Die spanischen Pendulo Studios sind eher für spaßige Adventures bekannt, schließlich entwickelten sie die beliebte 'Runaway'-Serie und trugen mit dem ersten Teil der Comic-Adventures wesentlich zum Comeback unseres Genres bei. Mit 'Der Fall John Yesterday' wagen sie sich nun aber erstmals an ein ernstes Thema: Ritualmorde an Obdachlosen. Der Sektenforscher John Yesterday soll herausfinden, was und wer hinter der grausamen Mordserie steckt. Ob die Mischung aus Comicgrafik und ernstem Thema funktioniert, könnt Ihr in unserem Test nachlesen.
Die Kinder des Don Quixote
Eine grausame Mordserie erschüttert New York. Oder zumindest die Obdachlosen. Denn sie sind es, die den blutigen Ritualmorden zum Opfer fallen. Immer wieder finden sich die verkohlten Überreste von Leichen in den U-Bahn-Tunneln der US-Metropole. Die „Oberwelt“ hat von diesen traurigen Vorkommnissen hingegen kaum Kenntnis. Höchstens dann, wenn die Feuerwehr wieder einmal ausrückt, um einen Brand zu löschen. Wer kümmert sich schon um ein paar Obdachlose? Selbst die Polizei scheint wegzusehen - bedeuten weniger Obdachlose doch auch weniger Probleme. Einer der genau hinschaut ist der Student Henry White. Er und sein Kumpel Cooper engagieren sich ehrenamtlich für die Wohltätigkeitsorganisation „Die Kinder des Don Quixote“, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Obdachlose zu unterstützen. So begibt sich Henry in einen verlassenen U-Bahn Tunnel, um dort nach hilfsbedürftigen Menschen zu suchen. Doch stattdessen landet er in den Fängen einer seltsamen Sekte, die sein Leben bedroht. Seine letzte Chance auf eine Rettung ist nun Cooper, der noch vor dem Tunneleingang wartet.
Einige Jahre später (und somit im nächsten Kapitel) steuern wir den namensgebenden John Yesterday. Ein Sektenforscher, der für seinen Auftraggeber nach Spuren der Orden des Fleisches sucht und kurz vor einer großen Entdeckung stand. Oder hat er sogar etwas Großes entdeckt? John kann sich nicht mehr erinnern. Seit einem Selbstmordversuch, bei dem er sich mit Quecksilber vergiftet hat, leidet er an Gedächtnisverlust. Sein Auftraggeber kümmert sich um ihn und versucht John wieder auf die richtige Fährte zu bringen. Dafür hat der Finanzier sogar dasselbe Pariser Hotelzimmer gebucht, in dem John seinen Selbstmordversuch unternommen hat. Findet John hier Anhaltspunkte auf seine Forschungen? Was hat er herausgefunden? Und warum wollte er sich das Leben nehmen?
Mehr wollen wir an dieser Stelle nicht verraten, denn 'Der Fall John Yesterday' bietet bereits in den ersten Kapiteln die eine oder andere überraschende Wendung.
Den Erinnerungen auf der Spur
Nach und nach bastelt sich John Yesterday also seine Erinnerungen zusammen und findet so Hinweise auf den nächsten Ort oder die nächste Person, die ihm weiterhelfen kann. Das Spiel präsentiert diese Erinnerungen teilweise als spielbare Cutscenes, teilweise sogar als eigenständige Kapitel. Dadurch ergibt sich leider eine starre Linearität, denn John kann beispielsweise keine unterschiedlichen Orte zeitgleich besuchen. Stattdessen gibt es pro Location jeweils einige Bildschirme zu erkunden, die John dann wieder auf die nächste Spur führen und zum nächsten Ort bringen.
Etwas speziell und sicherlich eine Frage des Geschmacks sind einige der Rückblenden, die gerade in sehr brenzligen Situationen eingebaut wurden und dem Spieler einiges abverlangen. Ohne jetzt zu viel verraten zu wollen: Den Spieler in eine absolut friedliche Welt zu schicken, wo er sich beispielsweise damit beschäftigt, Vögel zu füttern, während es eigentlich gerade um Leben und Tod geht, ist mutig und liefert extreme Cliffhanger. Nicht jeder Spieler wird diese Designentscheidung honorieren. Zu einem anderen Zeitpunkt hätten diese Szenen jedoch keinerlei Sinn mehr ergeben, denn thematisch passen diese Abschnitte wie die Faust aufs Auge. Der Geschichte schaden sie ebenfalls nicht, denn sie zieht ihre Faszination aus den Geheimnissen, die den Selbstmordversuch, die Sekte und auch einige der Protagonisten umgeben.
Skurrile Charaktere
Die Pendulo Studios schaffen es auch in der ernsten Geschichte von 'Der Fall John Yesterday' wieder, jede Menge skurriler Charaktere unterzubringen. Sei es Boris, der zeitweise einen etwas verwirrten Eindruck hinterlässt oder Cooper, der in seinen Erinnerungen noch immer unter seinem Pfadfinder-Ausbilder Officer Hart leidet. Der Gipfel der Skurrilität ist aber Albert, der Concierge, bei dem man manchmal den Eindruck gewinnt, er sei nur deswegen im Spiel, um für Spaß zu sorgen, was natürlich nicht stimmt: Auch er ist ein Baustein zu verlorenen Erinnerungen.
Die Hauptfigur John Yesterday hingegen wirkt alles andere als fröhlich, was aber auch kein Wunder ist, wenn man nur so eben einen Selbstmordversuch überstanden hat und sich an nichts mehr erinnern kann. Wem kann man trauen? Wem nicht? Welche dunklen Geheimnisse trieben John in den Selbstmord?
Eines haben aber alle Charaktere gemein: Eine hervorragende Vertonung. Die Sprecher passen allesamt zu ihren Figuren. Ein Highlight bildet der Erzähler, der - wie schon bei 'Harveys Neue Augen' durch die Geschichte führt und die Aktionen des Spielers kommentiert. Manchmal süffisant, manchmal auch mit Hinweisen gespickt, sorgen seine Anmerkungen für Distanz zwischen Spieler und Charakter, aber auch für einen Großteil der Atmosphäre. Hervorragend gelungen ist auch wieder der Soundtrack, der seinen Beitrag zur Stimmung beiträgt.
Erwachsener Comic
Bei der grafischen Präsentation setzen die Enwickler wieder auf ihre zweifelsohne vorhandenen zeichnerischen Fähigkeiten. Wie schon in 'Runaway' oder 'The Next Big Thing' bereisen wir also wieder eine bunte Comicwelt, in der man den typischen Stil der Spanier erkennen kann. Im Gegensatz zu den eben genannten Titeln fällt hier aber auf, dass die Grafik insgesamt nicht nur düsterer ist, sondern auch deutlich detailärmer. Eine positive Ausnahme ist da der Antiquitätenladen, den John in Paris besucht und der vor Details nur so strotzt. Viele Screens wirken dazu aufgrund fehlender Hintergrundanimationen recht statisch. Ein paar zusätzliche Animationen hätten dem Spiel nicht geschadet. Unter dem Strich sehen die handgezeichneten 2D-Hintergründe mit den davor agierenden in 3D-gerenderten Charakteren aber immer noch sehr gut aus und passen aufgrund ihrer Gestaltung auch hervorragend zur Geschichte.
Für Gespräche und Objekte setzt Pendulo auf kleine Blowup-Bildchen, in denen die Gesprächsteilnehmer oder den Gegenstand in einer vergrößerten Ansicht zeigen. Während bei Gesprächen - die vorallem am Anfang nicht immer Lippensynchron ablaufen - die Dialogoptionen unten im Bild angezeigt werden und die gesprochenen Sätze in Form von Sprechblasen dargestellt werden, bietet die Objektansicht zwei weitere Funktionen. Über eine Lupe kann der Gegenstand näher betrachtet werden, ein weiteres Symbol bietet entweder die Mitnahme oder eine Benutzung an. Das ist zwar schick und passt zum Stil des Spiels, wirklichen Mehrwert haben diese kleinen Fenster bei den Objekten jedoch nicht. Es ist aber eine Verbesserung zu den letzten Titeln der Entwickler, in denen Objekte oftmals in Fenstern vor einem schwarzen Hintergrund gezeigt wurden.
Neuer Komfort und bewährte Hilfe
Verbessert wurde zudem das Inventar, das sich jetzt am unteren Bildrand befindet. Musste man bei den Vorgängertiteln noch umständlich ein eigenes Icon anklicken, das Objekt auswählen und dann auf einen Zurückpfeil klicken, kann man nun direkt auf die Gegenstände zugreifen und sie zwecks Kombination in den Bildschirm ziehen. Einzig die Kombination von Inventargegenständen miteinander geht etwas umständlich von der Hand, da das erste Objekt zuerst nach oben - also aus dem Inventar - gezogen werden muss, ehe man es mit anderen kombinieren kann. Ein Rechtsklick oder die Möglichkeit, Objekte direkt aufeinander zu ziehen wäre hier noch komfortabler gewesen. So aber kommt 'Der Fall John Yesterday' einzig mit der linken Maustaste aus.
Etwas ungewohnt ist die neue Schnellreisefunktion, mit der die Spielcharaktere nicht nur den Weg in den nächsten Raum abkürzen können, sondern auch innerhalb eines Bildes teleportiert werden, sofern der Spieler ein Objekt anklickt. Speziell ungeduldige Spieler werden diese Funktion zu schätzen wissen, da unnütze Wege nahezu komplett wegfallen, insgesamt nimmt das Spieltempo dadurch zu.
Ebenfalls wieder dabei sind die klassischen Hilfefunktionen. Eine Hotspotanzeige, deren Dauer so kurz bemessen ist, dass man nicht sofort alles entdecken kann und die nach Gebrauch ca. eine Sekunde wieder aufladen muss. Dadurch findet man beim ersten Klick in der Regel nicht alle Objekte eines Screens, vielleicht ist aber der Gesuchte dabei und man kann anschließend noch ein wenig Rätseln.
Übrigens kann nicht frei gespeichert werden. Zu Beginn des Spiels wählt man eines von vier Profilen aus, in denen der Fortschritt dann automatisch gesichert wird. Jedes Profil bietet eine Rückschau-Funktion, über die wichtige Ereignisse noch einmal durchlebt werden können, was besonders am Ende nützlich ist, denn ganz zum Schluss haben wir die Auswahl zwischen drei unterschiedlichen Finals.
Einsteigerfreundliche Rätselkost
Deutlich länger als die Hotspotanzeige benötigt die Hilfefunktion für eine erneute Aufladung. Wirklich oft benötigt man sie jedoch nicht, da nie mehr als eine Handvoll Bildschirme gleichzeitig zur Verfügung stehen und auch das Inventar nie unübersichtlich wird. Schon deswegen sind die Rätsel meist recht schnell überwunden, selbst wenn die Lösung einmal nicht sofort offensichtlich ist. Aber auch sonst bietet das Spiel keine wirklich schweren Kopfnüsse, worüber sich Anfänger freuen, Hardcore-Abenteurer empfinden die Aufgaben vielleicht als zu einfach. Der Vorteil ist, dass die Geschichte so ihren Fluss aufrechterhalten kann.
Etwas unpassend wirkt allerdings eine Reihe von Schachaufgaben, vor die wir recht früh im Spiel gestellt werden. Diese Rätsel sind zwar allesamt lösbar und auch falsche Versuche führen nicht ins Verderben, aber in dieser Situation denkt wohl kaum jemand als Erstes an Schachpartien. Etwas später hingegen findet man mit etwas Selbstinterpretation auch eine Erklärung dafür, die wir hier natürlich nicht Spoilern möchten.
Mit 'Der Fall John Yesterday' liefen die Pendulo Studios erstmals ein Adventure mit einem ernsten Thema ab und treten damit den Beweis an, dass sie auch solche Themen beherrschen. Die Geschichte um den unter Amnesie leidenden John Yesterday fesselt bereits nach wenigen Schritten in der schaurigen U-Bahn Station und überrascht gleich im Anschluss mit unvorhersehbaren Wendungen - nicht zum letzten Mal. Eine hervorragende Vertonung nebst tollem Erzähler, gepaart mit der schicken, wenn auch etwas detailarmen, Comicgrafik sorgen für die passende Atmosphäre und die Zeit vergeht wie im Fluge. Für Punktabzug sorgen jedoch die etwas zu leichten Rätsel und die doch etwas kurze Spielzeit. Dennoch bleibt 'Der Fall John Yesterday' für Adventure-Freunde ein absoluter Pflichtkauf.
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Der Fall John Yesterday
- Entwickler
- Pendulo Studios
- Publisher
- Crimson Cow
- Release
- 30. April 2012
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.crimsoncow.de/Yesterday.php
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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1 Kommentar
Nun mein persönliches Feedback:
Als ich mitbekommen habe, dass Pendulo Studios ein neues Adventure released hat, war mir sofort klar - das musst du haben. Auch wenn "The next Big Thing" nicht 100%ig meinen Geschmack getroffen hatte, sind die Spiele von denen eigentlich immer genial gewesen.
Im ersten Moment, war ich wieder sehr begeistert. Allerdings wich ein Teil der ersten Begeisterung schnell, da man erstmal aufwändig herumprobieren musste, wie das Inventar funktioniert. Wie im Artikel erwähnt ist es mMn sehr nervig, Items aus dem Inventar zu benutzen... Vorallem, wenn man nicht ständig die Leiste im Bild haben will. Dann versucht man ein Item zu nehmen und prompt geht die Leiste zu und man muss sie erst mal wieder erscheinen lassen. Dann das Item nach oben heraus nehmen. Dann wieder erscheinen lassen und auch da passiert es, dass die Leiste einfach verschwindet, auch wenn man gerade versucht etwas zu kombinieren. Da ist definitiv Verbesserungsbedarf.
Das interagieren mit Objekten gefiel mir persönlich auch nicht besonders. Immer geht erst ein kleines extra Bild auf, in dem man dann auf 2 kleinen Icons herum klicken musste. Also da fand ich andere Konzepte mit linker und rechter Maustaste deutlich besser. Bei der Runaway-Saga wurde das eigentlich ziemlich gut umgesetzt. Keine Ahnung warum man daran herum frimmeln muss...
Aber okay, ist ist mal etwas anderes und man kommt damit relativ gut zurecht. Die Story, die aufgebaute Stimmung und der Aufbau der Kapitel und CutScenes hat mir persönlich extrem gut gefallen. Gerade der Sprung nahe dem Finale, wo man dann doch erst nochmal einen Vogel füttern und einen Strauch pflanzen muss, ist ein sehr schöner Kontrast und ist als Stilmittel mMn sehr passend gewählt.
Leider waren die Räsel, wie auch schon oben berichtet, für einen begeisterten Adventure-Fan wie mich viel zu einfach und die Story war einfach viel zu schnell vorbei...
Positiv erwähnen möchte ich allerdings auch die Anspielungen auf andere Pendulo-Games Die Action-Figur des Poeten und der Besuch in der Anstalt Happy Dale und der Gastauftritt von Dr. Bennet (Ich persönlich liebe Charaktere, die von Udo Schenk syncronisiert wurden) haben mir richtig Spaß gemacht.
Fazit: Ein sehr schönes Game, was nur etwas kniffliger und umfangreicher hätte sein können.