Mit 'Alter Ego' will der tschechische Entwickler Future Games endlich wieder in die Erfolgsspur zurück. Die Macher des ersten 'Black Mirror'-Spiels haben schon damals bewiesen, was für Spielerlebnisse sie zu schaffen im Stande sind. Die Folgetitel hingegen hatten bereits mehr zu kämpfen, so mangelte es 'Nibiru' an Spiellänge und höherem Schwierigkeitsgrad und 'Reprobates' an noch vielem mehr. Nun versucht man sich offensichtlich wieder stärker an dem bislang größten Erfolg der Firmengeschichte zu orientieren und präsentiert abermals ein düsteres und geheimnisvolles Adventure mit Schauplatz im regnerischen England. Wir werfen einen näheren Blick darauf, ob sich die Investition lohnt und ob Future Games mit 'Alter Ego' wirklich wieder zu alter Stärke zurück finden kann.

1894 im Hafen der englischen Stadt Plymouth.
Ein anlegendes Schiff birgt einen blinden Passagier an Bord, der zu seinem Unglück von den Schiffsleuten bereits entdeckt wurde und nun auf die Festnahme durch die örtlichen Polizeibeamten wartet. Gemeint ist Timothy Moor, ein erfahrener Dieb, der sich über den Umweg Plymouth einen Weg nach Amerika erhoffte ebnen zu können. In seinem zweifelhaften Beruf ist der tägliche Überlebenskampf naturgemäß an der Tagesordnung und auch die frühen Erfahrungen im Waisenhaus haben dazu beigetragen, dass er gut auf sich selbst aufpassen kann. So retten ihn ein beherzter Sprung ins kühle Nass und die Flucht über den angeschlossenen Abwasserkanal, trotz der noch immer angelegten Handschellen, noch einmal gerade so den Hals und bewahren ihn vor einem neuerlichen Aufenthalt im Gefängnis. Doch nur mit einer Unterhose bekleidet und ohne sein von den Schiffleuten entwendetes Medaillon - das letzte Erinnerungsstück an die eigenen Eltern - möchte Timothy nicht unbedingt auskommen. Nicht zu vergessen sorgen die Handschellen weiterhin für nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Der aufgrund seiner charakterlichen Wesenszüge potenzielle Anti-Held weiß allerdings ebenso gut darüber Bescheid, Menschen des vorwiegend weiblichen Geschlechts mit seinem aufgesetzten Charme zu beeinflussen. Diese Fähigkeit könnte für die ersten Schritte in der neuen Stadt durchaus nützlich sein. Inmitten dieser überaus turbulenten Ankunft ahnt er jedoch nicht, dass ein noch viel größeres Abenteuer auf ihn wartet, als nur die geplante Überfahrt nach Amerika…
Während Timothy also noch mit eigenen Problemen zu kämpfen hat, beschäftigen sich die Einwohner der Stadt mit einem ganz anderen Thema. Der in Plymouth beheimatete, adlige und seit Geburt entstellte Sir William ist vor kurzem verstorben - zur Erleichterung aller. Bekannt geworden als die weiße Bestie, sagt man ihm so einige Gräueltaten nach, die allerdings nie seiner Person nachgewiesen werden konnten. Die Beisetzung in der Familiengruft des Friedhofes soll, gerade um Störungen von außerhalb gleich vorab einen Riegel vorzuschieben, möglichst geräuschlos und hinter verschlossenen Türen über die Bühne gehen. Zu etwa der gleichen Zeit trifft auch Detective Briscol, der zweite spielbare Charakter und Gegenpol zu Dieb Timothy Moor, in der Stadt Plymouth ein. Vormals in einer ländlichen Gegend als Ermittler tätig, verhalf ihm die Auflösung eines Kriminalfalls zur Versetzung in die neue berufliche Heimat. Hier erhofft sich der penible und leicht eingebildete Detective einen erneuten Karrieresprung und eventuell sogar eine Beförderung. Nach einigen Problemen mit dem Papierkram zu seiner Versetzung, rückt auch gleich der erste Fall in seinen Fokus. Die beigesetzte Leiche von Sir William ist verschwunden. Hat jemand die verbliebenen Überreste des Adligen entwendet, um sich zu rächen, oder ist die weiße Bestie vielleicht doch nicht ganz so tot, wie alle gedacht haben?
England, so verregnet wie immer.
Bereits dem Beginn der Handlung ist deutlich anzumerken, dass 'Alter Ego' auf düstere und rätselhafte Gesichtspunkte besonderen Wert legt. Diesem Eindruck in nichts nach steht die imposante und detailreiche Hintergrundgrafik, mit geschickt eingesetzten Licht- und Schatteneffekten. Auch an kleinere Details wurde gedacht, wie die um das fahle Licht der Straßenlaternen schwirrenden Motten oder die atmosphärischen, typisch englischen Regenschauer. Die meisten Schauplätze dürfen sowohl bei Tages- als auch bei Mondlicht erkundet werden, auch wenn im ersten Fall die Sonne, wie durch einen grauen Schleier über der Stadt, kaum zum Vorschein kommt und die düstere Stimmung somit auch tagsüber erhalten bleibt. Derweil spendiert Future Games eine beispiellose Fülle an Auflösungsoptionen bis hoch zu 2800x2100 Bildpunkten und lassen für alle möglichen Bildschirmtypen eigentlich kaum noch Wünsche offen.
So schön die Hintergründe auch aussehen und so detailreich sie gestaltet sind, so statisch sind sie allerdings auch meistens. Bis auf den erwähnten plätschernden Regen und die lichthungrigen Nachtfalter sucht man weitere bewegliche Elemente meist vergeblich. Dies ist durchaus bedauernswert, denn die wenigen aktiven Elemente sind weitestgehend gelungen und nur bis auf gelegentliche Aussetzer sehr stimmungsgeladen. Noch weit weniger erfreulich sind die mäßigen Charakteranimationen. Zwar hat Entwickler Future Games diverse Aktionen mit eigens animierten Bewegungsabläufen ausgestattet, beispielsweise das Klettern über eine Mauer, dabei aber an den eigentlichen Grundbewegungen zu sehr gespart. Diese fallen häufig holprig oder gar steif aus. Bei Bewegungen drehen sich Charaktere wie die Figuren einer Spieluhr auf der Stelle ohne dabei die Füße zu bewegen oder verändern ihre Gangrichtung gleich in ruckartigen Schritten. Ebenfalls betroffen ist die Gestik und Lippensynchronität während den Dialogen. Die Charaktere spulen in einer Schleife stets die gleichen Abläufe ab, die dann auch noch bedingungslos bis zum Ende ausgeführt werden, selbst wenn die Sprechpassage eigentlich schon beendet ist. Dies führt unweigerlich zu einer nicht vorhandenen Synchronität der Mundbewegungen. Dahingehend sind die Personen bei der Darstellung noch an der Konversation beteiligt, während die eigene Dialogzeile schon längst beendet ist. Auch nicht ganz einleuchtend erscheint, warum sich der Mund zu Gedankengängen bewegen muss, die sich nun einmal ausschließlich im Kopf abspielen. Eine gebührende Portion mehr Feinschliff wäre den einzelnen Animationen sehr zuträglich gewesen.
Ich sehe was, was du nicht siehst.
An der Handhabung gibt es indes nicht wirklich viel auszusetzen, denn die Steuerung durch die Areale geht denkbar einfach von der Hand. Kann an einer Stelle eine Aktion ausgeführt werden, so färbt sich der Mauszeiger in ein gut erkennbares, leuchtendes Rot. Daraufhin stehen zwei verschiedene Optionen zur Auswahl: Entweder kann der Hotspot mit der rechten Maustaste untersucht oder mit der linken Maustaste benutzt werden. Sind alle Optionen erschöpft und der Hotspot nicht mehr von Wichtigkeit, verschwindet dieser, um nicht auf eine falsche Fährte zu locken. Umherstehende Personen können genau dann in einen Dialog verwickelt werden, wenn der Standard-Mauszeiger unverkennbar durch eine Sprechblase ersetzt wird. Bildübergänge und Ausgänge sind ebenfalls deutlich und unmissverständlich an einem gebogenen Pfeil zu erkennen. Um die Steuerung noch einfacher zu gestalten und unnötiges Pixelhunting zu vermeiden, stehen gleich zwei verschiedene Hotspot-Anzeigehilfen zur Verfügung. Suchfreudige können sich über die Taste 'E' nur die Ausgänge anzeigen lassen, wobei durch Drücken von 'F1' gar alle vorhandenen Hotspots einer Szene eingeblendet werden. Ebenso komfortabel sind die Möglichkeiten, die beiden Protagonisten per Doppelklick schneller durch die virtuelle Landschaft zu hetzen oder den Bildausschnitt direkt zu wechseln. Ausschweifende und langwierige Laufwege werden auf diese Weise gekonnt vermieden.
Gleiche Einfachheit trifft auch auf das Inventar am unteren Bildschirmrand zu, welches automatisch sichtbar wird, sobald der Mauszeiger dieses berührt. Es ist sowohl möglich, dass verschiedene Inventargegenstände miteinander, als auch mit der Umgebung benutzt werden müssen. Können exemplarisch zwei Gegenstände kombiniert werden, so wird diese Möglichkeit durch ein Aufleuchten des ausgewählten Objekts angezeigt, wenn dieses über das Interaktionsgegenstück bewegt wird. Ist eine solche Interaktion nicht vorgesehen, erscheint auch keinerlei visuelle Rückmeldung. Somit bietet das Spiel dann leider auch keine zusätzlichen Kommentare des jeweiligen Protagonisten, falls die von den Entwicklern nicht vorgesehene Aktion dennoch ausprobiert wird. Gelungen ist auch die angenehme Dialogführung. Bereits abgehandelte Themen werden sichtbar ausgegraut, können aber trotzdem bei Bedarf weiterhin angewählt werden - falls etwa diverse Informationen nach dem ersten Durchlauf bereits wieder vergessen wurden. Gleichermaßen vorbildlich ist Möglichkeit, einzelne Zeilen oder gleich den gesamten Dialog überspringen zu können. Lediglich die Übersetzungen weisen vereinzelt wieder einige kleinere Schwächen auf, wenn einzelne Sätze ohne den Kontext zu berücksichtigen in die deutsche Sprache übersetzt wurden und somit nur noch wenig Sinn ergeben. Bis in die Verkaufsversion haben es auch weitere kleinere und größere Fehler geschafft. So finden sich nicht in den Text gehörige '@'-Zeichen in den Dialogen wieder und die Gegenseite eines Telefongesprächs muss sich offensichtlich noch mit Platzhaltertexten begnügen. Der ärgerlichste Bug verbirgt sich hingegen schon direkt im Hauptmenü. Um einen existierenden Spielstand fortsetzen zu können, muss dieser umständlich zwei mal hintereinander eingelesen werden. Erst dann kann an das bestehende Abenteuer angeknüpft werden. Ein Patch für zumindest die drei letztgenannten Bugs befindet sich laut den uns zugetragenen Aussagen derzeit in Arbeit und soll kurz nach Release verfügbar sein.
Leicht verdauliche Rätselkost
Ein, neben vielen anderen Aspekten, wichtiges Kriterium zur Beurteilung eines jeden Adventures sind unzweifelhaft die vorhandenen, oder wie in diesem Fall, nicht vorhandenen Rätsel. 'Alter Ego' beschränkt sich leider nur auf simple Inventarkombinationen, die Anwendung von Objekten in der Umgebung und das Führen von Dialogen. Auf mehr Herausforderung wird man bis zum Abspann leider vergeblich warten. Gerade dieser Umstand sorgt dafür, dass der Titel von Anfang bis Ende zu leicht wirkt und ein stures Ausprobieren und Abklappern aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten im Zweifel stets zum Ziel führt. Der Hauptaufgabenbereich setzt sich grundsätzlich nur aus dem Ausfindig machen des nächsten benötigten Hotspots oder Gesprächspartners zusammen. Somit muss der eigene Denkapparat für das Vorankommen leider viel zu selten eingesetzt werden. Folglich verschenkt das Spiel doch einiges an Potenzial, kann aber trotz des geringen Schwierigkeitsgrades noch eine akzeptable Spieldauer von ungefähr 8 bis 10 Stunden vorweisen. Die vorgesehenen Handlungsschritte fallen darüber hinaus verhältnismäßig häufig zu linear aus. Bestimmte Aktionen sind nur dann möglich, wenn das Spiel ebenfalls der Meinung ist, dass der richtige Moment dafür gekommen sei. In Folge dessen hat der Spieler etwa bereits alle benötigten Dinge beisammen, weiß auch was die nächste logische Aktion ist, muss aber vorher noch etwas anderes erledigen, um diese Handlungsmöglichkeit auch freizuschalten.
Derartige Ungereimtheiten tauchen auch bei der Betrachtung anderer spiellogischer Aspekte durchaus auf. Unter anderem muss Detective Briscol das Dienstmädchen eines Anwesen mühsam davon überzeugen, dass es sich bei seiner Person um keinen Reporter, sondern einen polizeilichen Ermittler handelt, um auf das Grundstück zu gelangen. Ist dies endlich gelungen, lässt eben jenes Dienstmädchen, das gerade noch so besorgt um ihren Job war, für die restliche Spielzeit das Eingangstor sperrangelweit offen stehen, ohne auch nur einen weiteren Gedanken an aufdringliche Reporter zu verschwenden. Solche und ähnliche Abweichungen von den üblichen Verhaltensweisen der Charaktere können immer mal wieder beobachtet werden und trüben einen Hauch die sonst stimmige Spielwelt, in der sogar einige Aktionen von Langfinger Timothy nur dann ausgeführt werden können, wenn andere Personen ihn gerade nicht dabei beobachten. Gekonntes Ablenkungsmanöver heißt hier das Stichwort.
Nachts auf dem Friedhof
Wenn der Begriff stimmige Spielwelt fällt, dann tragen dazu auch zweifelsfrei die sorgsam gewählten Synchronsprecher bei, die durch die Bank sehr gute Leistungen abliefern und passend auf die Charaktere abgestimmt sind. Kleinere Unzulänglichkeiten, wenn das Gesprochene nicht hundertprozentig mit dem dargestellten Untertitel übereinstimmt, treten nur sporadisch auf und fallen auch nicht störend ins Gewicht. Etwas Verwirrung stiftet höchstens die mehrfache Verwendung einiger Sprecher für verschiedene Nebencharaktere. Dies ist bei Spielen zwar nicht unüblich, fällt aber bei den markanten Stimmen ein wenig deutlicher auf als sonst. Andererseits bleibt damit die Qualität der Vertonung für alle Personen auf einem beachtlich hohen Niveau.
Die bereits mehrmals erwähnte Atmosphäre ist dann auch der größte Pluspunkt von 'Alter Ego'. Die düstere und beklemmende Stimmung wird hervorragend eingefangen, zieht den Spieler in die Welt des späten 19. Jahrhunderts und lässt ihn auch so schnell nicht wieder los. Die dargestellten Szenen und die dazu wahrnehmbaren Geräusche harmonieren sehr gut miteinander, so präsentiert sich der örtliche Friedhof, auf dem Sir William beigesetzt wurde, wie ein derart schauriger Ort erwartet wird stilecht mit Krähengeschrei und heulendem Wind. Die darüber hinaus interessante Geschichte wird spannend erzählt und animiert stets zum Weiterspielen, damit das mysteriöse Verschwinden der Leiche und die dazugehörigen Hintergründe aufgeklärt werden können. Dazu wird abwechselnd in die Haut von Timothy Moor und Detective Briscol geschlüpft, deren Lebensweisen unterschiedlicher kaum sein könnten. Beide lassen jedoch niemals ein wirklich tiefes Sympathiegefühl für sie entstehen - was speziell bei Timothy auf seine Ansichten und Handlungsweisen gerade zu Spielbeginn zurückzuführen ist. Spannungsfördernd ist der Ausgang der Geschichte bis zuletzt kaum vorhersehbar, wirkt dann allerdings überraschend abrupt und überstürzt. Nichts destotrotz bleibt dem Spieler ein offenes Ende erfreulicherweise erspart.
'Alter Ego' hätte etwas Großes werden können. Doch leider hat man es versäumt, den Titel auch mit ein paar fordernden Rätseln auszustatten. So ist es fast problemlos und ohne großartige Denkarbeit möglich, bis zum Abspann zu gelangen. Das ist besonders schade, weil man in den anderen Bereichen so vieles richtig gemacht hat. Die Geschichte ist spannend und erzeugt zusammen mit dem schaurig düsteren Grafikstil, einer passenden Soundkulisse und hervorragend ausgewählten Sprechern eine bemerkenswerte Atmosphäre, die bis zuletzt in ihren Bann zieht. Zu einem Spitzentitel gehört aber auch einfach eine Portion Herausforderung, die hier fast gänzlich auf der Strecke geblieben ist. Des weiteren mindern einzelne Logiklöcher, die steifen Charakteranimationen und die zu starke Linearität ein wenig den positiven Gesamteindruck. Dennoch meldet sich Future Games nach dem 'Reprobates'-Reinfall mit einem überzeugenden Adventure zurück. Wenn dieser eingeschlagene Weg fortgesetzt und an den Schwächen konsequent gearbeitet wird, könnte der nächste Titel des Entwicklers durchaus wieder an einstige Erfolge anknüpfen.
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Alter Ego
- Entwickler
- Future Games
- Publisher
- BitComposer Games
- Release
- 26. März 2010
- Spielzeit
- 9 Stunden
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.future-games.cz/html/AlterEgo/cz/Uvod
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