Nachdem der Indie Entwickler Freebird Games Ende 2011 mit seinem Spiel 'To the Moon' für viel Furore sorgte, ist der gefühlvolle Titel nun auch seit März 2012 in deutscher Sprache als Download verfügbar. Das von Kan Gao nahezu im Alleingang entwickelte Abenteuer polarisierte viele Spieler. Viele lobten die sensibel erzählte Science Fiction-Geschichte, andere hingegen konnten mit dem simplen Gameplay nur wenig anfangen. Wie viel taugt der Indie-Titel nun also als Adventure oder sprechen wir hier überhaupt noch von einem Spiel?

Die Arbeit ruft
Die Geschichte beginnt zunächst sehr unschön. Die Doktoren Dr. Eva Rosalene und Dr. Neil Watts befinden sich auf dem Weg zur Arbeit, zu ihrem neuen Patienten Johnny. Beim Grundstück angekommen, wird aus Versehen ein Eichhörnchen überfahren. Nach einem langen beschwerlichen Weg zum Anwesen des Patienten, sind Dr. Rosalene und Dr. Watts endlich im Haus angekommen. Hier halten sich die Verwandten des Patienten auf. Die Tochter sitzt am Bett des kranken Mannes, aber auch kleine Kinder spielen im Haus. Erst, als wir uns mit dem Patienten unterhalten, wird der eigentliche Auftrag klar. Der Patient liegt im Sterben und möchte einen letzten Wunsch erfüllt bekommen. Er möchte zum Mond reisen. Dr. Rosalene und Dr. Watts sind jedoch keine gewöhnlichen Ärzte. Eine neuartige Technik ermöglicht es, diesem Mann den Wunsch zu erfüllen. So müssen die Ärzte in die rekonstruierten Erinnerungen des Mannes eintreten und Schritt für Schritt bis zum Kindesalter gelangen, um den Wunsch auf den Sterbenden zu übertragen. Eine Reise durch die Erinnerung des Mannes beginnt…
16-Bit-Grafik
'To the Moon' wird es bei vielen Spielern grafisch nicht einfach haben. Alte SNES Hasen werden sofort von der pixeligen Optik geblendet und erwarten ein japanisches RPG im Stil der alten Klassiker 'Final Fantasy' oder 'Secret of Mana'. Für Fans klassischer Kulleraugen Rollenspiele muss jedoch eine Warnung ausgesprochen werden, da sich 'To the Moon' von den genannten Titeln erheblich unterscheidet und gleichzeitig viele Gemeinsamkeiten besitzt. So wird der Spieler bei jeder Aktion gefragt, ob sie ausgeführt werden soll oder nicht.
Leider haben diese Entscheidungen keine Konsequenzen, sondern dienen lediglich als Hommage an östliche RPGs. Denn 'To the Moon' ist ein streng lineares Spiel. So dient das Ausführen einer Handlung lediglich der Weiterführung der Geschichte. Ausufernde Textpassagen sind ein typisches Merkmal japanischer RPGs und werden von vielen Spielern mit gemischten Gefühlen aufgenommen. So wird das Gameplay im schlechtesten Fall zu lange unterbrochen oder die Dialoge nerven aufgrund langer Textausuferungen oder infantilem Witz. Auch 'To the Moon' ist textlastig, wenn auch weniger stark. Die Geschichte wird trotz der emotionalen und ernsten Momente mit viel Humor angereichert. So laden insbesondere die Wortgefechte zwischen den Ärzten immer wieder zum Schmunzeln ein. Zum Glück versteht es Entwickler Kan Gao, niemals in grotesk alberne Gespräche abzudriften. Die Dialoge sind gut geschrieben und befürchtete Längen kommen beim Spielen nicht auf. Eine gewisse Textaffinität sollte jedoch mitgebracht werden, da im Spiel sehr viel geredet wird. Eine Sprachausgabe ist nicht vorhanden. Sehr sympathisch sind weitere Anspielungen auf die Lieblings-Rollenspiele des Entwicklers, wie zum Beispiel der abgebrochene Rundenkampf zu Beginn des Spiels.
Ein Adventure ohne Rätsel?
Die Geschichte beginnt mit einem kleinen Tutorial. Im Spiel werden beide Doktoren abschnittweise nach Vorgabe des Spiels gesteuert. Auf dem Weg zum Anwesen des sterbenden Mannes, wird dem Spieler durch Tasteneinblendungen die Steuerung beigebracht. Die Charaktere werden entweder lediglich mit der Maus oder auch alternativ mit den Richtungstasten der Tastatur gesteuert. Mit Objekten interagiert oder Personen angesprochen werden mit der linken Maustaste. Mehr Informationen benötigt der Spieler nicht. In 'To the Moon' existiert zwar ein Inventar, das per Rechtsklick geöffnet wird, relevant ist hier aber lediglich ein Notizen Menü zur Erinnerung sowie der aktuelle EKG Wert des Patienten. Demzufolge werden kaum Gegenstände aufgesammelt oder überhaupt miteinander kombiniert, ein Schlüssel wird bei einer Tür automatisch benutzt. Dialogrätsel sind nicht vorhanden und auch kooperative Rätsel mit beiden Ärzten existieren nicht. Einen Großteil des Gameplays machen die Erinnerungen des Patienten aus. Eine obere Leiste zeigt das Alter des Patienten an, in dem sich die Doktoren gerade befinden. Schritt für Schritt arbeiten sich die beiden Ärzte durch die Vergangenheit des Mannes. Hierfür benötigen sie Schlüsselmomente in Form von Erinnerungen, wie zum Beispiel einen Regenschirm, sogenannte Mementos. Um die Mementos zu aktivieren, werden Memory Links benötigt, was oftmals wiederkehrende Objekte, wie zum Beispiel das Buch „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen sein können. In der aktuellen Erinnerung werden also lediglich diese Objekte abgesucht und angeklickt, um daraufhin in einem simplen Logikrätsel zu einer vollständigen Erinnerung zusammengesetzt zu werden. Nur so können Dr. Rosalene und Dr. Watts weiter in die Vergangenheit gehen. In späteren Abschnitten wird die Rekonstruktion leicht variiert.
Eine interaktive Erzählung
Bei 'To the Moon' stellt sich die Frage, ob es überhaupt als Adventure bezeichnet werden kann. Zwar sind in den rekonstruierenden Erinnerungssequenzen kurze Logikrätsel mit steigender Schwierigkeit vorhanden, aber insbesondere im ersten Teil wiederholen sich diese ständig und sind spätestens nach dem dritten Mal auch in guter Punktzahl lösbar. Aus einer schlechten Punktzahl ergibt sich nebenbei keine Konsequenz. Selbst ein späteres Logikrätsel ist mit Leichtigkeit zu lösen. Liebhaber rätsellastiger und anspruchsvoller Adventures werden also enttäuscht werden und sich unterfordert fühlen. Erstaunlicherweise schafft es das Spiel trotz des nicht nennenswerten Gameplays bis zum Ende faszinierend zu unterhalten, was nicht ausschließlich an der Erzählung liegt. So sorgen simple Geschicklichkeitseinlagen gegen Ende für Abwechslung und die Rekonstruierungen sowie die Orte fallen teilweise sehr unterschiedlich aus. Trotzdem bleibt 'To the Moon' im Gameplay durchgehend anspruchsarm und schlichtweg zu einfach. Gleichzeitig sorgen die Entwickler damit für eine stärkere Immersion in die Geschichte. Die vereinfachte Adventure Mechanik dient dabei lediglich dem Vorankommen der Erzählung. Der Spielfluss bleibt jedoch durchgehend flüssig.
Emotionen
'To the Moon' lebt klar von seiner intensiven Geschichte. Unterstrichen wird diese Stärke vom sehr gelungenen Soundtrack. Die gefühlvoll-melodiösen Stücke passen sehr stimmig in die emotionale Geschichte von 'To the Moon' und werden narrativ immer zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt, um die Emotionen der Geschehnisse zu verstärken. Zwar driftet der pianolastige Soundtrack in manchen Stücken, insbesondere im Menüstück, an der Kitschgrenze nur haarscharf vorbei, dafür passen die Stücke jedoch immer stimmig zum Geschehen der sensiblen Geschichte. So wird die simple visuelle Präsentation durch überraschend aufwendige Musikstücke erheblich verbessert. Trotz einer leichten Affinität zum Kitsch entwickelte Kan Gao mit der Unterstützung von Laura Shigihara (Musik 'Pflanzen gegen Zombies') also wirklich tolle Melodien.
'To the Moon' in ein Genre einzuordnen, fällt nicht leicht. Entwickler Freebird Games bezeichnet das Spiel als ein Independent Adventure-RPG. Ohne Zweifel sind Ansätze beider Genres vorhanden, vor allem die vereinfachte Point-and-Click-Mechanik der Adventures, jedoch dient das simple Gameplay nur als Vorwand, um zügig in der Erzählung weiterzukommen. Warum ist das emotionale Abenteuer trotz des anspruchslosen Gameplays und der kurzen Länge (etwa vier Stunden) dennoch gelungen? In der interaktiven Erzählung ruht die klare Stärke des Titels. Selten erlebten wir eine so feinfühlige und emotionale Geschichte. Die Auseinandersetzung mit ernsten Themen wie Liebe, Tod, Freundschaft, Krankheit und Ausgrenzung findet sich vielmehr in anderen Medien. Und der Fokus auf die Geschichte zeigte sich bereits erfolgreich. So ist die deutsche Lokalisierung nur zustande gekommen, weil einige Fans im Forum von Freebird Games gemeinsam an einer Übersetzung gearbeitet haben. Nun darf man als Spieler gespannt sein, wie es mit 'To the Moon' weiter gehen wird. Schließlich kündigte Kan Gao bereits eine Fortsetzung der Geschichte an und komponierte dafür bereits den Titelsong. Die Fortsetzung darf dann aber auch gerne etwas länger mit einem anspruchsvolleren Gameplay ausfallen. Potential für bspw. kooperative Rätsel gibt es in 'To the Moon' zu genüge. Trotzdem beweist Kan Gao, was obgleich minimalistischer Mittel im interaktiven Storytelling möglich ist und verdient dafür großen Respekt.
Fazit von Matthias Glanznig:
Betrachtet man 'To the Moon' im Licht eines Genres, so kommt man um ein paar Kritikpunkte tatsächlich schwer herum. Für ein typisches Adventure mangelt es an Rätseln und für ein klassisches Rollenspiel fehlen beispielsweise die gewohnten Kämpfe, oder individuell formbare Charaktere. Geboten wird jedenfalls eine berührende interaktive Geschichte und zwar eine der besten Sorte. Bereits die Ausgangslage wirkt unverbraucht und spannend. Vor allem hat mich aber überrascht, mit welchem dramaturgischen Geschick die einzelnen Erinnerungen im späteren Verlauf miteinander verwoben werden. Scheinbar alles greift ineinander über und stellt das bisher Erlebte auf eine andere Bedeutungsebene. Tragisch, romantisch, schön. Wer die schlichte Grafik, eine nicht durchwegs überzeugende deutsche Übersetzung und fehlende Rätsel verschmerzen kann, der bekommt hier für wenig Geld eine tolle, komplex gestrickte Geschichte. Bitte mehr davon!
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To the Moon
- Entwickler
- Freebird Games
- Publisher
- Lace Mamba Global
- Release
- 7. September 2012
- Webseite
- http://freebirdgames.com/de/to_the_moon/#download
- Sprachen
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