Bereits Anfang 2007 kündigte das italienische Entwicklerstudio Artematica das 3D-Adventure 'Julia: Tödliches Verlangen' an und wollte das Spiel noch im selben Jahr veröffentlichen. Danach wurde es ruhig um den Titel, ehe Publisher Just-A-Game auf der gamescom 2010 etwas überraschend ankündigte, den Titel auf den Markt bringen zu wollen. Nun können wir also tatsächlich mit der Uni-Professorin und Profilerin auf die Jagd nach einem Serienmörder gehen. Das haben wir natürlich gemacht und dabei nicht nur die Tatorte sondern auch gleich das ganze Spiel unter die Lupe genommen.
Horror an Halloween
Es ist Halloween. Ein Mann trägt den leblosen Körper seiner Frau über der Schulter und ein Beil, den Grund für das zu frühe Ende seiner Partnerin, in der Hand. Er wirft sie auf den Boden, greift zur Schaufel und vergräbt die Leiche im Vorgarten seiner Farm. Das alles geschieht vor den Augen eines kleinen Mädchens, das sich in der Garage der Familie versteckt hat und entsetzt die Vorgänge durch einen Spalt verfolgt. Schnitt. Einige Jahre später denkt schon längst niemand mehr an die grausamen Vorgänge auf der verlassenen Farm. Wieder ist Halloween und wir sehen einen Pierrot-Clown, der ein junges Mädchen ermordet. Noch ein Schnitt. Wir befinden uns jetzt in einer Vorlesung der Professorin Julia Kendall, die mit ihren Studenten über Motive von Serienmördern spricht. Just in diesem Moment stört der Hausmeister und informiert Julia, die auch als Sachverständige für die Polizei arbeitet, dass Inspektor Webb sie dringend sprechen möchte. Schnell verabschiedet sich die junge Professorin von ihren Studenten und macht sich auf den Weg zum Tatort, um sich ein eigenes Bild vom Geschehen zu machen. Das Opfer ist die Tochter des stadtbekannten Richter Howard. Und wäre das nicht schon spektakulär genug, hat der Täter auch noch eine geheime Nachricht am Tatort hinterlassen. Zusammen mit ihren Kollegen von der Polizei nimmt Julia die Ermittlungen auf und stellt schon bald fest, dass viel mehr hinter dem Mord steckt, als es zuerst den Anschein macht. Als weitere Opfer gefunden werden und der Killer andeutet, dass Julia selbst sein nächstes Opfer werden wird, beginnt ein Wettlauf gegen den Tod.
Die Untersuchungen
Die Suche nach dem Serienmörder beginnt eher gemächlich. Nachdem Julia vom Hausmeister aus dem Unterricht geholt wird, muss sie erst einmal ihr Handy und einige Schlüssel aus ihrem Büro holen. Was eigentlich eine Leichtigkeit wäre, stellt den Spieler gleich vor ein etwas größeres Problem: Denn im Gegensatz zu Julia haben wir keine Ahnung, wo unser Büro eigentlich ist. Wir treten also auf den Flur und das Spiel schaltet um in eine 3D-Ansicht von schräg oben, in der wir immer nur einen kleinen Bereich des Flurs sehen. Zwar können wir die Kamera per Pfeiltasten drehen, wie uns das Tutorial verrät. Der vorgegebene Winkel ändert sich dadurch aber nicht und wir sehen Julia und die sie umgebenden Räume weiterhin von schräg oben. Wie schön wäre es doch gewesen, wenn man auch die Höhe verändern oder selbständig aus der Ansicht herauszoomen könnte, um so einen größeren Teil der Räumlichkeiten ansteuern zu können.
Irgendwann haben wir dann Julias Büro gefunden und ihr Handy aus der Handtasche gezaubert und rufen nun den Inspektor an. Der berichtet uns kurz über das Geschehen und bittet uns, direkt zum Tatort zu kommen, was wir natürlich auch sofort machen. Oder besser, nachdem wir den Ausgang gefunden haben, denn wie schon beim Büro gibt es für den Spieler keine Anhaltspunkte, wo sich dieser versteckt. Am Tatort, der Garage, stellen wir nun die Geschehnisse nach. Das funktioniert nicht etwa wie bei den 'CSI'-Titeln durch das Finden und Untersuchen von Beweisen, sondern durch gute und ausführliche Beobachtungen. Zusammen mit Julia schauen wir uns die Umgebung also einmal ganz genau an und sehen beispielsweise ein kleines Fenster, einen Hauklotz ohne dazugehörige Axt oder Blutflecken. Wollen wir nun die Leiche untersuchen, beginnt ein kleines Frage und Antwort-Spiel. Julia stellt Behauptungen über den Vorgang auf und der Spieler antwortet mit Ja oder Nein. So bildet sich schließlich ein genauer Tathergang heraus, der fortan im Gedankeninventar von Julia zu finden ist. Wählen wir hierbei die falsche Antwort, stellt Julia von allein fest, dass etwas nicht stimmt und wir dürfen die Fragen erneut beantworten.
Ein Inventar im Kopf
Im Anschluss stellen wir noch mehrere Räume des Hauses auf den Kopf und befragen die Nachbarn. Dabei finden wir noch einige Gegenstände und auch das Gedankeninventar füllt sich weiter. Inspektor Webb ist zwischendurch ebenfalls nicht untätig und besucht - auch von uns gesteuert - die Eltern des Opfers im Krankenhaus. Damit er hier auch gleich die richtigen Fragen stellen kann, kann Julia ihm ihre Gedanken per SMS aufs Handy senden, umgekehrt klappt das natürlich auch. Über diese Art tauschen die bis zu vier steuerbaren Charaktere immer wieder Ideen und Ermittlungsergebnisse aus. Das hatte im 2007 erschienenen Artematica-Titel 'Belief & Betrayal' schon gut funktioniert und sorgt auch hier wieder für zusätzliche Möglichkeiten im Spiel.
Nach diesem Muster läuft dann auch der Rest des Spiels ab, Julia und ihre Kollegen untersuchen Tatorte, befragen mögliche Zeugen und setzen aus den Ermittlungsergebnissen nach und nach das tödliche Puzzle zusammen. Die Geschichte um den gruseligen Halloween-Mörder wird trotz einiger Logiklöcher spannender, je länger das Spiel dauert und vermag den Spieler durchaus zu fesseln. Nägelkauend und zitternd haben wir zwar nicht am PC gesessen, dennoch wollten wir gern wissen, wie der Fall aufgelöst wird.
Angestaubte Grafik und umständliche Bedienung
Das wir bis zum Ende durchgehalten haben, ist umso verwunderlicher, wenn man sich die technische Seite etwas näher anschaut. Die 3D-Spielwelt sieht nicht nur auf den Screenshots recht aufgeräumt und statisch aus, sie ist es auch. Zwar bewegen sich Bäume im Wind, Wolken ziehen vorbei und Autos sind auf den Straßen unterwegs, ja selbst Besucher tummeln sich in den öffentlichen Gebäuden. Dennoch wirkt die gesamte Welt sehr steril und wie aus einem Schaufenster. Und auch wenn unsere Screenshots zugegebenermaßen durchs Verkleinern fürs Web manchmal etwas pixelig aussehen mögen, liegt es hier leider am Spiel selbst. In einer absolut nicht mehr zeitgemäßen fixen Auflösung von 1024x768 Bildpunkten sieht die Welt vor allem auf Widescreen-TFTs alles andere als schick aus.
Die Charaktere passen sich dem leider an. Das beginnt bereits mit den Kindern, die im Intro ihre Süßigkeiten abholen möchten und eine Art Moonwalk hinlegen, weil die Schritte nicht zur Bewegungsgeschwindigkeit passen, geht über seltsam steife Bewegungen im Allgemeinen weiter und hört bei den zum Teil unwirklichen Verrenkungen einiger Charaktere in Gesprächen noch nicht auf. Kurz: Den Animationen fehlt es deutlich am Feinschliff. Dass um sich bewegende Gegenstände wie beispielsweise Bäume noch ein unschöner Rand zu sehen ist, weil sie scheinbar nicht sonderlich sauber ausgeschnitten wurden, ist da noch fast zu verschmerzen. Insgesamt sieht die Grafik schlechter aus als der Vorgängertitel 'Belief & Betrayal' - und der erschien 2007.
Dazu gesellt sich eine recht umständliche Steuerung. Wir können Julia und zwei Ihrer Kollegen zwar rennen lassen, aber immer nur soweit wir sehen können, bzw. dorthin, wo wir geklickt haben. Aufgrund der schon angesprochenen arg eingeschränkten Sicht ist das also in der Regel nur einen halben Bildschirm weit. Nachklicken ist zwar möglich, dann jedoch hören die Charaktere mit dem Rennen auf, denn damit sie sich schnell bewegen, muss die linke Maustaste gedrückt gehalten werden. Klickt man einen Hotspot an und hält die Taste etwas länger, rennen die Julia und Kollegen aber auch über mehrere Screens direkt dorthin. Ein schneller Szenenwechsel per Doppelklick ist hingegen nicht möglich. Der vierte steuerbare Charakter kann dank Gipsbein nebst Krücken konsequenterweise nur humpeln, was spätestens dann gehörig nervt, wenn man etwas weitere Wege zu absolvieren hat.
Die Handhabung von Gegenständen ist ebenfalls etwas umständlich gestaltet: Per Linksklick liefern die Charaktere eine kurze Beschreibung des Objekts, ein Rechtsklick schaltet weitere Möglichkeiten der Reihe nach durch, so muss also einmal mit der rechten Maustaste und anschließend mit der Linken geklickt werden, um ein Item ins Inventar zu befördern. Das geht freilich nur dann, wenn der extrem große Mauszeiger auf dem Objekt ruht. Bewegt man den Zeiger nach dem Rechtsklick vom Hotspot herunter, wird der Cursor wieder in den „Betrachten“-Modus versetzt. Aufgrund der zum Teil sehr ungünstigen Kamerapositionierungen und der hin und wieder extrem kleinen Hotspots passiert das im Spiel gleich mehrfach.
Trigger, Bugs und Minispiele
Dass manche Aktionen erst möglich sind, nachdem bestimmte Trigger betätigt wurden, sorgt ebenfalls nicht immer für Freude und erinnert an das unter Adventurespielern gefürchtete 'Runaway'-Syndrom. Recht bald nach Spielbeginn finden wir beispielsweise eine Schachtel Hundekuchen, die Julia zwar anschaut, aber nicht mitnehmen will. Einen Raum weiter finden wir einen Hund. Wie gut, wenn man diesen nun auch füttern könnte. Also nochmal zurück und den Hundekuchen geholt. Verwirrend ist das deswegen, weil es nicht konsequent durchgezogen wurde. Manche Gegenstände können wir also schon einsacken, obwohl wir wirklich noch keine Verwendung dafür haben, andere nur ansehen. Meint man nun, dieses Objekt wird nicht benötigt, könnte man wie eben beschrieben auf dem falschen Weg sein. Diese Trigger sorgen zum Teil sogar für Showstopper. Reist man als Inspektor beispielsweise im vierten Kapitel so wie das bisher immer gemacht wurde über eine Karte zum ersten Ziel, fehlt uns ein Durchsuchungsbefehl. Den bekommen wir nur dann, wenn der Inspektor sein Büro durch die Tür verlässt und so auf zwei Kollegen trifft, die dort auf ihn warten.
Weitere Bugs können den Spieler richtig zur Verzweiflung bringen. An einer bestimmten Stelle im Spiel muss Inspektor Webb ein Foto von Reifenspuren machen. Die dafür benötigte Kamera hat er im Inventar - Zumindest bis wir mit ihm vor den Reifenspuren stehen. Dann nämlich fehlt genau ein Item im Inventar: die Kamera. Sie taucht auch so schnell nicht wieder auf. Also startet man das Kapitel neu, wählt einen anderen Weg und führt beispielsweise zuerst einige Aufgaben mit Julia aus. Zwischendrin immer wieder der Kontrollbesuch beim Inspektor: Ja, die Kamera ist da. Aber ihm fehlt noch der Gedanke zum Untersuchen der Reifenspur. Also geht’s wieder zu Julia. Wir benutzen das Telefon, schalten zum Inspektor, schauen ins Inventar und gehen mit Kamera zu den Reifenspuren… Und schon wieder hat der verflixte Taschendieb zugeschlagen und dem Inspektor in einem unbeobachteten Moment (vermutlich beim Screenwechsel) die Kamera gemopst. Frustriert klicken wir etwas durch die Gegend und plötzlich ist auch die Kamera wieder im Inventar.
Für Spielerfrust können auch die Minispiele sorgen, die man in der Regel unter Zeitdruck zu absolvieren hat. Besonders „gelungen“ ist in diesem Zusammenhang die Dechiffrierung einer einfachen SIM-Karte. Hier fallen Zahlen von oben herab, die sich nach einer gewissen Zeit verändern. Der Spieler hat nun die Aufgabe, aus diesem Zahlengewirr die jeweils geforderte Ziffer auf ein fest begrenztes Feld zu ziehen. Trifft man das Feld nicht richtig oder klickt eine Sekunde zu spät, zählt die Zahl nicht. Nach wenigen Sekunden ist das Spiel meist erfolglos vorbei: Die SIM-Karte ist überhitzt und wir müssen noch einmal beginnen.
Die Lokalisation: Eine einzige Katastrophe
Ok, hier mögen sich die Geister scheiden. Ob die Lokalisation eine Katastrophe oder eine absolute Frechheit ist, liegt nämlich im Auge und Ohr des Spielers. Noch nie zuvor wurden wir Zeuge einer derart lieblosen Übersetzung. Dass die Dialoge grundsätzlich nicht lippensynchron sind und meist noch eine ganze Zeit weitergehen, obwohl der Charakter keine Lippen mehr bewegt, ist nicht alleine ein Problem von 'Julia: Tödliches Verlangen'. Unpassende Sprecher gab es auch schon häufiger zu kritisieren, ebenso wie nicht immer passende Übersetzungen. Hier trifft aber gleich alles zu und wird noch zu neuen Höhen getrieben. Aber der Reihe nach: Während der Dialoge wird der gesprochene Text in kleinen Fenstern unterhalb des Spielgeschehens angezeigt. Darin finden sich fast immer nur Teilsätze, die dann oft auch immer nur soweit vorgelesen werden, wie sie im Kasten stehen, wodurch unnatürliche Pausen entstehen.
Darüber könnte man aber hinwegsehen. Dass die Übersetzungen nicht immer stimmen und die Texte offensichtlich ohne Kenntnisse der Geschichte, der Szenerie oder des Gesamtdialogs übersetzt wurden, wiegt da doch schwerer. So kommt es dazu, dass Julia die recht unwirsche Antwort „Ich arbeite gerade“ zu hören bekommt, anstatt vielleicht „Ich kümmere mich darum“ oder „Ich arbeite daran“. Auch fragt man sich zu Recht, was denn eine „Updateklasse“ ist, die man auf keinen Fall verpassen soll oder warum die ausgeschriebene Zahl Zwölf nicht aus fünf Buchstaben besteht.
Aber auch darüber könnte man hinwegsehen. Was dem Fass aber endgültig den Boden ausschlägt, sind die Synchronsprecher - ohne, dass diese selbst etwas dafür können, denn hier trägt vermutlich der Publisher die Schuld. Die Sprecher der Hauptcharaktere passen noch recht gut zu ihren Charakteren, viele der Nebenfiguren aber überhaupt nicht. Der Hausmeister vom Anfang des Spiels sieht aus, als ob er kurz vor der Rente steht, spricht aber mit der Stimme eines jungen Mannes. Andere Charaktere wurden scheinbar mit leicht verstellten Stimmen eingesprochen und klingen einfach nur nervig, besonders eine Sekretärin fällt hier unangenehm auf. Ok, auch das Einsprechen mehrerer Charaktere durch dieselben Sprecher passiert hier nicht zum ersten Mal. Dass aber zwei Charaktere mit identischer Stimme sprechen, die sich im gleichen Raum aufhalten und gleichzeitig ein Gespräch mit Julia führen, ist schon sehr dreist.
Doch auch das wird noch getoppt, denn der Hauptcharakter Inspektor Webb spricht gleich mit zwei Stimmen. Offensichtlich hat man bei den Aufnahmen einige Seiten vergessen oder die Dateien sind auf dem Weg zum Entwickler verschwunden - Man wird den Grund wohl nie wirklich erfahren. Dass aber eine zentrale Figur innerhalb einer Szene mit zwei so unterschiedlichen Stimmen spricht, ist uns bislang noch nicht untergekommen. Während sich die Hauptstimme qualitativ an die übrigen Sprecher anpasst und im Tonstudio aufgenommen wurde, klingt die Zweitstimme teilweise so schlecht abgemischt und dumpf, als ob sie per Headset im Keller des Praktikanten aufgenommen wurde. Den Umstand des zweistimmigen Inspektors haben wir dann auch in einem kurzen Video festgehalten (zum Video).
Endlich mal wieder ein ernstes Adventure mit einer Story, die Spannung verspricht und sogar hält. Nach gemächlichem Start lässt einen die Geschichte so schnell nicht wieder los. Das war es dann aber auch schon fast auf der Habenseite, denn die veraltete 3D-Technik kann sich heutzutage wirklich nicht mehr sehen lassen. Dazu kommen noch Trigger, Bugs und einige wirklich überflüssige Minispiele - alles Faktoren, die für Spielerfrust sorgen. Warum man hier in der langen Entwicklungszeit nichts mehr getan hat, werden wir wohl nie erfahren. Die Krönung ist dann noch die absolut lieblose Synchronisation, bei der man eher den Eindruck bekommt, dass der Publisher das Spiel mit möglichst keinem Aufwand veröffentlichen wollte. Noch nie zuvor erlebten wir einen Hauptcharakter, der von unterschiedlichen Sprechern eingesprochen wurde. Noch nie zuvor hörten wir denselben Sprecher für zwei Charaktere in einem Gespräch. Das hat weder der Entwickler noch die an sich gute Geschichte verdient. Trotzdem gibt es dafür einen deutlichen Punktabzug und die Hoffnung auf eine hoffentlich besser vertonte englische Ausgabe.
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Julia: Tödliches Verlangen
- Entwickler
- Artematica
- Publisher
- Just-A-Game
- Release
- 2. Dezember 2011
- Spielzeit
- 20 Stunden
- Webseite
- http://www.julia-adventure.de
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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