'Reperfection' lautet das erste Spiel des neu gegründeten Entwicklerstudios Tinnitus Games. Gegründet wurde es von zwei ehemaligen Cranberry Productions-Mitarbeitern, Michael Holzapfel und Oliver Specht (wir berichteten). Zusammen mit der Autorin Anne von Vaszary ('Black Mirror III') tüftelten die Drei an einem interaktiven Comic mit Gameplay-Elementen, den man seit dem 06. Dezember als Download erwerben kann. 'Reperfection' folgt dabei dem Trend des Episodenformats. Wir haben 'Volume 1' für Euch unter die Lupe genommen. Wie die Episode bei uns ankam, erfahrt Ihr in unserem Test.
Ben Freeman – kein Durchschnittsamerikaner
Die Freemans sind eine typisch amerikanische Vorstadt-Familie. In einem kleinen Haus mit Vorgarten wohnen Vater Ben, Mutter Sarah und Sohn Danny. Ben hat sich extra freigenommen, um den Tag mit Danny zu verbringen, sobald er aus der Schule zurück ist. Sarah kommt das sehr gelegen. Da sie Teilzeit als Immobilienmaklerin arbeitet und später noch einen Besichtigungstermin hat, braucht sie das einzige Auto. Doch zuvor holt sie noch schnell Danny ab. Damit ist die friedliche Idylle genau so schnell vorbei, wie sie angefangen hat. Auf dem Weg zur Schule wird Sarah in eine Massenkarambolage verwickelt und stirbt. Drei Tage später, auf der Beisetzung, überwindet sich Ben, den Sarg zu öffnen, um seine Frau ein letztes Mal zu sehen. Es ist der Blick in ihre Augen, der nie geahnte Kräfte in ihm weckt. Denn während er sich noch wünscht, das Geschehene rückgängig machen zu können, dreht sich plötzlich alles um ihn herum. Als er wieder einen klaren Kopf bekommt, stellt er fest, dass er eine zweite Chance erhalten hat – denn Sarah ist quietschfidel. Ben ist in der Zeit zurückgereist, zu dem Tag des Unfalls, den er nun natürlich mit allen Mitteln verhindern will. Mit Erfolg, denn es gelingt ihm, Sarah am Wegfahren zu hindern. Dafür ist es diesmal Danny, der bei dem Unfall ums Leben kommt. Ben muss seine Kraft erneut einsetzen und versucht diesmal, den Sohn zu retten. Doch wie in dem Film 'Butterfly Effect' ist so eine Zeitreise nicht ohne Haken. Egal, was Ben auch tut, irgendjemand scheint immer das Zeitliche zu segnen. Obwohl es anfangs noch so aussieht, als ob er seine Lage kaum verbessern kann, erspäht er schließlich doch das berühmte Licht am Ende des Tunnels, als Ben mehr über die Hintergründe des Unfalls in Erfahrung bringt.
Die Stärke von 'Reperfection' liegt nicht in Setup und Charakterisierung. Dazu erfährt der Spieler zu wenig von Bens Persönlichkeit. Es werden lediglich rudimentäre Informationen zu seinem Familienleben, Hobbys und Arbeit gegeben. Als Hauptfigur bleibt er daher ein wenig blass. Auch das Ableben von Sarah und Danny lässt einen unberührt, da man nicht die Gelegenheit hat, die beiden richtig kennenzulernen. Tatsächlich ist ihr Dahinscheiden eher Mittel zum Zweck. Ben ist so natürlich aufs Äußerste motiviert, seine Zeitreise immer wieder aufs Neue anzutreten. Und hierbei kann 'Reperfection' punkten, denn die Zeitreiseelemente sind extrem cool. Man ist immer wieder überrascht, wie sich Dinge verändern, neue Details bekannt werden oder zwei verschiedene Handlungsstränge ineinander übergreifen. So erlangt ein anfänglicher Fernsehbericht über eine ermordete Studentin zu einem späteren Zeitpunkt im Spiel wieder an Bedeutung. Der Haupthandlungsbogen wird am Ende der Episode abgeschlossen. Es gibt lediglich einen kleinen Cliffhanger, sodass man auf Episode 2 gespannt sein darf.
Interaktiver Comic in Schwarz-Weiß
'Reperfection' fühlt sich eher wie ein interaktiver Comic an als wie ein Spiel. Der Bildschirm ist in einzelne Panels aufgeteilt, die sich für den Spieler allerdings erst nach und nach erschließen. Oft bedarf es einer kleinen, relativ unkomplizierten Interaktion, damit man zum nächsten Bild kommt. Zu Beginn des Spiels sieht man zum Beispiel nur einen Ausschnitt aus dem Wohn-/Esszimmer. Angrenzende Panels sind ausgegraut. Erst, wenn der Spieler sich dazu entschließt, in den hinteren Bereich des Zimmers zu gehen und an die Badezimmertür zu klopfen, baut sich ein weiteres Panel auf, das Sarah unter der Dusche zeigt. Diese kleinen Bestandteile des Gameplays sind eine gute Lösung, um ein optisches Feedback zu geben und dem Spieler anzuzeigen, dass er in der Geschichte ein kleines Stück weiter vorangekommen ist. Außerdem sind sie ein gutes Mittel, um den Bildaufbau ein wenig interessanter zu gestalten und die Aufmerksamkeit des Spielers aufrechtzuerhalten. All zu viele Interaktionsmöglichkeiten gibt es freilich nicht. Einige der Gegenstände lassen sich in alter Adventure-Manier betrachten oder einsammeln. Der Cursor färbt sich Rot, wenn man über einen Hotspot fährt. Mit einem Linksklick lässt sich dann Menü öffnen, das die möglichen Interaktionen mit dem Gegenstand anzeigt. Eingesteckte Objekte wandern ins Inventar. Dieses befindet sich oben links in der Ecke und wird erst sichtbar, wenn man auf ein kleines Kalenderbuch klickt. Übrigens findet man hier auch eine kleine Orientierungshilfe, da die wichtigsten Ereignisse im Kalender notiert werden. Sachen aus dem Inventar kommen in einem der angrenzenden Panels zum Einsatz. Gegenstände werden also unmittelbar eingesetzt und nicht mit in eine neue Szene geführt. Eine Hotspot-Anzeige gibt es übrigens nicht, aber da Gegenstände leicht zu finden sind, braucht man sie auch nicht.
Ein (kleiner) Griff in die Rätselkiste
Obwohl 'Reperfection' als Adventurespiel durchgeht, sind Knobeleien und Puzzles rar gesät. Da der Zeitfaktor in der Geschichte eine Rolle spielt, ist das verständlich, denn Spannung wird dadurch erzeugt, dass man möglichst schnell zum nächsten Panel wechseln möchte. Immerhin fragt man sich ständig, was mit Ben auf der gegenwärtigen Reise durch die Zeit geschieht und ob man nun endlich wieder alles in Ordnung bringen kann. Und dies ist ein interessantes Spielprinzip, das den Spieler auch ohne aufwendige Rätsel bei der Stange hält. Man ist ganz darauf fokussiert, in der Geschichte weiterzukommen. Dafür allerdings, dass der narrative Schwerpunkt so groß ist, sind die Texte recht simpel gestrickt. Nur die wichtigsten Informationen werden ohne großen Schnickschnack und ohne jede Form von – sagen wir mal - Poesie vermittelt. Auch in Comics hat man das schon besser gesehen. Eine Vertonung der Charaktere gibt es nicht. Das stört allerdings überhaupt nicht. Im Gegenteil, beim Comic-Stil könnte es eher hinderlich sein. Aus demselben Grund hat man sich vermutlich auch gegen Animationen entschieden. Die Figuren werden im Spiel lediglich in unterschiedlichen Posen oder an unterschiedlichen Standorten ein- und ausgeblendet. Der Bildcharakter bleibt so die ganze Zeit über erhalten. Darstellungsprobleme, von denen noch in unserer Vorschau die Rede war, tauchten nun nicht mehr auf. Gut gelungen ist die Musik, die die Szenen stimmungsvoll, aber sehr dezent untermalt.
Fazit von Maren Keitel
Episode 1 legt einen guten Start hin. Die Zeitreise ist eine interessante Spielmechanik, um die fesselnde Geschichte voranzutreiben. Denn jedes Mal, wenn Ben eine Reise antritt, stellt man überrascht fest, dass sich Dinge verändern oder man findet sich an einem unerwarteten Ort wieder. Das macht die Sache spannend. Grafisch ist das Spiel ebenfalls ansprechend, und die Idee, eine Art interaktiven Comic aus 'Reperfection' zu machen ist mal was Neues. Allerdings schwächelte das Spiel etwas bei den Texten selbst, die – gerade für einen Comic – dann doch etwas zu simpel daherkommen. Auch bleiben die Charaktere sehr oberflächlich.
Fazit von Tobias Maack
Tinnitus Games geht mit dem Erstlingswerk 'Reperfection' einen mutigen Schritt weg von dem klassischen Look & Feel der 2D-Adventures hin zu einem interaktiven Comic-Heft in Grautönen. Die Gestaltung passt aber hervorragend zu der Geschichte. Wie in einem Comic-Heft kann man zwischen einzelnen Bildern hin und her wechseln und so auch mal in der Geschichte zurückgehen. Im Unterschied zum normalen Comic-Heft verändert sich hier aber jedes Mal die Geschichte. Und gerade das macht 'Reperfection' zu einem außergewöhnlichen Spiel: Man kehrt zwar oft an bereits bekannte Orte zurück, entdeckt dort aber jedes Mal wieder neue Sachen und stellt fest, dass Ben durch sein Vorgehen tatsächlich auch etwas verändert hat. Über kleine Schwächen bei den wenigen Rätseln (wenn Ben beispielsweise einen Gegenstand hat, mit dem er eigentlich weiterkommen könnte, dann aber doch noch einen anderen benötigt) sieht man gern hinweg, weil die Geschichte den Spieler sehr schnell in ihren Bann zieht und auch über die gesamte Spielzeit von drei bis vier Stunden fesselt. Wir hoffen, dass Tinnitus Games auch die schon vorhandenen Ideen für zwei weitere Episoden umsetzen kann.
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Reperfection
- Entwickler
- Tinnitus Games
- Release
- 5. Dezember 2012
- Trailer
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