Es gibt diese Spiele, die die Massen spalten - Spiele wie 'Syberia', 'Myst' oder eben 'Phantasmagoria'. Bei den einen hoch angesehen, bei den anderen als unterirdisch deklariert. Auch 'Phantasmagoria' stieß bei der Veröffentlichung 1995 auf ein sehr geteiltes Echo. Sierra und der verantwortlichen Roberta Williams, dürfte dies freilich relativ egal gewesen sein. Das - 7 CDs umfassende - Schauermärchen schaffte es, mit über einer Million verkauften Einheiten, zum bis zum damaligen Zeitpunkt, erfolgreichsten Titel der langen Sierra Historie zu werden. Das eingenommene Geld, konnte man auch gut gebrauchen, da das aufwendige Filmadventure, so einige Millionen an Produktionskosten verschlungen hat. Mehr über eines der weltweit bekanntesten Horroradventures, erfahrt ihr in unserem Klassikertest.
Es hätte so schön werden können
Die Autorin Adrienne und ihr Ehemann Don haben ein riesiges Herrenhaus in der abgeschiedenen amerikanischen Provinz erstanden. Von Beginn an fühlt sich Adrienne in dem unheimlichen Gemäuer unwohl und hat schon bald finstere Visionen. Nicht wenige drehen sich um den mysteriösen Vorbesitzer des Hauses, den Zauberer Zoltan Carnovash. Alle seiner sechs Ehefrauen starben auf ungeklärte Weise. Schnell liegt der Verdacht auf der Hand, dass Zoltan sie alle ermordet hat. Zumindest vermutet dies die Bevölkerung, des nahe gelegenen Dorfes. Das Carnovash Anwesen gilt als verflucht. Noch heute soll Zoltans Geist dort sein Unwesen treiben.
Könnte dies der Grund dafür sein, dass das imposante Herrenhaus fast 100 Jahre leer stand? Ganz unrecht liegen die Dorfbewohner nicht. In einer versteckten Kapelle des Hauses, schenkt Adrienne einem uralten Dämon – unbeabsichtigt - neues Leben. Dieser findet auch sehr schnell einen neuen Wirt. Adriennes Ehemann Don verwandelt sich schon bald, Stück für Stück, vom liebenden Ehemann zum unberechenbaren Psychopathen. Über die Gründe ahnt Adrienne lange nichts und als sie die Wahrheit erfährt, scheint es fast zu spät. Es kommt zu einem furiosen Finale im Theater des Grauens...
Dämonenbekämpfung leicht gemacht
Das Gameplay von Roberta Williams Schauermä unterscheidet sich nicht stark von – nicht-filmischen - Point & Click Adventures. Es ist lediglich alles stark entschlackt. Können wir etwas betrachten, nehmen oder mit jemandem reden, färbt sich der Mauszeiger rot. Bei Gesprächen gibt es kein Dialogmenü. Wir klicken die besprechende Person an und stellen ihr eine Frage. Wir wiederholen diesen Vorgang so lange, bis der Mauszeiger nicht mehr rot wird und wir nichts mehr fragen können. Übermäßig viel geredet wird in 'Phantasmagoria' ohnehin nicht. Die Dialoge sind deutlich kürzer, als es beispielsweise in 'Gabriel Knight II' aus demselben Hause, oder im Nachfolger der Fall war. Die Puzzles sind praktisch allesamt Inventar bezogen. Fordernd sind diese zu keinem Zeitpunkt und die (kurzen) sieben Kapitel verfliegen wie im Fluge.
Man sollte sich nicht von sieben CDs täuschen lassen. 'Phantasmagoria' ist nicht grade ein langes Vergnügen. Viel mehr als durchschnittlich sechs Stunden, wird man nicht mit dem Spiel verbringen. Einer der Hauptgründe dafür ist der extrem niedrige Schwierigkeitsgrad. Dies fällt bei der durchweg kurzweiligen Unterhaltung aber gar nicht mal als sonderlich schlimm auf, dürfte aber auch reine Geschmacksache sein. Wer sich nicht mit der Story und Atmosphäre anfreunden kann, dem bleibt nicht mehr viel.
Lebensgefahr in Echtzeit
Die Gemüter gespalten hat auch das - komplett vom übrigen Gameplay abweichende - siebte Kapitel. Da ich nicht zuviel spoilern will, werde ich nicht näher auf den Inhalt dieses Kapitels eingehen. Festzuhalten bleibt ein Finale, in dem man durch das Haus zu fliehen versucht und stets innerhalb von Sekunden eine richtige Entscheidung treffen muss. Tut man dies nicht, hat man damit entweder sein Todesurteil unterschrieben, oder kann sich in eine Sackgasse begeben. Stirbt Adrienne, so startet das Spiel an der Stelle bevor wir die falsche Entscheidung getroffen haben. Speichern kann man während des Finales im Übrigen nicht.
Es kann aber durchaus sein, dass man schon davor einen falschen Weg eingeschlagen hat und das Kapitel komplett neu starten muss. Dies ist einer der Designmängel, die für Roberta Williams Titel leider fast schon typisch sind. Das gute ist aber, wenn man am Ball bleibt, findet man nach einer Weile die richtige Kombination von Fluchtwegen und Aktionen heraus. So wird manch einer auf die Zähne beißen müssen, um es zur Endsequenz zu schaffen. Es ist aber definitiv nicht so, dass es in irgendeiner Art und Weise, nahezu nicht zu schaffen wäre. Dies war die negative Seite, es soll aber auch die ( aus meiner Sicht) positive Komponente des letzten Kapitels erwähnt werden. 'Phantasmagoria' hat einen sehr gut aufgebauten Spannungsbogen.
Die Spannung wird stetig gesteigert und endet in einem Finale, das zwar anstrengend ist, aber die Spannung zum explodieren bringt. Einen Adrenalinrausch wie in diesem Herzschlagfinale habe ich jedenfalls nur in wenigen Adventures gesehen.Nur die Sackgassensituation nehme ich Roberta Williams wirklich übel. Das wäre einfach nicht nötig gewesen. Zu mutwillig hat man die Sackgassen akzeptiert, das sollten gute Spiele Entwickler selber merken. Wenn man Glück hat, dann schafft man das Finale in relativ kurzer Zeit. Tut man dies nicht, kann sehr schnell die Motivationskurve stark leiden.
Herrlich schaurig
Anders kann man die wunderschönen Hintergründe nicht beschreiben. In unserer Galerie könnt ihr euch selber einen Eindruck von den grandios-atmosphärischen Hintergründen machen. Kleiner Wehmutstropfen: Die Schauspieler wirken in den eingefügten Hintergründen nicht sehr organisch. Man sieht deutlich, dass sie sich nicht vor realen Kulissen bewegen.
Unterhaltsamen Gruselstunden steht dieses kleine Manko allerdings nicht im Wege. Sehr schnell hat man sich an diesen Umstand gewöhnt. Man sollte bedenken, dass Sierra hier mit noch nicht sehr erprobten Elementen (zumindest in Computerspielen) experimentierte. Optische Klasse hingegen zeigen nicht nur die Hintergründe. Die Räume des Hauses sind mit vielen liebevollen Details dekoriert, die die düstere Atmosphäre des Hauses eindrucksvoll unterstreichen. Die streifigen Videos sind nicht gerade hochauflösend, aber immer noch von ausreichender Qualität.
Scream Queen?
Hauptdarstellerin Victoria Morsell bekommt im Laufe des Spiels jede Menge Grund zum Schreien. So ganz nimmt man ihr die Angst aber nicht immer ab. Gelegentlich wirkt sie etwas steif, aber einen passablen Eindruck hinterlässt sie dennoch. 'Phantasmagoria' ist ein filmisches B-Movie, daher gibt es keinen Grund die schauspielerischen Leistungen zu kritisieren.
Zwei Schauspieler wissen im übrigen aber auch durch Charisma zu überzeugen. Zoltan Carnovash Darsteller Robert Miano (Nebendarsteller in unter anderem: 'Donnie Brasco', 'Das Begräbnis') ist perfekt für die Rolle des besessenen, menschlichen Monsters.Schauspieler Douglas Seale ('Amadeus') gibt den weisen Greis Malcolm nicht minder eindrucksvoll.
Sound
Musikalisch überzeugt 'Phantasmagoria' voll und ganz. Die Musik ist sehr gruselig und nutzt sich nie ab. Zwischendurch und beim Herzschlag-Finale erzeugen finstere Choräle Gänsehautstimmung. Die Musikuntermalung funktioniert fantastisch, in Kombination mit den schaurigen Umgebungen. Dieses Duo bildet einen ganz wichtigen Pfeiler der sehr bedrohlichen Atmosphäre. Permanent versetzt es den Spieler in Furcht, vor dem was an der nächste Ecke lauern könnte.Getestet wurde hier die englische Version von 'Phantasmagoria'. Diese ist Spielern mit Englischkenntnissen auch ganz klar zu empfehlen. Die deutschen Synchronsprecher wirken nicht immer auf der Höhe des Geschehens. Besonders Adriennes Sprecherin weiß nicht so recht zu überzeugen. Allerdings habe ich auch schon viele wesentlich schlechtere Synchronisationen gesehen. Trotzdem lautet mein Rat, die englische Version zu spielen. Allein die Stimme des Hundertzehnjährigen Malcolms sorgt hier für Gänsehaut hoch Zehn. Das Gespräch mit Malcolm im sechsten Kapitel stellt nebenbei – nicht nur aus stimmlichen Gründen - eine der stärksten Szenen des ganzen Spieles dar.
FSK 18
Sierra bewarb 'Phantasmagoria' nicht nur als Spiel für Erwachsene, sondern konkret als sehr brutales Erwachsenenspiel. Eine permanente Gewaltorgie wie Teil Zwei liefert 'Phantasmagoria' zwar nicht, aber die FSK 18 Einstufung kommt nicht von ungefähr. Ist der zweite Teil ein Psychohorror-Splatterspiel, so ist Teil Eins zwar eher eine klassische Schauergeschichte und die brutalen Stellen treten zunächst sehr dosiert auf. Diverse Rückblicke auf Zoltan Carnovashs' Taten fallen dann aber doch sehr heftig aus und im siebten Kapitel zieht Roberta Williams die Brutalitätsschraube noch mal zusätzlich an. Dennoch gibt es nichts zu sehen was nicht auch in jedem Splatterfilm zur Tagesordnung gehört. Trotzdem sollten zartbesaitete Charaktere sich den Kauf zumindest überlegen und einen ausführlichen Blick in unsere Galerie werfen.
Funktionalität auf modernen Rechnern
Die sieben CDs enthalten eine Windows, so wie eine DOS Version.
In den meisten Fällen gibt es einen kleinen Trick um die Windows (95) Version problemlos unter XP zum laufen zu bringen. Startet man das Setup, fragt die Setup-Routine ob man den Funktionalitätscheck durchführen will. Dies verneint man und nun kann man die Windowsversion installieren. Hat man das Spiel schon mal mit Systemtest installieren wollen, muss man die Datei Sierra.ini im Windowsverzeichnis löschen. Jetzt kann man einen weiteren Installationsanlauf starten( Eventuell fährt das Setupmenü dann erst nach einem Neustart hoch). Das Spiel dürfte durch das Umgehen des Testes funktionieren, tut es dies nicht, bleibt einem immer noch die Dosbox.
Bugs
Es gibt zwei Stellen im fünften Kapitel in denen das Spiel in den meisten Versionen stets abstürzt. Diese Abstürze kann man ganz leicht vermeiden.
Nach der Seance in der Scheune gehen wir ins Atelier und klicken auf das einzige anklickbare Item in der Bildschirmmitte- Die so genannte Laterna Magica. Hier erfolgt nun theoretisch -im Verlauf der kurzen Videosequenz- der erste Absturz. Wir klicken diese Sequenz einfach ganz schnell weg und nichts schlimmes ist passiert. Die Laterna Magica zeigt nun auf eine Stelle an der Wand. Wir klicken diese Stelle an und überspringen sofort die Videosequenz.Nun haben wir, außer einem abgrundtief bösem Dämon nichts mehr zu fürchten.
Verfügbarkeit
Über das Internet (z.B. Amazon Marketplace) kann man 'Phantasmagoria' problemlos erwerben.
Natürlich hat 'Phantasmagoria' Gameplay-Schwächen. Die ersten sechs Kapitel kann man nahezu mit verbundenen Augen spielen, während das siebte dann für so einige Frustmomente sorgt. Andererseits sorgt eben dieses ominöse siebte Kapitel mit seinen Echtzeit-"action" Einlagen für den puren Nervenkitzel.
Und in Bezug auf die Gameplay Schwächen muss ich sagen, dass ich lieber mal ein Rätseltechnisch schwächeres Spiel spiele, das mich dafür aber völlig in seinen Bann zieht und mich keine Sekunde langweilt. Man kann halt nicht alles haben. Für mich jedenfalls verfügt 'Phantasmagoria' über genügend Komponenten, die es zu einer sehr unterhaltsamen Angelegenheit machen. Die Story ist einem aus der Filmwelt zwar bestens vertraut, aber hier bin ich Teil der Geschichte und habe eine wesentlich intensivere Bindung zum gesehenen. 'Phantasmagoria' ist vielleicht nicht sehr anspruchsvoll, aber verdammt unterhaltsam und kurzweilig. Die Atmosphäre ist großartig, ebenso die Musik. Gruselig ist es ebenfalls (wenn auch nicht ganz so gruselig wie die filmischen Vorbilder 'The Hauting - Bis das Blut gefriert', 'Landhaus der toten Seelen' oder 'The Shining') - Manchmal subtil, manchmal sehr direkt, was will ich mehr? Der – nicht minder umstrittene - Nachfolger 'Phantasmagoria II: A Puzzle of Flesh' gefällt mir zwar noch einen Tick besser, aber auch für Teil Eins zeigt mein Daumen nach oben!
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Phantasmagoria
- Entwickler
- Sierra
- Publisher
- Sierra
- Release
- 1995
- Trailer
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