Die junge Studentin Laura Bow erlebte ihr erstes Abenteuer im 1989 von Sierra veröffentlichten 'The Colonel's Bequest'. Mit dem Spiel kehrte die 'King's Quest'-Schöpferin Roberta Williams zurück ins Krimi-Genre. 1980 hatte sie bereits an 'Mystery House' mitgewirkt, das ein ähnliches Grundsetting hatte. Nun treffen wir also die junge Laura in den 1920er Jahren und durchleben mit ihr eine Nacht voller Morde in einem abgelegenen alten Herrenhaus.
Kürzlich wurden die beiden Laura-Bow-Adventures bei GOG neu veröffentlicht, was wir zum Anlass für einen Klassikertest nehmen.

Agatha Christie lässt grüßen
Die Idee hinter 'The Colonel's Bequest' erinnert nicht nur auf den ersten Blick an 'Und dann gab's keines mehr' von Agatha Christe: Die junge Laura wird von ihrer Kommilitonin Lillian Prune zu einer Familienzusammenkunft der Dijons eingeladen. Das denkwürdige Ereignis steht für das kommende Wochenende im alten Herrenhaus von Lillians Onkel, Colonel Henri A. Dijon an, das auf einer abgelegenen Insel in einem Sumpfgebiet liegt. Nach kurzem Zögern willigt Laura ein und findet sich so wenige Tage später an dem prächtig gedeckten Esstisch im Kreise der Familie Dijon wieder. Dort erfahren auch alle den Grund für die Zusammenkunft, denn dem reichen Onkel geht es nicht mehr so gut und er möchte seinen letzten Willen mitteilen. Demnach soll sein Vermögen zu gleichen Teilen unter allen Anwesenden (Laura ausgenommen) aufgeteilt werden, die den guten Colonel überleben. Der alte Herr ist noch nicht ganz aus dem Raum, da entbrennt auch schon ein Streit über die Erbsumme und den Gesundheitszustand des Erbonkels. Laura ahnt bereits, dass das Wochenende alles andere als entspannend werden dürfte.
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Das Haus wimmelt vor Geheimgängen |
Und sie muss auch nicht lange warten, ehe es einen ersten Mord gibt. Oder war es ein Unfall? Ein Familienmitglied ist aus einem Fenster im ersten Stock gestürzt und hat sich dabei das Genick gebrochen. So merkwürdig der Vorfall schon scheint, er wird noch seltsamer. Denn kaum, dass Laura den übrigen Anwesenden von dem Unglück berichtet hat, ist die Leiche auch schon verschwunden. Nichts deutet mehr auf den Vorfall hin. Hat sich Laura das alles etwa nur eingebildet? Weitere Tote zeigen schnell ein anderes Bild: Hier geht ein Mörder um. Und auch Laura kann sich ihres Lebens nicht mehr sicher sein...
Wir alle spielen nur Theater!
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Wie ein Theaterstück ist das Spiel in Akte unterteilt |
Die Geschichte ist aufgebaut wie ein Theater-Stück. So wird uns nach der hoffentlich erfolgreichen Kopierschutzabfrage mitgeteilt, dass sich der Vorhang öffnet und dann werden die einzelnen Charaktere auf eine Bühne gestellt. In insgesamt acht Akten erkundet Laura das Anwesen, stolpert über Leichen, findet Geheimgänge und befragt die Anwesenden. Jeder Akt ist wieder unterteilt in verschiedene Zeitabschnitte, die im Viertelstunden-Takt auf ihren nächtlichen Höhepunkt zu laufen. Dabei geht es für Laura nicht darum, den nächsten Mord zu verhindern oder die Mordserie zu unterbrechen. Egal, wie gut wir ermitteln, das Spiel führt uns immer zum Finale - Sofern Laura nicht vorher schon das Zeitliche segnet. Wir dürfen nicht vergessen, dass 'The Colonel's Bequest' aus der Hochzeit der Sierra-Adventures stammt. Einer Zeit also, in der die Entwickler dafür bekannt waren, den Spieler an jeder denkbaren und undenkbaren Ecke ins Grab zu schicken. Laura geht duschen? Da hat sie wohl den Hitchcock-Film 'Psycho' gesehen. Laura läuft unter dem Kronleuchter entlang? Pech gehabt, dass der gerade jetzt herunterfällt. Im Spielverlauf gibt es sehr viele Fallen, in die Laura treten kann. Glücklich ist, wer zuvor gespeichert hat.
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Beim heimlichen Beobachten erfahren wir viel über die anderen Bewohner |
Wer das Treiben überlebt, lernt im Laufe der virtuellen Stunden einige krude Charaktere kennen, wie man sie in jeder Krimischublade finden kann. Da gibt es das sexy Zimmermädchen, mit dem jeder eine Affäre zu haben scheint oder die junge Frau, die ihrem Mann eröffnet, dass sie ihre Zukunft lieber mit ihrem Liebhaber verbringen will. Natürlich darf auch der Arzt nicht fehlen, dem von nahezu jedem die Qualifikation abgesprochen wird, der sich aber ausgerechnet um den Erbonkel kümmert. Diese klischeebehafteten Charaktere sorgen schon von alleine für jede Menge Konfliktpotential. Nahezu jeder liegt auch ohne die angekündigte Erbschaft mit jedem im Streit.
Das alte Herrenhaus könnte ebenfalls direkt aus einem Hitchcock-Film stammen. Überall finden sich Geheimgänge, durch die man in andere Räume schauen und die Bewohner so bespitzeln kann. Natürlich dürfen auch eine Gruft und andere seltsame Orte nicht fehlen. Das Spiel erzeugt durch die Charaktere und Orte eine angenehme Spannung und baut eine für den Krimi passende Atmosphäre auf.
Zwischen Spannung und Langeweile
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Laura hat nur begrenzt Zeit, den Mörder zu ermitteln |
Leider wird die Stimmung immer wieder durch Laura selbst zunichte gemacht. Unsere Studentin und Hobbyermittlerin wirkt durch die ganzen Leichen oftmals nicht wirklich überrascht oder gar entsetzt. Das mag natürlich an den Texteinblendungen liegen, die nüchtern zusammenfassen, wer da soeben wie gestorben ist. Aber auch beim Ausspionieren der anderen Figuren wirkt Laura nie unberrscht. In der Regel gibt sie zu dem Geschehen gar keinen Kommentar ab, wodurch sie selbst sehr blass bleibt.
Dazu kommt, dass die Geschichte oft auf Zufälle setzt. Die Zeit springt immer dann weiter, wenn Laura bestimmte Aktionen ausgeführt hat. Welche das sind, wissen wir beim Durchspielen natürlich nicht. Somit kann es vorkommen, dass wir zufällig die richtigen Aktionen direkt hintereinander ausführen und dann schon im nächsten Zeitabschnitt sind - Eventuell haben wir dann sogar ein Gespräch zwischen den anderen Charakteren nicht belauscht und wissen dadurch weniger über unser Gegenüber oder den Mörder. Verpassen wir zu viel, können wir den Mörder nicht mehr überführen. Es kann aber auch sein, dass wir ewig die Räume des Hauses und den Garten nach neuen Hinweisen abklappern, ehe wir dann doch das richtige Zimmer finden. Denn wo wann etwas passiert, wissen wir natürlich auch nicht. Dazu kommt, dass einige Orte sich bei jedem Besuch verändern, was ebenfalls für kleinere Probleme mit der Logik sorgt. Speziell dann, wenn etwas in einem Raum passiert ist, zu dem es offensichtlich nur einen Zugang gibt, vor dem Laura selbst steht. Dennoch bleibt die Geschichte spannend. Übrigens gibt es kaum echte Rätsel, denn das Spiel versteht sich auch hier als Theater-Stück. Das Ziel ist es, möglichst viel über die anderen Personen und die Geschichte zu erfahren. Je geschickter wir uns dabei anstellen, umso besser fällt die abschließende Bewertung aus, nach der wir uns auch einige Hinweise anzeigen lassen können, mit denen wir das Spiel im nächsten Durchgang besser abschließen können.
Die Technik
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Die Dusche endet für Laura nicht gut... |
'The Colonel's Bequest' nutzt das aus anderen Sierra-Adventures der Zeit bekannte textbasierte Interface. Wir müssen zwar genau wissen, wie die Befehle und Objekte heißen und dem Spiel auch genau sagen, was wir damit machen wollen, was zu langen Sätzen führen kann. Es gibt aber auch eine Möglichkeit, Eingaben zu wiederholen oder gewisse Standardtexte vorblenden zu lassen. Wer schnell tippen kann, braucht diese Abkürzungen allerdings nicht. Laura selbst wird per Pfeiltasten gesteuert und kann sich mithilfe des Ziffernblocks auch diagonal bewegen. Das Adventure hatte für seine Zeit eine schöne Grafik ganz im Art Deco Stil der 20er Jahre gehalten. Leider ist die Optik schlecht gealtert. Musikalisch zeigt sich 'The Colonel's Bequest' sparsam. Zwar werden alle zu der Zeit gängigen Soundkarten unterstützt, Musik gibt es jedoch nur sehr selten zu hören. Bei den übrigen Soundeffekten muss man hin und wieder sogar raten, was man da gerade hört.
Versionen und Verfügbarkeit
'The Colonel's Bequest' ist in englischer Sprache für Amiga, Atari ST und DOS-Rechner erschienen. Die kürzlich veröffentlichte GOG-Fassung läuft problemlos auf aktuellen Windows-Versionen, ansonsten lässt sich das Spiel per ScummVM zum Laufen bringen (wenn Eure Disketten noch funktionieren). In der originalen Box findet man das Spiel bei ebay, es ist auch Bestandteil der auf CD-ROM erschienenen 'Roberta Williams Anthology', die sich ebenfalls bei ebay findet.
Mit 'Laura Bow - The Colonel's Bequest' liefert Roberta Williams eine spannende Detektiv-Geschichte, die neben vielen Morden auch einige interessante Charaktere mitbringt - auch wenn sie den gängigen Krimi-Klischees entsprechen. Die Grafik ist aus heutiger Sicht schlecht gealtert und kann daher nicht mehr so viel zur Atmosphäre beitragen, wie 1989. Wie bei vielen Sierra-Adventures aus der Zeit lauert praktisch an jeder Ecke der Tod. Das wiederholte Besuchen der Orte und der im Hintergrund ablaufende Timer, durch den man auch schon einmal Hinweise verpassen kann, sorgen zusammen mit den vielen Toden schnell mal für Spielerfrust. Wenn man sich aber darauf einlässt (und häufig speichert), kann man mit dem ersten Abenteuer von Laura Bow einige spannende Stunden verbringen.