Hinter diesem recht klassisch orientierten Cyberpunk-Abenteuer steckt die französische Entwicklerin Agnès Vuillaume. Trotz einer vor drei Jahren gescheiterten Kickstarter-Kampagne hat sie an ihrem Projekt festgehalten und recht nahe am ursprünglichen Zeitplan das fertige Spiel präsentiert. Darin geht es um eine Cyborg-Polizistin auf der Flucht im Jahr 2054. Mehr dazu im Test.
Die auserwählte Rebellin
Das Setting des Point&Click-Adventures mag auf den ersten Blick vielversprechend klingen: Im Jahr 2054 erleben wir in der Stadt Shibukawa ein dystopisches Cyberpunk-Japan, das mit den Folgen eines heftigen Krieges zu kämpfen hat. Protagonistin Anna Isobe ist eine kybernetisch verbesserte, einzelkämpferische Polizistin, deren Rolle durch das Aufkommen von Robotern und Drohnen immer mehr öffentlich in der Kritik steht. Eines Tages wird sie in eine Falle gelockt, um sie aus dem Weg zu schaffen. Natürlich sehen das allerdings nicht alle so, denn für einige ist Anna offenbar aus irgendeinem Grund die Auserwählte, die den Wandel und eine bessere Zukunft bringen soll...
So in etwa lautet die Grundidee dieser Cyberpunk-Story. Leider wird vieles davon lediglich sehr verkürzt angedeutet, wodurch das Setting unterm Strich blass bleibt. Leicht kann man sich in die Drohnen-Cyborg-Thematik nicht hineinversetzen. Auch die Ablehnung der Bevölkerung geht unter. Im Endeffekt muss der Spieler hier viele narrative Lücken selber schließen, um sich auf die Spielwelt einlassen zu können. Das ist umso mehr schade, als die Atmosphäre des kleinen Indie-Titels gelungen ist.
Interessantes Setting, das kaum Zeit hat sich zu entfalten
Entwicklerin Agnès Vuillaume hat sich sichtlich einige Gedanken über ihr SciFi-Setting gemacht und man kann sicherlich einiges herauslesen. Der Haken daran ist, dass man all das in den knapp vier Stunden Spielzeit eher flüchtig nebenbei mitbekommt. Eventuell wäre es hilfreich gewesen, die gesellschaftlichen Umstände öfter und klarer direkt zu zeigen, um Annas Situation und die ihrer Umwelt besser zu veranschaulichen und sich stärker mit ihrer Rolle identifizieren zu können. Obendrein gibt es zwar eine Widerstandsbewegung, von der wir aber nur drei Individuen flüchtig kennenlernen. Es wirkt deshalb einfach nicht so, als wäre die Dringlichkeit groß.
In jedem der drei Akte macht die Story gefühlt eine 90 Grad Wendung. So bleibt kaum Zeit sich tiefer mit dem Setting zu befassen. Nicht zuletzt mutet es seltsam an, dass wir Anna zwar kurz bei der Arbeit beobachten, ihre berufliche Beschäftigung aber im weiteren Verlauf kaum von Relevanz ist. Um es kurz zu machen, es stecken zwar viele Details in The Sundew aber die Umsetzung wirkt ein wenig zu verkürzt, um als Spieler in diese Welt eintauchen zu können. Stattdessen bewegt man sich von Schauplatz zu Schauplätze und sucht alles nach Objekten fürs Inventar ab.
Durchschnittliche Rätselkost
Dem Benutzerinterface zählt leider ebenfalls zu den Bereichen, wo Potenzial verschenkt wird. Zwar gibt es zu Beginn die Möglichkeit via Annas Interface mit anderen Personen zu kommunizieren, doch in 80% der Geschichte ist das unerheblich. Bald hatte ich vergessen, dass sie eine kybernetisch verbesserte Polizistin ist und am Ende, als das Gameplay-Element plötzlich entstaubt wurde, dachte ich im ersten Moment gar nicht mehr daran.
Es wäre schön gewesen, hätte das Point&Click-Gameplay mehr Aktivitäten implementiert, die zum Beruf und den Fähigkeiten der Spielfigur passen. Stattdessen bekommt man über weite Strecken eine generische Point&Click-Heldin serviert, die wie so oft jeden Schauplatz nach Gegenständen absucht und Botengänge erledigt. Als Polizistin hätte es da schon einige Alternative gegeben, etwa investigative Elemente, den Gebrauch eines Gewehrs (das passiert lediglich einmal zu Beginn, wo wir per Mauscursor ein Ziel auswählen), Hacking... was auch immer.
Relevante Objekte in der Umgebung werden farblich hervorgehoben, was als Hinweis auf Annas Kybernetik interpretierbar ist. Das ist allerdings auch deshalb sinnvoll, zumal The Sundew sonst zu sehr in Pixel-Hunting ausarten würde. Sämtliche Aufgaben werden in einer To-Do-Liste vermerkt, die wir abarbeiten können. Echte Hilfestellungen sind ansonsten eine Seltenheit und die meisten Aufgaben setzen im Grunde nur voraus den passenden Gegenstand zu finden, Hotspots anzuklicken und sämtliche Dialogoptionen durchzugehen (manchmal ergeben sich daraus neue Ziele). Vereinzelt erfordern Rätsel immerhin, dass Inventar-Gegenstände miteinander kombiniert werden.
Die wenigen Entscheidungsmöglichkeiten spielen streng genommen eigentlich nur für den Abspann der linear erzählten Cyberpunk-Geschichte eine Rolle. Es gibt mehrere Enden zur Auswahl.
Technisch solide
In grafischer Hinsicht hinterlässt The Sundew einen netten Eindruck. Die meisten 2D-Schauplätze wirken stimmungsvoll, insbesondere bei den weiteren Perspektiven. Vereinzelt kommt das japanische Flair des Settings zur Geltung, kommt aber in Summe ein bisschen zu kurz. An jenen Orten, wo wir die Protagonistin aus der Nähe erleben, überzeugt der Pixelstil zudem weniger. Das wird für die meisten Pixel-Fans aber zu verschmerzen sein.
Was die akustische Untermalung angeht, so gibt sich das Adventure relativ zurückhaltend und verlässt sich stark auf atmosphärische Sounds. Etwas mehr Musik hätte ab und zu wahrscheinlich nicht geschadet. Und ja, eine Sprachausgabe sucht man aus Budget-Gründen vergeblich – dafür gibt es deutsche Untertitel, die ihren Job ordentlich erfüllen. Zweckmäßig ist am PC übrigens auch die Maussteuerung, die sich wenig von anderen Genre-Vertretern unterscheidet.
Während der erste Akt in 'The Sundew' sich noch recht stimmig anfühlt, wirkt der Rest unausgereift und zu stark verkürzt Mehrere Handlungsstränge werden aufgemacht, aber beim Versuch der Zusammenführung gelingt kein stimmiger Handlungsbogen. Auch die Nebencharaktere spielen immer nur kurz eine Rolle, ohne im Gedächtnis zu bleiben.
Potenzial möchte ich dieser Geschichte keineswegs absprechen, aber es hätte wohl bedeutend mehr Zeit gebraucht, um dieses entsprechend auszuschöpfen – was angesichts der gescheiterten Kickstarter-Kampagne bei einem Projekt von nur einer Person fairerweise leichter gesagt als getan ist. Genre-Fans, die das Cyberpunk-Setting mögen, könnten bei 'The Sundew' dennoch recht passable Unterhaltung für Zwischendurch finden. Schlecht ist es nicht, nur eben weit weg von dem was möglich gewesen wäre.
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The Sundew
- Entwickler
- 2054
- Publisher
- 2054
- Release
- 14. Oktober 2021
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- https://www.2054games.net/
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- The Sundew im Humble Store kaufen (Affiliate-Link)
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