Mit dem 2-D-Point&Click-Adventure 'Tormentum: Dark Sorrow' erschien soeben ein weiteres Indie-Spiel, das vor einigen Monaten via Crowdfunding unterstützt wurde – allerdings zur Abwechslung nicht bei Kickstarter, sondern bei Indiegogo. Entwickelt wurde es von OhNoo Studio, einem dreiköpfigen Team aus Polen. Auf den ersten Blick besticht dieses Projekt durch einen markanten, surrealen Grafikstil (entstanden mit der 'Adobe Flash Professional'-Engine). Ob die technische und inhaltliche Umsetzung mithalten kann, haben wir uns nun im Test genauer für Euch angesehen.

Der namenlose Gefangene
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Auf dem Weg zur Festung |
Ein Namenloser wird als Gefangener per Luftschiff in eine düstere Festung zwischen Traum und Albtraum gebracht. Es ist ein Ort, wo schlechten Menschen das Böse quasi ausgetrieben wird und von den Insassen bleibt am Ende dieser moralischen Behandlung für gewöhnlich wenig übrig. Da wir die Schmerztoleranz des Protagonisten ungern auf die Probe stellen wollen, machen wir uns daran aus jener Zelle auszubrechen, in die man ihn gebracht hat. Viel wissen wir nicht über den Mann des Spiels. Sein Gedächtnis hat er verloren und die einzige verbliebene Erinnerung ist eine mysteriöse Statue mit zum Himmel empor gerichteten Händen. Diese Skulptur will er nun erreichen, wozu wir die Festung irgendwie verlassen müssen. Obwohl der Namenlose bis hin zum Finale ein eher unbeschriebenes Blatt bleibt, kann man sich eine Sache vom Start weg denken: er ist an diesem quälenden Ort nicht ohne Grund gelandet!
Interessanter inhaltlicher Ansatz mit Schwächen
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Der Protagonist ist ein Mysterium... |
Erst gegen Ende - nach rund vier Stunden Spielzeit - entfaltet sich das inhaltliche Konzept von OhNoo. Und ja, es folgt einem interessanten Ansatz (mehr ins Detail möchte ich an dieser Stelle nicht gehen, um nicht zu viel vorwegzunehmen). Bis dahin fehlte mir jedoch der rote Faden, weshalb die Geschichte sich in die Länge zog und selbst die interessante Auflösung mich nicht packen wollte. Ein Grund dafür war, dass der Namenlose erstaunlich wenig von sich preisgibt und blass bleibt. Anfangs findet kurz Erwähnung, wonach er sucht. Danach geht dieses Ziel aus dramaturgischer Sicht etwas unter - auch angesichts vieler Mini-Game-Einlagen, die das Geschehen zerpflücken. Es will einfach kein Gefühl von Dringlichkeit entstehen.
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... aber ob er dieses Gefängnis verdient hat? |
Man kann das inhaltliche Konzept aber auch so verstehen, dass bei 'Tormentum' gar nicht so sehr der Protagonist im Zentrum steht, sondern vielmehr die Persönlichkeit des Spielers, die durch moralische Entscheidungen ihren Ausdruck findet. Doch selbst für diese Sichtweise hätte ich einen besseren Zugang zu dieser Welt und zum Namenlosen benötigt, um mich hineinzuleben. Es wäre falsch zu behaupten, wir würden in dieser Welt überhaupt nichts über die Hauptfigur erfahren. Tatsächlich sind die hier erlebten Ereignisse nicht losgelöst von ihrem Schicksal, sondern quasi indirekt verwoben. Die Chancen stehen allerdings gut, dass diese narrativen Verbindungen beim ersten Durchlauf untergehen. Vorstellbar ist so gesehen, dass dieses surreale Adventure beim zweiten Mal bedeutend besser funktioniert. Das wiederum würde eine erneute Beschäftigung mit vielen Mini-Games voraussetzen, was nicht jeden motivieren dürfte.
Teilchen suchen, Mini-Games und moralische Entscheidungen
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Wer Mini-Games nicht mag, ist hier an der falschen Adresse |
Klassische Logik-Rätsel gibt es ein paar, doch die sind überschaubar und beschäftigen kaum länger als ein, zwei Minuten. Der Hauptteil besteht aus zahlreichen Mini-Games (Schieberätsel, Zahnräder, Umfüllaufgaben und dergleichen - das volle Programm eben) sowie kleinen Suchspielen (drei Scherben oder Körperteile suchen und andere Dinge dieser Art). Diese Aufgaben sind ansich gut gelungen, mehr Rückendeckung von der Story wäre jedoch von Vorteil gewesen. Einige Rätsel löst man eher des Rätsels wegen und nicht etwa deshalb, weil man antizipieren könnte, inwiefern es einem für den Fortlauf der Handlung nützt.
Für manche Mini-Games wurden in der Umgebung Anweisungen zur Lösung versteckt, auch wenn diese manchmal auch mit den Mitteln der Logik zu knacken wären. Allerdings bewegt man sich schon in der Festung zwischen zwei Dutzend Räumlichkeiten hin und her, was bei der Suche etwas den Spaß rauben kann. Gut eignet sich die Festung bestimmt nicht zur Orientierung, da die Räumlichkeiten mitunter etwas willkürlich angeordnet wirken. Der Ärger bewegt sich hier aber im erträglichen Rahmen.
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Sollen wir für diesen sympathischen Gesellen einen Mord begehen? |
Prägendes Element des Spiels sind zudem moralische Entscheidungen, die später den Ausgang bestimmen: Wem geben wir ein mächtiges Artefakt? Erlauben wir einem Verbrecher eine zweite Chance? Verschaffen wir uns Zugang zu einem Ort oder Objekt durch Gewalt, oder suchen wir einen anderen Weg? Manchmal gibt es mehr als eine Herangehensweise und es macht Sinn, sich im Zweifel nach alternativen Lösungen umzusehen. Da es nur einen Speicherstand gibt, ist eine getroffene Entscheidung hinterher nicht mehr umkehrbar.
Oft hätte ich mir mehr Informationen gewünscht, um mich besser in die Situation hineinzuleben. Schade, dass Gespräche mit anderen Personen stets wie ein kurzer Monolog ablaufen, während dem wir keine Frage stellen können, sondern nur den Zuhörer mimen. Beispielsweise, wenn ein Harlekin um Freiheit bittet, den wir kurz zuvor als echten Psychopathen erleben durften. Ehe ich in so einem Fall tatsächlich Gnade walten lasse, hätte ich dieser Person gern ein paar Fragen gestellt (aber vielleicht bin ich ja zu misstrauisch...). Übrigens ist beim Drücken von Knöpfen Vorsicht geboten, denn so eine Aktion kann im Hinblick auf andere Charaktere über Leben und Tod entscheiden (der Protagonist stirbt allerdings nicht). Die Umgebung bietet immer wieder Hinweise zur Funktionalität und manchmal auch zu einzelnen Personen.
Visuell interessante Umsetzung mit Kompromissen
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Stimmungsvolle Impressionen gibt es nicht zu knapp |
Besonders auffällig an 'Tormentum' ist der markante Grafikstil. Das polnische Entwicklerteam nennt H.R. Giger und Zdzisław Beksiński als Inspirationsquelle, was nicht von ungefähr kommt. Stimmungsvoll sind die 75 Schauplätze in jedem Fall, doch an die morbid-beängstigende Intensität eines Gigers reicht es nicht heran. Eher fühlt es sich wie die kindlichere, um nicht zu sagen nettere Version davon an. Es wäre natürlich viel verlangt von OhNoo, in die Fußstapfen großer Meister zu treten und mit dem fantasievollen Resultat kann man vor allem als kleines Indie-Studio sehr zufrieden sein. Leider wird die Grafik nur im nicht mehr zeitgemäßen 4:3-Format angezeigt.
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Notizen enthalten ab und zu Informationen, die uns bei Entscheidungen helfen |
Theoretisch wäre 'Tormentum' ein 3rd-Person-Adventure. Da die Spielfigur im Prinzip nur herumsteht und nicht frei steuerbar ist, gibt es jedoch keinen praktischen Unterschied zu statischen 2-D-First-Person-Spielen. Lässt man die Spielfigur mit der Umgebung interagieren, sehen wir für gewöhnlich sofort das Resultat dieser Interaktion und nicht die Interaktion an sich (ihre Bewegungen sind also nicht animiert). Damit etwas Leben in die Schauplätze kommt, gibt es immer wieder nette, nicht sonderlich komplexe Animationen. Hin und her schaukelnde Ketten, einen Mann, der wiederholt von Stacheln durchbohrt wird und andere charmante Kleinigkeiten. An jedem Ort werden nutz- oder aufnehmbare Objekte optisch hervorgehoben, was die Suche erleichtert (nur diverse Bucheinträge und dergleichen, sind auf keine solche Weise markiert) . Dabei erfüllt die schlichte Point&Click-Steuerung ihren Job ohne grobe Macken. Gegenstände können im Inventar nicht miteinander kombiniert werden und es ist ein wenig schade, dass man Items nicht per rechter Maustaste ablegen kann und sie stattdessen immer extra per Mauszeiger zum Inventarsymbol führen muss.
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Hatte ich schon erwähnt, dass es viele Mini-Games gibt? |
Angesichts des geringen Budgets ist auch der Verzicht auf eine Sprachausgabe nachvollziehbar. Die kurzen Texteinblendungen zwischen den Kapiteln wurden dafür ansprechend auf Deutsch übersetzt und verleihen dem Spiel einen philosophischen Beigeschmack, was prima zur inhaltlichen Ausrichtung passt. Auch auf musikalischer Ebene schimmern die beschränkten finanziellen Mittel durch. Das Niveau schwankt, die Klangqualität könnte besser sein und dennoch wird die surreale Stimmung sehr solide untermalt. Die Musik drängt sich selten unnötig in den Vordergrund, bleibt aber vermutlich auch nicht so sehr in Erinnerung. Hingegen wäre bei den Sound-Effekten gerade aus atmosphärischer Sicht deutlich mehr drin gewesen, denn die sind leider ziemlich langweilig geraten.
Am Ende blieb 'Tormentum' für mich wie ein hübsches Gemälde, das sich nicht bleibend in mein Gedächtnis bohren wollte. Bei der Geschichte hat mir letztlich ein roter Faden gefehlt. Das Geschehen schien phasenweise etwas zerhackt, insbesondere aufgrund der vielen Mini-Games, deren Relevanz fürs eigentliche Ziel, sich mir oft nicht gleich erschloss. Um tiefer in die Geschichte eintauchen zu können, hätte ich mehr Informationen benötigt. Trotzdem bietet 'Tormentum' richtig spannende Ansätze. Zum Beispiel ist das Setting unverbraucht, es gibt alternative Herangehensweisen und die moralischen Entscheidungen spielen am Ende tatsächlich eine Rolle. Mit einer ausgefeilteren Erzählweise, sowie einer ausgewogeneren Mischung aus Logik-Rätseln und Mini-Games, hätte das ein klasse Adventure werden können. So kann ich 'Tormentum' allerdings eher nur jenen ans Herz legen, die den ungewöhnlichen visuellen Stil mögen, Rätsel auch gerne mal des Rätsels wegen lösen und Mini-Games nicht per se ablehnen.
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Tormentum - Dark Sorrow
- Entwickler
- OhNoo Studio
- Publisher
- OhNoo Studio
- Release
- 4. März 2015
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.ohnoo.com
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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