Man nehme: das Konzept eines interaktiven Buches und ein etwas schusseliges Alien, das unverhofft auf einem fremden Planeten abstürzt – noch dazu in Bayern. Was für die meisten Menschen nicht sonderlich dramatisch, sondern eher vergnüglich klingt, ist für unser Alien der reinste Albtraum, aus dem es zu flüchten gilt. Und damit sind wir auch schon mittendrin in 'Plan B From Outer Space: A Bavarian Odyssey'. Beim Titel haben sich RobotPumpkin Games ganz klar an Ed Wood orientiert, der für sich die zweifelhafte Ehre in Anspruch nehmen darf, mit 'Plan 9 From Outer Space' den schlechtesten Film aller Zeiten gedreht zu haben. Gleichzeitig erinnern die Grundzutaten der schrägen Handlung entfernt an die bayrische Komödie 'Xaver und sein außerirdischer Freund', mit dem gravierenden Unterschied, dass 'Plan B From Outer Space' nach dem Absturz des Aliens eine völlig andere Richtung einschlägt und dabei nicht einmal ansatzweise so gewöhnungsbedürftig ist wie der Film aus dem Jahr 1985. Lustiger ist das Spiel außerdem.
Auf Kollisionskurs
Nach einer erfolgreichen Mission – welche, das dürfen wir selbst auswählen – befinden wir uns auf dem Heimweg, reflektieren über besagte Mission und beschließen, uns einen ausgiebigen Kälteschlaf zu gönnen. Daraus wird allerdings nichts, denn unser Automated Ship System – kurz ASS – reißt uns aus dem Schlaf: Auf dem Monitor im Kontrollraum ist ein seltsamer blauer Planet erschienen, der offenbar intelligentes Leben aufweist. Wir können dem jetzt weiter nachgehen oder versuchen, den Orbit schnellstmöglich zu verlassen, für den Fall, dass der fremde Planet eine Gefahr darstellt. Aber egal, wofür wir uns entscheiden: Das Raumschiff kollidiert mit einem unbekannten Objekt und stürzt auf den seltsamen Planeten zu. Das wirft gleich die nächste Frage auf: In welcher Form können wir den Aufprall möglichst unbeschadet überstehen. Als Angehöriger einer hoch entwickelten Spezies von Gestaltenwandlern haben wir die Wahl zwischen einer Panzerung, einer großzügigen Ansammlung von mit Gas gefüllten Blasen und der Möglichkeit, uns großflächig auszudehnen. Die gewählte Form bestimmt dann einerseits, ob wir beim Aufprall im Raumschiff bleiben, hinausgeschleudert werden oder womöglich schwere Verletzungen davontragen. Andererseits wirkt sich der körperliche Zustand direkt auf die Möglichkeit aus, später aus einem von drei Gegenständen für unsere Erkundungstour zu wählen. Die kann nämlich völlig entfallen, wenn wir die am wenigsten geeignete Erscheinungsform wählen.
Eine Bruchlandung wie aus dem Lehrbuch
So oder so: Der Absturz lässt sich nicht vermeiden. Das Raumschiff legt in einer seltsamen Gegend eine perfekte Bruchlandung hin, zieht eine gekonnte Schneise der Verwüstung hinter sich her und gräbt sich à la Enterprise halb in den Boden ein.
Die Folgen sind fatal: Das Schiff ist arg beschädigt und muss so rasch wie möglich repariert werden. Die hilfreiche KI informiert uns, dass wir genau zwei Möglichkeiten haben: die Batterie an einem nahe gelegenen Wasserkraftwerk wieder aufladen und mit der so gewonnenen Energie den Reparaturprozess in Gang setzen – oder sich zu einer Antenne durchschlagen und es mit einem Notruf versuchen. Eine dritte Option – die Bevölkerung zu infiltrieren – schließt die KI zwar aus, wir können sie aber trotzdem in Angriff nehmen. Die Wahl zwischen den beiden Wegen – Stausee oder Antenne – bleibt uns allerdings nicht erspart. Damit entscheiden wir uns auch gleich für einen von zwei größeren Handlungssträngen, die wiederum in eine Fülle möglicher Unterkapitel gegliedert sind. Diese sind so weit verzweigt, dass es unmöglich ist, alle in einem einzigen Durchgang freizuschalten bzw. zu erleben.
Wie und ob wir diese verzweigten Unterkapitel freischalten, hängt einzig und allein von den Entscheidungen ab, die wir auf Schritt und Tritt treffen müssen. So stehen wir vor der Frage, welcher von drei Gegenständen uns bei unserer Expedition nützlich sein kann (vorausgesetzt, diese Option entfällt nicht aufgrund einer vorherigen Entscheidung) – nehmen wir einen Blaster mit oder doch lieber ein Medikit? Auch ein Scanner könnte nützlich sein. Je nachdem, welches Objekt wir einpacken, stehen uns später zusätzliche Interaktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Der Scanner beispielsweise kann uns dabei helfen, uns in Schaltkreise zu hacken und sie richtig anzuordnen – das einzige „richtige“ Rätsel, das uns in drei Spielstunden begegnet ist.
Wer die Wahl hat...
Der Umstand, dass wir laufend mit Auswahlmöglichkeiten konfrontiert werden, erlaubt uns, die Handlung bis zu einem gewissen Grad selbst zu gestalten, wobei aber schwer abschätzbar ist, welche Konsequenz eine Entscheidung hat oder ob sie zum Erfolg führt. Schlimmstenfalls kann es passieren, dass unser Alien das Zeitliche segnet, und dafür gibt es wiederum eine Menge unterschiedlicher (und kreativer) Möglichkeiten. Der Wiederspielwert ist entsprechend hoch, denn in einem einzigen Durchgang lassen sich die vielfältigen Optionen logischerweise nicht ausreizen. Auch nicht in einem zweiten oder dritten oder vierten. Je nachdem, wie schnell man liest und wie stark sich die Handlung durch Entscheidungen verzweigt, braucht man für einen Durchgang bis zu 45 Minuten. Mit etwas Pech kann das Spiel aber auch kurz nach dem Absturz vorbei sein. Wie viel Zeit man mit 'Plan B from Outer Space' verbringt, hängt letztlich davon ab, wie oft man sich auf die Odyssee durchs wilde Bayern begibt und wie viel Wert man darauf legt, alle Steam-Trophäen einzuheimsen. Wir hatten nach drei Spielstunden die Hälfte der insgesamt 19 Enden und 24 der 45 Errungenschaften erspielt. Da ist also durchaus noch Luft nach oben, und den Entwicklern zufolge sind Spielzeiten von bis zu neun Stunden möglich.
Wenig zu sehen, viel zu lesen
Optisch ist 'Plan B From Outer Space' dem Genre entsprechend etwas reduziert, dabei allerdings sehr liebevoll gestaltet. Wir landen an allen möglichen Schauplätzen – das fängt bei der Absturzstelle an, geht über eine einsame Jagdhütte im Wald und einen imposanten Staudamm bis in ein typisch bayrisches Dorf samt Zeltfest und Gasthaus. Dazu treffen wir jede Menge schräger Charaktere, die bei Interaktion in der Mitte unseres Sichtfelds zu sehen sind und teilweise animiert wurden. Die Gestalt, die wir gerade angenommen haben, sehen wir immer rechts neben dem Textfeld, darunter noch einmal zur Orientierung als eine Art Minimap den Ort, an dem wir uns gerade befinden.
Dominiert wird der Bildschirm natürlich vom Textfeld, denn Lesen ist unsere Hauptbeschäftigung. Die Texte können wir auf Deutsch oder Englisch einblenden lassen. Auch wenn die englische Übersetzung gut gelungen ist: Die deutsche Version macht deutlich mehr Spaß, vorausgesetzt, man versteht den bayrischen Dialekt. Ansonsten wird man vermutlich genauso ratlos vor dem Monitor sitzen wie die Künstliche Intelligenz, die verzweifelt versucht, die merkwürdige Sprache der seltsamen Bewohner des Planeten zu entschlüsseln.
Minimalistisch gibt sich auch die akustische Untermalung. Die Musikstücke passen sich dabei der jeweiligen Umgebung an, bisweilen bekommen wir auch Hintergrundgeräusche zu hören wie das Zwitschern von Vögeln in einem Wald oder das irritierte Piepsen eines Scanners.
'Plan B From Outer Space' ist eine kleine Überraschung. Das schräge Setting funktioniert erstaunlich gut, und auch wenn Dinge wie die Benennung der Künstlichen Intelligenz eher brachialen Humor vermuten lassen, lohnt es sich, genauer hinzusehen bzw. sich mehrere Durchgänge zu gönnen. Denn dann wird erst klar, wie vielschichtig diese digitale Version eines interaktiven Buches wirklich ist. Der Humor entpuppt sich als das genaue Gegenteil von brachial oder vulgär: Kulturelle Eigenheiten und Phänomene werden zwar durch den Kakao gezogen, allerdings aus Sicht unseres Aliens und seiner KI. Die stellen ihre eigenen Überlegungen zu Schlager, Bier, der Sprache und diversen Einrichtungen wie Kirchen und Gasthäusern an. Das führt zu kreativen Interpretationen, die von plumpem Spott meilenweit entfernt sind. Es ist auch dieser Humor in Kombination mit den unzähligen skurrilen Möglichkeiten, die Handlung voranzutreiben, der den Wiederspielwert von 'Plan B From Outer Space' ausmacht. Wer keine Angst vor längeren Texten und dafür die Geduld für diese Art der Unterhaltung hat, kann getrost einen Blick riskieren. Oder mehrere - wahlweise am PC, auf Android oder iOS.
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Plan B From Outer Space
- Entwickler
- Robot Pumpkin Games
- Publisher
- Assemble Entertainment
- Release
- 28. Oktober 2021
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- Bei Steam kaufen
- Offizielle Website
- Publisher und Entwickler: Robot Pumpkin Games
1 Kommentar
Solide gemacht aber das Game ist nicht mal annähernd so witzig wie der Trailer. Leider gibt's auch keine Sprachausgabe...
Und ja ich wusste es ist im Kern ein Textadventure, aber man könnte das doch interessanter gestalten... mir wurde bereits beim ersten Durchgang langweilig und konnte den zweiten nur knapp durchhalten.
Gut zum Einschlafen
Aber wird sicher seine Fans finden...