Wenn man von Infocom spricht, denken viele Adventure-Freunde zunächst an Textadventures wie die 'Zork'-Reihe. Die Schmiede bereicherte das Genre aber auch mit einigen Grafik-Adventures, von denen wir für einen Klassikertest einmal 'Leather Goddesses of Phobos 2' herausgekramt haben. Das Spiel von Steve Meretzky (der neben dem Vorgänger u.a. auch zusammen mit Douglas Adams das Textadventure zu 'Per Anhalter durch die Galaxie' entwickelt hat) sollte ursprünglich den Mittelteil einer Trilogie bilden, die ihren Start als Textadventure aus dem Jahre 1986 hatte. Acht Jahre später erschien der zweite Teil der Reihe mit dem Untertitel 'Gas Pump Girls Meet the Pulsating Inconvenience from Planet X!' und der Warnung "Mature" - Ein Spiel für Erwachsene. Das Spielecover zeigt dann auch gleich drei Damen in einer 50er-Jahre-Tankstellenuniform mit knappen Rock - auch der Vorgänger zeichnete sich schon durch eine gehörige Portion Erotik aus. Dazu gibt es auf den 19 (!) Disketten der deutschen Fassung sogar echte Sprachausgabe! Begleitet uns auf eine Rettungsmission zu fernen Planeten...

1956, Atom City, USA
Wenn man von seinen Eltern den Namen Barthgub el Nikki-Nikki, Sohn des Jelgobar Zayda-Zayda bekommen hat, haben die Eltern entweder einen seltsamen Sinn für Humor oder man stammt von einer anderen Welt. Zweiteres trifft auf Barth, wie wir ihn nennen dürfen, zu. Er war mit seinem Raumschiff vom Planeten X unterwegs, ehe er in der amerikanischen Wüste nahe der Kleinstadt Atom City abstürzte. Eigentlich wollte er die Erdenbewohner warnen, denn die Ledergöttinen von Phobos planten einen Angriff auf die Erde. Hier wollen sie neue Sklaven für ihren Harem finden. Das klingt besser als es ist, denn wer den sehr hohen Ansprüchen nicht genügt und vielleicht ein Staubkorn beim Putzen übersieht, wird getötet. Barth will nun also die Erdenbewohner warnen, muss dafür aber zunächst seine Wunden heilen, die er sich beim Absturz zugezogen hat. Außerdem plagt ihn der Hunger und auch Ersatzteile für das Raumschiff wollen gefunden werden. Zu allem Überfluss reagieren die "gebräunten Ekel", wie Barth uns Menschen nennt, alles andere als freundlich auf das kleine grüne Tentakelwesen. Der Sheriff und das Militär sehen in ihm eine Bedrohung für die Welt oder schlimmer noch: Ein Angriff der Kommunisten! Gut, dass er in Atomic City auch dem Tankstellenbesitzer Zeke und der Proffessorentochter Lydia begegnet, die dem Neuankömmling freundlicher gegenüber stehen. Nicht zuletzt dank Lydias Vater, der - selbst an einen Rollstuhl gefesselt - die beiden auf eine Erkundungstour zur Absturzstelle schickt. Und während Barth sich um die Raumschiffreparatur kümmert, organisieren Zeke und Lydia Nahrung und Heilmittel für ihren neuen Freund. Zusammen reisen sie zunächst zum Planeten X und von dort weiter direkt nach Phobos, wo sie den Invasionsplan der Ledergöttinen vereiteln wollen.
Trio Infernale
![]() |
Gleich drei Helden stehen für das Spiel bereit |
Zu Beginn des Spiels wählen wir zwischen den drei Spielfiguren eine aus, mit der wir das Abenteuer bestreiten. Während Barth vorwiegend Bauteile für sein Raumschiff sammelt und kaum Rätsel zu lösen hat, stehen den beiden menschlichen Charakteren deutlich mehr Schwierigkeiten gegenüber. Schließlich findet sich atomare Alien-Nahrung nicht einfach so im Supermarkt, ganz zu Schweigen von einer schwefel- und gummihaltigen Heilpaste. Dazu kommen auch Unterschiede in der Erzählung. Mit Barths Augen betrachtet, bietet die für uns bekannte Welt spannende und oftmals witzige Erkenntnisse. So sieht er etwa das Namensschild "Zoe" auf der Uniform einer Tankstellenangestellten, kann damit aber selbst nichts anfangen. Sein Universalübersetzer erkennt darin das Wort "Zoo" (mit Schreibfehler) und liefert eine kurze Erklärung des Begriffs ab. Das sorgt bei Barth für Verwirrung, beim Spieler hingegen für Erheiterung.
![]() |
Die Sprüche sind zum Teil "etwas" flach... |
Anders verhällt es sich bei Zeke und Lydia, deren Geschichte sich annähernd identisch spielt, große Unterschiede im Lösungsweg gibt es hier nicht. Auch der Humor ist deutlich weniger ausgeprägt, stattdessen wird mehr auf "Erotik" gesetzt. Während Lydia sich über die Männer des Ortes hermachen kann, kommt Zeke den Damen näher. Nahezu alle andersgeschlechtlichen Charaktere können während des Gesprächs auch geküsst werden, bei einigen erscheint auch eine Schraube (Screw = Schrauben) als mögliche Interaktion. Im Englischen steht "to screw somebody" auch umgangssprachlich für Sex haben. Und das passiert dann auch. Allerdings anders als bei den 'Larry'-Adventures aus einer ähnlichen Zeit, bei denen wir durchaus noch ein klein wenig in der Szenerie verbleiben und uns das Geschehen erahnen können. Hier blendet das Spiel um auf Bilder von startenden Raketen oder fliegenden Zeppelinen. Das mag dem Spiel so manche peinliche Situation ersparen, denn schon die vorgelagerten Gespräche von Zeke Zamen (gesprochen "Seek Samen") und den Damen sind schlimm genug. Sicher, das Spiel stammt aus einem anderen Jahrhundert. Was damals vielleicht noch durchging, sorgt heute eher für Fremdschämen am Monitor.
Beste B-Movie-Unterhaltung
![]() |
Barth erkundet eine fremdartige Welt: Die Erde |
Außer dem Aufreissen gibt es ja noch eine Geschichte zu erzählen. Die erinnert nicht nur in der Zusammenfassung an verschiedene B-Movies: An jeder Ecke finden sich Anspielungen auf frühe SciFi-Streifen. Und viel länger als ein bis zwei dieser Filme dauert auch unser Spiel nicht. Selbst beim ersten Durchgang sieht man bereits nach wenigen Stunden den Abspann über den Bildschirm laufen. Immerhin steigt der Wiederpsielwert durch die drei Charaktere, die für zwei unterschiedliche Lösungswege stehen. Ab der zweiten Spielhälfte läuft das Geschehen dann wieder zusammen und alle Helden spielen sich gleich. Kleiner Tipp am Rande: Wenn man das Abenteuer beginnt und alle drei Charaktere spielen möchte, sollte man zunächst Barth wählen, da man ansonsten in einige Spoiler tappen wird.
Dem Spiel merkt man an, dass die Entwickler aus der Textadventure-Welt kommen. Die Bewegungen und viele der Rätsel laufen ähnlich ab, die Möglichkeiten der Grafik werden nur selten ausgenutzt. So bestehen viele Rätsel darin, die richtigen Gegenstände zu finden und vielleicht wieder einzusetzen. Manipulation an Objekten kommt fast nie vor und freilich fehlt auch die Überlegung, welche Worte man eintippen kann. Fans der früheren Spiele bemängeln daher den zu einfachen Schwierigkeitsgrad und die damit einhergehende kurze Spielzeit. Schön ist immerhin eine Fülle von unnötigen Dingen, die für etwas mehr Knobelei sorgen können. Oftmals ist die Lösung aber so naheliegend, dass man schnell weiterkommt. Trotz der Kürze kann das Spiel atmosphärisch überzeugen, der Charme der B-Movies wird gut eingefangen. Die Story bringt auch ein nahezu geschlossenes Ende mit, obwohl am Ende ein dritter Teil der Reihe angekündigt wird. Der dürfte - sollte kein Wunder / Kickstarter geschehen - aber nie mehr erscheinen.
Maus statt Tastatur
![]() |
Mit dieser Dame dürfen wir "schrauben"... |
Für 'Leather Goddesses of Phobos 2' tauschen die Entwickler die Tastatur mit Textparser ein gegen eine recht gute Maussteuerung. Über Hotspots verwandelt sich der Cursor, aufgenommene Gegenstände werden ebenfalls direkt angezeigt, man klickt damit dann in die Spielwelt. In Gesprächen zeigen uns kleine Icons am Bildrand die möglichen Themen und Interaktionsmöglichkeiten an (Kussmund und Schraube lassen grüßen) und alle eingesammelten Objekte landen in einem Inventar, dass sich in einer Bildschirmecke verbirgt, vergleichbar mit dem Inventar, wie es LucasArts ein Jahr später bei 'Sam & Max' einsetzte. Auch die Steuerung funktioniert gut, Mauspfeile zeigen die entsprechenden Richtungen an. Leider ist nicht immer ganz eindeutig, ob man über den angezeigten Pfeil in ein Haus tritt oder in eine andere Richtung abbiegt. Da das Spiel auf aktuellen Rechnern aber keine Ladezeiten hat und es auch keine zeitkritischen Rätsel gibt, ist das nicht weiter schlimm.
Tolle Grafik und Sprachausgabe
![]() |
Mit diesem unscheinbaren Stecker waren auch PCs ohne Soundkarte zu "guten" Sounds fähig. |
Wir erleben das Spiel aus der Ego-Perspektive, die einem Comic entsprungen scheint, in einer für 1992 durchaus noch vertretbaren Grafikauflösung von 320x200 Pixeln. Und trotz der Warnung "Mature" geht es auch hier noch vergleichsweise züchtig zu. Gerüchten zufolge wurden einige Szenen sogar entschärft, wie Mobygames verrät. Dennoch ist 'Leather Goddesses of Phobos 2' ganz sicher kein Spiel für Kinder, dafür betont die Grafik einige Körperteile dann doch zu sehr. Der Soundtrack ist stimmig und kann sogar im Spiel via Jukebox oder Radiostation geändert werden. Eine gute Auswahl hat man auch bei den Sprechern getroffen, die allesamt zu ihren klischeebehafteten Rollen passen. Sei es die naive Blondine, der strenge General oder der schmierige Gebrauchtwagenhändler - alle Sprecher treffen ihre Rolle sehr gut. Zumindest, sofern man das aufgrund der in diesem Fall schlechten Tonqualität beurteilen mag. Damit das Spiel auf Disketten passt, musste wohl eine starke Kompression her, die sich in der Qualität der Sprachausgabe deutlich bemerkbar macht. Aber immerhin sind alle Texte komplett deutsch vertont. Dem Spiel lag übrigens auch ein kleiner Stecker bei, den man an den Parallel-Port des PCs anschließen konnte (da wurden zu der Zeit beispielsweise Drucker oder Scanner angeschlossen) und über den dann der Sound abgespielt werden konnte, ohne dass der PC eine Soundkarte besaß. Passende Lautsprecher, Kopfhörer oder eine Stereo-Anlage vorausgesetzt.
Verfügbarkeit und Kompatibilität
Leider gibt es die 'Leather Goddesses of Phobos'-Reihe derzeit in keinem Retro-Angebot, so dass nur der Weg zum Gebrauchtmarkt bleibt. Die englische Version des Spiels findet man problemfrei bei eBay, eine deutsche komplette Ausgabe zu einem erschwinglichen Preis muss man lange suchen. In jedem Fall läuft 'Leather Goddesses of Phobos 2' problemfrei in der DosBox. Man sollte das Spiel aber regelmäßig speichern, denn schon bei der Veröffentlichung 1992 führten einige Bugs zu regelmäßigen Abstürzen.
Wer an der Geschichte des Adventure-Genres interessiert ist, kein Problem mit B-Movies und ein paar Stunden Zeit für einen Nostalgie-Trip hat, sollte 'Leather Goddesses of Phobos 2' einmal anschauen. Es ist nicht nur ein Zeitzeuge für Infocoms Wechsel zu Grafik-Adventures und den treffenden Humor von Steve Meretzky sondern ist auch eines der ersten Adventures mit komplett deutscher Sprachausgabe. Leider darf man keine tiefgehenden Rätsel erwarten und auch die Anmachsprüche von Zeke sind nur flach. Dennoch weiß das Spiel gut zu unterhalten. Kenntnisse des Vorgänger-Textadventures sind übrigens nicht notwendig.
-
Leather Goddesses of Phobos 2
- Entwickler
- Infocom
- Publisher
- Activision Blizzard
- Release
- 1992
- Sprachen
-
- Systeme
-
- Stichwörter