FMV-Adventures in den letzten Jahren sind eng mit einem englischen Studio in Verbindung: D'Avekki Studios. Nach 'The Infectious Madness of Doctor Dekker' folgte ‘The Shapeshifting Detective’. Letzteres etablierte den Ort August in England und das hiesige, etwas andere Radioprogramm: Radio August. Dort schließt 'Dark Nights with Poe and Munro' direkt an: Wir entscheiden in sechs Kurzgeschichten über die Schicksale der Moderatoren Ellis Munro und John Pope (Poe) sowie von den einzelnen Zuhörern. 'Dark Nights with Poe and Munro' verspricht übernatürliche Seltsamkeit und eine prickelnde Romanze der Protagonisten. Im Test erfährt Ihr, ob diese interaktive Mini-Serie funktioniert.
Poe und Munro. Das Comedy-Duo im übernatürlichen englischen Städtchen
Eine dunkle Nacht im englischen Städtchen August. Poe sieht geheimnisvoll in die Kamera und spricht ins Radiomikrofon: »Dark Nights with Poe …«. Scharfer Schnitt zu Munro, die in gleicher Pose hinzufügt: »… and Munro«. So beginnt die gleichnamige Radio-Show. Schnell wählen wir, ob wir mit einem Donnerschlag, einem Messer-Geräusch oder einer miauenden Katze den nächsten Teil ankündigen können – ein Soundboard fehlt bei den beiden natürlich nicht. Kurz im Zeitplan gespickt und schon kommt der erste Anrufer herein: Frankie. Er kennt Ellis und John. Er kennt sogar deren Vornamen, obwohl sie sie nie verwenden. Aber es kommt schlimmer: Er will Munro töten.
Jede Episode hat einen solchen Twist. Es geht einmal um einen Mörder, dann um Albträume oder um ein Gemälde, das sie gefangen hält. Jede Folge ist gespickt mit Humor und bewusstem Over-Acting. Jede Folge hat verschiedene Ausgänge und Möglichkeiten sie zu meistern. Insgesamt warten rund fünf Stunden Videomaterial auf uns, wobei schon der erste Spieldurchlauf drei bis vier Stunden dauerte.
Schauspielkunst. Das ist FMV.
'Dark Nights with Poe and Munro’ ist ein wundersames Beispiel dafür, was FMV ausmacht. Das Skript ist voller Humor und bleibt stets geheimnisvoll. Nichts darf man ernst nehmen, gerne darf es ein bisschen mehr sein. Zugleich ist es nicht so übertrieben, dass es zu viel ist.
Die Geschichte möchte den Spieler nicht in Todesangst versetzen. Es ist eher wie ein Filmabend zu einer spannenden Mystery-Serie mit einigen lustigen Pointen. Es könnte so gesehen durchaus von den witzigeren, fast schon unsinnigeren Episoden von 'Akte X' inspiriert sein. Die Charaktere Poe und Munro wirken dabei stets sympathisch. Man fühlt mit ihnen mit. Man will sie dazu bringen, dass sie sich weiter lieben. Und vor allem möchte man, dass sie nicht sterben – denn selbst das ist möglich. Das hat aber keine Konsequenzen und die nächste Episode ist trotzdem spielbar.
Das FMV-Adventure verzichtet auf ein Abgrasen von Stereotypen. Die Protagonisten sind vielschichtig. Während Poe unglücklich verheiratet ist, hat Munro große Selbstzweifel und fühlt sich ausgenutzt. Beide verbindet jedoch nicht nur die Liebe, sondern eine andere Leidenschaft: Die gemeinsame Radio-Show. Und die ist großartig gespielt und vertont. Mit großartig ist aber nicht die nächste Oscar-Darbietung gemeint, sondern ein bewusst leicht trashiges, bewusst auch einmal amateurhaft gefilmtes Bild. Es soll so wirken als wären wir mittendrin. Es ist ein kleines Kammerspiel, das uns Spieler*innen auffordert mitzumachen. Wir sollen uns reinfühlen, denn verschiedene Umgebungen gibt es nur begrenzt. Es steht vielmehr eine Frage im Mittelpunkt: Was soll als nächstes passieren?
Wenig Interaktivität. Das ist auch FMV.
Gleichzeitig ist es spielerisch allerdings sehr rudimentär und einfach gehalten. Man kann in den Optionen einstellen, ob man gerne überlegt oder lieber Zeitdruck bei den Entscheidungen hat. Bei letzterer Wahl muss man sogar manchmal ein bewegliches Objekt anklicken. Der Zeitdruck-Modus ist übrigens standardmäßig im Menü aktiviert. Per Klick kann dieser abgeschaltet werden – schon spielt das FMV-Abenteuer sich zurückgelehnt, wie eine Serie mit stressbefreiten Aufforderungen. Das war es schon an Interaktionsmöglichkeiten. Man aktiviert Objekte, die mit rötlichen Kreisen versehen sind. Je nachdem passiert dann etwas anders – manchmal sogar drastisch verschieden.
Es dreht sich also tatsächlich alles um die vorher definierte Frage: Was soll als nächstes passieren? Ich möchte noch eine weitere Frage hinzufügen: Was wäre, wenn? So ergibt sich auch ein entsprechender Wiederspielwert, wenn man das möchte. Im ersten Durchlauf sieht man definitiv nicht alle verschiedenen Ausgänge – ganz zu schweigen von allen möglichen Videoschnipseln.
Vertonung hui. Aber nur auf Englisch.
Typisch für ein FMV-Adventure lebt 'Dark Nights with Poe and Munro von der schauspielerischen Leistung und der Vertonung. Erste haben wir schon gelobt, zweitere ist ebenso hervorragend. Hier kommt auch das "Aber": Nur auf Englisch. Untertitel gibt es ebenso nur in Englisch und vereinfachtem Chinesisch. Klemens Koehring (Poe) und Leah Cunard (Munro) sprechen hervorragendes britisches Englisch.
Schauspielerisch und selbst auf Tonebene stimmt die Chemie. Nichts klingt übertrieben laut, alles ist gut abgemischt. Zum Teil ist das dem Setting geschuldet. Die zwei sprechen immerhin in Studio-Mikrofone, die man im Spiel sieht. Dadurch wirke es sehr natürlich. Cunard und Koehring sitzen gegenüber. Sie sprechen miteinander: Ohne Pause, sie fallen einander auch einmal ins Wort und sie setzen schon an, während der oder die Andere noch spricht. Auch musikalisch weiß das Spiel zu überzeugen, ohne uns dabei weggeblasen zu haben. Das machten schon die durchwegs unterhaltsamen Episoden.
Ich habe ein Herz für FMV-Adventures. Trotzdem war 'Dark Night with Poe and Munro' meine erste Berührung mit D’Avekki Studios. Jetzt bereue ich das. Für FMV-Fans ist zumindest dieses Werk grandios. Ja, natürlich hat es die üblichen Probleme des Genres. Nein, es versucht auch nichts neues. Das ist aber auch wahrscheinlich gut, wenn man die Auswüchse des Text-Parsers eines 'The Infectious Madness of Doctor Dekker' betrachtet. Handwerklich ist es aber hervorragend. Sie wissen um ihr Budget und versuchen es nicht zu kaschieren. Sie arbeiten damit. Wäre das Gameplay noch komplexer und mitreißender, wäre eine noch höhere Wertung möglich gewesen. Genre-Vetreter wie 'Tex Murphy', 'Gabriel Knight 2' oder selbst ein 'Contradiction' zeigten schon in der Vergangenheit, was alles möglich wäre. So bleibt "nur" ein Grundgerüst um das Entscheidungs-Gameplay - quasi ein interaktiver Film. Der hat mich dafür begeistert. Selbst die einzelnen Episoden oder Kurzgeschichten sind stets gut geschrieben. Man vermutet zwar immer, was dahintersteckt, aber die Auflösung selbst ist es stets wert. Wie schaffen es Poe und Munro wieder einmal aus dieser Zwickmühle? Was hat es mit diesem übernatürlichem Spuck auf sich? Und bitte, warum seid ihr nicht einfach ein Paar. Ja, es hat schon ein wenig Mystery-Soap-Opera Geschmack wie ein Akte X und könnte Guilty Pleasure sein. Und ja, ich habe es genossen.
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Dark Nights with Poe and Munro
- Entwickler
- D'Avekki Studios Limited
- Publisher
- D'Avekki Studios Limited
- Release
- 19. Mai 2020
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- https://poeandmunro.com/
- Sprachen
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- Stichwörter
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