Heute blicken wir in ein Nischen-Genre: Die schleichorientierte Echtzeit-Taktik. In den späten 1990ern und Anfang 2000 war die Blütezeit dieses Genres. Reine Echtzeit-Taktik-Titel wie 'Ground Control' (2000) waren in aller Munde und viele Studios versuchten auf den Zug aufzuspringen.
1998 war ein Mega-Hit aus Spanien das Spiel 'Commandos: Hinter feindlichen Linien'. In Deutschland ging das an Spellbound Entertainment und Infogrames nicht spurlos vorüber. Einige Zeit später darauf erblickte 'Desperados: Wanted Dead or Alive' das Licht. Es spielte im Western-Szenario und war sowohl an den Kassen, als auch bei den Kritikern ein Erfolg.
Doch so beliebt das Genre war, so schnell verschwand es plötzlich als großes Mainstream-Phänomen. Der berüchtigte Schwierigkeitsgrad war oft ein Hindernis. Erst 2016 brachte Mimimi Productions gemeinsam mit Daedalic 'Shadow Tactics: Blades of the Shogun' auf den Markt. Von einigen Spielern wurde es als geistiger Nachfolger der 'Commandos'-Serie gesehen - nur eben in der japanische Edo-Zeit angesiedelt.
Der Erfolg dieses Titels ebnete dem Münchner Studio den Ruf als Experte für dieses Genre. Dass es später die deutsche Marke 'Desperados' über THQ Nordic bekommen sollte, war fast ein logischer Schluss. Das Traumpaar schien damit gefunden zu sein. Wie gut all das zusammenpasst, könnt Ihr hier nachlesen.
Die Abenteuer des jungen John Cooper
Schon zu seiner Zeit war 'Desperados: Wanted Dead or Alive' für sein Genre gut mit Story ausgeschmückt. Mimimi Productions schlägt mit 'Desperados 3' einen ähnlichen Weg ein. Schon der Einstieg erinnert an Western-Klassiker und auch eine Prise 'Indiana Jones'.
Der erfahrene Kopfgeldjäger James Cooper und sein Sohn John Cooper kommen mit dem Pferd am Devil’s Canyon an. Wir helfen dabei John mit seinem Vater Schritt zu halten. Friedlich schleichen wir uns durch die Schurken des Gesetzlosen Frank. Genau den wollen wir für ein Kopfgeld töten. Mit Münzen lenken wir die Wachen ab, schleichen uns durchs Unterholz und kommen dem Showdown immer näher. Vorher wartet James Cooper bei einer Marienstatue und einem Baum auf seinen Sohn. Er überreicht ihm ein Messer und trägt ihm auf, dass er erst dann helfen soll, wenn er das Messer so werfen kann, dass es im Baum stecken bleibt. So beginnt die Geschichte des messerwerfenden Kopfgeldjägers John Cooper.
Warum gerade Frank der Feind ist, was es mit diesem DeWitt zu tun hat und wen John Cooper auf seinem Weg kennenlernt, erfahren wir im Laufe des Spiels. Die weiteren Charaktere Doc McCoy, Hector Mendoza, Kate O’Hara und Isabelle Moreau sammeln wir in einer typischen Reise nach und nach ein und erfahren deren Geschichte und wie sie zu Cooper passen. Gemeinsam stellen wir uns dem Bösewicht.
Desperados mit Charakter
Eine Kurzzusammenfassung für jene unter Euch, die 'Commandos' oder 'Desperados' nicht kennen: Stealth-Runden-Taktik zeichnet sich dadurch aus, dass man in zahlreichen interessant gestalteten Levels vor Herausforderungen gestellt werden. Wir sind stets in der Unterzahl. Jede kleine Zone, jede Begegnung mit mehreren Gegnern ist wie ein Rätsel aufgebaut. Die Kernfrage ist: "Wie kommen wir hier vorbei?"
Ob wir dabei Gewalt anwenden und alle Gegner töten, K.O. schlagen und fesseln oder sie umgehen, das ist uns überlassen. Um diese Gegnerhorden zu bewältigen verlassen wir uns auf die bis zu fünf Charaktere, die wir in Echtzeit steuern können. Jeder Charakter hat seine Eigenheiten. Wir steuern unsere Spielfiguren per Mausklick – ganz im Stil eines isometrischen Point & Click Adventures oder Strategietitels. Dazu können wir die Kamera frei bewegen, drehen und auch reinzoomen.
Im Fall von 'Desperados 3' sind es folgende Charaktere:
- John Cooper hat ein Wurfmesser, Münzen zur Ablenkung und zwei Revolver.
- Doc McCoy hat einen lautlosen „Scharfschützenrevolver“, seine Arzttasche zum Anlocken und Gasfläschchen, um gleich mehrere Gegner auszuschalten.
- Hector Mendoza ist der Bud Spencer unter den Charakteren. Er kann als einziger auch die großen Gegner (Long Coats / Langmäntel) überwältigen, kann gleich zwei Bewusstlose oder Leichen tragen (und auch laufen) und hat eine riesige Bärenfalle samt der Möglichkeit per Pfeifen Gegner anzulocken.
- Kate O’Hara kann als einzige niemanden im Nahkampf direkt töten und fesseln. Sie hat dafür einen sehr leisen Mini-Revolver, kann sich verkleiden und so wachen ablenken oder anlocken. Außerdem kann sie Wachen mit ihrem Parfümfläschchen blenden.
- Isabelle Moreau ist die Voodoo-Priesterin unter den Charakteren. Sie kann zwei Gegner miteinander „verbinden“, wodurch sie beide gleichzeitig dasselbe Schicksal erfahren können – quasi zwei Fliegen mit einer Klappe. Dazu kann sie wie in 'XCOM: Enemy Unknown' und 'XCOM 2' per Gedankenkontrolle einzelne Gangster übernehmen. Dann wäre noch ihre Katze Stella, mit der sie die Banditen ablenken kann.
Dieses Arsenal an Fähigkeiten soll man nun miteinander verknüpfen und geschickt zu mehr oder weniger ausgefallenen Aufräumaktionen in den Banditen-Reihen. Hier liegt auch der große Spaß. Das Kombinieren der Fähigkeiten wird vor allem durch ein Feature äußerst stark und sehr, sehr befriedigend: Dem Showdown-Modus. Wie der Name schon sagt, kommt der Modus aus den Western-Filmen. Wie einem High-Noon-Showdown scheint alles in Zeitlupe abzulaufen und wir können übermenschlich schnell reagieren.
In 'Desperados 3' gibt es - wie in 'Shadow Tactics: Blades of the Shogun' - eine Pause-Funktion. Während der Pause steht alles still und wir können in Ruhe planen. Viel mehr als das! Wir können je eine Fähigkeit jedes Charakters auswählen, die dann abgespeichert wird und per Tastendruck automatisch abgespielt werden kann. So können wir ganze Gegnergruppen gleichzeitig überwältigen. Wenn die Planung stimmt und alles ineinandergreift, fühlt sich das einfach erhaben an. Kenner der Action-Serie 'A-Team' haben dann vermutlich schnell Hannibals markigen Spruch auf den Lippen: „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.“
Storytelling mit Gameplay verschränkt
Diese herausragenden Momente samt dem Gameplay, das ohnehin immer wieder kleine Rätselhappen in Form von Arealen mit Gegnern hinwirft, wird immer wieder mit Storytelling aufgelockert. Zwischen den insgesamt 16 Missionen laufen kurze Sequenzen in Spielgrafik, die die Geschichte vorantreiben. Gleichzeitig wird auch in der Mission bei besonderen Ereignissen kurz die Kamera vom Spiel übernommen. Dazu sprechen die Protagonisten miteinander, wenn sie einander nahekommen, gewisse Punkte in den Missionen erreichen oder Orte betreten.
In den schätzungsweise knapp 27 Stunden Spielzeit bieten sich so immer wieder Momente, wo die Geschichte im Fokus steht, wo das Gameplay in den Hintergrund rückt. Das führt dazu, dass nicht nur das gelungene Gameplay motiviert, sondern auch das Ende der Geschichte herbeigesehnt wird. In 'Shadow Tactics: Blades of the Shogun' bewiesen die Entwickler, dass sie es können. In 'Desperados 3' setzen sie noch ein Schäufelchen zu. Ausgezeichnete Sprecher, Texte und Motion-Capture-Animationen leisten hier ebenso einen Teil zur Atmosphäre.
Sie trauen sich auch Tabu-Themen, wie Sklaverei anzusprechen. 'Desperados 3' spielt zwar nach der Sklaverei in den 1880ern, unter anderen Namen wurde sie de facto noch ausgeübt. Stichwörter wie "Convict Leasing" und Menschenhandel sind so auch noch im Spiel geblieben. Die indigenen Völker Amerikas werden hingegen ausgeklammert. Das begründete Mimimi Productions laut einem Gespräch zwischen Moritz Wagner (Head of Design des Studios) und Ralf Adam (freischaffender Producer, u. a. ‚Desperados: Dead or Alive') auf The Pod damit, dass sie sich nicht in der Lage fühlten die Völker für sie zufriedenstellend auch darzustellen.
Hübsch, wohlklingend und mit Story. Ein Spiel für alle?
Ja und nein. Während vor allem 'Commandos' und die Nachfolger als höllisch schwer galten, ist 'Desperados 3' deutlich zugänglicher. Mit den verschiedenen Schwierigkeitsgraden, die auch die Reaktionszeit der Banditen ändert, wird das noch weiter betont. Das heißt aber nicht automatisch, dass es ein rein narrativer Spaziergang ist. Im Gegenteil. Die Quick-Save-Funktion ist in diesem Genre unser Freund. Ein Beispiel: Ich sehe mich als durchschnittlichen Spieler in diesem Genre, der aber so gut wie alle Klassiker kennt und auch schon 'Shadow Tactics: Blades of the Shogun' im normalen Schwierigkeitsgrad geliebt hat. In einem Level mit 1 Stunde und 14 Minuten Spielzeit waren es knapp 150 Schnellspeicher- und 65 Schnellladevorgänge. Die Bindung zwischen der Taste F5 und mir war also recht eng.
Die Taste F5 heißt natürlich nicht, dass es nur mit Maus und Tastatur zu steuern ist. Im Gegenteil! Das Studio beweist wiederum, dass Stealth-Taktik auch mit Controller gut funktionieren kann. Hierfür muss man den Hut ziehen. Auch Konsoleros können so schon jetzt ohne Abstriche in den Genuss von 'Desperados III' kommen. Ebenso sieht es mit der Sprachausgabe aus. Neben der ausgezeichneten englischen Sprachausgabe gibt es auch eine sehr gute deutsche Sprachausgabe und / oder Untertitel dazu.
Nach 'Shadow Tactics: Blades of the Shogun' war ich schon sehr gespannt, was Mimimi Productions als nächstes macht. Als dann bekannt wurde, dass sie dem Genre treu bleiben und auch noch die altbekannte Marke 'Desperados' weiterführen werden, war klar, dass ich das spielen musste.
Glücklicherweise, denn herausgekommen ist ein noch besseres Stealth-Taktik-Spiel. Entgegen den alten Klassikern nur selten frustrierend. Einiges lässt sich kreativ lösen und manchmal hilft auch ein anderer Beweggrund zu einer besonders effektiven Lösung: "Geht denn eigentlich das mit dem zu kombinieren?" Eine großartige Sandbox zum Ausprobieren der verschiedenen Fähigkeiten! Die Geschichte weiß ebenso zu überzeugen. Geboten wird eine klassische Western-Geschichte, die aber gut durcherzählt und inszeniert ist. Die wunderschön designten Levels passen stets dazu und selbst die Zwischensequenzen sind atmosphärisch gelungen.
Die Twists und Wendungen kommen unvorhergesehen und stellen uns wieder vor einer neuen Herausforderung. Mein Highlight bleibt sicherlich die allerletzte Mission. Großartig und grandios. Da gibt es wirklich nicht viel zu bemängeln. Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Spiel des Entwicklerteams.
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Desperados 3
- Entwickler
- Mimimi Productions
- Publisher
- THQ Nordic
- Release
- 16. Juni 2020
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award • Storyteller des Jahres Redaktionswahl
- Spielzeit
- 27 Stunden
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- Desperados 3 bei Amazon kaufen (Affiliate-Link)
7 Kommentare
JEtzt sind auch genaue Zahlen und Daten für DD da.
https://www.gameswirtschaft.de/wirtscha ... c-verkauf/
Die haben das mit deutlichen Verlusten für 410 000 Euro nach erfolglosem Versuch DD zu verkaufen an das Management zurückverkauft. Das Stillschweigen ist somit wohl gebrochen.
"Dieser Veräußerungserlös habe „deutlich“ unter dem Buchwert von 4,9 Mio. " gelegen.
"Am 25. Februar 2020 – also gut zwei Wochen nach der Adhoc-Meldung – sei dann die Daedalic-Geschäftsführung mit einem „indikativen Angebot“ auf die Konzernmutter zugekommen."
"Die jüngsten Spiele-Entwicklungen von Daedalic seien – so wörtlich – „gefloppt“ und hätten nicht nur zu hohen Sonderabschreibungen im Spiele-Portfolio, sondern auch zu einer vollständigen Wertberichtigung des Firmenwerts geführt." etc. etc.
Aber eh nett, der Artikel steht ja schon seit einer Woche und ich hätte den bestimmt übersehen. Und ja, das ist ja fast schon ein Totalausfall, für DD aber eigentlich ein Gewinn. Das verbrannte Lehrgeld zahlt ja Bastei.
Bin ja mal gespannt wie es weiter geht mit denen und was da jetzt noch so kommt. Adventures werden es wohl keine mehr sein.
Dabei hatte man doch immer so kommuniziert wie toll Säulen der Erde doch finanziell gelaufen ist. Das langweiligste "Adventure" aller Zeiten eben.
"Dabei hatte man doch immer so kommuniziert wie toll Säulen der Erde doch finanziell gelaufen ist."
In den Berichten stand ja immer schon, dass das nicht so gut gelaufen ist.
Zu sehen dabei die Producer der damaligen Teile inkl. der von Desperados 3 (Mimimi) und sonst noch einige die mit Anekdoten aus der Entwicklung aufwarten können.
Ich schau da mal rein und werd das auch gleich für das Storyteller-Roundup vermerken .