Mit 'What Makes You Tick' erschien im April 2007 ein kostenfreies Adventure, das viele Spieler begeistern konnte. Der Nachfolger 'A Stitch in Time' wurde deutlich umfangreicher und erscheint dieser Tage als professionell entwickeltes Adventure komplett in Deutsch. Wir hatten die Gelegenheit, Matthias Kempke, dem kreativen Kopf hinter beiden Spielen einige Fragen zu stellen.

Adventure Corner: Zuerst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Stell Dich und Euer Team unseren Lesern doch einmal vor und erkläre kurz, was Ihr im Moment so macht.
Matthias Kempke: Wir, das sind Greg MacWilliam, der heute hier nicht anwesend ist, und ich, Matthias Kempke. Greg arbeitet zurzeit in Washington DC als professioneller Web-Programmierer. Ich selbst bin Student und bereite mich gerade auf die letzten Prüfungen vor.
Adventure Corner: Ihr wohnt in Leipzig und Washington und seid sicher nicht zusammen zur Schule gegangen. Wie kam der Kontakt zustande?
Matthias Kempke: Greg hatte 1998/99 eine 'Grim Fandango'-Fan-Seite gebastelt ('The End of the Line'), die bei mixnmojo.com gehostet wurde. Zur selben Zeit habe ich dort auch meine 'Monkey-Island'-Fan-Webseite untergebracht: den 'Essential Guide to Monkey Island'. Auf der Frontseite habe ich meine Lieblingsseiten verlinkt – darunter auch Gregs 'End of the Line'. Um sich dafür zu bedanken, schrieb mir Greg eine E-Mail. Daraus entwickelte sich eine Brieffreundschaft. Selbst als die Seiten schon verschwunden waren, blieben wir in Kontakt und schließlich besuchte mich Greg 2004 auf seiner Rucksacktour durch Europa – bei seinem Besuch demonstrierte er mir die allererste Beta-Version seiner 'LASSIE'-Engine höchstpersönlich. Damals habe ich ihm versprochen ein Spiel zu machen. Daraus wurde dann 'What Makes You Tick', das im April 2007 fertig wurde.
Adventure Corner: Mit der Engine habt Ihr dann ja auch 'A Stitch in Time' entwickelt. Kannst Du uns etwas zur Entstehungsgeschichte von 'LASSIE' erzählen?
Matthias Kempke: Gregs 'LASSIE'-Engine (LASSIE, ursprünglich: Lingo Adventure Scripting System and Interactivity Engine) hat seit dem Beginn 2003/04 drei verschiedene Inkarnationen durchlebt. Die erste Version war 'LASSIE-Director', die wie der Name bereits sagt, auf Macromedia 'Director' und dessen Programmiersprache 'Lingo' basierte. 'What Makes You Tick' wurde auch mit 'LASSIE-Director' gebastelt, leider wurde 'Director' nicht weiterentwickelt und damit auch die Entwicklung dieser Version der Engine eingestellt. Das ist auch der Grund warum 'What Makes You Tick' noch 2-3 Bugs enthält, die nicht behoben werden konnten und nie eine deutsche Version gemacht wurde: wir konnten ab einem gewissen Zeitpunkt keine neue Version mehr publishen, weil Gregs neuere Macintoshs das Spiel nicht einmal mehr öffnen konnten. Wir arbeiten allerdings schon an einer Neuauflage von 'What Makes You Tick' in der neuesten Version der Engine: 'LASSIE-SHEPERD', die wie ihr Vorgänger 'LASSIE-AS' auf Actionscript basiert, aber ein ganz neues Backend-Interface hat und über viele neue Versionen verfügt. Ihr seht, Greg musste sehr viel an den Engines arbeiten. Auch weil 'A Stitch in Time' nun so gut läuft, ist es sehr schade, dass Apple 'Flash' auf dem iPad und dem iPhone nicht unterstützt. Dank 'Flash' kann man z.B. die Demo von 'Stitch' sogar direkt auf unserer Webseite spielen.
Adventure Corner: Seid Ihr mit Eurer Engine soweit zufrieden oder gibt es Features, die Ihr für das nächste Spiel einbauen möchtet?
Matthias Kempke: Es gibt natürlich noch ein paar Ecken und Kanten an denen Greg feilen möchte und wird, wenn wir wieder aktiv an einem Spiel arbeiten. Auch für 'A Stitch in Time' hat er die Engine nebenbei weiter verbessert und angepasst. 'LASSIE' ist mittlerweile ein Open-Source-Projekt geworden, das heißt: andere Entwickler sind nicht auf Greg angewiesen, wenn sie die Engine selbst weiterentwickeln wollen. Spielemacher, die mit dem zufrieden sind, was sie in 'A Stitch in Time' sehen, können die Engine mit etwas Übung genauso benutzen, denn 'LASSIE' ist kostenlos. Allerdings braucht man eine neuere Flashversion um Grafik- und Soundbibliotheken zu erstellen.
Adventure Corner: Für 'A Stitch in Time' habt Ihr Kafkas Kurzgeschichte 'Das Schloss' als Vorbild genommen. Wie seid Ihr auf gerade diese Geschichte gekommen?
Matthias Kempke: Also Kafkas Roman, oder Romanfragment, 'Das Schloss' war schon seit der Schulzeit eines meiner Lieblingsbücher. Damals habe ich einige Ideen aufgeschrieben und Skizzen gemacht – am liebsten hätte ich das damals verfilmt, aber leider bin ich ja nur ein Schüler gewesen – kein Filmemacher. Nach 'What Makes You Tick', also im Sommer 2007, habe ich darüber nachgedacht, was ich als nächstes machen könnte, und da fiel mir wieder 'Das Schloss' ein. Ursprünglich sollte das mein nächstes Spiel werden … ich wollte nur nebenbei kleine Hinweise auf das Schicksal von Nora und Nathan und den anderen Charakteren aus 'What Makes You Tick' einbauen, weil das Spiel der Tradition der Kurzgeschichte folgend ja ein offenes Ende hatte. Als ich Greg davon erzählte, war er ganz begeistert. Wir haben dann während einer Wanderung in der Schweiz, bei einem Bier an irgendeiner Hotelbar nahe unseres Zeltplatzes, angefangen, die Geschichte weiterzuspinnen … und das 'WMYT'-Element wuchs und wuchs und schließlich blieben lediglich ein paar grundlegende Elemente vom 'Schloss'-Spiel übrig: das Schloss selbst, der Baron und die Beamten und Nigels seltsame Begegnungen mit Lowell Cain. Ein echtes Spiel zu Kafkas 'Das Schloss' würde ganz anders aussehen: dunkler, kälter und hoffnungsloser. Die Dorfbewohner wären auch weniger nur Opfer der Unterdrückung, sondern auch Täter. Für unser Adventure habe ich aber entschieden, dass wir eine etwas naivere und gutherzige Trennung zwischen Gut und Böse anstreben … es gibt keine Verräter unter den Dorfbewohnern. Eine andere Idee, die noch direkt aus meinen Notizen zu einem 'Schloss'-Spiel stammt, ist, dass das Schloss in den meisten Fällen im Hintergrund zu sehen ist, oder aber ein Schlossbeamter oder der Baron. Erst vom Hauptturm des Schlosses aus bekommen wir zum ersten Mal einen anderen Blickwinkel zu sehen: den Blick hinunter auf Ravenhollow. Auf diesem Blickwinkel-Wechsel basiert auch das Gedicht über den hohen Turm, das ich für Mandelbaum, den Maskenschnitzer, geschrieben habe. Auch an der Erzählstruktur, also z.B. daran, dass wir zwei Hauptcharaktere haben, merkt man, dass die Handlung aus zwei Stories besteht, deren Zusammenhang sich erst im Spielverlauf zeigt. Damit haben wir auch gespielt, wenn man z.B. schnell zu Beginn alte Bekannte aus 'What Makes You Tick' wieder trifft, diese dann aber einfach weglaufen und ihrer eigenen Wege gehen. Natürlich wird man später mehr als entschädigt dafür, dass wir unsere Freunde anfangs nur kurz sehen.
Adventure Corner: Nach 'What makes you Tick' habt Ihr beschlossen, ein kommerzielles Projekt zu starten. Haben sich die Arbeiten dadurch verändert?
Matthias Kempke: 'What makes you Tick' habe ich damals ganz alleine neben der Uni gemacht; das war zwar auch sehr viel Arbeit, aber letztlich ganz meditativ, weil ich nur dann dran gearbeitet habe, wenn ich Lust hatte – nur zum Schluss, als ich die ganzen Semesterferien hindurch arbeiten musste, um das Spiel fertig zu machen, wurde es sehr stressig. 'What makes you Tick' entstand nur, weil ich Greg ein Spiel versprochen hatte und selbst immer eines machen wollte. Ich habe es also nur für mich und meine Freunde gemacht. Gerade die Story-Entwicklung lief damals sehr schleppend. Was genau Nathan, die Hauptfigur, eigentlich da an dem alten Haus wollte, ergab sich erst später … ursprünglich gab es in meinem Plan nur Vincent und Nathan. Nathan sollte meiner ersten Idee nach ein mechanischer Mensch mit Amnesie sein, der tatsächlich aus der Holzkiste im ersten Raum heraus gefallen war – die Kiste gibt es da immer noch. Vincent wäre dann sein Erschaffer gewesen, der ihm sagt, dass er nur eine Maschine ist. Einige Dialogteile von Vincent erinnern noch daran. … ich dachte aber, dass das zu traurig wäre. Das jetzige Ende von 'What makes you Tick' war zwar auch nicht nett, aber ich war mir immer sicher, dass Nora schon auf sich selbst aufpassen kann. Bei Nathan bin ich mir da nicht so sicher.
Weil Greg überzeugt war, dass ich 'Stitch' auch abschließen würde – schließlich war ich ja schon verrückt genug gewesen, 'WMYT' fertig zu stellen - hatte er sich entschlossen, unser Spiel zu finanzieren und natürlich auch darauf bestanden, dass wir uns an Deadlines halten. Ich wollte auch nur zwei Urlaubssemester nehmen – letztlich wurden es aber doch drei. Die erste Deadline bestand aus acht Wochen, in denen ich das Drehbuch und das Raum- und Charakterskript schreiben musste … das war also schon ganz anders als bei 'What makes you Tick' - wir hatten allerdings schon vorher viele Story-Elemente gesammelt. Sich hinzusetzen und das alles konsequent in Dialoge umzusetzen, ist anfangs gar nicht so leicht. Danach mussten die Räume gezeichnet werden … im Durchschnitt habe ich für einen Hintergrund einen Tag gebraucht – ohne Farben. Da musste ich mich allerdings auch an den Schreibtisch ketten für neun oder zehn Stunden. Bei den Farben bekam ich zum Glück Unterstützung, so dass ich meistens nur ein paar Stunden für den Feinschliff investieren und die Nachtversionen machen musste. Für die Charaktere hat mein Bruder grobe Skizzen gemacht, die ich dann in saubere Flash-Versionen umgezeichnet, koloriert und animiert habe. Danach musste natürlich alles integriert werden, um eine erste begehbare Welt zu schaffen. Dann habe ich mich mit Greg getroffen und wir haben zusammen das Puzzleskript in den USA geschrieben. Das heißt, er hat geschrieben und wir haben zusammen nachgedacht – das war auf einer Campingtour durch den Westen der USA. In der Wüste. Der Vorteil, das Puzzleskript nach den Raumzeichnungen anzugehen, besteht darin, dass wir die Orte ausgedruckt vor uns liegen hatten und uns überlegen konnten welche Gegenstände und Puzzle da hineinpassen könnten. Danach musste natürlich alles über die Engine integriert werden. Außerdem brauchten wir Musik und Soundeffekte, Hintergrundanimationen und hunderte von 'LASSIE'-Skripts …
Natürlich hat es etwas länger gedauert als das eine Jahr, das wir uns als Deadline gesetzt hatten. Ich wollte gerade bei dieser einmaligen Gelegenheit, ein ganzes Spiel machen zu können, nicht einfach Kürzungen hinnehmen, die z.B. Greg vorgeschlagen hatte, damit das Projekt machbar blieb. Kürzungen gab es nur in speziellen Details, aber die Story besteht aus allem was geplant war. Dadurch brauchten wir statt 12 etwa 17 Monate und dann noch sechs Monate für intensive Tests. Letztlich war 'Stitch' für mich weit weniger meditativ als 'What makes you Tick' – im Gegenteil. Das Gefühl, dass hier das ganze Projekt von einem selbst abhängt, ist etwas, an das man sich erst gewöhnen muss. Eine große Verantwortung. Sich dafür dann auch noch für anderthalb Jahre von der Uni zu verabschieden und wo viele Freunde schon ihren Abschluss machen, ist dann auch nicht so leicht … dann arbeitet man auch noch die meiste Zeit allein zu Hause. Und weil alles etwas länger gedauert hat, ging es dann gleich mit der Magisterarbeit weiter. Da war ich schon ziemlich ausgelaugt. Dasselbe gilt für Greg, der neben seinem Vollzeitjob programmiert, organisiert, mit animiert und sogar gezeichnet hat.
Adventure Corner: Gab es eigentlich Feedback von anderen professionellen Entwicklern auf Eure Spiele?
Matthias Kempke: Ich habe vor ein paar Wochen ein paar sehr vergnügliche Stunden bei einem gewissen Entwicklerstudio in Hamburg verbracht, die für Spiele mit ausbrechenden Insassen aus Kliniken für Menschen mit psychologischen Eigenarten, geflüsterten Welten und SF-Umwelt-Thriller bekannt sind. Sehr nette Leute! Die waren sehr freundlich und begeistert von unserer Arbeit. Das war wirklich aufbauend, weil man sonst nur Feedback von Freunden oder aus dem Internet bekommt. Das war schon bei 'What makes you Tick' etwas frustrierend. Irgendwie ist Internet so … weit weg. Nicht ganz echt. Da tut Feedback von Menschen im echten Leben, die sich zudem auch noch damit auskennen, wirklich gut. Das war auch das erste mal, dass ich - neben Greg und ein paar Bekannten in den USA – Menschen getroffen habe, die Spiele machen. Die psychologische Beratung für Spieleentwickler in 'Edna bricht aus' gibt es nicht ohne Grund. So etwas braucht es auch im richtigen Leben.
Adventure Corner: Was an A Stitch in Time gefällt Dir besonders gut? Und was hättest Du im Nachhinein anders gemacht?
Matthias Kempke: Anders gemacht hätten wir Dinge nur mit einem größeren Budget und mehr Mitarbeitern. Wir hätten natürlich auch sehr gerne Stimmen im Spiel gehabt und bessere Animationen. Ich habe gerade erst vor kurzem 'Edna bricht aus' gespielt, und das Design ist stimmig und das Spiel komplex und sehr gut geschrieben - insbesondere haben mich die Stimmen umgehauen. Das Spiel wirkt um eine ganze Dimension lebendiger, wenn man gute Sprecher hat, die das Skript umsetzen. Die Animationen werden meist als größte Schwäche von 'Stitch' beschrieben … und es stimmt. Ich kann das sagen, weil ich fünfundachtzig Prozent der Animationen selbst gemacht habe. Der Rest stammt von Greg und meinem Bruder Sebastian … und ich hatte niemals Ambitionen Animator zu werden. Ich denke die Animationen sind okay, aber als jemand der traditionelle handgezeichnete Frame-by-Frame-Animationen liebt, hätte ich mir natürlich auch eine handvoll talentierter Animatoren gewünscht. Aber zumindest habe ich jetzt aus erster Hand Erfahrungen gesammelt, was es bedeutet, Animationen wirtschaftlich einzusetzen – wenn ich also mal mit echten Animatoren zusammenarbeiten darf, dann werde ich hoffentlich wissen, sie gut einzusetzen und sie nicht wild nutzlose Szenen animieren lassen.
Adventure Corner: A Stitch in Time ist ein handgezeichnetes 2D-Adventure. Was gefällt Dir daran besser als an den 3D oder 2,5D-Spielen?
Matthias Kempke: 3D-Spiele können fantastisch sein. Spiele wie 'Red Dead Redemption' oder 'Batman: Arkham Asylum' etc. schaffen es wirklich, eine atmosphärische Welt mit Spielfreiheit zu erschaffen. Das ist atemberaubend. Bei kleineren Produktionen ist es sehr schade, wenn man auf 3D setzt, das dann etwas nach selbst gebasteltem Schlumpfdorf aussieht. Wenn 3D nicht nötig ist und die Produktionszeichnungen besser aussehen, als das fertige Spiel, dann finde ich das sehr schade, weil am Ende bei der Umsetzung in 3D etwas verloren geht. Andererseits ist dann das Animieren sicher billiger. Bei 2,5D-Spielen ist das noch seltsamer … einige vorgerenderte Hintergründe sehen schlechter aus, als die live generierten 3D-Welten in anderen Spielen. Das ist dann technisch nicht besonders überzeugend. Es gibt natürlich auch Ausnahmen … 'Grim Fandango' war einfach sehr klug gestaltet – der Art Deco Stil passte perfekt zum 3D. Dann gab es zum Beispiel für den Gamecube ein Remake für 'Resident Evil 1', das vorgerenderte Hintergründe hatte … diese enthielten aber komplexe Animationsschleifen mit Bäumen und Gras, die sich im Sturm bewegen, brennenden Räumen etc – das wird viel zu selten genutzt, obwohl sich das bei vorgerenderten Hintergründen sehr anbietet. Andererseits funktioniert eine Kombination von 3D Charakteren und gezeichneten Hintergründen auch, wenn man sich Mühe gibt, das aufeinander abzustimmen, wie z.B. bei 'A Vampire Story'.
Mich persönlich haben aber gerade die Zeichnungen und Animationen aus 'The Curse of Monkey Island' inspiriert. Da ich schon immer gezeichnet habe, finde ich die Vorstellung Zeichnungen zu einer lebendigen Welt zu verbinden, einfach sehr faszinierend. Daher kam auch meine Motivation, selbst Spiele zu machen. Gerade auch weil Zeichnungen sehr natürlich wirken können und einen sehr individuellen Stil ausdrücken, der dann auch das Spiel prägt. Einmal habe ich Greg eine vektorisierte Zeichnung von Nathan geschickt, und er hat sie mir dann „verbessert“ zurückgeschickt: um die Animation zu beschleunigen, hatte er die meisten Linien, die ich extra per Hand und etwas zitterig-individuell gezeichnet hatte, geglättet, bis es nicht mehr handgezeichnet aussah. Wir haben dann einen Kompromiss gefunden, aber es war nicht schön, zu sehen, wie dieser individuelle Strich verloren geht. Vielleicht versteht man das Gefühl aber am besten, wenn man selbst jahrelang gezeichnet hat.
Adventure Corner: Was ist für Dich am Wichtigsten, wenn Du ein Adventure spielst? Achtest Du da besonders auf die Geschichten oder Charaktere?
Matthias Kempke: Geschichte und Charaktere sind wichtig. Allerdings kommt es auf das Spiel an. In 'Stitch' habe ich versucht, den meisten Charakteren eine Hintergrundgeschichte zu geben, so dass wir als Spieler motiviert werden, ihnen zu helfen oder mit ihnen zu sprechen. Wenn Charaktere zu eindimensional sind, dann verliert man schnell das Interesse. Andererseits: Spiele, die in erster Linie mit Humor arbeiten, können wunderbar oberflächliche Charaktere haben … wie zum Beispiel „Droggelbecher“ in 'Edna' oder Nebencharaktere in 'Day of the Tentacle'. 'Stitch' arbeitet zwar auch mit Humor, aber die Geschichte ist doch ernst … und diese Ernsthaftigkeit wird einem am ehesten bewusst, wenn man die Charaktere, die in Schwierigkeiten stecken oder in Gefahr geraten, ernst nimmt und mag.
In einem Adventure kann die Geschichte relativ einfach beginnen, aber mit dem Fortlauf des Spiels wäre es einfach zu schade, sich nur von Raum zu Raum zu bewegen, ohne dem Spieler auch das Gefühl zu geben, dass er oder sie Schritt für Schritt eine Handlung vorantreibt, die auch überraschend sein kann. Das Gefühl „Oh! Was habe ich denn da jetzt angestellt!“ finde ich als Spieler sehr befriedigend. Aber auch Orte und Stimmungen sind in einem Spiel für mich sehr wichtig … wenn man das Gefühl hat, sich an einem interessanten Platz zu befinden.
Adventure Corner: Was hältst Du von der Tendenz, dass Adventures immer weniger interaktiv werden? In manchen Titeln geht es nur noch darum, Dialoge weiter zu klicken und zerrissene Notizen zusammen zu setzen.
Matthias Kempke: Wenn man das konsequent - völlig ohne Items und Inventar - umsetzt, um eine interaktive Geschichte zu erzählen, dann wäre das vielleicht einen Versuch wert. Aber wenn man wirklich ein Adventure machen möchte, dann ist es einfach verschenktes Potential, Interaktionen auf ein Minimum zu reduzieren. Man hat die Orte, man hat die Charaktere und die Geschichte … jetzt die Rätsel einzufügen ist eigentlich nicht schwer. Für den Spieler ist es ja letztlich die Interaktion mit der Umwelt, die ihm ein Gefühl von Freiheit gibt … als Spieler möchte ich mich weitestgehend frei bewegen können und dann Dinge einsammeln und ansehen und dann Geheimnisse und Rätsel lösen. In einigen Spielen, die ich deshalb auch nicht bis zum Schluss gespielt habe, war das Problem, dass die wenigen Puzzle, die es gab, nicht einmal besonders logisch waren. Das ist dann wirklich frustrierend. Wenn man ein klassisches Adventure macht, sei es in 2D oder 3D, dann sollte man nicht vergessen, dass Items, Inventar und Rätsel die grundlegenden Elemente waren, die den Spielspaß in Klassikern wie 'Monkey Island' ausgemacht haben … andererseits haben Greg und ich auch lange über die Puzzle nachdenken müssen. Sich Rätsel auszudenken, ist harte Arbeit. Vielleicht fallen vielen Autoren manchmal auch keine Puzzles mehr ein …
Adventure Corner: Nachdem A Stitch in Time nun fertig ist: Was sind Eure nächsten Pläne?
Matthias Kempke: Greg will sich zunächst mit ein paar kleineren Projekten befassen. In den nächsten Monaten werden wir auch 'What makes you Tick' neu auflegen – natürlich immer noch kostenlos – um das Spiel wieder kompatibel mit den aktuellen PCs und Macs da draußen zu machen, dann können wir das auch endlich übersetzen. An dieser neuen Version arbeiten wir jetzt schon. Ich selbst hoffe mein Studium im Sommer zu beenden und dann endlich zu arbeiten … irgendwo … irgendwie.
Adventure Corner: Worauf dürfen wir uns dann freuen?
Matthias Kempke: Auf eine Überraschung … hoffentlich. Aber das ist noch geheim!
Adventure Corner: Gibt es sonst noch etwas, dass Ihr unseren Lesern sagen möchtet?
Matthias Kempke: Wir hoffen, dass ihr Spaß beim Spielen habt! Und nicht vergessen … wenn ihr selbst ein Spiel machen wollt: Gregs 'LASSIE' und andere Engines stehen bereit! Manchmal ist der einzige Weg, das Spiel zu bekommen, das man Spielen will, es selbst zu machen … außer natürlich im Fall von 'What Makes You Tick: A Stitch in Time' – das gibt es jetzt schon!
Adventure Corner: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit 'A Stitch in Time' und Euren zukünftigen Projekten!
Matthias Kempke: Danke! Und auch vielen Dank für euer Interesse!
Matthias Kempke: Wir, das sind Greg MacWilliam, der heute hier nicht anwesend ist, und ich, Matthias Kempke. Greg arbeitet zurzeit in Washington DC als professioneller Web-Programmierer. Ich selbst bin Student und bereite mich gerade auf die letzten Prüfungen vor.
Adventure Corner: Ihr wohnt in Leipzig und Washington und seid sicher nicht zusammen zur Schule gegangen. Wie kam der Kontakt zustande?
Matthias Kempke: Greg hatte 1998/99 eine 'Grim Fandango'-Fan-Seite gebastelt ('The End of the Line'), die bei mixnmojo.com gehostet wurde. Zur selben Zeit habe ich dort auch meine 'Monkey-Island'-Fan-Webseite untergebracht: den 'Essential Guide to Monkey Island'. Auf der Frontseite habe ich meine Lieblingsseiten verlinkt – darunter auch Gregs 'End of the Line'. Um sich dafür zu bedanken, schrieb mir Greg eine E-Mail. Daraus entwickelte sich eine Brieffreundschaft. Selbst als die Seiten schon verschwunden waren, blieben wir in Kontakt und schließlich besuchte mich Greg 2004 auf seiner Rucksacktour durch Europa – bei seinem Besuch demonstrierte er mir die allererste Beta-Version seiner 'LASSIE'-Engine höchstpersönlich. Damals habe ich ihm versprochen ein Spiel zu machen. Daraus wurde dann 'What Makes You Tick', das im April 2007 fertig wurde.
Adventure Corner: Mit der Engine habt Ihr dann ja auch 'A Stitch in Time' entwickelt. Kannst Du uns etwas zur Entstehungsgeschichte von 'LASSIE' erzählen?
Matthias Kempke: Gregs 'LASSIE'-Engine (LASSIE, ursprünglich: Lingo Adventure Scripting System and Interactivity Engine) hat seit dem Beginn 2003/04 drei verschiedene Inkarnationen durchlebt. Die erste Version war 'LASSIE-Director', die wie der Name bereits sagt, auf Macromedia 'Director' und dessen Programmiersprache 'Lingo' basierte. 'What Makes You Tick' wurde auch mit 'LASSIE-Director' gebastelt, leider wurde 'Director' nicht weiterentwickelt und damit auch die Entwicklung dieser Version der Engine eingestellt. Das ist auch der Grund warum 'What Makes You Tick' noch 2-3 Bugs enthält, die nicht behoben werden konnten und nie eine deutsche Version gemacht wurde: wir konnten ab einem gewissen Zeitpunkt keine neue Version mehr publishen, weil Gregs neuere Macintoshs das Spiel nicht einmal mehr öffnen konnten. Wir arbeiten allerdings schon an einer Neuauflage von 'What Makes You Tick' in der neuesten Version der Engine: 'LASSIE-SHEPERD', die wie ihr Vorgänger 'LASSIE-AS' auf Actionscript basiert, aber ein ganz neues Backend-Interface hat und über viele neue Versionen verfügt. Ihr seht, Greg musste sehr viel an den Engines arbeiten. Auch weil 'A Stitch in Time' nun so gut läuft, ist es sehr schade, dass Apple 'Flash' auf dem iPad und dem iPhone nicht unterstützt. Dank 'Flash' kann man z.B. die Demo von 'Stitch' sogar direkt auf unserer Webseite spielen.
Adventure Corner: Seid Ihr mit Eurer Engine soweit zufrieden oder gibt es Features, die Ihr für das nächste Spiel einbauen möchtet?
Matthias Kempke: Es gibt natürlich noch ein paar Ecken und Kanten an denen Greg feilen möchte und wird, wenn wir wieder aktiv an einem Spiel arbeiten. Auch für 'A Stitch in Time' hat er die Engine nebenbei weiter verbessert und angepasst. 'LASSIE' ist mittlerweile ein Open-Source-Projekt geworden, das heißt: andere Entwickler sind nicht auf Greg angewiesen, wenn sie die Engine selbst weiterentwickeln wollen. Spielemacher, die mit dem zufrieden sind, was sie in 'A Stitch in Time' sehen, können die Engine mit etwas Übung genauso benutzen, denn 'LASSIE' ist kostenlos. Allerdings braucht man eine neuere Flashversion um Grafik- und Soundbibliotheken zu erstellen.
Adventure Corner: Für 'A Stitch in Time' habt Ihr Kafkas Kurzgeschichte 'Das Schloss' als Vorbild genommen. Wie seid Ihr auf gerade diese Geschichte gekommen?
Matthias Kempke: Also Kafkas Roman, oder Romanfragment, 'Das Schloss' war schon seit der Schulzeit eines meiner Lieblingsbücher. Damals habe ich einige Ideen aufgeschrieben und Skizzen gemacht – am liebsten hätte ich das damals verfilmt, aber leider bin ich ja nur ein Schüler gewesen – kein Filmemacher. Nach 'What Makes You Tick', also im Sommer 2007, habe ich darüber nachgedacht, was ich als nächstes machen könnte, und da fiel mir wieder 'Das Schloss' ein. Ursprünglich sollte das mein nächstes Spiel werden … ich wollte nur nebenbei kleine Hinweise auf das Schicksal von Nora und Nathan und den anderen Charakteren aus 'What Makes You Tick' einbauen, weil das Spiel der Tradition der Kurzgeschichte folgend ja ein offenes Ende hatte. Als ich Greg davon erzählte, war er ganz begeistert. Wir haben dann während einer Wanderung in der Schweiz, bei einem Bier an irgendeiner Hotelbar nahe unseres Zeltplatzes, angefangen, die Geschichte weiterzuspinnen … und das 'WMYT'-Element wuchs und wuchs und schließlich blieben lediglich ein paar grundlegende Elemente vom 'Schloss'-Spiel übrig: das Schloss selbst, der Baron und die Beamten und Nigels seltsame Begegnungen mit Lowell Cain. Ein echtes Spiel zu Kafkas 'Das Schloss' würde ganz anders aussehen: dunkler, kälter und hoffnungsloser. Die Dorfbewohner wären auch weniger nur Opfer der Unterdrückung, sondern auch Täter. Für unser Adventure habe ich aber entschieden, dass wir eine etwas naivere und gutherzige Trennung zwischen Gut und Böse anstreben … es gibt keine Verräter unter den Dorfbewohnern. Eine andere Idee, die noch direkt aus meinen Notizen zu einem 'Schloss'-Spiel stammt, ist, dass das Schloss in den meisten Fällen im Hintergrund zu sehen ist, oder aber ein Schlossbeamter oder der Baron. Erst vom Hauptturm des Schlosses aus bekommen wir zum ersten Mal einen anderen Blickwinkel zu sehen: den Blick hinunter auf Ravenhollow. Auf diesem Blickwinkel-Wechsel basiert auch das Gedicht über den hohen Turm, das ich für Mandelbaum, den Maskenschnitzer, geschrieben habe. Auch an der Erzählstruktur, also z.B. daran, dass wir zwei Hauptcharaktere haben, merkt man, dass die Handlung aus zwei Stories besteht, deren Zusammenhang sich erst im Spielverlauf zeigt. Damit haben wir auch gespielt, wenn man z.B. schnell zu Beginn alte Bekannte aus 'What Makes You Tick' wieder trifft, diese dann aber einfach weglaufen und ihrer eigenen Wege gehen. Natürlich wird man später mehr als entschädigt dafür, dass wir unsere Freunde anfangs nur kurz sehen.
Adventure Corner: Nach 'What makes you Tick' habt Ihr beschlossen, ein kommerzielles Projekt zu starten. Haben sich die Arbeiten dadurch verändert?
Matthias Kempke: 'What makes you Tick' habe ich damals ganz alleine neben der Uni gemacht; das war zwar auch sehr viel Arbeit, aber letztlich ganz meditativ, weil ich nur dann dran gearbeitet habe, wenn ich Lust hatte – nur zum Schluss, als ich die ganzen Semesterferien hindurch arbeiten musste, um das Spiel fertig zu machen, wurde es sehr stressig. 'What makes you Tick' entstand nur, weil ich Greg ein Spiel versprochen hatte und selbst immer eines machen wollte. Ich habe es also nur für mich und meine Freunde gemacht. Gerade die Story-Entwicklung lief damals sehr schleppend. Was genau Nathan, die Hauptfigur, eigentlich da an dem alten Haus wollte, ergab sich erst später … ursprünglich gab es in meinem Plan nur Vincent und Nathan. Nathan sollte meiner ersten Idee nach ein mechanischer Mensch mit Amnesie sein, der tatsächlich aus der Holzkiste im ersten Raum heraus gefallen war – die Kiste gibt es da immer noch. Vincent wäre dann sein Erschaffer gewesen, der ihm sagt, dass er nur eine Maschine ist. Einige Dialogteile von Vincent erinnern noch daran. … ich dachte aber, dass das zu traurig wäre. Das jetzige Ende von 'What makes you Tick' war zwar auch nicht nett, aber ich war mir immer sicher, dass Nora schon auf sich selbst aufpassen kann. Bei Nathan bin ich mir da nicht so sicher.
Weil Greg überzeugt war, dass ich 'Stitch' auch abschließen würde – schließlich war ich ja schon verrückt genug gewesen, 'WMYT' fertig zu stellen - hatte er sich entschlossen, unser Spiel zu finanzieren und natürlich auch darauf bestanden, dass wir uns an Deadlines halten. Ich wollte auch nur zwei Urlaubssemester nehmen – letztlich wurden es aber doch drei. Die erste Deadline bestand aus acht Wochen, in denen ich das Drehbuch und das Raum- und Charakterskript schreiben musste … das war also schon ganz anders als bei 'What makes you Tick' - wir hatten allerdings schon vorher viele Story-Elemente gesammelt. Sich hinzusetzen und das alles konsequent in Dialoge umzusetzen, ist anfangs gar nicht so leicht. Danach mussten die Räume gezeichnet werden … im Durchschnitt habe ich für einen Hintergrund einen Tag gebraucht – ohne Farben. Da musste ich mich allerdings auch an den Schreibtisch ketten für neun oder zehn Stunden. Bei den Farben bekam ich zum Glück Unterstützung, so dass ich meistens nur ein paar Stunden für den Feinschliff investieren und die Nachtversionen machen musste. Für die Charaktere hat mein Bruder grobe Skizzen gemacht, die ich dann in saubere Flash-Versionen umgezeichnet, koloriert und animiert habe. Danach musste natürlich alles integriert werden, um eine erste begehbare Welt zu schaffen. Dann habe ich mich mit Greg getroffen und wir haben zusammen das Puzzleskript in den USA geschrieben. Das heißt, er hat geschrieben und wir haben zusammen nachgedacht – das war auf einer Campingtour durch den Westen der USA. In der Wüste. Der Vorteil, das Puzzleskript nach den Raumzeichnungen anzugehen, besteht darin, dass wir die Orte ausgedruckt vor uns liegen hatten und uns überlegen konnten welche Gegenstände und Puzzle da hineinpassen könnten. Danach musste natürlich alles über die Engine integriert werden. Außerdem brauchten wir Musik und Soundeffekte, Hintergrundanimationen und hunderte von 'LASSIE'-Skripts …
Natürlich hat es etwas länger gedauert als das eine Jahr, das wir uns als Deadline gesetzt hatten. Ich wollte gerade bei dieser einmaligen Gelegenheit, ein ganzes Spiel machen zu können, nicht einfach Kürzungen hinnehmen, die z.B. Greg vorgeschlagen hatte, damit das Projekt machbar blieb. Kürzungen gab es nur in speziellen Details, aber die Story besteht aus allem was geplant war. Dadurch brauchten wir statt 12 etwa 17 Monate und dann noch sechs Monate für intensive Tests. Letztlich war 'Stitch' für mich weit weniger meditativ als 'What makes you Tick' – im Gegenteil. Das Gefühl, dass hier das ganze Projekt von einem selbst abhängt, ist etwas, an das man sich erst gewöhnen muss. Eine große Verantwortung. Sich dafür dann auch noch für anderthalb Jahre von der Uni zu verabschieden und wo viele Freunde schon ihren Abschluss machen, ist dann auch nicht so leicht … dann arbeitet man auch noch die meiste Zeit allein zu Hause. Und weil alles etwas länger gedauert hat, ging es dann gleich mit der Magisterarbeit weiter. Da war ich schon ziemlich ausgelaugt. Dasselbe gilt für Greg, der neben seinem Vollzeitjob programmiert, organisiert, mit animiert und sogar gezeichnet hat.
Adventure Corner: Gab es eigentlich Feedback von anderen professionellen Entwicklern auf Eure Spiele?
Matthias Kempke: Ich habe vor ein paar Wochen ein paar sehr vergnügliche Stunden bei einem gewissen Entwicklerstudio in Hamburg verbracht, die für Spiele mit ausbrechenden Insassen aus Kliniken für Menschen mit psychologischen Eigenarten, geflüsterten Welten und SF-Umwelt-Thriller bekannt sind. Sehr nette Leute! Die waren sehr freundlich und begeistert von unserer Arbeit. Das war wirklich aufbauend, weil man sonst nur Feedback von Freunden oder aus dem Internet bekommt. Das war schon bei 'What makes you Tick' etwas frustrierend. Irgendwie ist Internet so … weit weg. Nicht ganz echt. Da tut Feedback von Menschen im echten Leben, die sich zudem auch noch damit auskennen, wirklich gut. Das war auch das erste mal, dass ich - neben Greg und ein paar Bekannten in den USA – Menschen getroffen habe, die Spiele machen. Die psychologische Beratung für Spieleentwickler in 'Edna bricht aus' gibt es nicht ohne Grund. So etwas braucht es auch im richtigen Leben.
Adventure Corner: Was an A Stitch in Time gefällt Dir besonders gut? Und was hättest Du im Nachhinein anders gemacht?
Matthias Kempke: Anders gemacht hätten wir Dinge nur mit einem größeren Budget und mehr Mitarbeitern. Wir hätten natürlich auch sehr gerne Stimmen im Spiel gehabt und bessere Animationen. Ich habe gerade erst vor kurzem 'Edna bricht aus' gespielt, und das Design ist stimmig und das Spiel komplex und sehr gut geschrieben - insbesondere haben mich die Stimmen umgehauen. Das Spiel wirkt um eine ganze Dimension lebendiger, wenn man gute Sprecher hat, die das Skript umsetzen. Die Animationen werden meist als größte Schwäche von 'Stitch' beschrieben … und es stimmt. Ich kann das sagen, weil ich fünfundachtzig Prozent der Animationen selbst gemacht habe. Der Rest stammt von Greg und meinem Bruder Sebastian … und ich hatte niemals Ambitionen Animator zu werden. Ich denke die Animationen sind okay, aber als jemand der traditionelle handgezeichnete Frame-by-Frame-Animationen liebt, hätte ich mir natürlich auch eine handvoll talentierter Animatoren gewünscht. Aber zumindest habe ich jetzt aus erster Hand Erfahrungen gesammelt, was es bedeutet, Animationen wirtschaftlich einzusetzen – wenn ich also mal mit echten Animatoren zusammenarbeiten darf, dann werde ich hoffentlich wissen, sie gut einzusetzen und sie nicht wild nutzlose Szenen animieren lassen.
Adventure Corner: A Stitch in Time ist ein handgezeichnetes 2D-Adventure. Was gefällt Dir daran besser als an den 3D oder 2,5D-Spielen?
Matthias Kempke: 3D-Spiele können fantastisch sein. Spiele wie 'Red Dead Redemption' oder 'Batman: Arkham Asylum' etc. schaffen es wirklich, eine atmosphärische Welt mit Spielfreiheit zu erschaffen. Das ist atemberaubend. Bei kleineren Produktionen ist es sehr schade, wenn man auf 3D setzt, das dann etwas nach selbst gebasteltem Schlumpfdorf aussieht. Wenn 3D nicht nötig ist und die Produktionszeichnungen besser aussehen, als das fertige Spiel, dann finde ich das sehr schade, weil am Ende bei der Umsetzung in 3D etwas verloren geht. Andererseits ist dann das Animieren sicher billiger. Bei 2,5D-Spielen ist das noch seltsamer … einige vorgerenderte Hintergründe sehen schlechter aus, als die live generierten 3D-Welten in anderen Spielen. Das ist dann technisch nicht besonders überzeugend. Es gibt natürlich auch Ausnahmen … 'Grim Fandango' war einfach sehr klug gestaltet – der Art Deco Stil passte perfekt zum 3D. Dann gab es zum Beispiel für den Gamecube ein Remake für 'Resident Evil 1', das vorgerenderte Hintergründe hatte … diese enthielten aber komplexe Animationsschleifen mit Bäumen und Gras, die sich im Sturm bewegen, brennenden Räumen etc – das wird viel zu selten genutzt, obwohl sich das bei vorgerenderten Hintergründen sehr anbietet. Andererseits funktioniert eine Kombination von 3D Charakteren und gezeichneten Hintergründen auch, wenn man sich Mühe gibt, das aufeinander abzustimmen, wie z.B. bei 'A Vampire Story'.
Mich persönlich haben aber gerade die Zeichnungen und Animationen aus 'The Curse of Monkey Island' inspiriert. Da ich schon immer gezeichnet habe, finde ich die Vorstellung Zeichnungen zu einer lebendigen Welt zu verbinden, einfach sehr faszinierend. Daher kam auch meine Motivation, selbst Spiele zu machen. Gerade auch weil Zeichnungen sehr natürlich wirken können und einen sehr individuellen Stil ausdrücken, der dann auch das Spiel prägt. Einmal habe ich Greg eine vektorisierte Zeichnung von Nathan geschickt, und er hat sie mir dann „verbessert“ zurückgeschickt: um die Animation zu beschleunigen, hatte er die meisten Linien, die ich extra per Hand und etwas zitterig-individuell gezeichnet hatte, geglättet, bis es nicht mehr handgezeichnet aussah. Wir haben dann einen Kompromiss gefunden, aber es war nicht schön, zu sehen, wie dieser individuelle Strich verloren geht. Vielleicht versteht man das Gefühl aber am besten, wenn man selbst jahrelang gezeichnet hat.
Adventure Corner: Was ist für Dich am Wichtigsten, wenn Du ein Adventure spielst? Achtest Du da besonders auf die Geschichten oder Charaktere?
Matthias Kempke: Geschichte und Charaktere sind wichtig. Allerdings kommt es auf das Spiel an. In 'Stitch' habe ich versucht, den meisten Charakteren eine Hintergrundgeschichte zu geben, so dass wir als Spieler motiviert werden, ihnen zu helfen oder mit ihnen zu sprechen. Wenn Charaktere zu eindimensional sind, dann verliert man schnell das Interesse. Andererseits: Spiele, die in erster Linie mit Humor arbeiten, können wunderbar oberflächliche Charaktere haben … wie zum Beispiel „Droggelbecher“ in 'Edna' oder Nebencharaktere in 'Day of the Tentacle'. 'Stitch' arbeitet zwar auch mit Humor, aber die Geschichte ist doch ernst … und diese Ernsthaftigkeit wird einem am ehesten bewusst, wenn man die Charaktere, die in Schwierigkeiten stecken oder in Gefahr geraten, ernst nimmt und mag.
In einem Adventure kann die Geschichte relativ einfach beginnen, aber mit dem Fortlauf des Spiels wäre es einfach zu schade, sich nur von Raum zu Raum zu bewegen, ohne dem Spieler auch das Gefühl zu geben, dass er oder sie Schritt für Schritt eine Handlung vorantreibt, die auch überraschend sein kann. Das Gefühl „Oh! Was habe ich denn da jetzt angestellt!“ finde ich als Spieler sehr befriedigend. Aber auch Orte und Stimmungen sind in einem Spiel für mich sehr wichtig … wenn man das Gefühl hat, sich an einem interessanten Platz zu befinden.
Adventure Corner: Was hältst Du von der Tendenz, dass Adventures immer weniger interaktiv werden? In manchen Titeln geht es nur noch darum, Dialoge weiter zu klicken und zerrissene Notizen zusammen zu setzen.
Matthias Kempke: Wenn man das konsequent - völlig ohne Items und Inventar - umsetzt, um eine interaktive Geschichte zu erzählen, dann wäre das vielleicht einen Versuch wert. Aber wenn man wirklich ein Adventure machen möchte, dann ist es einfach verschenktes Potential, Interaktionen auf ein Minimum zu reduzieren. Man hat die Orte, man hat die Charaktere und die Geschichte … jetzt die Rätsel einzufügen ist eigentlich nicht schwer. Für den Spieler ist es ja letztlich die Interaktion mit der Umwelt, die ihm ein Gefühl von Freiheit gibt … als Spieler möchte ich mich weitestgehend frei bewegen können und dann Dinge einsammeln und ansehen und dann Geheimnisse und Rätsel lösen. In einigen Spielen, die ich deshalb auch nicht bis zum Schluss gespielt habe, war das Problem, dass die wenigen Puzzle, die es gab, nicht einmal besonders logisch waren. Das ist dann wirklich frustrierend. Wenn man ein klassisches Adventure macht, sei es in 2D oder 3D, dann sollte man nicht vergessen, dass Items, Inventar und Rätsel die grundlegenden Elemente waren, die den Spielspaß in Klassikern wie 'Monkey Island' ausgemacht haben … andererseits haben Greg und ich auch lange über die Puzzle nachdenken müssen. Sich Rätsel auszudenken, ist harte Arbeit. Vielleicht fallen vielen Autoren manchmal auch keine Puzzles mehr ein …
Adventure Corner: Nachdem A Stitch in Time nun fertig ist: Was sind Eure nächsten Pläne?
Matthias Kempke: Greg will sich zunächst mit ein paar kleineren Projekten befassen. In den nächsten Monaten werden wir auch 'What makes you Tick' neu auflegen – natürlich immer noch kostenlos – um das Spiel wieder kompatibel mit den aktuellen PCs und Macs da draußen zu machen, dann können wir das auch endlich übersetzen. An dieser neuen Version arbeiten wir jetzt schon. Ich selbst hoffe mein Studium im Sommer zu beenden und dann endlich zu arbeiten … irgendwo … irgendwie.
Adventure Corner: Worauf dürfen wir uns dann freuen?
Matthias Kempke: Auf eine Überraschung … hoffentlich. Aber das ist noch geheim!
Adventure Corner: Gibt es sonst noch etwas, dass Ihr unseren Lesern sagen möchtet?
Matthias Kempke: Wir hoffen, dass ihr Spaß beim Spielen habt! Und nicht vergessen … wenn ihr selbst ein Spiel machen wollt: Gregs 'LASSIE' und andere Engines stehen bereit! Manchmal ist der einzige Weg, das Spiel zu bekommen, das man Spielen will, es selbst zu machen … außer natürlich im Fall von 'What Makes You Tick: A Stitch in Time' – das gibt es jetzt schon!
Adventure Corner: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit 'A Stitch in Time' und Euren zukünftigen Projekten!
Matthias Kempke: Danke! Und auch vielen Dank für euer Interesse!
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What Makes You Tick: A Stitch in Time
- Entwickler
- Lassie Games
- Publisher
- Just-A-Game
- Release
- 3. Juni 2011
- Webseite
- http://lassiegames.com/stitch/news/
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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What makes you Tick?
- Entwickler
- Lassie Games
- Publisher
- Lassie Games
- Release
- 20. Juni 2007
- Webseite
- http://wmyt.weirdfiction.de/
- Art
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Independent
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- What Makes You Tick: A Stitch in Time bei Amazon kaufen (Affiliate-Link)
- Schlagwort: Interviews
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