Bereits im Oktober des vergangenen Jahres erschien das klassische Pixel-Adventure 'Lucy Dreaming', dessen Name gleich in zweier Hinsicht auf das Spiel einstimmt. Vordergründig geht es um die kleine Lucy, deren Nächte von Albträumen geplagt sind. Wir können Einfluss auf diese Träume nehmen, es geht also um "luzide Träume", auch bekannt als Klarträume. Und dann ist da noch ein dunkles Geheimnis um einen nie eröffneten Freizeitpark in Lucys Heimtort. Wie das alles zusammenhängt und ob sich das Spiel lohnt, verraten wir Euch im Test.
Der Traum vom Fallen
Ein weit verbreiteter Traum dürfte der von einem ungebremsten freien Fall sein. Und in diesem Traum treffen wir Lucy. Das kleine Mädchen stürzt scheinbar endlos in die Tiefe. Doch sie kann ihren Traum steuern, denn sie hält im Fallen kurz an und stellt sich uns vor. Lucy berichtet, dass sie diesen Traum jede Nacht durchlebt und somit nur schwer ein Auge zumachen kann. Sie will etwas gegen den Albtraum unternehmen und hat sich aus diesem Grund über luzide Träume schlau gemacht. In diesen Klarträumen ist der träumenden Person bewusst, dass sie träumt. Mit etwas Übung kann man so den Traum in eine andere Richtung lenken und genau das hat Lucy mit unserer Hilfe vor. Zunächst benötigt Lucy eine angenehme Umgebung zum Schlafen. Dazu gehört auch eine Traumbox, die sie mit Büchern und anderen Dingen füllen kann, um so eine neue Traumwelt zu erschaffen. Wenn sie beispielsweise ein Rezeptbuch hineinlegt, träumt sie von einer Welt, in der Backwaren eine tragende Rolle spielen. Und auch wenn sich das erstrebenswert anhört, handelt es sich wieder um einen eher unschönen Traum.
Auf der Suche nach Objekten für die Traumschachtel erkunden wir nach und nach die kleine Stadt, in der Lucy lebt und besuchen Orte wie die Bibliothek, die Kirche, Lucys Schule oder ein Dorffest. Dort erfahren wir etwas über die Vergangenheit der Stadt, in der es vor einigen Jahren einen bis heute unaufgeklärten Mord gegeben hat. Ein reicher Einwohner wollte einen Freizeitpark am Dorfrand eröffnen. Am Abend vor der großen Feier wurde er jedoch Opfer eines Verbrechens. Dringend tatverdächtig ist sein eigener Bruder, der kurz nach dem Start der Ermittlungen verschwand. Schnell wird Lucy klar, dass mehr hinter dieser düsteren Geschichte steckt und sie versucht sich an der Aufklärung des Falls. Vielleicht hilft ihr das ja sogar bei ihren Albträumen?
Traum und Realität
Die Traumwelten, in die uns Lucy mitnimmt sind sehr kreativ gestaltet. Beginnend mit einem von Pflanzen besuchten Comedy-Club bis zu einem Grusel-Schloss bereist das kleine Mädchen unterschiedlichste surreale Welten. Dabei wird sie immer von einem anderen Wesen begleitet. Einem depressiven Teddy, dessen Stimmung stark an den Roboter Marvin aus 'Per Anhalter durch die Galaxis' erinnert und einer Gummiente, die zu einem wahren Monster mutiert. Zum Aufwachen bekommt Lucy recht früh einen speziellen Cocktail. Der verbleibt im Traum-Inventar, genauso wie alle anderen Objekte, die wir im Schlaf finden. In die Realität des Spiels kann Lucy jedoch nur Gedanken oder Informationen mitnehmen. So verzahnen sich die Geschichte und die Rätsel beider Welten immer mehr. Beispielsweise muss Lucy sich an ihre Mitgliedsnummer für einen Club erinnern. Wie diese lautet, fällt ihr partout nicht ein. Da hilft ein Nickerchen, denn im Traum wird sie mit einer Zahl konfrontiert - die gesuchte Nummer, mit dem sie nach dem Aufwachen weiterkommt.
Die Welt, in der Lucy wach unterwegs ist, wirkt jedoch auch eher wie einem schrägen Traum entsprungen. In der Bibliothek steht beispielsweise ein riesiger Computer, wie man ihn aus den Anfängen der digitalen Welt (oder aus 'Thimbleweed Park') kennt. Um ein Buch auszuleihen, wird der Kopf des Ausleihenden geröntgt und so die Gedanken ausgelesen. Lucy selbst besitzt einen Computer mit Röhren-Monitor und der Möglichkeit, E-Mails zu empfangen. Und in einem Pub flimmert auf einem Fernseher eine Videotext-Seite, obwohl dieser Service nach Aussagen im Spiel bereits seit Jahren eingestellt wurde. Lucy selbst hat in ihrem Zimmer viele Utensilien, die an die Nerd-Kultur der 1980er und 1990er Jahre erinnern. Die Handlung in eine konkrete Zeit einzuordnen ist somit unmöglich. Dazu kommen sehr seltsame Charaktere, allen voran Lucys kleiner Bruder, der "wissenschaftliche" Experimente an (Plüsch)-Tieren durchführt und dabei wirkt wie eine Mischung aus Frankenstein und Comic-Bösewicht. Den Rest ihrer Familie lernen wir im Spiel nicht kennen, Lucys Eltern werden lediglich in Dialogen thematisiert. Und so fragen wir uns als Spieler, ob das Spiel vielleicht einen Twist wie der Film 'Inception' nimmt.
Lucys Erlebnisse in der realen Welt fesseln mehr als die Traumsequenzen, die wiederum für eine große Abwechslung sorgen. Spannung kommt leider erst auf, wenn Lucy die ersten Ungereimtheiten den Mordfall betreffend aufdeckt. Bis es soweit ist, haben wir rund fünf Stunden Spielzeit hinter uns gebracht, mehrere Träume erlebt und nahezu alle Orte der Stadt bereist. Kurz: Wir stehen am Beginn des letzten Drittels von 'Lucy Dreaming'. Das dreht sich um den Kriminalfall und liefert in den Wachphasen viele neue Erkenntnisse, die eine zunächst vorhersehbare Richtung einschlagen, dann aber doch ein sehr überraschendes Ende nehmen.
Klassisches Adventure
Schon die ersten Screenshots vermitteln den Eindruck eines sehr klassischen Adventures und genau das erwartet uns Spieler mit 'Lucy Dreaming'. Die Grafik setzt auf begrenzte Farben und Pixel, die auch für moderne Auflösungen aufbereitet sind. Alle Räume bieten viele Details und teilweise verschwenderisch viele Hotspots, von denen Rätselrelevante per spezieller Anzeige eingeblendet werden können. Für die gelungene Musik können wir zwischen den "Soundkarten" Roland und Adlib umschalten. Den Unterschied kann man wirklich hören und ja, so haben die Spiele damals geklungen. Für die englische Sprachausgabe wurden überwiegend passende Sprecher eingesetzt. Hinter dem Entwicklerstudio Tall Story Games steckt das Ehepaar Tom und Emma Hardwidge. Lucy wurde von Emma eingesprochen, wodurch die Stimme etwas zu alt für den Charakter wirkt. Nach einiger Zeit gewöhnt man sich daran und irgendwie passt es auch ganz gut in die surreale Welt von 'Lucy Dreaming'. Die Texte bieten jede Menge britischen Humor und Wortspielereien, einen Großteil davon konnte der mit der Übersetzung betraute Hans Pieper ins Deutsche retten.
Vier Verben: Untersuche, Nimm, Rede und Benutze - Das sind die Möglichkeiten, die uns Tall Story Games für 'Lucy Dreaming' mitgeben. Die Rätsel werden dadurch aber nicht unbedingt einfach, im Gegenteil. Zunächst gibt es unzählige Hotspots, die alle irgendwie wichtig sein können und die teilweise auch erst im Verlauf des Spiels interaktiv werden. Wenn Lucy also zu Beginn des Abenteuers ein Objekt nur kommentiert aber noch nicht einstecken mag, kann das in einem späteren Abschnitt komplett anders sein. Verabschieden müssen wir uns auch davon, dass Gegenstände nur eine Beschreibung haben. Je mehr Lucy über ihre Welt erfährt, umso mehr kann sie uns auch über bestimmte Dinge erzählen. Es lohnt sich daher, alle Sachen mehrmals zu untersuchen. Zwar kommen wir auch sonst durchs Spiel, verpassen aber vielleicht einen Hinweis oder einen Witz.
Gerade zu Beginn des Kickstarter-finanzierten Adventures war ich mir unsicher, wohin 'Lucy Dreaming' wohl gehen mag. Zu wenig konnte mich die Geschichte in ihren Bann ziehen. Dazu kamen die seltsamen Träume und komischen Figuren der "realen" Welt von Lucy. Das änderte sich dann im Laufe des Spiels, richtig dabei war ich leider erst im letzten Drittel, wenn sich die Geschichte um den Mord und den nie eröffneten Freizeitpark entfaltet. Trotzdem hat das Finale sehr viel richtig gemacht und mich mit dem Spiel versöhnt. Wer sich also an 'Lucy Dreaming' setzt und in den ersten Stunden noch nicht so richtig ins Spiel findet, kann trotzdem am Ende eine gute Zeit gehabt haben. Und wer gerne tiefer in die Welt eintauchen möchte, findet eine verschwenderisch große Zahl von Hotspots, zu denen Lucy viel erzählt. Als Belohnung gibt es dafür Achievements, die man versäumt, wenn man das Spiel "nur" löst. Dazu gibt es eine schicke und stimmungsvolle Pixel-Grafik, gute deutsche Texte und englische Sprachausgabe. Die Rätsel sind überwiegend fordernd, aber nachvollziehbar. Zusätzlich gibt es eine Demo zum Spiel, die aber leider den (für mich) nicht so spannenden Teil zeigt. Für einen Einblick in die Rätsel und das Gameplay ist diese aber sehr hilfreich.
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Lucy Dreaming
- Entwickler
- Tall Story Games
- Publisher
- Tall Story Games
- Release
- 18. Oktober 2022
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- https://lucy-dreaming.com/
- Art
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Crowdfunding
- Sprachen
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