Mit 'The Book of Unwritten Tales' und 'Die Vieh-Chroniken' hat sich das Bremer Entwicklerstudio KING Art einen guten Ruf bei Adventure-Spielern erarbeitet. Mit 'The Raven' wagen sie sich nun erstmals an einen Krimi und damit nach der Mitarbeit an den 'Black Mirror'-Fortsetzungen, wieder an ein ernstes Setting. Dabei wollte man eine Atmosphäre erzeugen, wie sie beispielsweise in Werken von Agatha Christie vorherrscht. Ob das gelungen ist und wie sich die Episodenform auswirkt, verraten wir in unserem Test. Eine Staffel-Wertung folgt erst mit dem Test der dritten und letzten Episode.

Verbrechen im Orient-Express
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Ist der Rabe zurück oder gibt es einen Nachahmer? |
Der schweizer Wachtmeister Jakob Anton Zellner ist von seinem Arbeitgeber abgestellt worden, um Ermittlungen von Interpol zu unterstützen. Aus diesem Grund befindet er sich an Bord des Orient-Express auf dem Weg nach Venedig, wo er zum ersten Mal auf einen gewissen Inspektor Legrand trifft. Der Inspektor kann auf eine recht erfolgreiche Karriere zurückblicken, deren Höhepunkt das Ende des Meisterdiebes Der Rabe ist. Ein Dieb, der die Polizei über Jahre hinweg immer wieder vorführen konnte und einen spektakulären Raub nach dem anderen durchführte – bis Inspektor Legrand auf den Plan trat und den Dieb bei einer Verfolgungsjagd erschoss. Kürzlich jedoch wurde einer der wertvollsten Edelsteine der Welt, das Auge der Sphinx, aus einem Londoner Museum gestohlen. Am Tatort fand man eine schwarze Feder – Das Markenzeichen des Raben. Ein Nachahmer? Oder hat Legrand gar den Falschen erschossen? Auf jeden Fall nimmt der Inspektor die Ermittlungen auf und bewacht nun das zweite Auge der Sphinx, das via Orient-Express und Schiff zu einer Ausstellung nach Kairo geschafft werden soll. Und genau hier kommt Wachtmeister Zellner ins Spiel. Zwar ist Inspektor Legand alles andere als begeistert, dennoch muss er einsehen, dass er sich nicht zerteilen kann. Entweder hat er den Edelstein oder die Zugpassagiere im Auge. Er entscheidet sich schließlich für den Edelstein und überlässt Zellner den Zug. Und der Wachtmeister hat auch gleich alle Hände voll zu tun: Verschwundene Geldbörsen und seltsamerweise von innen verschlossene, aber leere Zugabteile bilden nur den Auftakt. Und schon bald muss Zellner sehr viel mehr beweisen, als nur seine gute Beobachtungsgabe.
Doch in Venedig ist noch nicht Endstation für Zellner, denn von hier aus geht es auf einem Schiff weiter, der MS Lydia. An Bord trifft Zellner auf schon aus dem Zug bekannte Passagiere, es kommen jedoch auch neue Reisende hinzu, die allesamt nicht weniger geheimnisvoll sind. Und auch die Schifffahrt hält die eine oder andere Überraschung für den Wachtmeister bereit…
Spannende Charaktere
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Inspektor Legrand, Wachtmeister Zellner und Kapitän di Conti |
Zu einem guten Krimi gehören immer auch interessante Charaktere. Und davon fährt KING Art in The Raven gleich jede Menge auf. Da ist der österreichische Musiker, der sich irgendwie verdächtig verhält. Oder der deutsche Arzt, der irgendwie immer dann auftaucht, wenn irgendwo etwas passiert. Nicht zu vergessen auch Inspektor Legrand oder Constable Oliver, die beide auch etwas gegen die Fragen von Wachtmeister Zellner zu haben scheinen – jeder scheint irgendein Geheimnis zu haben. Aber ist auch einer der Mitreisenden der Rabe? Das versucht Wachtmeister Zellner herauszufinden und erfährt dabei nach und nach immer mehr über die anderen Passagiere des Zuges. Wie viel Zellner tatsächlich erfährt, hängt auch stark von der Beobachtungsgabe und den Entscheidungen des Spielers ab. So kann man beispielsweise den persönlichen Gegenstand eines Mitreisenden untersuchen und auf diesem Weg mehr über die Person erfahren, oder man wahrt Diskretion und verzichtet auf den Blick. Grundlegende Änderungen im Spielverlauf sind uns dadurch jedoch nicht aufgefallen. Solche Stellen treten über das Spiel hinweg immer wieder auf und bergen dennoch einen gewissen Wiederspielwert. Zumindest, wenn man die direkten Auswirkungen erfahren möchte.
Interessante Gespräche
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Wollen wir einen heimlichen Blick in die Brieftasche werfen oder lieber ein reines Gewissen? Der Spieler entscheidet. |
Einen großen Teil seiner Atmosphäre zieht das Spiel aus den vielen Dialogen, die Wachtmeister Zellner während seiner Ermittlungen führen muss. Denn ganz wie der TV-Ermittler Columbo oder Hercule Poirot von Agatha Christie erfährt Zellner sehr viel in Gesprächen. Und seine Gegenüber sind ebenso gern zu einem Plausch bereit. Umso wichtiger ist da, dass man bei der Auswahl der Sprecher große Sorgfalt hat walten lassen. Keiner der Charaktere wirkt auch nur annähernd fehlbesetzt. Sei es der Musiker, der mit österreichischem Dialekt und Wiener Schmäh daherkommt oder der kleine Matt, der für Zellner zu einem wichtigen Informanten wird. Gerade die Vertonung von Kindern ist immer wieder ein Problem, hier passt aber auch diese Rolle, für die Andi Wittmann (u.a. bekannt als Wickie aus dem 2009er Hörspiel zu „Wickie und die starken Männer“) verpflichtet wurde. Und nicht zu vergessen Wachtmeister Zellner selbst, dessen Rolle von Peter Groeger gesprochen wird – passender könnte es nicht sein, denn Groeger spricht u.a. Dr. Watson in den Sherlock Holmes-Hörspielen von Maritim. Und ähnlich wie Dr. Watson ist auch die Rolle des Wachtmeisters Zellner. Wir spielen nicht den Super-Detektiv wie Sherlock Holmes oder Hercule Poirot, sondern tatsächlich einen Wachtmeister, der im Herbst seiner Karriere in seinen ersten großen Fall verwickelt wird. Dadurch bekommt man als Spieler auch nicht das Gefühl, dass der Hauptprotagonist schon viel mehr weiß, als man selbst (wie es beispielsweise bei den Sherlock Holmes-Geschichten oft der Fall ist). Im Gegenteil: Zusammen mit Wachtmeister Zellner erkundet man die Umgebung, findet Hinweise (oder zum Teil auch nicht) und macht sich so sein eigenes Bild. Übrigens kommt trotz des ernsten Themas auch der Humor nicht zu kurz. So ist Beispielsweise der Constable Oliver für Wachtmeister Zellner immer ein Constabler, sehr zum Ärger des Herrn Oliver, der auch noch auf andere Art und Weise unter Zellner leiden muss.
Abenteuerpunkte und Rätsel
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Überwiegend stehen Gespräche auf der ToDo-Liste für Wachtmeister Zellner. Aber auch eine Partie Shuffle-Board darf gespielt werden. |
Als neues Element in KING Art-Adventures hob Gamedesigner Jan Theysen im Gespräch mit uns die Punktevergabe hervor: Für jede richtige Handlung oder Rätsellösung bekommt der Spieler Punkte gutgeschrieben. Nutzt man Spielhilfen wie z.B. die Hotspotanzeige oder die Tipp-Funktion des Tagebuchs, werden Punkte abgezogen. Am Ende gibt eine Tafel darüber Auskunft, wie gut man sich in der Episode geschlagen hat. Während erfolgreiche Lösungen mit Punkten im vierstelligen Bereich vergütet werden, kostet der Einsatz der Hotspot-Anzeige lediglich zehn Punkte. Selbst ein exzessiver Einsatz dieser Komfortfunktion führt also nicht zum Ende, sorgt aber für eine schlechtere Bewertung. Bei den Rätseln zeigt sich die erste Episode von The Raven einsteigerfreundlich. Große Kopfnüsse erwarten uns nur selten, in der Regel hat man schnell eine Idee, was wie zu tun ist. Das ergibt sich zum einen durch die räumliche Begrenzung. Der Orient-Express hat beispielsweise nur wenige begehbare Waggons und auch die MS Lydia bietet eher eine übersichtliche Anzahl von Schauplätzen. Ein zweiter Grund ist aber die Schwere der Rätsel selbst. Jan Theysen hatte uns verraten, dass alle Aufgaben des Spiels so gestaltet wurden, dass sie auch in der Realität funktionieren müssten. Darüber hinaus sollen sie sich logisch in die Spielwelt einbinden. Wir dürfen also nicht damit rechnen, dass Zellner mit einem Kaugummi, einer Büroklammer und etwas Schwarzpulver eine verschlossene Tür sprengt. Stattdessen kommt z.B. ein zuvor gefundener Draht zum Einsatz, mit dem das Schloss geknackt wird.
Schicke Grafik
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Detaillierte Grafik und gut animierte Charaktere zeichnen die Optik aus |
Wie schon bei den Vorgängertiteln kann sich auch die Grafik von The Raven wirklich sehen lassen. Die Szenen überzeugen durch detaillierte Hintergründe und wirken dank der übrigen Charaktere, die wir überall antreffen auch belebt. Mehr noch: In Gesprächen wird immer mal wieder der Kamerawinkel gewechselt, was für zusätzliche Dynamik sorgt und auch die Mimik der Figuren kommt nicht zu kurz.
Hörenswert ist auch der von Benny Oschmann komponierte Soundtrack, der allerdings etwas gezielter eingesetzt werden dürfte. Hält man sich länger in einer Szene auf und ist das Lied zu ende, folgt erst einmal musikalische Stille, ehe dann einige Zeit später das Lied wieder von vorn beginnt. Diese Pause hat dann aber den Vorteil, dass man die ebenfalls sehr gelungenen Umgebungsgeräusche etwas mehr auf sich wirken lassen kann.
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Rabenjagd mit Gamepad? Kein Problem! |
Die Steuerung per Maus oder Gamepad (was am PC ebenfalls möglich ist), geht gewohnt gut von der Hand. Hin und wieder stört lediglich das Inventar bei der Fortbewegung. Dann nämlich, wenn man das Bild nach unten verlassen möchte und die Maus dabei etwas zu weit zieht und so ungewollt das Inventar öffnet. Spielt man mit dem Gamepad, treten diese Probleme nicht auf, da die Figur direkt gesteuert wird. Hier ist auch die Hotspot-Anzeige recht nutzlos, denn alle interaktiven Objekte in der Nähe des Charakters werden mit einem entsprechenden Symbold gekennzeichnet. Und ein weiteres Problem scheint nur Mausbenutzer heimzusuchen: In unserem Test hat sich Zellner zwei Mal in der Szenerie verhakt und lief auf der Stelle. Da man die Bewegungsanimation nicht abbrechen kann, blieb uns in diesem Fall nur ein Neustart des Spiels.
'The Raven' ist endlich mal wieder ein spannend inszenierter Krimi der alten Schule. Ganz ähnlich wie bei den Spielen zu Krimis von Agatha Christie steht hier die Ermittlungsarbeit im Vordergrund, zu der auch viele, interessante Dialoge gehören, denen man dank der sehr gut besetzten Sprecherrollen auch gern lauscht. Dabei lässt schon die erste Episode von 'The Raven' die Whodunit-Konkurrenz wie 'Das Böse unter der Sonne' oder 'Mord im Orient-Express' locker hinter sich. Sicher wären anspruchsvollere Rätsel denkbar. So aber profitiert die Geschichte davon, die schon schnell Fahrt aufnimmt, wirklich zu fesseln weiß und so auch geschickt über die doch recht starre Linearität hinwegtäuscht. Am Ende der ersten Episode, die uns gute viereinhalb Stunden unterhalten hat, können wir es kaum erwarten, bis es mit dem zweiten der insgesamt drei Teile weiter geht. Und wenn dann noch die Rätsel etwas anziehen und die paar kleinen Fehler ausgemerzt werden, könnte auch das neue KING Art-Adventure zu dem Kreis der Kandidaten für das Spiel des Jahres zählen.
Hinweis: Diese Wertung bezieht sich nur auf die erste Episode, eine abschließende Wertung vergeben wir mit dem letzten Teil, wenn wir wissen, ob die Geschichte so spannend weiter geht und uns auch das Ende des Krimis überzeugen konnte.
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The Raven: Vermächtnis eines Meisterdiebs
- Entwickler
- KING Art
- Publisher
- THQ Nordic
- Release
- 23. Juli 2013
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
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- Stichwörter
- The Raven bei Amazon kaufen (Affiliate-Link)
6 Kommentare
Ist mir auch aufgefallen, aber zum Neustart hat es mich nicht gezwungen.
Vor einer Woche kam ein Patch raus, der das Problem behebt.
Die Atmosphäre fand ich übrigens auch sehr stimmig. Ich habe mir daher auch mal direkt den Film "Mord im Orient Express" ausgeliehen. Das ist schon wirklich eine andere Welt, wenn man das mit heutigen Filmen vergleicht. Da musste man beim Filmschauen sogar aufpassen
Die komplette Box mit allen drei Episoden erscheint dann am 24. Oktober im Handel und das meint WOG.ch damit (das ist auch in Deutschland und Österreich der Release-Termin für die Box-Fassung).
Wem hingegen ein digitaler Download reicht, der kann sich jederzeit das Spiel im Internet kaufen.