Dave Gilberts retro-eske Spielefirma Wadjet Eye Games ist spätestens seit 'Gemini Rue' und 'Resonance' kaum noch aus der Indie-Szene wegzudenken. Egal, ob als Entwickler oder primär als Publisher, konnte dieses Team zuletzt vor allem durch Sci-Fi Adventures auf sich aufmerksam machen. Für das im Cyberpunk verortete 'Primordia' lässt das durchaus einiges hoffen. Ob dieses Spiel den Erwartungen allerdings gerecht wird... nun, das sehen wir uns jetzt an.

Der Mensch als Schatten der Vergangenheit
Ein Planet im Spätherbst seiner Existenz, tief vernarbt durch blinde Zerstörung. Wo einst Bäume wuchsen, bedecken rostige Schrottüberreste jenen kargen Boden, den schon lange kein lebendiger Organismus mehr berührt hat und den die Sonne nur schwach erhellt. In diesem post-apokalyptischen Zeitalter gehört die Menschheit bloß einer oft verdrängten, oder komplett verleugneten Epoche an. An ihre Stelle sind intelligente Maschinen gerückt, die selbst als Schöpfer agieren. Auch Protagonist Horatio ist eine solche Maschine, wenngleich keine sehr typische. Er verehrt die Menschen wie Götter und orientiert sich an ihren moralischen Prinzipien. Freiheit und Unabhängigkeit sind ihm heilig, die Stadt Metropol ist verhasst. Statt der maschinellen Zivilisation bevorzugt er ein Leben in der Peripherie.
Mit vereinten Kräften zum Erfolg
Das endzeitliche Sci-Fi-Adventure wurde von den bislang unbekannten Wormwood Studios entwickelt. Es überzeugt durch eine dramaturgisch kluge Handlung, die überzeugend umgesetzt wurde. Auch die gut etablierten Charaktere begnügen sich selten mit oberflächlicher Eindimensionalität. Zwar fallen die meisten Nebenakteure durch irgendeine Form des Wahnsinns auf, doch auch dieser Aspekt passt in der Regel hervorragend in das Konzept der Erzählung. Horatio und Crispin kommunizieren auf einer vorwiegend freundschaftlichen Ebene miteinander. Das führt dazu, dass nicht jeder Befehl an Crispin auf blinden Gehorsam trifft. Gemeinsam bilden sie einen Kontrast zu einer zerrütteten Welt. Ihre Dynamik ist vergleichbar mit jener in 'Beneath a Steel Sky'. Gerade der fliegende Sidekick kann uns mit Fortlauf der Handlung jedenfalls richtig ans Herz wachsen. Hin und wieder braucht man seine aktive Unterstützung und der Kleine hält neben einer erstaunlichen Fülle an ulkigem Small-Talk immer wieder wertvolle Hinweise zur Lösung diverser Rätsel parat. Wer darauf aber verzichten, oder sich so wenig wie möglich mit ihm unterhalten, möchte, der erreicht das leicht durch das Abstellen der voreingestellten Autohint-Funktion. Man kann sie hinterher beliebig wieder aktivieren.
Fortschritt und Moderne
Die Erzählmentalität erinnert gerade im ersten Drittel an so manche gemächliche Sci-Fi-Filme der 60er Jahre, wie zum Beispiel 'The Last Man on Earth'. Das wird nicht jeden Geschmack treffen, aber immerhin lernen wir unser Gespann richtig kennen. Anfangs mag es den Anschein haben, als drehe sich alles lediglich um die Suche nach einer Energiequelle. Um sie herum entfaltet sich langsam jedoch eine komplexere Geschichte und spätestens mit der Ankunft in der Stadt Metropol nimmt sie an Fahrt und Spannung auf. Letztlich geht es nicht nur um einen einsiedlerischen Roboter, sondern zugleich um eine mechanische Gesellschaft und die Ursachen ihres Scheiterns. Freunde der Interpretation werden es vermutlich nicht schwer haben, bei dieser Erzählung eine philosophische Brücke zur Gegenwart zu konstruieren.
Einmal in die Welt von 'Primordia' eingetaucht, sieht man sich mit einer reichen Hintergrundgeschichte konfrontiert. Eine ausführliche Tagebuchfunktion fehlt, doch werden ein paar wesentliche Details stichwortartig in Horatios elektronischem Notizbuch festgehalten. Manchmal ist dieses Nachschlagewerk auch deshalb notwendig, weil fast einige Gesprächsoptionen nicht beliebig oft ausgewählt werden können und das Sprechtempo flott ist. Wer in der englischen Sprache nicht ganz sattelfest ist, der könnte Schwierigkeiten haben. Besonders relevanten Input kann man für gewöhnlich bei unterschiedlichen Quellen aufschnappen, wodurch man der Handlung auch dann noch folgen kann, falls einem ein paar Details entgangen sind. Trotzdem bleibt zu wünschen, dass dieses Adventure in naher Zukunft eine deutsche Übersetzung erhält.
Alternative Herangehensweisen
In einigen Situationen überrascht 'Primordia' mit variablen Lösungswegen. So kann es passieren, dass wir auf einem Lösungsweg scheitern und folglich einen anderen Weg zum Ziel finden müssen. Stellt uns jemand auf die Probe und wir scheitern mehrfach daran, dann wird uns womöglich keine Chance mehr gewährt und es erfordert eine alternative Herangehensweise. Im Nachhinein können uns auch Zweifel beschleichen, inwiefern die eben gewählte erfolgreiche Herangehensweise wirklich die Beste und Einzige war. Nicht jede mögliche Entscheidung scheint auf den ersten Blick richtig oder falsch. Zudem gibt es einige Rätsel die man nicht unbedingt lösen muss, die uns aber die eine oder andere vertiefende Frage beantworten können. Im Spiel ist übrigens einsehbar, welche Leistungen (Achievements) bereits erreicht wurden, was noch fehlt. Einige optionale Aufgaben bauen auf früheren Entscheidungen auf. Wer zuvor gewisse Dinge nicht gemacht hat, der kann später nicht alles lösen. Wiederspielwert ist angesichts dessen gegeben. Auch das Finale wartet mit mehreren alternativen Enden auf, die fast immer schlüssig durchdacht sind. Teilweise erhält die Handlung dadurch sogar einen veränderten Blickwinkel. Trotz solcher Freiräume verliert das Spiel nicht seine inhaltliche Linie. All das sind keine Selbstverständlichkeiten und umso erfreulicher ist die gelungene Umsetzung im vorliegenden Fall.
Schöne Atmosphäre vs flache Grafik
Der Stil der Retro-Grafik lässt sich irgendwo zwischen 'Dreamweb' und 'Beneath a Steel Sky' einordnen. Auf der Plusseite fällt die Liebe zum Detail auf und es werden zahlreiche abwechslungsreiche Hintergründe geboten. Gerade die Stadt Metropol überrascht durch ein angenehm belebtes Ambiente. Während auf der einen Seite eine ungemein atmosphärische und individuelle Optik steht, wirkt die perspektivische Umsetzung oft noch etwas unausgereift. Einige Schauplätze versuchen vergeblich räumliche Tiefe zu suggerieren und wirken chaotisch. Den einen oder anderen Ausgang kann man deshalb schon mal übersehen. Ähnlich dem Klassiker 'Lure of the Temptress' passen aufeinanderfolgende Orte nicht immer ideal zusammen, was die räumliche Orientierung irritieren kann. Hinzu kommen Animationen, die eher wenig zu einem räumlichen Erlebnis beitragen und der pixelige Retro-Look lässt nicht immer eindeutige Schlussfolgerungen zur tatsächlichen Beschaffenheit mancher Objekte zu. Genannte Kritikpunkte tun der Atmosphäre dennoch wenig Abbruch und sie behindern den Spielverlauf selten.
Wesentlichen Anteil an der schönen Stimmung hat die außergewöhnliche Musik, die nicht selten durch sehr passende Effekte eine klangvolle Unterstützung findet. Einige Kompositionen lassen sogar an den Filmklassiker 'Blade Runner' (Vangelis) zurückdenken und am Schluss darf man sich über einen gefühlvollen Song freuen. Überzeugen können zudem auch die Sprecher der englischen Fassung. Die Rollen sind meist passend besetzt und glaubwürdig gesprochen. Auch die unkomplizierte Point-and-Click-Steuerung erfüllt ihren Zweck sehr gut. Beide Maustasten können genutzt werden. Die meisten Objekte dürfen wir ansehen und benutzen/nehmen und mittels Karte können wir beliebig zwischen diversen Orten wechseln, ohne lange herumlaufen zu müssen. Anfangs kann es gewöhnungsbedürftig sein, das man sich bei der Lösung mancher Aufgaben am elektronischen Notizbuch orientieren sollte. Tut man das jedoch nicht, können manche Reparaturmaßnahmen zur Versuch und Irrtum Übung ausarten, da man über die Technologie dieser Zeit einfach zu wenig weiß. In Ordnung geht weiters die Spieldauer mit geschätzt 8 bis 10 Stunden. Wer sich für Hintergrundinformationen zur Spielentwicklung interessiert, der kann übrigens jederzeit während dem Spielen den Kommentar der Macher aktivieren. So erhält man zu fast allen Orten zum Teil recht ausführliche Erläuterungen aus erster Hand.

'Primordia' kann man getrost zu den Überraschungen des Jahres zählen. Klar, der Retro-Look wird zwangsläufig für Skepsis sorgen und das Tempo der Erzählung ist gerade im ersten Drittel nicht besonders hoch. Freundet man sich damit aber an, dann stehen die Chancen sehr gut, dass dieser Titel begeistern kann. Eine wunderbare und noch dazu dramaturgisch stimmige Cyberpunk-Story, interessante Charaktere, die dichte Atmosphäre und noch dazu interessante Ansätze im Rätseldesign... von einem Indie-Spiel kann man sich eigentlich nicht sehr viel mehr erwarten und auch Vollpreisspiele täten gut daran, sich hier ein Scheibchen abzuschneiden. Ein kleines Team hat hier verdammt viel richtig gemacht. Macht Lust auf mehr!
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Primordia
- Entwickler
- Wormwood Studios
- Publisher
- Wadjet Eye Games
- Release
- 5. Dezember 2012
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.primordiagame.com/
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2 Kommentare
Du bestärkst mich zudem in meinem Vorhaben, jetzt gleich die Kreditkarte zu zücken und das Spiel bei GoG zu erwerben! Danke!