Nach 'Primordia' hatte man Wormwood Studios schon mal am Schirm: Klassische Pixel-Adventures können sie. Jetzt widmen sie sich einer Mischung aus Jenseits, Jahrmarkt und Gruselkabinett. In einer surrealen Welt begegnet man albtraumhaften Szenen. Ein Münztelefon gibt dabei Hinweise, was als nächstes zu tun ist, falls wir hängen bleiben. Das klingt alles innovativ und so noch nie dagewesen. Was dieser Mix unserer Meinung nach kann, könnt Ihr in den folgenden Absätzen nachlesen.
Hereinspaziert! Dann gingen wir durch den Schlund des Clowns
Wir wachen auf. Rundherum nur Wolken. Unter uns ein bröckelnder, schwebender Weg. Hinter uns ein Neon-Wegweiser, der uns zu einem Vergnügungspark namens 'Strangeland' führt. Den Weg runter erwartet uns ein Eingang. Vielmehr ist das der Schlund eines Clowns, der uns mit schlechten Witzen begrüßt. Er wirkt bedrohlich – auch ohne Angst vor Clowns. Dazu fällt uns etwas auf: Wir haben eine Zwangsjacke an. Was ist hier verkehrt? Das ist sicher nur ein Traum. Wir gehen also durch den Mund. Eine blonde Frau steht vor einem Brunnen. Sie wendet sich kurz über die Schulter zu uns: Eine Träne läuft ihr über das Gesicht. Dann springt sie den Brunnenschacht hinab in ihren Tod. Das Münztelefon daneben klingelt. Wir sollen zuhören, weil wir die offensichtlichen Zeichen nicht sehen. Wir sollen die Tragödie verhindern. Nur wie?
Pixel-Art in grau, braun und… lila?
Gleich auffällig ist der entsättigte Look des Spiels. Die Farbgebung ist trist und düster. Braun, schwarz und grau dominieren. Ästhetisch wirkt vieles schleimig und erinnert an das Design von H. R. Giger: Es herrscht eine endzeitliche Stimmung. Dann sind da plötzlich grelle, violette Lichter, die uns ins Auge stechen. Das ist laut dem Studio eine Mischung aus Francisco Goya, Mervyn Peake und Ray Bradbury. Goyas übernatürlicher Horror ist dabei im Stil deutlich zu merken. Peake lieferte die Inspiration, dass die Welt (hier der Jahrmarkt Strangeland) ein eigener Charakter ist. Bradbury liefert die Vorlage für den Jahrmarkt als Horror-Schauplatz.
Die künstlerischen Einflüsse sieht man. Gleichzeitig ist es optisch aber auch nicht immer treffsicher. Manche Dinge wie die Animationen wirken sehr grob. Die Nahaufnahmen der Charaktere sind hingegen großartig gezeichnet. Der Horror-Stil weiß ebenso zu überzeugen und die Ästhetik ließ mir Schauer über den Rücken laufen. Aber irgendwie wirkt es dann doch wieder sehr grob und roh. Fantastisch aussehende Charaktere und Umgebungen wechseln sich mit groben Animationen ab. Die Welt wirkt äußerst statisch. Es fehlt etwas, um wirklich großartig auszusehen. 'Strangeland' wirkt wie ein unvollendetes Werk. Da ist schon einiges gut. Aber es hat noch einige Ecken und Kanten. Dabei ist es eigentlich fast ein Kammerspiel und hat nur ganz wenige Umgebungen.
Adventure Rogue-lite?
Ich sehe das Stirnrunzeln und die gerümpften Nasen förmlich vor mir: Sterben ist in 'Strangeland' normal. Der Protagonist wird durch unsere Taten sterben – mehrfach. Bei manchen Rätseln oder Interaktionen werden wir z. B. von Hunden gefressen oder das Jenseits verschlingt uns. Dadurch werden wir wieder an den Anfang zurückgesetzt. Ist das dann ein Rogue-lite? So schlimm ist es nicht. Der Jahrmarkt 'Strangeland' ist klein und besteht aus wenigen Bildschirmen, die man am Anfang gar nicht vollständig betreten kann. Er öffnet sich mit der Spielzeit von ungefähr 3,5 Stunden. Dazu verlieren wir keinen Fortschritt, sondern durch die Tode lernen der Protagonist und wir etwas: Wir müssen hier etwas machen, damit wir weiterkommen. Oft kommen dadurch auch Hinweise zustande oder die Welt verändert sich erst einmal nach dem Tod ein wenig. Der Tod ist also ein Feature.
Es bleibt also ein klassisches Point & Click Adventure, das mit dem Tabu Sterben im Adventure spielt. Das passt zum Setting hervorragend. Auch die Rätsel sind abwechslungsreich und werden meist durch Benutzen der überschaubaren Menge an Gegenständen mit bestimmten Hotspots gelöst. Hier ist also nichts herausragend neu. Interessant ist aber das Münztelefon, das uns durch das ganze Spiel begleitet. Es treibt die Geschichte voran und dient auch als Hotline, wenn wir einmal nicht weiterwissen. Die bekannt klingende Stimme – eine verzerrte Version des Protagonisten – weist stets darauf hin, wie wir im Spiel weiterkommen und welches Rätsel wir mit welchem Gegenstand lösen können. Hut ab! So gut hat noch kaum jemand die Spielhilfe mit einem Adventure verzahnt.
Warnung: Selbstmord, psychische Krankheiten und morbide Szenen
'Strangeland' ist mit einigen Trigger-Warnungen ausgestattet. Vorbildlich liest man auf Steam eine ganze Liste an Themen, die das erwachsene Zielpublikum hier nacherleben wird: Trauer, psychische Krankheiten, selbstverletzendes sowie selbstzerstörendes Verhalten. Im Zentrum steht das Thema des Suizids. Zusätzlich bedient es sich künstlerisch bei einem Stil des Grauens. Innereien sind hier keine Seltenheit. Auch hier vorbildlich, dass sie das offen auf Steam erwähnen. Ganz funktionieren will der Horror auch hier wieder nicht. Gefährlich ist es nie: Wir können jederzeit ohne Konsequenz sterben.
Dazu kommt, dass die Geschichte zwar konsequent und schlüssig zu Ende erzählt wird, aber relativ bald vorhersehbar wird. Das Ende ist bis auf eine vollständige Weltveränderung nach dem ersten Drittel klar. Die veränderte Welt macht zwar nochmal einen kurzen Reiz aus, aber schnell merkt man, dass auch dadurch sich nicht wahnsinnig viel ändert, sondern Schritte, die man schon gemacht hat, einfach noch einmal in etwas anderer Form zu tun sind. Dadurch fühlt es sich etwas repetitiv an. Die Atmosphäre ist gut inszeniert, aber sie will trotzdem wegen einigen Details nicht so ganz zünden. Insgesamt überwiegt aber, dass einige Szenen und auch die Geschichte eher verstörend wirken: Das ist, soweit ich das verstehe, auch bewusst. Damit erinnert es ein wenig an Harvester Games mit 'Downfall Redux' und 'The Cat Lady'. An diese kommt 'Strangeland' aber nicht ganz heran und landet eher bei 'Lorelai'.
Ich weiß nicht warum, aber von Anfang an waren die Screenshots von 'Strangeland' für mich ambivalent. Irgendwie waren sie spannend, aber irgendwas war … komisch. Als hätte irgendein Detail nicht gepasst, aber ich konnte den Finger nicht drauflegen. Passenderweise geht es mir auch bei 'Strangeland' so. Ich mag ernste Themen. Ich mag verstörende Spiele, die sich an Horror-Ästhetik bedienen. Dann wären da das großartige Münztelefon und die hervorragenden Sprecher. Ein Wermutstropfen für viele wird sein, dass es derzeit nur auf Englisch verfügbar ist. Insgesamt war die Story auch nett, aber dann doch relativ bald vorhersehbar. Es hakt in den Details und erinnerte mich mehrfach an 'Lorelai' und dem qualitativen Rückschritt gegenüber 'Downfall' und 'The Cat Lady'. Nach dem großartigen Spiel 'Primordia' ging es in die gewalttätige, psychisch herausfordernde Welt von 'Strangeland'. Dabei blieb aber leider einiges liegen. Schade.
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Strangeland
- Entwickler
- Wormwood Studios
- Publisher
- Wadjet Eye Games
- Release
- 25. Mai 2021
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- https://store.steampowered.com/app/1369520/Strangeland/
- Art
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Independent
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- Systeme
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- Stichwörter
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