Das Ende des letzten Jahres markierte einen besonderen Punkt für Liebhaber von Detektivspielen: Sowohl für Sherlock Holmes als auch für Hercule Poirot gab es Verbrechen aufzuklären. Beide Spiele setzen auf eine Art "milden Reboot" und erzählen jeweils einen Fall aus der Frühzeit der bekannten Charaktere. So können wir dabei sein, wenn Holmes und Poirot ihre kriminalistischen Fähigkeiten entwickeln und zu den Personen werden, die wir aus unzähligen Geschichten kennen. Den Storyteller-Test zu 'Sherlock Holmes - Chapter One' konntet Ihr bereits lesen. Ob 'Hercule Poirot: The First Cases' sich besser schlägt, verraten wir hier.
Grün hinter den Ohren
Ein junger Officer läuft in einem Villenviertel Streife, als ihm ein sichtlich aufgebrachtes Hausmädchen in die Arme läuft. In dem Haus der Familie van den Bosch, für die sie arbeitet, wurde ein Diebstahl begangen. Alle Bewohner sind außer sich, doch unser Polizist, der sich als Poirot vorstellt, behält die Nerven. Schnell wird ihm klar, dass an dem Diebstahl etwas seltsam ist. Zwar bietet die noble Unterkunft verschiedene Möglichkeiten für einen Einbruch. Nach eingehender Untersuchung kann der Dieb jedoch keinen dieser Wege genutzt haben. Was also ist hier geschehen? Bald stellen sich weitere Ungereimtheiten heraus und Poirot löst dank unserer Hilfe seinen ersten Fall.
Einige Zeit später ist Poirot in den Rang eines Detective aufgestiegen und erhält einen seltsamen Brief, der ihm die Geschehnisse wieder in Erinnerung ruft. Absenderin des Briefes ist die junge Angeline van den Bosch, die Poirot zu ihrer Verlobungsfeier mit einem gewissen Gedeon Demir einlädt. Poirot soll jedoch nicht als guter Freund der Familie teilnehmen. Vielmehr ist Angeline sein kriminalistisches Talent und sein Einsatz für die Wahrheit bei der Aufklärung des Diebstahls in Erinnerung geblieben. Beides ist nun wieder gefragt, denn die Familie wird von unbekannter Seite erpresst. Wenn kein Lösegeld gezahlt wird, sollen dunkle Geheimnisse der Familie veröffentlicht werden, wodurch der Ruf der van den Boschs vernichtet werden würde. Obwohl Angeline selbst keine Idee hat, worum es sich dabei handeln könnte, befürchtet sie negative Folgen für die anstehende Verlobung.
Natürlich folgt Poirot der Einladung und stellt schon bei einer Begrüßungsrunde fest, dass eine gewisse Spannung zwischen den Gästen herrscht. So dauert es nicht lange, bis es zu einem Mord kommt. Wie es sich für einen klassischen Poirot-Krimi gehört, war das Opfer bei nahezu allen übrigen Anwesenden unbeliebt. Dazu hat ein Schneesturm das Herrenhaus samt der illustren Gesellschaft eingeschneit. Poirot ist also auf sich allein gestellt.
Die Ermittlungen und der Gedankenpalast
Zugegeben: Poirot ist nicht wirklich auf sich allein gestellt. Vielmehr bekommt von uns Spielern kräftige Hilfe, denn schließlich steuern wir ihn durch die Räume und Gänge des stilvoll eingerichteten Hauses. Auf unseren Wegen entdecken wir verschiedenste Hinweise und Indizien, die nach und nach ein komplexes Gebilde ergeben. Ergänzt wird unsere Ermittlung durch die Verhöre und Gespräche, die wir mit allen anderen halten können. Das alles klingt komplexer als es ist. Interessante Gegenstände werden durch ein Icon in der Grafik angezeigt, selbst wenn diese sich sehr gut im Bild verstecken, können wir alle Spuren finden - Wir müssen nur jeden begehbaren Winkel besuchen. Das Icon ändert sich, wenn wir das Objekt untersucht haben und zeigt ebenfalls an, falls wir durch eine erneute Untersuchung weitere Erkenntnisse bekommen. Ein vergleichbares Symbol zeigt uns die Gesprächsbereitschaft anderer Personen an, das sich bei neuen Themen ebenfalls ändert.
Alle Erkenntnisse bewahrt Poirot in seinem Gedankenpalast auf. Hier finden wir neben Informationen zu allen Charakteren auch einen Bereich zur Deduktion, in dem wir Verbindungen zwischen einzelnen Erkenntnissen herstellen und so Schlussfolgerungen aufstellen. Damit eröffnen sich oft neue Gesprächsthemen oder Ermittlungsansätze. Nach und nach rücken so andere Personen in den Fokus oder bisher unbeachtete Räume werden für die Untersuchung wichtig. Viel falsch machen kann man im Gedankenpalast jedoch nicht: Falsche Verbindungen lässt das Spiel nicht zu. Nach dem dritten Fehlversuch werden die beiden korrekten Anknüpfungspunkte optisch hervorgehoben. Diese Hilfsfunktion kann man in den Optionen zwar abschalten. Da für normalsterbliche nicht-Meisterdetektive jedoch nicht alle Verbindungen auf den ersten Blick logisch zusammen passen, sollte man diese Option durchaus nutzen. Mindestens genau so oft kann man mit den eigenen Erkenntnissen richtig und versucht erfolglos, Punkte zu verbinden, für die Poirot noch ein bis zwei Zwischenerkenntnisse benötigt.
Wie auf Schienen?
Ob man diese Hilfsfunktion nutzt oder nicht: Die Ermittlung läuft ein wenig wie auf Schienen, das letzte Poirot-Spiel Agatha Christie: The ABC Murders spielte sich gänzlich anders. Es geht immer weiter, solange man alle wichtigen Objekte findet und alle erforderlichen Gespräche führt. Dass das Spiel dennoch nicht langweilig wird, dürfen sich die Autoren der stets interessanten Geschichte auf die Fahnen schreiben, denn der Ton und die Stimmung eines Agatha Christie-Krimis wird sehr gut getroffen. Klassische Rätsel wie in früheren Poirot-Adventures gibt es nicht, weder Logikpuzzles noch Kombinationsrätsel finden wir im Spiel. Poirot verrät uns in seinem Gedankenpalast sogar, mit wem wir als nächstes sprechen sollten.
Und diese Gespräche werden manchmal tatsächlich zu den größten Herausforderungen - zumindest auf den ersten Blick. Während wir meistens einfach alle Punkte durchgehen müssen, schaltet das Spiel in bestimmten Situationen in eine Herausforderung. Hier gilt es, die richtigen Worte zu wählen, um das Gegenüber aus der Reserve zu locken und die Verteidigungshaltung des Gesprächspartners zu knacken. Ob wir einen Treffer landen, erkennen wir an einem Gittermuster um die Person und anderen optischen Signalen. Zu Beginn gibt uns Poirot noch einige Tipps für die entsprechende Person. Dennoch bleiben diese Gespräche anspruchsvoll. Verlieren wir ein "Duell", hat das allerdings keinen Einfluss auf unsere Ermittlungen. Statt die Erkenntnisse nun auf anderem Wege bekommen zu müssen oder gar auf einen falschen Weg einzubiegen, startet die Herausforderung einfach neu.
Lediglich an wenigen Punkten weicht das Spiel von diesen Regeln ab: In bestimmten Orten entscheiden nicht wir Spieler, ob wir jeden Winkel und jedes Objekt gefunden haben, sondern Poirot. Die Durchsuchung wird beendet, wenn alle für die Handlung wichtigen Objekte gefunden wurden. Der Lösung kommen wir so zwar näher, entsprechende Achievements werden dann aber nicht freigeschaltet, weil wir unter Umständen noch ein unwichtiges Item übersehen haben. Für Komplettisten ist das ärgerlich (und aus Gameplaysicht auch unnötig).
Eine Regeländerung gibt es dann auch im großen Finale, bei dem Poirot einige Gesprächsduelle führen muss. Diesmal lassen sie sich nicht wiederholen und entscheiden über das Ende des Spiels. Da der Fortschritt automatisch (und häufig) gespeichert wird, muss das Spiel erneut komplett durchgespielt werden, denn es gibt nur einen einzelnen Speicherstand.
Erstklassige Sprachausgabe
Eine deutsche Sprachausgabe in einem Adventure ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Umso mehr muss man 'Hercule Poirot: The First Cases' in diesem Punkt loben. Nicht nur gibt es deutschen Ton, es wurden auch hervorragende Sprecher engagiert. Die Stimmungen des Gesprochenen passen immer zur Situation und es ist eine wahre Freude, den Dialogen zu lauschen. Der Soundtrack fügt sich gut in die Stimmung ein, bleibt aber nicht unbedingt im Ohr hängen.
Sehr gute Arbeit haben die Entwickler zudem bei der Steuerung abgeliefert: Wir haben die freie Wahl zwischen Maus, Gamepad und Tastatur. Für Test am PC haben wir zwar überwiegend mit dem Gamepad gespielt, die anderen Steuerungsoptionen funktionieren aber genauso gut und sind intuitiv umgesetzt.
Optisch zeigt sich das Adventure zweckmäßig. An die Grafik von AAA-Titeln kommt es nicht heran, auch Sherlock Holmes: Chapter One sieht deutlich besser aus. Gut gefallen haben uns die kleinen statischen Portraits, die in den Gesprächen neben den Texttafeln eingeblendet werden und die Stimmung des Charakters zeigen. Sie könnten direkt aus einem Visual Novel stammen und sind detailliert gezeichnet. Damit lenken sie die Aufmerksamkeit geschickt von der 3D-Grafik ab, in der wir ebenfalls die Charaktere sehen. Dass sie dort spiegelverkehrt zu den Portraits gezeigt werden, stört noch am wenigsten. Insgesamt sind die 3D-Modelle nicht sehr detailreich, die Lippensynchronität fehlt und die Animationen sind eher hölzern. Ein paar Filter, die in diesen Situationen eingeschaltet werden, sollen helfen, erzeugen oft aber auch so etwas wie einen Heiligenschein. Die Untersuchungsansicht, in der wir die Umgebung erkunden, schneidet deutlich besser ab.
Im Vergleich zu 'Sherlock Holmes: Chapter One' ist der aktuelle Fall von Hercule Poirot das bessere Adventure. Die spannende Geschichte mit glaubwürdigen Motiven, ein sympatischer Hauptcharakter und erstklassige deutsche Sprachausgabe wissen zu überzeugen. Leider spielt sich das Krimi-Abenteuer fast von allein, denn große Herausforderungen in Form von Rätseln fehlen fast vollständig. Dafür gibt es dann auch den größten Punktabzug, denn in den rund zehn Stunden, die wir gern im Anwesen der Familie van den Bosch verbracht haben, hätten auch einige Rätsel versteckt sein dürfen. Trotzdem fühlten wir uns gut unterhalten. Da zudem das Flair aus den Christie-Romanen gut eingefangen wurde, sollten Adventure und Krimi-Fans einen Blick wagen.
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Agatha Christie - Hercule Poirot: The First Cases
- Entwickler
- Blazing Griffin
- Publisher
- Astragon
- Release
- 28. September 2021
- Auszeichnungen
- Die besten Rätsel des Jahres • Überraschungs-Hit des Jahres
- Trailer
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- Sprachen
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- Stichwörter
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4 Kommentare
Uuund ich bin raus. Wenn ich auf Schienen sein will, geh ich zugfahren.
Schade, sieht toll aus und hatte mich schon gefreut Echt ärgerlich.
The ABC Murders war super!