Schon 2016 bewies das Studio Variable State um Jonathan Burroughs, Lyndon Holland und Terry Kenny mit 'Virginia', dass sie spannende Ideen haben, interessante Geschichten erzählen, aber aufgrund der Besonderheit des Spiels nicht jeden Geschmack treffen. Das Studio, das in London und Dublin angesiedelt ist, stürzte sich mit Publisher Annapurna Interactive auf den nächsten Titel: 'Last Stop'. Am 22. Juli erschien es für PC (auch im Game Pass), Playstation 4 und 5, Xbox One und Series X|S sowie Nintendo Switch. 'Last Stop' verspricht, vermeintlich unabhängige Geschichten von Donna, Meena und John in London zu erzählen. Der gemeinsame Nenner: Eine magische Welt berührt sie alle drei. Wie sie dann zusammenkommen und aus dieser Welt wieder entfliehen, soll am Ende aufgelöst werden.

Papierpuppen, innere Unruhen und unbekannte Gefahr…

Dann wäre da Meena Hughes. Sie ist eine Art weiblicher James Bond und arbeitet für ein privates Sicherheits- und Militärunternehmen. Früher war sie Außendienstagentin und bei den britischen Marines in Afghanistan. Heute ist sie im langweiligen Bürojob nach oben befördert worden. Ihr Privatleben wechselt zwischen einer Affäre mit einem Arzt und der Ehe mit einem Lehrer sowie dem gemeinsamen Sohn hin und her. Anfangs ist nicht klar, was sie mit der magischen Welt zu tun hat – aber das kommt noch.
Schließlich spielen wir auch Donna Adeleke. Sie ist Schülerin an der Dunstan Academy und bereitet sich auf den mittleren Schulabschluss vor. Ihre Mutter leidet an einer chronischen Krankheit, ihre große Schwester ist Polizistin und ist mit ihrer Lebensgefährtin Aisling die tatsächliche Hüterin des Vier-Frauen-Haushalts. Ganz so ernst nimmt Donna die Schule aber nicht, denn sie hängt lieber mit ihren Freunden Vivek und Becky herum. Gegenüber des Imbisses, den Viveks Vater betreibt – und den die Lebensmittelpolizei wieder einmal geschlossen hat – sehen sie einen mysteriösen Kerl, der wiederholt Personen in seine Wohnung bringt. Sie scheinen nicht mehr zurückzukommen. Donna und ihre Freunde verfolgen ihn und kommen so der magischen Welt auf die Spur.
Alltagsgeschichten: Langweilig? Keineswegs.

Vor allem der Mut zur Veränderung ist das große Ziel der drei Geschichten. Die melancholische Rückwärtsgewandtheit, die alle drei Blickwinkel betrifft, wird angeprangert. Dazu kommt eine Prise Technikkritik an manchen Stellen, die aber nicht ganz so außergewöhnlich ist. Die Magie ist wieder ein Stellvertreter für Technik. Einzig die zwei Perspektiven auf dieses Problem sind neu. Einerseits wird der Fortschritt kritisiert, aber andererseits wird auch vor dem Stillstand gewarnt: Wir dürfen ruhig auch Neues wagen.

Die übliche Krux: das Gameplay

Dafür gibt es auch gelungene Aspekte. Während Taxifahrten werden Chatverläufe am Handy eingeblendet und von den Protagonistinnen oder vom Protagonisten gelesen. Man kann auch bei diesen Chats ähnlich wie bei den anderen Dialogen seinen eigenen Stil einbringen. Es gibt hier genreüblich stets drei Auswahlmöglichkeiten im Radialmenü: ganz in der Telltale-Manier. Hier hat es nur unverhohlen überhaupt keinen Einfluss auf die Geschichte. Es ändert manchmal die Informationen, die man bekommt oder eben nicht, aber der Verlauf bleibt vorbestimmt. Erst am Ende bekommt man je Geschichte eine Auswahlmöglichkeit, die hier aber aufgrund des Themas des Loslassens zur Abwechslung passt. Das Spiel spielt sich wie eine Art Lektion, die genau auf diesen Punkt hin zugespitzt wurde. Dadurch verlor es auch vielen spielerischen Ballast und spielt sich eher wie ein FMV mit direkter Steuerung per Tastatur oder Gamepad als ein klassisches Adventure. Folglich gibt es natürlich auch keine Rätsel.
Schwankende Qualität in der Präsentation


Damit es etwas zugänglich wird, gibt es eine deutsche Übersetzung in Form von Untertiteln. Die ist grundsätzlich solide, ringt aber manchmal verzweifelt um Worte. "Domestic Affairs" als "Innere Unruhen" oder "Stranger Danger" als "Unbekannte Gefahr" wirkt schon etwas gestelzt und verliert auch den Wortwitz völlig. Auch hier ist es also ein Spiel mit Licht und Schatten. Es wird deswegen einigen sehr gut gefallen und manche schnell verlieren.

Riiight..., ich meine, nun gut. Anfangs hat mich das Gameplay von 'Last Stop' noch gut mitgenommen. Die Story war ohnehin von Beginn an interessant. Vor allem: interessant anders. Die Alltagsgeschichten sind in Adventures oder Spielen allgemein noch sehr selten. Wir spielen doch sehr oft die weltrettenden Menschen – zumindest ich auch immer wieder ganz gern. Hier ist das völlig anders. Der triste, bedrückende Alltag von Londoner Familien wird gezeigt. Stets ist der Blickwinkel einer Person im Zentrum. In allen Fällen wird ihre Welt plötzlich völlig durcheinandergeworfen und nun heißt es damit zurechtzukommen oder wieder alles zurechtzubiegen. Das ist großartig! Herausragend! Am anderen Ende des Spektrums steht dann mit der Spielzeit von 6 Stunden aber doch das Gameplay. Es wiederholt sich recht schnell und verliert seinen anfänglichen, andersartigen Zauber. FMV-Fans oder Fans guter Geschichten kann das völlig egal sein. Hinter diesen holprigen interaktiven Elementen steckt eine bis dato einzigartige Geschichte. Darum würde ich trotzdem sagen: Werft einen Blick hinein. Schon das erste Kapitel der drei Geschichten zeigt gut, was das Spiel kann. Im Endeffekt würde ich aber dazu raten, dass ihr es spielt. So eine gut erzählte Alltagsgeschichte kannte ich zumindest noch nicht in diesem Medium.
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Last Stop
- Entwickler
- Variable State
- Publisher
- Annapurna Interactive
- Release
- 22. Juli 2021
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- https://annapurnainteractive.com/games/last-stop
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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