Jahre zuvor durften die Entwickler von Deck Nine Games sich bereits an einem Prequel zu 'Life is Strange' versuchen. Diese Aufgabe wurde erstaunlich gut gemeistert und die großen Fußstapfen von DONTNOD gar nicht schlecht ausgefüllt. Kein Wunder also, dass sie von Publisher Square Enix mit einem weiteren Teil beauftragt wurden - diesmal mit eigenen Charakteren, sowie in einer neuen Ortschaft, die weit weg von Arcadia Bay entfernt liegt. Das Resultat ist inzwischen für PC und Konsolen erhältlich und trägt den Namen 'Life is Strange: True Colors'. Am narrativen Fokus hat sich wenig geändert und selbst der Rest passt hervorragend zur Philosophie der Reihe. Mehr dazu im Test.

Ein Neuanfang?
Um es gleich am Anfang dieses Tests vorwegzunehmen: Life is Strange: True Colors ist Teil der 'Life is Strange'-Reihe, erzählt wird jedoch eine eigenständige Geschichte mit neuen Charakteren. Vorwissen ist keines erforderlich. Und trotz Episoden-Format bleibt die Warterei zwischen den Episoden erspart. Sämtliche Episoden sind im narrativen Adventure bereits enthalten.

Mit der Ankunft in dieser wenigstens auf den ersten Blick idyllischen kleinen Ortschaft (die u.a. von Idaho Springs in Colorado inspiriert wurde) beginnt das Abenteuer. Natürlich bleibt es in weiterer Folge auch dem Spieler überlassen, mit wie viel Enthusiasmus Alex sich hinein stürzt: Umarmt sie ihren Bruder gleich bei der Ankunft, trotz der schwierigen Vorgeschichte? Bleibt sie eher reserviert? Ähnliches gilt für den Umgang mit der weiteren Bevölkerung. Und ja, manchmal thematisieren die Entwickler sehr schwierige Emotionen, für die es keine einfache Lösung geben kann.
Blick in die Emotionen
Episode eins (von fünf) lässt ausreichend Zeit, um mit dem Umfeld vertraut zu werden. Wir lernen den Park Ranger Ryan und die Radio-Moderatorin Steph kennen, zwei der besten Freunden ihres Bruders. Die wichtigsten Geschäfte werden ebenfalls besucht. Die verschlafene Kleinstadt lebt freilich von Bergbau. Abseits von Pub, Park, Plattenladen, Blumengeschäft und Apotheke tut sich nicht sonderlich viel.

Während der Auftakt in Haven Springs ziemlich unaufgeregt verläuft, wird die Protagonistin bald von ihren Problemen heimgesucht, die mit ihrer besonderen Gabe zusammenhängen: Sie spürt und sieht die Emotionen der Menschen, was psychisch für sie oft schwer zu verarbeiten ist. Eigentlich versucht sie in solchen Fällen früh auf Distanz zu gehen. Leider klappt das bei ihrem Besuch nicht immer, was Folgen hat. Damit nicht genug. Wenig später überschlagen sich die Ereignisse: Die junge Frau wird Zeugin eines fatalen Unglücks, das sie und ihre neuen Freunde aus der Bahn wirft. Um seelischen Beistand zu leisten, muss sie sich auf deren Gefühle einlassen und darf sich vor ihrer Kraft nicht mehr fürchten. Leichter gesagt als getan.
Gleichzeitig wirft die intensivere Beschäftigung mit den Gedanken und Gefühlen der anderen nach und nach Fragen auf. Steckt am Ende womöglich mehr hinter dem Schicksalsschlag? Mehr wollen wir an dieser Stelle aber natürlich nicht verraten.
Fokus auf narrative Elemente
Wie man es von den bisherigen Teilen der Reihe kennt, stehen Entscheidungen, Charaktere und Story im Mittelpunkt. In diesen Bereichen gibt es kaum Grund zur Klage, im Gegenteil. Anspruchsvolle Rätsel sucht man vergeblich. Auch das ist keine Überraschung.

Wie funktioniert die Interaktion mit den Emotionen: Bei näherer Betrachtung einzelner Charaktere offenbaren sich mitunter deren Gefühle in einer Farbe: Blaue Emotionen deuten auf Angst hin, rote Emotionen auf Ärger und ähnliches. Per Tastenklick können wir die damit verbundenen Gedanken hören. Weiß Alex was eine Person beschäftigt, kann sie etwas tun um zu helfen. Ab und zu resultieren daraus neue Gesprächsoptionen.
Bei intensiven Emotionen ist die Herangehensweise ein wenig anders: Unsere Hauptfigur berührt die betreffende Person und sieht die Welt aus ihren Augen. Haben wir mehrere damit zusammenhängende Erinnerungen erlebt, lässt sich erahnen, was zur Gefühlsbewältigung erforderlich ist. Allerdings wird davon nur selten Gebrauch gemacht – üblicherweise reicht ein einfacher Tastenklick um Einblick zu bekommen. Deck Nine Games hätte vielleicht noch etwas mehr aus der Superpower herausholen können.

Eine Episode fällt spielerisch mehr auf: Hier werden rundenbasierte Gameplay-Elemente auf recht witzige Art und Weise integriert. Wem diese Art von Herausforderung schwerfällt, der muss sich keine Sorgen machen. Dieser Part ist selbst für unerfahrene Spieler einfach. Wer halbwegs aufmerksam die Umgebung erkundet, der findet rasch Zauber um nahezu sämtliche Kämpfe überspringen zu können und im "Showdown" nie in Schwierigkeiten zu geraten.
Visuell ansprechend mit gutem Soundtrack
Kommen wir zur technischen Umsetzung, die zu überzeugen weiß, ohne die minimalen PC-Anforderungen übertrieben in die Höhe zu treiben. In grafischer Hinsicht gelingt Life is Strange: True Colors eine gute Steigerung im Vergleich zu den bisherigen Teilen, zumal die Emotionen in den Gesichtern klarer und authentischer zur Geltung kommen. Der stimmige 3D-Grafikstil wurde ansonsten beibehalten, die atmosphärische Spielwelt ist in Summe einfach detaillierter. Wer mag und die passende Grafikkarte besitzt, der kann sogar Ray Tracing aktivieren - ein Feature das in diesem Fall freilich nur einen minimalen Mehrwert hat.

Gesteuert wird am PC wahlweise via Maus und Tastatur, oder auch – wie auf der Konsole - mit dem Controller. Beides geht angenehm von der Hand. Da es bei Life is Strange: True Colors in den wesentlichen Momenten ohnehin nie auf Geschicklichkeit ankommt, gibt es wenig Grund zur Klage. Lediglich beim Tischfußball hatte ich meine Probleme (hier muss man relativ schnell zwischen den Reihen hin und her wechseln), was aber nicht zwangsläufig dem Spiel anzukreiden ist.

Im Vergleich zum guten Prequel ist Deck Nine Games mit 'True Colors' ein Sprung vorwärts gelungen, der für ihre kommenden Projekte optimistisch stimmt. Das Adventure glänzt in fast allen Bereichen, die schon das erste 'Life is Strange' auszeichneten - insbesondere was die Geschichte und die Charaktere betrifft.
Darüber hinaus wurde die erfolgreiche Formel teilweise sogar ein bisschen weiterentwickelt. Die Spielwelt fühlt sich offener und freier an, die Mimik wirkt echter. Zugegeben: Der dramatische Twist in der Geschichte ist relativ leicht zu erahnen, was wenig daran änderte, dass mir die junge Spielfigur und die Ortschaft ans Herz wuchsen. Ein wenig enttäuscht hat mich lediglich die etwas schlichte interaktive Umsetzung von Alex Chens Superpower. Oft reicht ein Klick auf die Taste, um Einblick in die Gefühlswelt einer Person zu erlangen. Da hätte es für meinen Geschmack ruhig noch ein, zwei kleinere Hürden geben können. Dann wäre die Kraft womöglich stärker im Gedächtnis geblieben.
Nicht falsch verstehen, das fällt in meinem Fall eher in die Kategorie “Meckern auf hohem Niveau“, und schwierig war die Reihe ohnehin nie (wer Rätsel und anspruchsvolles Gameplay sucht, der ist hier aber wohl an der falschen Adresse). Die Zeit in Haven Springs habe ich durchwegs genossen und kann das Abenteuer von Alex Chen ruhigen Gewissens weiterempfehlen. Sehr unterhaltsam!
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Life is Strange: True Colors
- Entwickler
- Deck Nine Games
- Publisher
- Square Enix Ltd.
- Release
- 10. September 2021
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award • Adventure des Jahres • Der beste Soundtrack des Jahres • Die beste Geschichte des Jahres • Die beste Grafik des Jahres
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- https://lifeisstrange.square-enix-games.com/de/
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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6 Kommentare
Als besonderes schlecht fand ich leider die Umsetzung des Live-Rollenspiels, das war mir zu langweilig und die vielen Schwarzblenden bei Ortswechseln und banalen Sachen wie Dinge aufräumen. Hier waren die Entwickler einfach nur faul, heutzutage darf sowas im AAa Segment einfach nicht mehr sein.
Die Spielzeit für einen 60,- Euro Titel war mir auch zu kurz, die Story relativ banal und bei weitem nicht so emotional ausgereift wie im 2. LiS Teil. Dafür macht den hohen Preis eine gelungene deutsche Sprachausgabe wieder wett, Gronkh hab ich zum Glück nicht erkannt.
Meine persönliche Wertung wären so im Vergleich mit den anderen Teilen im 70er Bereich, ich vergebe 73%.
Storytechnisch gleichauf mit Twin Mirror, alle anderen Teile haben mir aber weit besser gefallen als True Colors.
Persönlich fand ich House of Ashes eindeutig gelungener.
Das Problem ist halt, dass langsam alle AAA-Spiele auf 80 € zielen (auch am PC. Siehe Final Fantasy VII Intergrade im Epic Story, wo kurz Mal alle aufschrien).
Logisch, Preisanpassung muss sein. Es könnte also gut sein, dass die Game Pässe langsam das Niedrigpreissegment abdecken.
Es sieht tatsächlich so aus, als würden die Preise derzeit generell spürbar rauf rutschen. Wobei gut... meistens hat man eh soviel Zeugs bei GOG, Steam, Epic und Co. ungespielt herumliegen, dass eh keine Eile für einen Kauf ist.
Die älteren Life Is Strange sind aber auf einem ganz anderen Niveau - mich hat vor allem Before The Storm richtig mitgenommen.