Anfang 1998 verloren Chris Jones und Aaron Conners keinen Gedanken daran, dass ihnen eine Fortsetzung mit dem markigen Privatschnüffler Tex Murphy verwehrt bleiben würde. Optimistisch beendeten sie 'Overseer' also mit einem Cliffhanger. Es war eine Entscheidung, die sie bitter bereuen sollten. Fast jedes unvollendete Spiel wäre anderthalb Jahrzehnte später in Vergessenheit geraten. Nicht so allerdings die 'Tex Murphy'-Reihe, die eine Mischung bereit hält, die in der Gegenwart eine Rarität ist: FMV-Sequenzen gepaart mit Humor im Geiste der 90er-Jahre, frei begehbaren 3D-Schauplätzen, alternativen Lösungswegen, saftiger Puzzlekost und sogar Spielelementen der fortschrittlicheren Sorte.
Kein Wunder, dass im Zuge der Kickstarter-Hochblüte auch Big Finish Games einen Versuch unternahm, um eine längst überfällige Rechnung bei den Fans zu begleichen. Rund zwei Jahre nach erfolgreicher Finanzierung ist 'Tesla Effect – A Tex Murphy Adventure' tatsächlich fertig und soll für ein rundes Ende sorgen. Ob es den Erwartungen aus unserer Sicht gerecht wird, erfahrt Ihr wie gewohnt im ausführlichen Review.

„Things could be worser“
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Tex leidet an Amnesie... |
… war einer der ironischen letzten Sätze im Vorgänger 'Overseer', ehe es für Tex Murphy und seine Traumfrau Chelsee Bando - wie so oft – schlimmer wurde und noch dazu offen endete. Trotz dieser Vorgeschichte kann 'Tesla Effect' aber durchaus für sich stehen, obgleich Fans, wie auch Kenner der 90er-Jahre, zwangsläufig mehr Freude damit haben werden. Einerseits bietet das Sequel einen Neuanfang, zugleich ist es als nahtlose Fortführung zu verstehen. Dieser scheinbare Widerspruch hängt damit zusammen, dass die aktuellen Ereignisse sieben Jahre später ansetzen, wodurch die Ausgangslage drastisch verändert ist. Vieles ist seither passiert – vieles, woran nicht einmal der Privatdetektiv sich erinnern kann.
Seit einem Überfall leidet er nämlich an einem radikalen Fall von Amnesie, wovon rein zufälligerweise nur die besagte Zeitspanne betroffen ist. Was wir später über den Tex der letzten sieben Jahre erfahren, gleicht dem Bild eines Fremden: Scheinbar hatte die vergangenen Ereignisse aus dem liebenswerten Pechvogel einen knallharten Typen geformt, der für eine hübsche Stange Geld sogar einen Pakt mit dem Teufel eingehen würde. Umso mysteriöser die plötzliche Rückverwandlung ins alte, wehleidige Selbst. Doch warum gerade jetzt? Wer steckt dahinter? Gibt es ein Gegenmittel? Auch das Thema Chelsee wirft einen langen Schatten auf die Ermittlungen und sorgt für Unklarheiten. Doch wie so oft bei SciFi-Abenteuern, hängen sämtliche Antworten mit einer viel größeren Gefahr zusammen: Eine Apokalypse muss verhindert werden und “worser“ als das, kann es nun wirklich nicht kommen, oder?
Neuer alter Tex
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Wer soll dein Herzblatt sein? Mehrere Frauen sind interessiert an Tex und der Spieler hat ein Wörtchen mitzureden |
Den sympathischen Loser Tex Murphy kann man als Parodie auf jenen archetypischen Privatdetektiv verstehen, der gerne im Film-Noir-Genre zu finden ist. Nicht, dass er nicht versuchen würde, ähnlich cool und knallhart zu wirken, nein. Es will ihm partout nicht gelingen. Peinliche Situationen folgen ihm stattdessen wie der Hund dem Herrchen, was wenig zur Image-Politur hilft. Auch ob seiner archetypischen Färbung, ist der Schnüffler aber ohnehin keine Figur, die unbedingt einen charakterlichen Wandel durchleben muss. Vergleichbar mit 'Overseer' liegt der Fokus des Spiels vielmehr auf slapstickartigem Humor, gepaart mit witzigen Charakteren, einer Fülle an Rätseln, sowie einer abwechslungsreichen Geschichte. Parodie darf bei dieser Mischung ebensowenig fehlen: Durch den Kakao gezogen wird zum Beispiel Arnold Schwarzeneggers Performance in 'Batman & Robin' und andere zurecht verdrängte cineastische Verwirrungen der damaligen Zeit.
Vollgepackter Plot
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Wir treffen einige alte Bekannte, aber auch viele neue Gesichter |
'Tesla Effect' versucht viele Aspekte unter einen Hut zu bringen, ohne den roten Faden zu verlieren. Bei diesem schwiergen Unterfangen schlägt es sich erstaunlich wacker. Der recht spannende Handlungsstrang rund um das apokalyptische Tor zwischen Himmel und Hölle existiert vermutlich schon länger, doch die Amnesie-Zutat dürfte als nachträgliche Konsequenz der Zwangspause zu werten sein (auch zumal die Darsteller in der Zwischenzeit sichtlich gealtert sind). Einfacher wird die Story dadurch bestimmt nicht. Zugleich bringt just der Kniff mit dem Gedächtnisverlust Pfeffer ins Geschehen und sorgt für die vielleicht interessantesten Momente. Abgesehen davon sieht man sich binnen kurzer Zeit mit so vielen Charakteren konfrontiert, wie in kaum einem Adventure, weswegen man schon mal den Überblick verlieren kann. Mit Namen wie Chelsee Bando, Louie LaMintz, Rook Garner, Archie Ellis, Zach Williams oder auch Big Jim Slade wenigstens in groben Zügen etwas zu verbinden, ist insofern nicht unvorteilhaft.
Zwei Spiel-Modi im Angebot
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Im Casual-Modus kann man sich die Suche nach relevanten Objekten leichter machen |
Abseits der typischen 3D-Ego-Perspektive und der Bedienung via Tastatur (W-A-S-D) und Maus, fällt 'Tesla Effect' durch Mini-Games, Suchspiele und Entscheidungen auf. Ehe es dazu mehr ins Detail geht, folgt an dieser Stelle ein wichtiger Hinweis, denn dieses investigative Abenteuer hat vorsorglich zwei Spiel-Modi im Angebot: Im Gamer-Modus sind Mini-Games nicht überspringbar und es gibt keine Hilfestellungen bei der Suche nach Objekten. Im gemütlicheren Casual-Modus könen die Mini-Games jederzeit übersprungen werden und mittels der stets zur Verfügung stehenden Taschenlampe-Funktion beginnen relevante Gegenstände zu glitzern, sobald sie angeleuchtet werden. Wer mit Mini-Games und Suchspielen auf dem Kriegsfuß steht, ist mit der Casual-Variante besser beraten. In beiden nun folgenden Abschnitten, soll die spielerische Ebene genauer beleuchtet werden.
Kombinatorisches und Suchspiele
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An diesem Ort müssen wir jeden Winkel nach neun Karten absuchen. |
Texperten wird es nicht überraschen, dass 'Tesla Effect' zu jener selten gewordenen Spezies zählt, bei der man sich mitunter genötigt sieht, eine Stunde und länger nach einem Objekt zu suchen: So ist ein Werkzeug im Sumpf zu finden, quer über die 3D-Umgebung versteckte Teile zu sammeln und ähnliches. Dieses spielerische Element war auch bei den Vorgängern streitbar. Als Nachteil entpuppt sich in diesem Zusammenhang die mäßige In-Game-Grafik, die wirkt, als hätte sie die letzten zehn Jahre in einer Schublade verbracht. Sieht man sich mit häufigen Suchspielen konfrontiert, dann reibt einem das diese Problematik allzu oft unter die Nase.
Die Inventar-Rätsel unterscheiden sich wiederum unwesentlich von herkömmlicher Point-and-Click-Kost. Sie sind sie stimmig in die Handlung eingeflochten, wenn auch in der Regel einfach zu lösen. Konstruktives Feedback vermisst man jedoch und es gibt hier nur richtig oder falsch. Wer eine Leiter mit der Mauer vor dem Fenster und nicht direkt mit dem Fenster benutzt, wird trotzdem für dumm erklärt, ohne nützlichere Rückmeldung. Leider sind die Akteure rund um Tex ansonsten erstaunlich selten Teil einer Lösung. Schade, dass man Zach nie einfach mal nach einem Schraubenzieher fragen kann. Wegen solcher Defizite und weil die Chandler Avenue sich stets komplett menschenleer präsentiert, wirkt die interaktive Welt nie so lebendig, wie man es sich wünschen würde.
Mini-Games und sonstige Herausforderungen
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Ein klassisches Dilemma |
Die vielen Mini-Games sind ein wesentlicher Eckpfeiler des Spiels und oft recht anspruchsvoll zu lösen: Seien das nun Abwandlungen klassischer Logik-Rätsel (z.B. wenn es darum geht, teilweise verfeindete Figuren mit dem Boot zur anderen Insel zu bringen), Rechenrätsel, verschlüsselte Codes, Schieberätsel und mehr. An Abwechslung mangelt es nicht. Einige dieser Herausforderungen gehen jedoch höchstens lose aus der Handlung hervor, was man sehr kritisch sehen kann.
Abseits von Rätseln und Entscheidungen, gibt es Situationen, in denen Timing und Vorsicht gefragt sind. So sehen wir uns an einem Schauplatz mit einem blinden Moloch konfrontiert, dessen Gehör jedoch intakt ist. Wer nicht auf Hindernisse auf dem Boden achtet, macht Lärm und landet prompt auf dem Speiseplan dieses Geschöpfs. Timing ist wiederum in einem Raum mit einigen in ständiger Bewegung befindlichen Laserstrahlen elementar, wo wir uns nur stückweise im richtigen Moment dem Ausgang nähern. Auch in solchen Fällen erleichtert die Grafik keineswegs die erfolgreiche Bewältigung.
Als Neuling ist es abgesehen davon womöglich interessant zu wissen, dass die Zeit bei solchen Herausforderungen immer im Hintergrund mitläuft. Wer am Ende unbedingt einen hohen Punktewert erreichen möchte, der sollte sich sputen und so selten wie möglich das Zeitliche segnen. Richtig gelesen, wie bei den Vorgängern, gibt es tödliche Gefahrenquellen: Mönche, Molochs, Laserstrahlen und selbst riesige Fliegen und Spinnen (die aber allesamt genreverträglich platziert wurden und nicht überhand nehmen). Wer scheitert, verliert lediglich Punkte und immerhin keinen Fortschritt im Spiel.
Ein FMV-Adventure der Kompromisse
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Die Kostümierung ist teilweise streitbar |
Erst seit wenigen Jahren ist es möglich, deutlich kostengünstiger auf solidem Niveau zu filmen, und das selbst mit Green-Box oder ähnlichem. Damit ist ein Problemfaktor entschärft, mit dem FMVs seit jeher besonders zu kämpfen hatten. Reicht das aber aus, um mit einem durchschnittlichen Adventure-Budget ein gutes Spiel zu produzieren?
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Schon die ersten Minuten von 'Tesla Effect' zeigen ein sehr ambitioniertes Abenteuer, das jedoch durch viele Kompromisse geprägt ist. Die starke Einleitung (übrigens mit tollem orchestralen Theme) peitscht sich sogleich unangenehm mit der mäßigen 3D-In-Game-Grafik, die auch im weiteren Verlauf kaum mit den Zwischensequenzen mithalten kann. Mal wirken Hintergrund und Schauspieler visuell erfreulich gut aufeinander abgestimmt, mal fühlt man sich an 'Overseer' zurück erinnert, wo Figur und Hintergrund oft nicht ideal harmonierten. Mal sind die Rolle passend besetzt, mal wirkt es so, als wäre der nächstbeste Passant spontan vor die Kamera gestellt worden. Die Soundeffekte klingen ansonsten, als wären sie direkt vom Vorgänger übernommen worden, was viele Jahre später kein Kompliment ist. Problematisch waren beim Release übrigens auch die deutschen Untertitel, doch die würden kürzlich deutlich verbessert.
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Volltreffer oder nicht? |
Letztlich gibt es aber nicht viel, was man Big Finish Games wirklich vorwerfen kann: Für so ein bescheidenes Budget derart viele Rollen halbwegs stimmig zu besetzen und noch dazu eine breit angelegte SciFi-Story passabel zu realisieren, nun, das ist ein schwieriges Unterfangen. Weil wohl ein vergleichbarer Betrag für die weitere technische Umsetzung übrig blieb, sind auch hier Kompromisse vorprogrammiert. Kritik hin oder her, beim ersten Durchlauf kann 'Tesla Effect' etwa zehn bis 18 Stunden lang unterhalten (abhängig davon, welchen der beiden Spiel-Modi man wagt), was deutlich über dem aktuellen Genre-Schnitt liegt. Dank kleiner entscheidungsbedingter Verzweigungen, hat man in dieser Zeit noch nicht einmal alles gesehen. Wer genannte Schwächen tolerieren kann, bekommt in diesem Sinne einiges geboten.
'Tesla Effect' ist ein Spiel der Kompromisse. Viele der filmischen Zwischensequenzen zeigen, welches Potential im FMV-Format stecken würde und andere wiederum erinnern schmerzlich daran, warum es lange als tot galt. Das Rätseldesign weist zudem ein paar Eigenheiten auf, die heute ganz einfach nicht mehr zeitgemäß sind, was auch für die grafische Umsetzung gilt. Dennoch denke ich, dass mit den gegebenen Mitteln unterm Strich ein gutes Resultat erzielt wurde und für Fans ist es sogar viel mehr als das. Persönlich hätte ich aber eine nüchternere Inszenierung bevorzugt, denn durch die teilweise Übertreibung verlieren manche Pointen an Kraft. Das ist aber auch Geschmackssache. In jedem Fall ist das Drehbuch gut genug, um trotz zahlloser Kompromisse nicht die Wirkung zu verlieren und das hat viel zu sagen. Ähnlich wie bei einem guten Krimi, konnte ich auch 'Tesla Effect' nicht einfach beiseite legen, obwohl ich mich manchmal ärgern musste.
Kurz und gut: Wer dem verspielten Charme der 90er-Jahre nicht abgeneigt ist oder allergisch auf eine mitunter etwas trashige Inszenierung und unvorteilhafte Entscheidungen bei der Besetzung reagiert, der sollte sich diese paranormale Krimi-Parodie unbedingt ansehen. Die Reihe war damals etwas besonderes und daran hat sich heute nichts geändert, ganz im Gegenteil.
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Tesla Effect: A Tex Murphy Adventure
- Entwickler
- Big Finish
- Publisher
- Atlus
- Release
- 7. Mai 2014
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- http://www.texmurphy.com/
- Sprachen
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- Systeme
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9 Kommentare
Gleichzeitig wundert es mich nicht besonders, dass nur wenige Projekte eine vernünftige Box auf die Reihe bringen. Üblicherweise ist das Budget auch so schon knapp bemessen und die diversen Rewards können ordentliche Zusatzkosten erzeugen. Aber klar, wenn man 115 Dollar und mehr zahlt, erhofft man natürlich mehr als nur eine Billighülle mit DVD...