Lange hat es gedauert, nun ist es endlich da: 'Fahrenheit' sorgte lange vor Release für hitzige Diskussionen, Spekulationen, aktiven Speichelfluss und aufgeregtes Zucken in den Augen. Das "Über-Adventure" auf das alle gewartet haben. Das wirkliche 'Far Cry' des Adventure-Genres. Oder doch nicht? Ein Spiel wo nichts und alles möglich sein kann, gibt's so etwas überhaupt? All die Versprechungen von einer neuartigen Form des interaktiven Filmes, der "Interactive Drama Experience", konnten die gehalten werden? Wir von der Adventure Corner haben uns für euch in die Rolle eines Mörders versetzt und einen hartnäckigen Fall gelöst, der fast unsere Vorstellungskraft gesprengt hat. Was wir mit David Cages angeblichen Mammut-Spiel so alles erlebt haben, berichten wir hier und jetzt ausführlich in unserem Mega-Test: Ataris Hoffnungsträger 'Fahrenheit' geprüft auf Herz und Nieren... und blutigen Messern.

Gestatten, Lucas Kane
"Mein Name ist Lucas Kane. Meine Geschichte ist die eines gewöhnlichen Menschen, dem etwas Ungewöhnliches wiederfährt." Langsam zeichnet sich die Silhouette eines sitzenden Mannes auf dem Bildschirm ab und aus dem Off berichtet uns die Stimme Kanes vom Leben und vom Schicksal der Menschheit. Er erzählt uns, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie zu sein scheinen und dass das Leben einiges mitbringt, was wir nicht vorhersehen können.
Spielplatz des Geschehens ist New York. "New York, die Hauptstadt des Universums", wie Kane sie nennt, "das Schachbrett auf dem das Schicksal seine letzte Partie spielen würde." In New York beginnt die ganze Geschichte: Seit mehreren Tagen sucht eisige Kälte die Grossstadt ein und Lucas Kane, nichtsahnend wie tausend andere Stadtbewohner, macht sich auf, um sich ein Abendessen im Doc's Diner einzuwerfen. Ganz so gemütlich wie er sich das vorgestellt hat, wird der Abend allerdings nicht: Ehe er sich versieht steht er mit blutverschmierten Kleidern und einem Messer in der Hand in der Toilette über einer Leiche gebeugt. In seine Unterarme hatte jemand ein mysteriöses Symbol geritzt. Die Leiche ein Unbekannter und Lucas Kane ab heute ein eiskalter Mörder. Völlig verwirrt und beinahe am Boden zerstört rappelt sich der junge Bankangestellte auf und versucht irgendwie wieder zur Besinnung zu gelangen. Was ist hier passiert? Was hat er getan? Ist er wirklich der Mörder dieser unbekannten Person, die nun tot vor ihm liegt? Er wusste, er hatte es getan, doch... er war nicht er selbst. Wie eine Marionette hatte er dreimal auf den Unbekannten eingestochen. Und wer war dieses Mädchen, dass er vor seinem geistigen Auge gesehen hatte? Alles was Lucas Kane bisher zu wissen glaubte, verlor auf einmal an Bedeutung. Sein einziges Ziel: So schnell wie möglich weg von hier...
Der Anfang vom Ende, 27. Januar, - 17° C Und hier kommen wir ins Spiel. Unsere Aufgabe: Lucas Kane irgendwie aus der Patsche zu helfen, wobei einem Gedanken durch den Kopf rasen, was wir an seiner Stelle tun würden. Egal was, wir müssen auf jeden Fall etwas tun und das sofort. Ansonsten ist das Spiel schneller zu Ende, als das es begonnen hat. Nun gut, wir sind ein eiskalter Mörder. Schaffen wir die Leiche weg oder rennen wir einfach zur Türe hinaus? Unsere Hände sind blutig, sollten wir die nicht vorher waschen? Wenn wir ganz ordentlich sind, könnten wir sogar das Blut vom Boden mit einem Mob aufwischen und uns die Hände nach dem Waschen abtrocknen. Oder wir gehen raus, als wäre nichts passiert, essen unser Abendessen zu Ende, lesen an unserem Buch "Der Sturm" von Shakespeare weiter, bezahlen die Rechnung und verschwinden von hier. Oder sollen wir uns stellen? Was wollen wir dem Polizisten sagen, der an der Theke sitzt. Den anderen Gästen im Restaurant? Oder sollen wir sie am besten alle ignorieren?
Egal was wir tun, egal wie wir reagieren: Es hat Auswirkungen auf den Werdegang der Geschichte. Setzen wir uns beispielsweise wieder zurück an unseren Platz im Diner, wird Carla Valenti, die ermittelnde Polizistin im nächsten Kapitel Blutspuren an der besagten Stelle vorfinden. Oder verstecken wir als Lucas Kane irgendwo in der Toilette die Tatwaffe, werden wir sie als Tyler Miles wieder finden müssen.
Offensichtlich ist der Spieler in seiner Entscheidung völlig frei. Nicht das so etwas überhaupt möglich wäre. Völlige Entscheidungsfreiheit, eine Geschichte die sich nur im Sinne des Spielenden entwickelt – so was gibt es (noch) nicht. Aber von allen vorgegebenen Aktionen, von allen Objekten die wir verwenden, Themen die wir bei Gesprächen ansprechen oder Gebiete die wir betreten können, dürfen wir völlig frei selbst darüber entscheiden, was wir nach welchem Muster machen möchten.
Der Mörder, das emanzipierte Bullenweib und der Quoten-Schwarze
Lucas ist also nicht die einzige Spielfigur auf dem Schachbrett, in dessen Haut wir schlüpfen dürfen. Genauso werden wir als Jäger in die Schlacht ziehen können, um denjenigen zu finden, mit dem wir zu einem anderen Zeitpunkt auf der Flucht waren. Durch das Wechselspiel der beiden Cops Carla und Tyler, sowie dem Antihelden Lucas, entsteht eine ziemlich kuriose Erzählweise: Als Lucas Kane hinterlassen wir Hinweise, rennen weg und versuchen uns zu verstecken. In der Haut von Carla oder Tyler erforschen wir die Lücken, die wir als Lucas vernachlässigt haben, verwenden sie um uns selbst aufzuspüren und somit dem Mörder das Handwerk zu legen.
Egal wie verwirrend dieses Katz und Maus Spiel auch sein kann, die Rollen sind klar verteilt: Carla Valenti ist von Anfang an die toughe Polizistin, die mit knapp 30 Jahren noch immer Single ist, so gut wie nur für ihre Arbeit lebt und einen schwulen Nachbarn als einzigen, persönlichen Ansprechpartner besitzt. Das ultimative Duo bilden aber sie und Tyler Miles. Tyler, der coole Afro-Amerikaner mit einem Fable für Motown und hübsche Frauen hat immer den passenden Spruch auf Lager. Natürlich ist er gerne auch der nörgelnde, faule Kontrast zu seiner Kollegin und würde am liebsten Nächte lang zu Hause mit seiner Freundin Sam im Bett verbringen.
In einer Passage schlüpft man auch in die Rolle von Lucas als kleines Kind, wobei durch Flashbacks vergangene Ereignisse gezeigt werden, um den Plot etwas zu beleuchten. Auch sein Bruder Markus Kane wird man in einem sehr kurzen Abschnitt einmal steuern können.
Ein Druck auf die Taste und die Tränendrüse Im Spiel beschäftigten wir uns nicht nur mit dem eigentlichen Fall, sondern auch mit dem Privatleben der beteiligten Personen. Durch die jüngsten Umstände unterziehen sich alle Parteien verschiedenster Veränderungen und wir, sowohl als Zuschauer, als auch als Spieler, werden direkt ins Geschehen hineingezogen.
Vor allem Lucas Kane wird während der Geschichte mit einigen Elementen konfrontiert, die selbst an der emotionalen Seite des Spielers zerren können. Zart besaitete Gemüter werden sich an seiner Beziehung zu Tiffany, seine Ex-Freundin erfreuen. Und auch mit Lucas' Beziehung zu seinem Bruder kommt ein wenig Gefühl in die ganze Sache. Nach den einleitenden Worten von Programmierer und Storywriter David Cage zu urteilen, sollen dies wohl die Basis-Faktoren einer Art von Pionier-Videospiel sein, welches das interaktive Erlebnis am PC zu einem "wahren, Empfindungen übermittelnden Ausdrucksmittel" machen sollen.
Das funktioniert leider nicht immer, da die Geschichte von 'Fahrenheit' vor allem im letzten Drittel einen besonders skurrilen, absolut übertriebenen Verlauf nimmt. Neben dem unrealistischen Ausklang der Geschichte, gehören hier auch die Bettgeschichten der Protagonisten, die trotz ihrem sehr sensiblen Aufbau im ersten Teil des Spiels vor allem gegen Ende eher im Sinne einer irrelevanten Nebensächlichkeit abgehalten werden. Ganz nach dem Motto: "Gut, wir hatten die ersten paar Stunden eine gehaltvolle Geschichte erzählt, lasst uns jetzt noch die üblichen Action-, Fantasy- und Erotikszenen reinschmeissen!"
Und doch versprüht 'Fahrenheit' an den meisten Stellen eine Art menschlichen Charme. Ein Beispiel: Tyler wird von Clara zur Arbeit gerufen. Der junge Ermittler hat nach den turbulenten Ereignissen der letzten Nacht natürlich verschlafen. Nachdem er sich frisch geduscht und angezogen hat und bereits aufbruchsbereit vor der Türe steht, können wir mit ihm noch einmal zurück gehen, um Samantha einen Abschiedskuss zu geben. Hat es so was schon Mal irgendwo gegeben?
Eine Prise Neo, ein Stückchen Mulder und als Dessert: ein kleines bisschen Grössenwahnsinn Die Story, die ganz offensichtlich der wichtigste Bestandteil von 'Fahrenheit' darstellt, hat so ihre Höhen und Tiefen. Man könnte jetzt stundenlang über den Verlauf diskutieren, den die Geschichte gegen Ende des Spiels nimmt und garantiert werden sowohl die Meinungen als auch die Geschmäcker der Konsumenten auseinander gehen. Fakt ist, dass sich die Story unerwartet Genre-übergreifend entwickelt. Ohne zuviel vorweg zu nehmen, orientierte sich Cage mit seinem Konzept an diversen, stilkräftigen Filmvorlagen wie 'Seven', 'Akte X' und vor allem (gegen Ende des Spiels) an die 'Matrix'-Filme.
Ebenso ist ein gewisser inspirativer Ursprung in bekannten Animes zu erkennen. Trotzdem ist 'Fahrenheit' keine gewöhnliche Form von Genre-Bastard, der sich frech an bestimmten Vorlagen bedient, sondern entwickelt durch eine einzigartige Erzählweise einen ebenso einzigartigen Charme.
Manchen aufmerksamen Konsumenten mögen aber Fragen aufkommen wie: "Ein Orangener Clan und ein Lila Clan? Wie kommt man auf so eine bescheuerte Idee?" Oder: "Die spannendste Verfolgungsjagd der Videospielgeschichte und die kleine Göre verzieht keine Miene?" Oder aber auch: "Der Typ ist tot, wie kann der mit dem Mädel schlafen? Eigentlich sollte man als Leiche doch Potenzprobleme haben... oder etwa nicht?"
Von den vielen Brandlöchern in der Decke der Vernunft und Logik einmal abgesehen, bietet das Spiel auf alle Fragen die während dem Ablauf der Geschichte aufkommen, seine persönlichen Antworten – auch wenn viele der Antworten den meisten Spielern nicht gefallen werden.
Weder Bruckheimer noch Wachowski oder Fincher, sondern ganz klar Cage
Vergleiche mit Film-Vorlagen sind vor allem im Falle 'Fahrenheit' alles andere als weit hergeholt. Das Spiel selbst kann man getrost als eine erweiterte Form des "Interactive Movie" bezeichnen. Die Aufmachung ist durch und durch cineastisch: Jede Szene, ob ruhig oder Action-Sequenz wird meistens aus verschiedenen Kameraperspektiven erzählt. Dabei wechseln sich schnelle Schnitt-Rythmen mit weichen Übergängen oder dem knallharten, schnellen Wechselspiel von unterschiedlichen, kontraststarken Bildern ab. Dabei entsteht ein dynamisches Zusammenspiel von Bildeindrücken, wie wir es sonst nur von der Qualität her aus grossartig-inszenierten Kinofilmen kennen. Oftmals wird auch mit Splitscreens bearbeitet, was eine Szene gleichzeitig von verschiedenen Kamerapositionen beleuchtet. Das sieht nicht nur verdammt cool aus, sondern lässt sich auch angenehm spielen.
Die Protagonisten agieren dabei wie richtige Schauspieler. Die Figuren wurden für das Spiel über eine ausgefeilte Form des "Motion Capturing" integriert und passen perfekt in das Filmgeschehen. Keine Frage, David Cage hat ein Recht sich als eine Art cinematographischer Pionier zu sehen. Seine ganz persönliche Handschrift in der Inszenierung, die einige bereits aus dem Vorläufer Spiel 'The Nomad Soul' kennen dürften, ist das unwiderufliche, stilistische Hauptaugenmerk des Spiels.
Selbst die im Spiel vorhandenen Sport- und Kampfsequenzen wurden mit aufwendiger Kampfchoreographie zuvor einstudiert und anschliessend nachgestellt. Eine Verfilmung des Plots würde sich nicht lohnen, da es kaum möglich wäre, das Spektakel in einem zweistündigen Kinofilm ebenso meisterlich zu inszenieren, wie es Quantic Dream mit dem Videospiel 'Fahrenheit' gelang.
Keine Kopfschmerzen und kein Gin, oder Gin und Kopfschmerzen?
Quantic Dream haben wohl lange an einem für ein solches Spielprinzip ausgefeiltes Handling nachgedacht. Rausgekommen ist folgendes: Durchwährend hält der Spieler die Hände auf Maus und Tastatur in Bereitschaft. Die Maus ermöglicht es, die Kameraeinstellungen zu ändern oder das Bild zu bewegen, um sich umzusehen. Durch Klick auf die Leertaste kann man von der Dritten- in die Ego-Perspektive Wechseln. Durch Halten der linken Maustaste kann man sich dann in den Räumlichkeiten fortbewegen.
Auch, oder vor allem durch die Verwendung der Richtungstasten bewegt man die Spielfigur in alle Himmelsrichtungen. Durch Halten der "Shift"-Taste kann man zudem Rennen, was vor allem bei Sequenzen unter Zeitdruck relevant ist. Es kommt nicht selten vor, dass man in 'Fahrenheit' eine begrenzte Zeitperiode zur Verfügung hat, um eine Reihe von Aktionen auszuführen, oder zu einem bestimmten Ort zu gelangen. Läuft der Zeitpegel ab, ist das Spiel zu Ende und ein "Game Over"-Screen erscheint. Durch einen Rücklauf-Button kann man dann am letzten Save-Point wieder ansetzen. Gespeichert wird im Spiel automatisch, eine manuelle Speicherung ist nicht möglich. Bereits erledigte Kapitel können über das Hauptmenü wieder aufgerufen und nochmal nachgespielt werden.
Es kommt nicht selten vor, dass Lucas Kane oder einer der anderen Charaktere durch unglückliche Umstände das Zeitliche segnen. Wer zum Beispiel nicht weiss, dass man, gleich nachdem man eine Kopfschmerztablette eingenommen hat, keinen Alkohol trinken sollte, erhält im Spiel den ernüchternen Einblick in die Konsequenzen, die ein solcher Konsum nach sich ziehen kann...
*Plopp* Öffne Tür *Plopp* Küsse Frau *Plopp* Trink Kaffee
Sieht die Spielfigur einen interessanten Gegenstand oder ein Objekt mit dem sie interagieren kann, ploppen oben auf der Bildanzeige kleine Symbole auf, die zeigen, welche Aktionen ausgeführt werden können. Ein besonders hübsches Beispiel und zudem Merkmal für diese experimentelle Form der "Interactive Drama Experience" stellt zum Beispiel der Konsum von Kaffee dar. In keinem bisherigen Computerspiel wurde eine interaktive Handbewegung so liebevoll inszeniert wie hier: In Doc's Diner dürfen wir das wohltuende koffeinhaltige Getränk mit einer vorsichtigen Mausbewegung einschenken. Das heisst, man vollführt eine in einem Ovalen-Symbol angezeigte Route mit der Maus, wobei die Spielfigur parallel dazu dieselbe Bewegung mit der Hand vollführt. Im Falle des Kaffees wird also der Kaffee zuerst mit einer Aktion in die Tasse gefüllt und anschliessend mit einer weiteren Mausbewegung an den Mund geführt. Zwar sind nicht alle Interaktionen so liebevoll inszeniert, aber doch eine nennenswerte Anzahl. Auch ein Fernseher wird nicht "einfach" angeschaltet. Nein, man setzt sich auf die Couch, nimmt die Fernbedienung, schaltet den Fernseher ein und switcht durch die verschiedenen Kanäle. Und wie erwähnt werden alle möglichen Aktionen mit kleinen Symbolen angezeigt.
Ein ähnliches Prinzip verläuft während den Gesprächen. Wenn zwei Figuren miteinander kommunizieren erscheinen oben in einer Leiste die verfügbaren, ansprechbaren Themen. Es werden nie mehr als vier Themen angezeigt. Ausgewählt wird durch eine Mausbewegung in die jeweils markierte Himmelsrichtung. Zudem läuft während den Gesprächen ein Zeitbalken, der angibt, wie lange die Spielfigur mit einer Antwort warten darf, bevor das Gespräch automatisch beendet wird.
Keine Unordnung im Gepäck
Da 'Fahrenheit' sowieso nicht als konventionelles Adventure-Spiel betrachtet werden darf, wundert es auch nicht, dass ein Inventory oder eine Tasche völlig fehlen. Man kann zwar ab und an Gegenstände aufnehmen, diese können aber nur auf einen bestimmten Hotspot verwendet werden, zum Beispiel wenn Lucas seiner Freundin ein Glas Gin zum Sofa bringt, oder man dreckige Wäsche aufnimmt, um sie in die Waschmaschine zu stecken. Die einzigen Objekte die aufgesammelt werden können sind Bonuskarten, die man während des Spielens im Versteckten finden kann. Eine Bonuskarte fügt einer Anzeige im Hauptmenü eine bestimmte Anzahl Punkte hinzu, durch die man je nach Wunsch Extras wie Videosequenzen, Bilder oder Musikstücke aus dem Spiel zur persönlichen Bereicherung frei schalten kann.Durchwährend im Besitz ist man von einem sogenannten persönlichen, digitalen Assistenten. Kurz, einem PDA. Dieser speichert tagebuchartig die Eindrücke der Spielhelden ab, wobei man sämtliche Erlebnisse und erledigte, sowie unerledigte Aufgaben nachlesen kann. Hier wird auch angezeigt, wie viel Spielzeit bereits vergangen, wie viel Leben verbraucht, Bonuspunkte gesammelt und welche Teile der Story (prozentual) bereits abgeschlossen wurde.
Gute Laune muss verdient werden
Sowohl im PDA, als auch in einem kleinen Schirm rechts unterhalb des Spiele-Screens wird die Gemütsverfassung der Spielfigur angezeigt. Als Lucas zum Beispiel seinen Mord beging, sank seine Verfassung von "Neutral" auf "Depressiv".
Was das für den Spieler bedeutet? Nun, wenn wir jetzt Mist bauen, könnte seine Gemütsverfassung auf "Am Boden zerstört" sinken und das würde das Aus sowohl für uns, als auch unseren Schützling bedeuten, denn völlig frustrierte Mörder sehen keinen anderen Ausweg als sich irgendwie selbst das Leben zu nehmen. Aber auch Tyler und Carla bedürfen der Hingabe des Spielers. Wer nicht für seine kleinen Ermittler sorgt, wird den Fall Lucas Kane nicht lösen können und auch nie erfahren, wie diese Sache mit der Indigo-Prophezeihung zu Ende ging.
Regeln kann man die Gemütsverfassung mit den üblichen Lustbefriedigungen, denen sich ein Mensch im Alltag so hingibt: Essen, Kaffee trinken, auf die Toilette gehen, Liebe machen, Musik hören und noch viel mehr Kaffee trinken. Alle diese Bräuche motivieren die Helden ein Stück weit ihren Pflichten weiterhin nachzugehen und nicht schlapp zu machen. Aber nicht alles was man unternimmt, motiviert den Protagonisten. Schaut man sich zum Beispiel mit einem mitgenommen Lucas Kane die morgendliche Nachrichtenssendung im Fernsehen an, wo natürlich gleichzeitig über den gestrigen Mordfall im Doc's Diner berichtet wird, sinkt die Anzeige unseres Helden wiederum ein Stück weiter nach unten. Es liegt also durchwährend am Spieler, diese Anzeige zu regulieren und auf die Personen Acht zu geben.
FREE, MPAR... öh, mit freundlichen Grüssen!
Damit eine völlige Interaktion, auch während den selbstablaufenden Action-Sequenzen gewährleistet ist, haben sich die Entwickler mal eben ein altes Konzept geschnappt und dieses ein bisschen ausgebaut. Wer sich noch an das erfolgreiche Dreamcast-Adventure-Spiel 'Shemnue' erinnern mag, dem sagt vielleicht auch der Begriff "F.R.E.E." etwas. Der sogenannte "Full Reactive Eyes Entertainment"-Modus wurde von Quantic Dream für 'Fahrenheit' fast eins zu eins übernommen und zu "Motion Physical Action Reaction", kurz "MPAR", unbenannt.
MPAR-Sequenzen gibt es in 'Fahrenheit' am laufenden Band. Wie erwähnt sind es Action-Sequenzen, in denen der Spieler durch einfachste Reaktionsübungen über einen positiven, oder negativen Ausgang entscheiden kann. Während solcher Sequenzen werden die zu drückenden Tasten mitten auf dem Bildschirm eingeblendet. Ziel ist es, die farblich markierten, aufleuchtenden Richtungen je nach Ablauf auf dem Zifferblock und den Richtungstasten nachzudrücken. Wenn die Abfolge richtig gelingt, wird der Protagonist entsprechend in seiner Aktion erfolgreich reagieren. Falls nicht kann es zu Misserfolg führen und somit wiederum Auswirkung auf die Gemütsverfassungen des Helden haben.
Der MPAR-Modus wird auch bei Sport-Sequenzen, beim Boxen oder Basketball-Spiel, beim Gitarrespielen oder wenn Lucas Kane sich im Trancezustand befindet oder Visionen unterliegt, eingeschaltet. Vor allem gegen Ende im ominösen letzten Drittel des Spiels wird der Einsatz des MPAR etwas übertrieben. Das drücken der Tasten wird auf längere Zeit monoton und der Spielablauf wirkt weniger interaktiv, als einfach wie ein Film, den man (um ihn zu Ende sehen zu können) zuerst durch eine richtige Tastekombination frei schalten müsste. Hier steuerte Quantic Dream an der eigentlichen Idee des völlig interaktiven Spielprinzips vorbei.
Auf dem PC war die Steuerung der MPAR-Sequenzen besonders mühsam. Die Steuerung der PlayStation 2-Version mit dem Analogen-Controller war grundsätzlich angenehmer. Die Eingewöhnungsarbeit ins Spiel fand nicht nur viel schneller statt, durch die beiden Analog-Sticks konnten die Richtungen auch angegeben werden, ohne das man sich ständig vertippte.
Nur auf Äusserlichkeiten fixiert
Trotz der ansonsten phänomenalen Inszenierung, ist 'Fahrenheit' optisch nicht gerade ein Leckerbissen. Um das Spiel der Performance zweier Konsolen anzupassen, musste die grafische Qualität für den PC unweigerlich eingeschränkt werden. Figuren und Objekte wirken in der PC-Version kantig, zudem fallen die Texturen nicht selten schwammig aus. Durch die Konsolen-Konvertierung und die dadurch resultierende, geringe Anzahl an Polygonen, läuft das Spiel allerdings auch auf Rechnern mit geringerer Leistung noch sehr flüssig. Die von uns ebenfalls getestete PlayStation 2-Version brauchte sich zwar grafisch von anderen Konsolentiteln nicht zu verstecken, litt aber, wie auch ähnlich aufwendigere PS2-Spiele, an den üblichen Konsolen-Krankheiten, wie zum Beispiel den stellenweise etwas längeren Ladezeiten.
Über die grafischen Mangelerscheinungen am PC kann man zwar schlecht drüber hinwegsehen, dafür macht 'Fahrenheit' vieles richtig, was bisher die meisten Adventure-Spiele falsch gemacht haben. Ein konkret nennenswertes Beispiel ist die lebendige Umgebung. Neben den storyabhängigen winterlichen Wetterverhältnissen, bewegen sich Vorhänge im Wind, Vögel fliegen zwitschernd in der Stadt herum und Kinder spielen – schöner als je zuvor – zusammen in einem Park und bewerfen sich mit Schneebällen. Davon könnten sich einige Entwickler ein grosses Stück abschneiden.
Wenn die Rock-Band dem Weltuntergang entgegen spielt Wenn 'Fahrenheit' ein Film wäre, könnte man vielleicht für die eine oder andere Rolle, den Schnitt, das Screenplay oder was auch immer einen Oscar verleihen. Könnte man, "vielleicht". Hunderprozentig sicher allerdings ist, dass das Spiel vor allem im akustischen Bereich, sowohl mit dem klassischen Score als auch mit den Titelsongs, tonnenweise Preise abräumen würde. Ein Hans Zimmer oder John Williams hätten es nicht besser machen können als Angelo Badalamenti, der sich für die musikalischen Themen in 'Fahrenheit' verantwortlich zeigt. Die orchestrale Untermahlung ist bombastisch, passt immer zu der entsprechenden Szene und untermahlt durchwährend die Atmosphäre des Spiels, ohne jemals aufgesetzt oder nervend zu wirkend. Dezent und emotional, genau wie es dem Niveau von "Motion Picture Soundtrack's" entspricht. Beim Orchester soll es aber nicht bleiben: Neben der klassischen Untermahlung findet sich auch Blues, Jazz, Funk und extra viel Rock in 'Fahrenheit'. Als besonders auffällig zeigten sich die Titelsongs der kanadischen Rockband 'Theory of a Deadman'.
Der Sound ist wohl das grosse Trostpflaster für die deutsche Synchronisation. Nicht dass das Gesamtbild des Spiels darunter zu leiden hätte, aber die Besetzung der Sprecher ist bis auf ein paar wenige Ausnahmen miserabel gewählt. Wer besonders gute Lauscher hat, wird einige bereits schon oft verhöhnte Sprecher aus den Microids-Adventures 'Syberia' und 'Still Life' wiedererkennen. Da allerdings in 'Fahrenheit' die Möglichkeit geboten wird, zwischen verschiedenen Sprachspuren hin und her zu wechseln, darf man von dieser Tatsache ruhig absehen. Es dürfte sowieso stillschweigend bekannt sein, dass die englische Version mit optionalen Untertitel die einzig wirkliche Variante ist.
Es ist so: Zuerst fielen wir alle in blanker Euphorie auf die Knie, haben sichtlich mitgenommen Wasserfälle geweint, die Verpackung von 'Fahrenheit' gestreichelt und einfach das Glück auf Erden zelebriert. Das lang angekündigte Überspiel, endlich hielten wir es in unseren Händen! Nach ein paar Stunden Spielen verzogen sich unsere stetig von Glück erfüllten Mienen und die gewohnte Neutralität nahm wieder ihren Platz ein. Ganz objektiv wie wir uns eben zu geben versuchen, mussten wir eingestehen, dass 'Fahrenheit' durch einfaches Erleben eben doch keine Orgasmen auslösen kann.
Das Spiel enthält sowohl grafische, als auch spielerische Schwächen, eine für PC-Spieler unvorteilhafte Steuerung und eine Story, die durch ihren unerwarteten, aufgepumpten Ausklang die Spielergemeinde polarisieren wird. Doch 'Fahrenheit' spiegelt den vorbildlichen Versuch wieder, das Genre der Videospiele zu erweitern. Ein Adventure-Spiel ist 'Fahrenheit' nicht. Es ist auch heikel es einfach "nur" als "Interaktiven Film" zu bezeichnen. Es ist viel eher ein Experiment - David Cages Versuch - ein interaktives Spielerlebnis zu bieten, das nicht nur eine Geschichte mit Personen und einem Anfang und einem Ende erzählt, sondern menschliche Empfindungen zu übermitteln versucht. Liebe und Hass, Freude und Frust, Leben und Tod sind die zentralen Archetypen in 'Fahrenheit'. Ein "normales" Computerspiel darf man also nicht erwarten.
Ohne Frage ist 'Fahrenheit' das mutigste Projekt der letzten paar Jahre. Und für knapp 45 Euro kriegt man ein sechsstündigen Videospiel-Blockbuster mit hohem Wiederspielbarkeitswert und großem Unterhaltungsfaktor geboten. Durch die sehr breite Handlungsfreiheit, den individuellen Handlungsablauf, sympathischen Helden, einer spektakulären und zugleich professionellen Inszenierung und einem grandiosen Soundtrack, ist das Spiel jedem ans Herz zu legen, der gerne außergewöhnliche Geschichten "erlebt".
Eine Warnung aber noch: Wer sich vor unterschwelliger Propaganda für koffeinhaltige Getränke fürchtet, sollte entweder gleich mit dem Teetrinken aufhören, oder sich ein anderes Spiel suchen.
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Fahrenheit
- Entwickler
- Quantic Dream
- Publisher
- Atari
- Release
- 16. September 2005
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.fahrenheitgame.com/
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