Mit 'Thimbleweed Park' machen es sich Ron Gilbert und Gary Winnick zur Aufgabe, ein waschechtes Point&Click-Adventure zu erschaffen. Ein Spiel, das sich nicht vor Klassikern wie 'Maniac Mansion' und 'Monkey Island' verstecken braucht, ohne jedoch altbacken zu wirken. Kickstarter brachte vor mehr als zwei Jahren das benötigte Startkapital. Inzwischen steht der Release vor der Tür und wir durften eine ausführliche Preview-Fassung durchspielen. Unsere Meinung könnt Ihr in dieser Vorschau nachlesen.

Es war einmal ein Mord
Den Besuch von Thimbleweed Park hätten sich die FBI-Agenten Ray und Reyes zweifellos angenehmer vorgestellt, als eine lange im Wasser liegende Leiche zu fotografieren und nach Hinweisen zu suchen. Noch dazu ärgert sich Reyes, dass ihr ein unerfahrener Kollege über die Schulter schauen soll. Bevorzugt arbeitet sie allein und zeigt das unmissverständlich, wobei ihre Ablehnung an Ray dennoch abzuprallen scheint.
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Oft bietet sich uns eine Gelegenheit für sinnlose, aber dafür amüsante Gesprächsthemen und Aktivitäten. |
Der Verdacht liegt nahe, dass der Täter irgendwo in der Kleinstadt lebt, oder zumindest einen persönlichen Bezug dazu hat. Nur wer könnte ein Mordmotiv haben? Zeit, sich umzuhören. Die Ortschaft präsentiert sich in keinem guten Zustand. Viele Gebäude sind verlassen, Türen und Fenster zugenagelt und Geschäfte suchen einen neuen Besitzer. Auch das wirft Fragen auf. Sowohl der Gerichtsmediziner, als auch der Sheriff haben keinerlei Interesse an externer Hilfe. Im Gegenteil. Doch nicht nur die Einheimischen scheinen eine eigene Agenda zu verfolgen.
'Thimbleweed Park' ist vom Start weg geschickt darin, kontinuierlich neue Spekulationen anzustacheln. Wer kultige Mystery-Serien wie 'Twin Peaks' liebt, der ist hier genau an der richtigen Adresse, denn das narrative Konzept ist gar nicht unähnlich. Zwar ist ein Mord der Aufhänger der Geschichte, doch den wahren Unterhaltungswert zieht das Point&Click-Adventure daraus, dass wir die skurrile Ortschaft und ihre Bewohner besser kennenlernen.
'Twin Peaks' meets 'Maniac Mansion'
Auf den ersten Blick möchte man meinen, 'Thimbleweed Park' sei das Retro-Sequel zu 'Maniac Mansion'. Anspielungen gibt es zwar, doch diese Spiele haben unterm Strich nur das Genre miteinander gemein. Humor, Setting und Geschichte unterscheiden sich sehr deutlich. Die Bezeichnung „Retro“ trifft auch nur teilweise zu. Das Entwickler-Duo wirkt bemüht, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu vereinen. Weniger geht es darum, ein Point&Click-Adventure wie damals zu entwickeln, als darum, die klassische Point&Click-Philosophie stimmig in die Moderne zu übertragen und weiterzuentwickeln, ohne das Rad komplett neu zu erfinden.
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Bislang eine vielversprechende Story. |
In den ersten drei bis vier Stunden gelingt dieser Drahtseilakt sehr überzeugend. Das Storytelling ist drauf und dran zu beweisen, dass das Point&Click-Format im narrativen Kontext immer noch prima funktionieren kann und dass interessant aufbereitete Rätsel nicht zwangsläufig der Geschichte schaden müssen. Man muss nicht unbedingt ein Point&Click-Fan sein, um sich an 'Thimbleweed Park' erfreuen zu können, und wem 'Maniac Mansion' narrativ zu mager oder etwa spielerisch zu mühsam war, der darf beruhigt sein. Die Geschichte steht deutlich mehr im Vordergrund. Übrigens gibt es zahlreiche Anspielungen auf das Point&Click-Genre, Sierra und LucasArts, was Genre-Fans freuen wird. Der Mystery-Motor von Ron Gilbert und Gary Winnick läuft soweit aber auch ohne dieses Beiwerk problemlos.
Mehrere spielbare Charaktere und zwei Schwierigkeitsgrade
Ähnlich wie 'Maniac Mansion' wartet das Krimi-Abenteuer mit mehreren spielbaren Charakteren auf. Wer die abgebrüht wirkende Reyes zum Spielen bevorzugt, kann die meisten Abschnitte mit ihr bewältigen oder sich auf ihr naives Pendant konzentrieren. Im Rahmen der Preview-Fassung gab es zwei Herausforderungen, in denen man mit beiden Figuren arbeiten sollte. Die Ortschaft erstreckt sich über einige Schauplätze, was mit längeren Laufwegen einhergehen kann. Insofern macht es wohl Sinn, den Großteil des Inventars anfänglich auf eine Spielfigur zu übertragen. Die Möglichkeit dazu besteht jedenfalls. Wer einen Gegenstand nicht benötigt, kann diesen übrigens auch in einem der vielen Müllcontainer entsorgen, um auf diese Weise das pralle Inventar auszumisten. Abgesehen vom Ermittler-Duo sind u.a. auch mehrere Rückblenden spielbar, in denen wir mehr über bestimmte Bewohner von Thimbleweed Park erfahren, die ebenfalls steuerbar sind.
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Nicht nur die beiden Agenten sind spielbar. |
Im schweren Modus entsprechen die Rätsel dem, was man sich von einem starken Point&Click-Abenteuer erwarten darf, wenn auch weniger abstrakt und mehr logisch orientiert. 'Thimbleweed Park' ist mitunter fordernd, aber nie übertrieben schwer und stets nachvollziehbar. Viele Lösungen erstrecken sich über mehrere Schauplätze und Aktionen. Das Wichtigste halten die Ermittler stets in ihrem Tagebuch fest, was der Orientierung hilft. Viele Rätsel sind obendrein nicht an eine spezielle Reihenfolge gebunden. Die Preview-Fassung, die lediglich die ersten 15 Prozent des gesamten Spiels erfassen soll, war u.a. durchspielbar, ohne eine der Rückblenden überhaupt gesehen zu haben. Wer Einfachheit bevorzugt beziehungsweise sich auf die Story konzentrieren möchte, für den gibt es einen optionalen einfachen Schwierigkeitsgrad mit simpleren Rätseln, die auf manche Zwischenschritte verzichten. Ähnliches kennen Point&Click-Veteranen von 'Monkey Island 2'.
Gelungene Pixel-Optik und viele Details
Positiv hervorzuheben sind die zahllosen kreativen Details. Man kann u.a. minutenlang damit zubringen, eine der Spielfiguren von einem Wasserspender trinken zu lassen, wobei wir auswählen können, welche Gluck-Geräusche es geben soll. Komplett nutzlos, aber amüsant. Wem langweilig ist, der kann wiederum im Telefonbuch nach vertrauten Namen wie Noah Falstein suchen und deren Anrufbeantworter-Ansage abhören. Zahlreiche Aktivitäten sind zu Beginn überhaupt optional. So können wir einer Verkäuferin dabei helfen, einen neuen Namen für ihr Geschäft zu finden und bald darauf sehen wir die Auswirkungen davon.
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Die detaillierte Pixel-Grafik ist klassisch orientiert, ohne altbacken zu wirken. |
Natürlich gibt es auch Kritikpunkte, wie bei jedem Spiel. Störend fällt zum Beispiel auf, dass beide Ermittler für gewöhnlich exakt dieselben Dialoge beim Befragen von Personen haben. Die englische Vertonung ist ihrerseits zwar nett gelungen, reißt aber keine Bäume aus. Die deutschen Untertitel von Boris Schneider-Johne waren in der Preview-Fassung hingegen noch nicht verfügbar. Was die Pixel-Grafik anbelangt, so ist diese überraschend ästhetisch gelungen. Ein bisschen wirkt es, als hätte man 'Monkey Island 2' und 'Maniac Mansion' in einen Topf geworfen. Aber mit mehr Details, wie Licht und Schattenwechseln und schön ausgeschmückten Vordergründen, die für eine zeitgemäßere Note sorgen. Nur wenige Pixel-Adventures konnten sich in den letzten Jahren ähnlich hervortun. Allerdings waren ein, zwei Objekte leicht zu übersehen. Komplett ohne Pixel-Hunting dürfte es nicht gehen und eine Hotspotanzeige fehlt. Auch das sollte Genre-Fans nicht weiter stören.
Nach 'The Cave' hatte ich Zweifel, ob Ron Gilbert tatsächlich nochmal ein starkes Point&Click-Adventure auf die Beine stellen kann. Die überzeugende Preview-Fassung hat diese Zweifel endgültig beseitigt. 'Thimbleweed Park' macht bisweilen alles richtig und demonstriert, wie ein Point&Click-Adventure heute noch funktionieren kann. Ich bin immer noch erstaunt, wie viele Details im Spiel stecken. Selbst an Orten, die ich öfter besuchte, gab es immer wieder etwas Neues zu entdecken, wodurch nie Langeweile aufkam und die Story macht Lust auf mehr. Falls es in dieser Tonart weitergeht, dürfen wir uns auf eines der mit Abstand besten Adventures freuen.
Zusätzliches Fazit von Tobias Maack: Ron Gilbert ist zurück und macht ein klassisches Adventure. Diese Meldung alleine hat für mich gereicht, das Kickstarter-Projekt zu unterstützen. Später kamen dann die Zweifel: Kann das etwas werden? Funktioniert der Pixel-Look von 'Zak McKracken' und 'Maniac Mansion' und die Verben-Steuerung noch? Die Vorschauversion zeigt: Ja und zwar besser als gedacht. Die Geschichte fesselt, die Charaktere sind interessant und die Rätsel durchaus auch mal fordernd. Mit 'Thimbleweed Park' bekommen wir genau das, was uns versprochen wurde: Ein wirklich klassisches Adventure mit moderner Technik. Man merkt, dass die Entwickler sehr viel Energie auch in kleinste Details gesteckt haben, um ein insgesamt sehr rundes Spiel abzuliefern. Wenn auch der Rest diese Qualität halten kann, macht man mit 'Thimbleweed Park' nichts falsch. Ich jedenfalls kann den Releasetag kaum noch erwarten.
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Thimbleweed Park
- Entwickler
- Terrible Toybox
- Publisher
- Terrible Toybox
- Release
- 30. März 2017
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award • Adventure des Jahres • Adventure des Jahres Redaktionswahl • Die beste Geschichte des Jahres • Die besten Rätsel des Jahres • Überraschungs-Hit des Jahres
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- https://thimbleweedpark.com/
- Art
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Crowdfunding
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- Thimbleweed Park im Humble Store kaufen (Affiliate-Link)
- Thimbleweed Park im Epic Store kaufen (Affiliate-Link)
7 Kommentare
Für Fans, die mit den originalen Titeln groß geworden sind ist das hier sicher ein schöner Retro-Trip, aber da ich nun mal mit den Remasters groß geworden bin kann ich mit dem Pixel-Look einfach überhaupt nichts anfangen.
Ich würde dir als Adventure-Fan empfehlen, es weiter zu beobachten und zumindest mal wo anspielen. Nach anfänglicher Skepsis, hat es mich dann auch (unerwartet) gepackt.