Das klassische Adventure 'Slender Threads' setzt auf eine Mischung aus Humor, Point-and-Click und Lovecraft. Entwickelt wurde es vom argentinischen Indie-Team Blyts, das mit 'Kelvin and the Infamous Machine' vor wenigen Jahren einiges richtig gemacht hat. Ob mit dem brandneuen Werk ein Volltreffer gelungen ist, das sehen wir uns im Review genauer an.
Ein Mann besucht eine entlegene Kleinstadt und wird von paranormalen Phänomenen heimgesucht. Horror-Fans ist dieses Szenario bestimmt vertraut und 'Slender Threads' schlägt genau in diese Kerbe. Harvey Green sieht sich als talentierten Autor. Da niemand sonst diese Meinung teilt, muss er seinen Unterhalt als reisender Buchhändler verdienen. In dieser Funktion verschlägt es ihn zu später Stunde in die fiktive Ortschaft Villa Ventana, wo das Unglück seinen Lauf nimmt.
Harveys Visionen zeigen nicht nur die Zukunft, sondern auch vergangene Ereignisse...Sein Hotelzimmer ist recht heruntergekommen, der Besitzer der Absteige glänzt durch rauhes Desinteresse. Als wäre das nicht genug, erlebt Harvey eine schreckliche Vision, die seinen Tod andeutet und den einer bislang unbekannten Person. Grund genug um Frischluft zu tanken und sich die Füße zu vertreten. Besser wird es draußen allerdings nicht. Im Gegenteil. Aus einem ramponierten Gebäude tönt eine Radiostimme, die seinen Namen erwähnt und weiteres Unheil verkündet.
Dass niemand die Tür öffnet, hält ihn selbstverständlich nicht davon ab sich drinnen umzusehen. Kurz darauf folgt die nächste Vision: ein vergangenes Ereignis mit einer riesigen Kreatur. Harvey beginnt an seinem Verstand zu zweifeln. Dennoch braucht es mehr, damit er den Ernst der Lage wirklich begreift, nämlich eine Leiche. Das Opfer ist die Person aus der ersten Vision und ohne ihn wäre sie noch am Leben. Ein unglücklicher Zufall oder zieht eine dunkle Macht die Fäden?
Interessante Idee, schwierige Umsetzung
Zwar gibt es Gruselmomente und die Lovecraft-Inspiration ist nicht von der Hand zu weisen, doch Blyts versteht sich gut darin, die Ereignisse humorvoll und leicht bekömmlich zu verpacken. Für Horror-Fans ist 'Slender Threads' vermutlich zu harmlos. Fans der gepflegten LucasArts-Schule werden hingegen gut bedient.
Makler leben traditionell gefährlich in Adventures...Während die ersten zwei, drei Stunden überzeugen, geht dem Motor vor dem Finale ein wenig das Benzin aus. In Sachen Fahrlässigkeit hätte Antiheld Harvey sich nicht schlecht mit Deponias Rufus verstanden. Daedalic war aber geschickter darin, die problematischen Facetten der Hauptfigur narrativ einzusetzen. Blyts fällt eben dieser Drahtseilakt schwer. Zu stark ist das Bemühen, Harvey sympathisch wirken zu lassen. Dadurch bleibt der talentlose Buchhändler am Schluss oberflächlich.
Die inhaltliche Auflösung nach fünf Stunden Spielzeit wird polarisieren. Es ist kein offenes Ende und die Idee ist rational nachvollziehbar, aber ihre Umsetzung wirkt in etwa so, als würde man ein noch nicht ausreichend erhitztes Metall in eine zu kleine Form pressen wollen. Spaß hatte ich dennoch bis zum Schluss, zumal das Gameplay sich angenehm vertraut spielt.
Durchdachtes Gamedesign – schicker Look
Die Rätselpalette ist abwechslungsreich, von typischen Item-Kombination, geheimen Codes, bis hin zu einem Labyrinth. Anspielungen gibt es genug. Mal sperrt man in 'Monkey Island'-Manier einen hektischen Makler ein, dann wird in Indiana Jones-Manier der mysteriöse Tempel geöffnet. Ähnlich wie Rufus in 'Deponia' schreckt Harvey Green nicht vor gemeingefährlichem Verhalten zurück.
Die Grafik ist stimmig, allerdings werden viele Schauplätze und Charaktere wenig genutzt.Unterwegs warten viele Schauplätze, was mit der Zeit unübersichtlich sein kann. Manche haben ihren Zweck binnen weniger Mausklicks erfüllt. Insbesondere beim etwas größeren Casino hat mich das verwundert. Dank Schnellreisefunktion auf der In-Game-Karte sind die Laufwege aber minimal. Bei Ratlosigkeit steht via Notizbuch im Inventar ein Hilfesystem zur Verfügung. Trotz des gemütlichen Schwierigkeitsgrades bleibt 'Slender Threads' sehr kurzweilig.
Ein weiterer Pluspunkt ist die handgezeichnete Comic-Grafik, wo detaillierte 3D-Hintergründe und zweidimensionale Charaktermodelle aufeinander treffen. Beim Herumspazieren passt sich die Perspektive an und Details wie Spiegelungen in Wasserpfützen sorgen für visuelle Abwechslung. Ähnlich stimmig ist zuletzt der filmische Soundtrack und die englische Vertonung wurde sehr professionell umgesetzt. Deutsche Untertitel sind bei Bedarf verfügbar.
Viel hätte nicht zur Auszeichnung gefehlt. 'Slender Threads' beginnt richtig stark und hält das Niveau über weite Strecken. Leider bleibt das polarisierende Finale hinter den Erwartungen zurück. Durch den kurzen Mittelteil war ich noch nicht bereit für die gewagte Auflösung, die dadurch ein bisschen mit dem Holzhammer herunterknallte.
Trotzdem habe ich das Spiel gern bis zum Ende gespielt. An der technischen Umsetzung gibt es wenig zu rütteln und die logisch durchdachten Rätsel sind angenehm zu lösen. Fans des klassischen Genres, die ein humorvolles Adventure mit einem Hauch Lovecraft suchen, sollten also definitiv einen Blick darauf werfen.