos, etwas Recherche, um das richtige Foto zu finden. Das war's. Die meiste Zeit verbringt man damit, Texte zu lesen. Macht man das gründlich, dann verbringt man mit 'A Normal Lost Phone' gut und gerne zwei Stunden.
Was mir an 'A Normal Lost Phone' wirklich gut gefallen hat, war die sensibel erzählte Geschichte, die Themen wie Homophobie und Rollenbilder aufgreift, ohne dabei in peinliche Klischees zu verfallen. Den Entwicklern ist es auch hervorragend gelungen, Hauptfigur Sam rein über Texte greifbar zu machen und sympathisch darzustellen. Auch andere Charaktere, die wir nur via SMS und/oder Mail „kennenlernen“, wirken authentisch und können bisweilen auch Gefühle wie Sympathie oder Antipathie erwecken. Die sehr einfachen Aufgaben stellen keine Herausforderung dar, stehen aber auch nicht im Mittelpunkt des Spiels, ebenso wenig die Grafik. Auch gut gelungen: Am Ende stellt einen das Spiel vor die Frage, was man nun mit all den ausgegrabenen Informationen tun möchte. Hier wird direkt an das moralische Gewissen des Spielers bzw. Finders appelliert. Unterm Strich liefert 'A Normal Lost Phone' ein Spielerlebnis der etwas anderen Art, das wichtige Themen behandelt und ganz ohne großartigen Schnickschnack auskommt.
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A Normal Lost Phone
- Entwickler
- Accidental Queens
- Publisher
- Plug In Digital
- Release
- 26. Januar 2017
- Trailer
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- Art
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Independent
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