Authentisches Geschichtsbild und Spiele: Das geht doch gar nicht! Oder doch? Genau das möchten die Warhorse Studios mit 'Kingdom Come: Deliverance' beweisen. Damit das Projekt noch ambitionierter wird, legen sie noch eine offene Welt und eine Vielzahl an moralischen Entscheidungsmöglichkeiten drauf. Ganz nebenbei ist es noch ein Rollenspiel mit allen Freiheiten an Charaktererstellung, die möglich sind. Der Storyteller hat so einiges zu bieten und ist nun seit 13. Februar für PC, PS4 und Xbox One erhältlich – vollständig auf Deutsch. Wir werfen einen prüfenden Blick auf das Spiel.

Seines eigenen Glückes Schmied
Skalitz, Böhmen, 1403. Heinrich ist der Ziehsohn des Waffenschmieds zu Skalitz. Ganz verlässlich scheint er doch nicht zu sein, denn wieder einmal schläft er seinen Rausch aus und lässt seinen Vater völlig allein am kostbaren Schwert werken. Schlussendlich weckt ihn seine Mutter und der gute Sohnemann muss sich schlaftrunken rechtfertigen. Dann kümmert er sich doch, wenngleich widerwillig, um einige Anschaffungen für besagtes Schwert. Das soll nämlich dem guten Radzig Kobyla geliefert werden, dem hiesigen adligen Herrn. Die mittelalterliche Idylle wird jedoch vom brodelnden Konflikt zweier Halbbrüder und zweier Könige, Wenzel IV. und Sigismund, überschattet. Es brodelt ein Konflikt und Skalitz droht in den Mühlen des Krieges aufgerieben zu werden. Wir begleiten den einfachen Heinrich durch diese krisengebeutelte Zeit.
Authentizität vs. Spielspaß
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"Historisch korrekt" will man sein. Religion darf hier nicht fehlen. |
Kaum ein Stichwort wurde so oft im selben Atemzug mit 'Kingdom Come: Deliverance' ausgesprochen: historische Authentizität. Abgesehen von der berechtigten Debatte, ob dies allgemein für das Mittelalter möglich ist, denn wir wissen nur aus schwer subjektiven Schriften von dieser Zeit, geben sich die Warhorse Studios reichlich Mühe. Die Bewohner leben „mittelalterliche“ Berufe aus, kleiden sich „mittelalterlich“ und sogar das Kampfsystem fühlt sich „mittelalterlich“ an. Hier zeigen sich aber schon erste Grenzen. Ein echtes mittelalterliches Kampfsystem wäre deutlich schneller und würde kaum Spaß machen – wir berichteten dazu in unserem Interview. So ist dies nur ein Beispiel für einen sinnvollen Kompromiss. Wir haben es hier immerhin mit einem Spiel zu tun, das Spaß machen soll und keine Geschichtseinheit, die manchem Interessierten Spaß machen kann. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass Hirngespinste des Mittelalters, wie Alchemie, es ins Spiel geschafft haben und ähnlich wie bei der 'Witcher'-Serie selbstgebraute Zaubertränke liefert. Aber Achtung, diese sind dann schon wieder so realistisch, dass sie schwer alkoholisch sind und man sich auch daran aus Versehen besinnungslos saufen kann. Ein ganz klassisches zweischneidiges Schwert.
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Der Kodex ist zum Großteil vorbildlich und lädt zum Schmökern ein |
Das soll nicht heißen, dass Warhorse etwas falsch macht – im Gegenteil. Sie bemühen sich, Geschichtsvermittlung mit Spielspaß zu paaren und spendieren dem Spiel auch noch einen gut recherchierten Kodex, in dem man Dinge wie Feudalsystem, Rittertum oder Details wie Münzprägung nachlesen kann. Im Vorfeld wurde vielerorts vom möglichen politischen Nationalismus im Spiel berichtet. Diese Bedenken können fast vollständig verworfen werden. Einzig die Betonung des Tschechischen scheint nicht ganz frei von Nationalstolz zu sein, denn zu dieser Zeit gab es kein Tschechien. Ebenso kommen die Ungarn nicht ganz so gut weg, was in Anbetracht des Konflikts Anfang des 15. Jahrhunderts aber normal ist. So bleibt ein Spiel, das jeder aufgeschlossene Spieler ohne Bedenken spielen kann.
Das Adventure im Storyteller
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Der Dialogschirm ist unser ständiger Begleiter |
Betrachtet man die ersten Spielstunden, könnte 'Kingdom Come: Deliverance' glatt als Adventure durchgehen. In den ersten zehn Stunden gibt es kaum Kämpfe, denn Dialoge, Botengänge oder gar Ermittlungen stehen im Mittelpunkt. Erst später entwickelt sich das Rollenspiel in deutlich kriegerische Bahnen, aber im Vergleich zur Konkurrenz bleibt dies absolut im Rahmen. Da man den Schwierigkeitsgrad nicht ändern kann, ist vor allem der Beginn für Neulinge etwas holprig und vieles bleibt unerklärt. Schafft man diese ersten Stunden unbeschadet, wartet ein atmosphärisch dichtes Böhmen mit vielen Aufgaben und jeder Menge Spielspaß – über 60-90 Spielstunden müssten allemal drin sein. Allgemein ist das Spiel sicherlich nicht das einfachste Rollenspiel, denn selbst die Alchemie, das einzige Crafting im Spiel, ist nicht ganz einfach und braucht etwas Übung.
Patches werden es richten müssen
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Man achte auf die Kopfbedeckung. Der Vorbesteller-Helm ist nur einer der kleinen Detailfehler - Patches kommen aber schon. |
Daneben sind noch einige nicht ganz ausgereifte Systeme zu finden, wie der Taschendiebstahl, das Schlösserknacken und das Speichern. Der Taschendiebstahl ist im Spiel äußerst schwierig und braucht viel Übung und auch etwas geopferte Zeit, um ihn wirklich sinnvoll zu nutzen. Ebenso braucht das Schlösserknacken etwas Übung, geht aber im Laufe des Spiels immer leichter von der Hand. Die Probleme an diesen Mechaniken liegen nicht nur an ihnen selbst, sondern auch daran, dass man davor kaum speichern kann und Fehler sofort bestraft werden. Man kann nämlich nur durch Schlafen, Aufenthalt im Badehaus oder durch Trinken eines speziellen Schnapses speichern. Die ersten beiden sind ortsgebunden und benötigen immer eine kurze Reise, letzterer ist vor allem zu Beginn nicht leistbar und erst später in größeren Mengen durch das Alchemie-System herstellbar.
Diese Systeme und einige andere technische Mängel werden in den nächsten Tagen per Patch nachgebessert. So scheitern dann auch einige Quests nicht mehr an toten oder nicht mehr vorhandenen NPCs. Allgemein kann man sagen, dass das Spiel von den typischen Open-World-Problemen nicht ganz verschont bleibt und noch etwas Bugfixing nötig hat. Hier sind die Entwickler, wie gesagt, schon am Nachbessern.
Ordentliche Präsentation mit spitzenmäßiger Atmosphäre
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Schöne Momente genießen |
Insgesamt hinkt das Spiel grafisch den aktuellen Referenzen zwar etwas hinterher, aber in einigen Details kann es mithalten und ist wunderschön. Vor allem die Licht- und Schattenspiele sowie die Details bei den Rüstungen und der Kleidung können überzeugen. Die Charaktere und Animationen wirken dafür zum Teil etwas hölzern, aber auch daran gewöhnt man sich im Laufe des Spiels.
Die Vertonung hat absolutes AAA-Niveau und weiß zu überzeugen. Die Soundeffekte sind meist gut gelungen, einzig der etwas abgehackte Ton beim Donner und andere kleinere Probleme wirken etwas unpassend. Dafür ist die musikalische Darbietung ein absolutes Highlight. Von orchestralem Bombast bis zu mittelalterlich anmutenden Flöten- und Lautenklängen passt alles perfekt in die Spielwelt und weiß vollkommen zu überzeugen. Hut ab, der Komponist Jan Valta weiß, was er da tut.
Vorzeige-Kickstarter mit Wermutstropfen
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Warhorse Studios zeigt einen Ausblick darauf, was alles möglich ist |
'Kingdom Come: Deliverance' ist wahrscheinlich eines der prestigeträchtigsten Kickstarter-Projekte der letzten Zeit. Diesen Vorschusslorbeeren können sie mit breiter Brust auch gerecht werden. Einzig die technischen Mängel und einige kurzfristig gestrichene oder ausbleibende Kickstarter-Belohnungen trüben diese Errungenschaft ganz leicht - für Betroffene natürlich stärker. Es steckt zwar offiziell mittlerweile Publisher THQ Nordic / Deep Silver dahinter, aber trotzdem hat das Spiel nie ganz den Indie-Charakter abgelegt. Viel besser kann ein solches ambitioniertes Projekt ohne zig Millionen zu verschlingen kaum beendet werden.
Die Vorfreude war bei mir fast schon unerträglich. Jahre berichten wir schon über 'Kingdom Come: Deliverance' und endlich ist es auch in Läden. Die Spielzeit ist dann doch um einiges länger als erwartet und eigentlich kann ich nur begeistert sein. Wenn da die technischen Mängel nicht werden. Viele davon sind patchbar und einige Patches erscheinen schon bald oder sind gar schon erschienen. Rollenspiel-Veteranen können bedenkenlos zugreifen, Neulinge müssen sich auf einen etwas holprigen Start gefasst machen. Das Spiel reift jedoch wie ein guter Wein und wird stets besser. Nächstes Mal dürfen sich Warhorse Studios ruhig noch etwas Zeit lassen und mehr Bugfixing und Polishing betreiben. Dann kann auch einmal ein waschechter 'The Witcher'-Konkurrent daraus werden. Trotzdem: Chapeau! Es bleibt ein Top-Rollenspiel, das im realistischeren Mittelalter seinesgleichen sucht.
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Kingdom Come: Deliverance
- Entwickler
- Warhorse Studios
- Publisher
- Deep Silver
- Release
- 13. Februar 2018
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- https://www.kingdomcomerpg.com/de
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- Kingdom Come: Deliverance im Humble Store kaufen (Affiliate-Link)
- Kingdom Come: Deliverance bei Amazon kaufen (Affiliate-Link)
10 Kommentare
Bin sehr gespannt, was als nächstes von Warhorse kommt.
ja, da freu ich mich auch schon drauf - man muss einfach die politische Diskussion ausbleden, denn ein Spiel ist nunmal ein Werk von zig Personen
https://wccftech.com/kingdom-come-deliv ... m-dollars/
KCD hat wohl ein etwas höheres Budget gehabt. 36 Millionen sind zwar noch nicht AAA, aber Indie auch nicht
https://www.gamesindustry.biz/articles/ ... ll-of-duty
bin nicht der Mediävist, bin mir aber gar nicht so sicher, ob Scheiden selbst immer vorhanden waren - ist aber pure Vermutung und hab ich jetzt nicht recherchiert. Da würd ich mich eher fragen, warum das Pferd auf Pfiff sofort kommt bzw. hinter einem spawnt