Als das von Fans heftig kritisierte 'Mass Effect: Andromeda' ohne DLCs sang- und klanglos von BioWare verabschiedet wurde, stand die Zukunft der einst beliebten SciFi-Reihe lange in den Sternen. Inzwischen hat sich das Studio mit dem Remaster der erfolgreichen 'Mass Effect'-Trilogie zurückgemeldet, womöglich als zweite Chance, um die Zukunft der vielschichtigen SciFi-Rollenspiel-IP zu klären. Ob die 'Legendary Edition' der Kultfigur Commander Shepard tatsächlich gerecht werden kann, das sehen wir uns im Test unserer Storyteller-Ecke genauer an.
Das Jahr 2183
Mehr als hundert Jahre nach dem ersten Kontakt mit anderen Aliens, bekommt die Menschheit eine immer größere politische Rolle im galaktischen Citadel-Rat zugesprochen. Die Citadel, das ist sozusagen eine gigantische Raumbasis die das Zentrum des politischen Geschehens im Universum bildet. Verschiedenste Aliens findet man an diesem belebten Ort.
Zu Beginn geht es um die Ernennung des ersten menschlichen Specters im Rat: Diese Elitesoldaten haben freie Hand, wenn es darum geht, für Frieden in der Galaxie zu sorgen und stehen über dem Gesetz. Selbst grausame Problemlösungen werden zur Not toleriert, wenn das Ergebnis stimmt.
In die engere Wahl fällt unsere Spielfigur, Commander Shepard (Aussehen, Geschlecht und eine rudimentäre Hintergrundgeschichte bestimmt der Spieler selbst). Zuerst muss sie sich aber beweisen und auf der Kolonie von Eden Prime ein mächtiges Artefakt ausfindig machen, welches von einer vor Ewigkeiten ausgestorbenen Alienrasse stammen soll. Dieses Unterfangen gestaltet sich nicht nach Plan. Ein Verrat ebenso wie das mit dem Artefakt verbundene Wissen werfen Fragen auf und deuten auf eine ernste Bedrohung für die gesamte Galaxie hin. Freilich will kaum jemand Shepards Befürchtungen Glauben schenken, denn handfeste Beweise fehlen. So beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Wenigstens bekommen wir ein riesiges Raumschiff und eine Crew, die mit Shepard durch dick und dünn geht.
Drei Teile, die eng aufeinander aufbauen
Eins vorweg: es ist keineswegs empfehlenswert, diese vielschichtige Rollenspiel-Trilogie erst mittendrin zu starten, obgleich jeder Teil für sich genommen ein rundes Ende bietet. Alles in diesem Action-Rollenspiel baut auf den finalen Konflikt im letzten Spiel auf. Entscheidungen von einem Teil werden später in irgendeiner Form erneut aufgegriffen. Das kann sich auf Entscheidungsmöglichkeiten auswirken, über Leben und Tod mancher Charaktere entscheiden, oder zum Beispiel für die Unterstützung eines Alien-Volkes wesentlich werden. Die meisten Begleiter auf unserem Raumschiff kehren später zurück (wenn sie nicht gestorben sind) und greifen mitunter frühere Gespräche und Entscheidungen nochmal auf.
Biowares Action-Rollenspiel-Triologie ist somit einer jener Fälle, wo es sich lohnt alles von Anfang an zu spielen, um möglichst wenige Details zu verpassen und ein gutes Gefühl für die Spielwelt zu entwickeln. Im Gegensatz zu Mass Effect: Andromeda gibt es zuletzt keine richtige offene Welt. Das trägt zu einem sehr kompakten, kurzweiligen Storytelling bei.
Insbesondere 'Mass Effect 1' nimmt sich viel Zeit, das komplexe SciFi-Setting zu etablieren: Welche Alienvölker gibt es und was zeichnet sie aus, wer ist mit wem in einem Konflikt und warum und vieles mehr. Hintergründe dieser Art, und die vielen greifbaren Charaktere am Weg zum Ziel, saugen einen rasch ins Geschehen hinein und machen es schwer aufzuhören.
Überzeugend vermittelt wird all das von erstklassigen Sprechern und Sprecherinnen: Martin Sheen, Carrie-Anne Moss, Yvonne Strahovski und Tricia Helfer sind nur ein paar der Namen, die man selbst heute noch immer wieder in TV und Kino bewundern kann. Sie vermitteln selbst seltsame Dialogzeilen erstaunlich glaubwürdig. Commander Shepard wird übrigens von Jennifer Hale und Mark Meer verkörpert (abhängig vom Geschlecht der Hauptfigur), die beide sehr viel Erfahrung mitbringen. Zwar gibt es auch eine ordentliche deutsche Vertonung, aber es ist schwer zu empfehlen, die englische Originalfassung zu probieren.
Gamedesign im Wandel
Dass der Auftakt aus dem Jahr 2007 stammt, ist der Neuauflage zwangsläufig immer noch anzusehen. Das Gameplay wirkt mitunter hölzern und unintuitiv. Teils hat es den Anschein, als wäre sich Bioware damals nicht immer einig gewesen, was für eine Art von Gameplay im Zentrum stehen soll. Die Erkundung der diversen Planeten und Stützpunkte ist gewöhnungsbedürftig. Wo das Missionsziel liegt, muss man sich im ersten Teil anhand der Karte selber zusammenreimen. Die Architektur wirkt oft seltsam verwinkelt und Eingänge sind selten klar ersichtlich. Zu Beginn ist ein bisschen Geduld notwendig, doch das lohnt sich.
Der Remaster zeigt sich sichtlich bemüht den ersten Teil nicht nur grafisch anzupassen (getestet wurde die PS4-Fassung). Optimiert wurde auch die Action. So gibt es in der Neuauflage u.a. mehr Deckungsmöglichkeiten, was besser zu den Fortsetzungen passt und in Summe für ein runderes Spielerlebnis sorgt. Zwar erinnert die KI der Gegner weiterhin an einen aufgescheuchten Hühnerhaufen, doch das nur am Rande. Für ein Rollenspiel aus der damaligen Zeit ist die Balleraction dennoch unterhaltsam.
Die meisten Schwachstellen behebt das Sequel: die Karte ist deutlich hilfreicher visualisiert und der Weg zum Ziel angenehmer zu finden. Selbst die Gebäude wirken von der Architektur her natürlicher. Spätestens jetzt bekommt man einen selbst heute noch recht zeitgemäßen Mix aus Deckungsshooter, Action-Adventure und Rollenspiel serviert - mit erstaunlich viel Dynamik und Tempo im Kampf. Es kann sehr viel Spaß machen, sich auf dem Schlachtfeld auszutoben und beide Begleiter bequem per Knopfdruck auf Gegner anzusetzen (je niedriger der Schwierigkeitsgrad, desto weniger ist das wichtig).
Waffen, Biotik und andere Fähigkeiten
Abhängig davon, welche Stärken unsere Spielfigur haben soll, stehen uns andere Fähigkeiten zur Verfügung (der reine Fokus auf Waffengewalt ist möglich, wie auch der Einsatz von übernatürlichen biotische Fähigkeiten – z.B. Druckwellen oder Barrieren -, oder technischer Fähigkeiten – z.B. der Einsatz von Drohnen oder das Hacken von Robotern). Das Aktivieren dieser verschiedenen Aktionsmöglichkeiten im Kampf klappt bei den beiden Nachfolgern deutlich angenehmer.
Während 'Mass Effect 2' einen angenehm abwechslungsreichen Gameplay-Mix bietet (mit netten Hacking-Herausforderungen zwischendurch und Erkundungsmissionen), konzentriert sich das finale Abenteuer verstärkt auf die Shooter-Elemente und lässt kaum Zeit zum Verschnaufen, was freilich zur Story in dieser Phase passt. Zu erwähnen ist an dieser Stelle jedoch, dass die niedrigen Schwierigkeitsgrade überaus anfängerfreundlich sind. Wer die Story stressfrei und ohne viel Herausforderung erleben möchte, der kann das problemlos tun.
Doch es gibt nicht nur Fähigkeiten, die für den Kampf von Bedeutung sind. Punkte lassen sich auch für Charisma und Überzeugungskraft investieren, was für Gespräche sehr relevant sein kann. Zudem werden unsere Entscheidungen bewertet: Lebensbejahende Aktionen bringen Paragon-Punkte, destruktive oder rebellische Entscheidungen sind hingegen für die Renegade-Orientierung von Bedeutung. Hat man in einem Bereich genug Punkte gesammelt, stehen einem mitunter zusätzliche Aktionsmöglichkeiten zur Auswahl. Dieses System ist nicht unspannend, bringt allerdings u.a. das Problem mit sich, dass es zu durchsichtig ist. Obendrein sind vereinzelt sehr hohe Werte für ein konkretes Ergebnis erforderlich, wodurch relativ wenig Spielraum für Entscheidungen bleibt.
Nebenbei gesagt steht Renegade ab Teil 2 vorrangig für boshafte oder fragwürdige Entscheidungen - bei Teil 1 gibt es diesbezüglich mehr Grauzonen.
Eine runde Neuauflage
In grafischer Hinsicht präsentiert sich die 'Legendary Edition' wie erwähnt stark überarbeitet: Die Texturen sehen durchwegs besser aus und die Ausleuchtung wurde komplett überarbeitet. Insbesondere beim ersten Teil merkt man die Unterschiede deutlich. Vereinzelt stellt sich die Frage, ob die dunklere Ausleuchtung des diesbezüglich mitunter sehr eigenwilligen Originals nicht stimmungsvoller war, doch in der Regel sind die Anpassungen zum Besseren. Bioware hat abseits höherer Auflösungen auch an HDR-Unerstützung gedacht.
Wer die PC-Fassung besitzt, der könnte statt der Neuauflage auf Mods zurückgreifen, aber die Remastered Edition geht ganz klar einen Schritt weiter. Selbst der Schwierigkeitsgrad wurde teilweise angepasst, damit es nicht zu früh zu knackig ist. Ursprünglich bestand ein wesentliches Problem darin, dass das “ideale“ Ende ohne Multiplayer enorm schwer erreichbar war. Das fällt nun weg, wobei für das ideale Ende weiterhin viel Planung und eine sehr gründliche Spielweise erforderlich ist. Grundsätzlich ist es auch einfach sehr angenehm, sämtliche DLCs in einem Paket zu bekommen. Für alle Inhalte sind um die 90 Stunden Spielzeit einzuplanen (je nach Spielweise).
Verbessert wurde sogar die nervige Mako-Steuerung in 'Mass Effect 1'. Dieses Gefährt dient dort zum Erkunden von Planeten (für die beiden Fortsetzungen wurde es in Rente geschickte und erst in 'Andromeda' wieder eingesetzt). Die Steuerung hatte im Original viel Frust-Potenzial und war einer der Hauptkritikpunkte. In der 'Legendary Edition' steuert sich das Mako deutlich angenehmer, obwohl man streng genommen immer noch feststecken kann (in so einem Fall bleibt einem ab und zu nichts anderes übrig, als die Karte zu aktivieren um dann zum Raumschiff zurückzukehren). Der Ärger hält sich jetzt aber in Grenzen.
BioWares kultige 'Mass Effect'-Reihe ist in der Neuauflage prima gealtert. Die Legendary Edition ragt inhaltlich v.a. dank zahlreicher interessanter Entscheidungen und echten Konsequenzen heraus. Die Inszenierung des Action-Rollenspiels ist imposant, das Aufgebot an großartigen Sprechern v.a. in der englischen Fassung bemerkenswert. Wem es nur um die Story geht, der wird dank der vielen Schwierigkeitsgrade selbst als Action-Neuling leicht zurechtkommen.
Klar, obgleich die Grafik gründlich überarbeitet wurde, merkt man ihr das Alter an. Auch das Gamedesign mag gerade im ersten Teil altbacken anmuten. Hat man sich darauf eingelassen, steht einem tollen Abenteuer jedoch nichts mehr im Wege. Insbesondere 'Mass Effect 2' ist großartig gelungen. 'Mass Effect 1' - Macken hin oder her - etabliert das tolle SciFi-Setting wiederum sehr gekonnt. Und abgesehen vom umstrittenen Ende ist selbst 'Mass Effect 3' kurzweilig und unterhaltsam.
Kurz gesagt: Wer den Dreiteiler noch nicht gespielt hat, der sollte unbedingt einen Blick darauf werden. Uns hat das Wiedersehen mit Shepard jedenfalls Freude bereitet.
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Mass Effect Legendary Edition
- Entwickler
- Bioware
- Publisher
- Electronic Arts
- Release
- 14. Mai 2021
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Spielzeit
- ca. 80-120 Stunden
- Webseite
- https://www.ea.com/de-de/games/mass-effect
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
-
Mass Effect 2
- Entwickler
- Bioware
- Publisher
- Electronic Arts
- Release
- 28. Januar 2010
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Sprachen
-
- Systeme
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Mass Effect 3
- Entwickler
- Bioware
- Publisher
- Electronic Arts
- Release
- 8. März 2012
- Auszeichnungen
- Storyteller des Jahres
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.masseffect.com
- Sprachen
-
- Systeme
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Mass Effect
- Entwickler
- Bioware
- Publisher
- Electronic Arts
- Release
- 28. Mai 2008
- Sprachen
-
- Systeme
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3 Kommentare
Klar, hat es aus heutiger Sicht Probleme, aber so ein dichtes Universum gab es seither nicht mehr. Erstaunlich. Allein schon zum Vergleich mit heutigen Rollenspielen ist es Wert, da mal reinzuschauen.
Erstaunlich viele optionale Details drin stecken, die heutzutage aus Kostengründen fast immer eingespart werden, auch zumal Studios heute immer bestrebt sind den Spieler nach Möglichkeit alles in einem Durchgang erleben zu lassen.
Würde mich jedenfalls freuen, wenn es bei Dragon Age 1 & 2 auch irgendwann einen Remaster gibt. Gerade bei Teil 2 könnte man mit mehr visueller Abwechslung bei den Schauplätzen (dazu müsste man aber ein paar ganz neue Umgebungen kreieren) ein deutlich besseres Spielerlebnis bewirken, denke ich.
So eine Serie gibt es heutzutage nicht mehr. Auch wenn damals die Kritik gegenüber dem Ende groß war, muss man sich das eingestehen.
Für mich bleibt Mass Effect 3 wegen des Gameplays und echt großartigen Momenten der beste Teil. Hat mich auch dieses Mal emotional erwischt. Schön!
Die DLCs des dritten Teils sind ebenso in dieser Qualität fast unangetastet.
Leviathan war mir vorher unbekannt. Toller DLC, der auch die Geschichte noch einmal voranbringt. Schade, dass der damals nur optional war. So weiß man mehr, wo die Bedrohung herkam. Auch in der allerletzten Entscheidung im Spiel wird das noch einmal aufgegriffen.
Citadel ist für mich aber noch ein wenig besser. Ich hätt den gern als geträumte Alternativgeschichte am Ende. Der rundet nämlich noch einmal ab, was in Mass Effect und anderen Weltrettungs-RPGs eigentlich für vollkommen absurdes Zeug passiert. Er nimmt das Ganze aufs Korn und ist schön reflektierend. Da war mir nämlich bewusst, dass das Mass-Effect-Abenteuer bald wieder zu Ende ist und ich doch gern noch weitergespielt hätte.
Mass Effect 1 ist zwar in der Story wahrscheinlich der stärkste Teil. Da sind die Dialoge zum Teil aber ordentlich zum Fremdschämen. Das Gameplay kann heute auch nicht mehr mithalten.
Mass Effect 2 wäre großartig, wenn man das Planeten-Scannen weglässt, die Dialoge zum Teil ein wenig verbessert (auch da waren immer wieder schräge Dinge dabei). Es hat aber auch das Problem des Mittelteils. Es passiert - genau genommen - eigentlich fast nix im zweiten Teil.
Mass Effect 3 hat zwar diesen Dauerdruck, nimmt den aber dann doch gekonnt raus. Der Citadel-DLC und Omega schaffen das ganz gut. Es fühlt sich zum Teil zwar ein wenig nach "Ehrenrunde" an. Man verabschiedet sich von allen Charakteren im Laufe des Spiels. Gleichzeitig wirkt da das Spiel für mich aber am stärksten. Da habe ich gemerkt, wie sehr mir manche Charaktere ans Herz gewachsen sind. Wie sehr FemShep meine Shepard war und nicht irgendeine Charakterin, die ich im Spiel begleite. Im Gameplay ohnehin der stärkste Teil. Mass Effect: Andromeda nimmt da im Endeffekt nur die Stärken dieses Systems (Kombos von Fähigkeiten) und erweitert sie mit besserer Bewegung und knackigerem Feedback.
Alles in allem merkt man, dass die Spielgeschichte in groben Zügen von Anfang an geplant war. Drew Karpyshyn hat da schon ein tolles Stück abgeliefert. Patrick Weekes, Mac Walters, Jay Watamaniuk und noch so eine Handvoll an Autorinnen und Autoren haben die Grundidee schön weitergesponnen.
Das ist schon echt ziemlich einzigartig.
Dem nächsten Mass Effect sehe ich sehnsüchtig entgegen. Das ist wahrscheinlich die RPG-Serie, die meine Spielvergangenheit am meisten geprägt hat.