Man stelle sich folgendes Szenario vor: Eine alte, abgelegene Kirche mit einem massiven Turm, in dessen Kellergeschoss sich eine merkwürdige, wenig vertrauenerweckende Metalltür befindet. Ein junger Mann fragt den Friedhofsgärtner, was hinter der Tür ist. Die Antwort lautet: „Die Krypta. Junge, gehen Sie da nicht rein. Da drin befindet sich nichts Gutes.“ Wo Otto Normalverbraucher vermutlich auf die Warnung gehört hätte, entgegnet der junge Mann jedoch nur: „Krypta? Perfekt. Genau das, was ich suche.“ Denn es handelt sich bei ihm um Nigel Danvers, einem Geisterjäger. Um ihm bei seiner Mission in dem von Mamba Games herausgebrachten Adventurespiel 'The Lost Crown' behilflich zu sein, braucht man als Spieler laut Verpackungstext „Nerven aus Stahl“ und „scharfen Verstand“. Ob da die Entwickler von Darkling Room ganze Arbeit geleistet haben und dies in der Praxis auch tatsächlich zutrifft, könnt Ihr in dieser Review erfahren.

Vom Gejagten zum Jäger
Die Vorgeschichte zum Spiel erfährt man nur aus dem Handbuch: Nigel, der für das große Industrieunternehmen Hadden Corporation gearbeitet hat, hat seine Nase in Dinge gesteckt, die ihn nichts angehen und ist dabei auf einige seltsame Dokumente gestoßen, welche er prompt eingesteckt hat. Kurz darauf wird er von zwei Agenten gejagt, die er zum Glück am Bahnhof in London abhängen kann. Nigel flüchtet sich in einen der Züge und schläft bald darauf vor Müdigkeit ein. An dieser Stelle setzt das Spiel ein: Mr Hadden pfeift seine beiden Agenten zurück, weil er genau weiß, wo Nigel hinfährt. Der Zug hält schließlich in Sedgemarsh, einem einsamen Bahnhof mitten in einer Moorlandschaft. Der nächste Ort ist Saxton, den Nigel jedoch nur zu Fuß erreichen kann. Da die Gleise überflutet sind, fährt der Zug nicht weiter, sodass Nigel nichts anderes übrigbleibt, als zu Fuß durchs Moor zu laufen. In Saxton angekommen, bekommt er nur noch ein Quartier im heruntergekommen Harbor Cottage. Später gelingt es Nigel, von einer Telefonzelle aus mit Hadden zu telefonieren, der ihm einen überraschenden Vorschlag macht: Er verzeiht Nigel den kleinen Diebstahl, wenn dieser sich bereit erklärt, für ihn auf Geisterjagd zu gehen. Die Ausrüstung dazu stellt Hadden Corporation. Nigel bleibt nichts anderes übrig, als einzuwilligen. Doch es bleibt nicht bei einer reinen Geisterjagd, denn Nigel findet heraus, dass es in Saxton eine alte Legende gibt: Angeblich ist in der Nähe von Saxton eine alte Krone versteckt, die einst einem angelsächsischen König gehörte. Besagte Krone lockt immer wieder Schatzsucher an, und da Nigel eh gerade in Saxton weilt, beschließt er, sich ebenfalls auf die Suche nach der verlorenen Krone zu machen. Die Geschichte braucht ihre Zeit, bis sie in Fahrt kommt, was nicht zuletzt darin liegt, dass es in 'The Lost Crown' verschiedene Handlungsstränge gibt, die nur teilweise miteinander verwoben sind. Auf der einen Seite ist es löblich, dass so viel Energie auf die Geschichte(n) verwendet wurde, auf der anderen besteht die Gefahr, in dem Wirrwarr aus Handlungssträngen etwas den Überblick zu verlieren. Ungefähr zur Mitte des Spiels verdichtet sich dann aber viel, und wie in einem guten Buch möchte man als Spieler wissen, wie es weiter geht.
Wie man ein echter Ghostbuster mit nur einem Mausklick wird
Nigel wird komplett mit der Maus gesteuert. Allerdings ist man in den Bewegungen etwas eingeschränkter, als das bei Spielen mit vergleichbarer Steuerung der Fall ist. Man kann z. B. nicht auf eine bestimmte Stelle klicken, damit die Hauptfigur sich dann dorthin begibt. Vielmehr bleibt Nigel an einer Stelle stehen, während der Spieler mit der Maus den Bildschirm „abgrast“ auf der Suche nach Hinweisen. Hat er etwas interessantes entdeckt, verändert sich der Cursor und wird zu einer Lupe, falls man ein Objekt näher betrachten kann, zu einer Art Zange, wenn man einen Gegenstand aus dem Inventar darauf anwenden kann, oder zu einer Art Pfeil, wenn man etwas manipulieren kann. Bildausgänge werden ebenfalls durch Pfeile angezeigt. Erst, wenn man eine von den beschriebenen, interaktiven Bewegungen ausgelöst hat, bewegt sich Nigel, um entweder ins nächste Bild zu stapfen oder eben einen Gegenstand zu betrachten/zu bewegen. Das Ganze hemmt ein wenig den Spielfluss, aber zum Glück nicht sehr. Bilder lassen sich per Doppelklick überspringen, was praktisch ist, da man schon mal durch mehrere Locations muss, um an sein eigentliches Ziel zu gelangen.
Als besonderen Clou hat man die Möglichkeit, mit Nigels technischer Ausrüstung herumzuspielen. Diese besteht aus einer Nachtsichtkamera, einem Diktafon, einer Digitalkamera und einem E.M.F.-Messgerät, mit dem man elektromagnetische Schwingungen messen kann. Die Geräte werden einfach per Klick bedient. Allerdings erhält man nicht immer bei jedem Gerät ein Ergebnis, sodass ab und zu die Geräte nacheinander ausprobiert werden müssen. Nigel gibt jedoch Hilfestellungen und schlägt von sich aus vor, ein anderes Gerät zu benutzen, falls es erforderlich ist. Nett. Bei der Benutzung der Nachtsichtkamera wechselt das Spiel übrigens in die First-Person-Perspektive. Jonathan Boakes, der kreative Kopf von 'The Lost Crown', wollte dem Spieler so wirklich die Gelegenheit geben, das zu sehen, was auch Nigel sieht und die Geisterjagd hautnah mitzuerleben. Das ist zum größten Teil gelungen: Ein bisschen wie die Brüder Winchester aus „Supernatural“ kommt man sich als Spieler schon vor, wenn man in Boakes Geisterwelt eintaucht.
Viele Grüße aus Sin City
Die Grafik ist auf jeden Fall eins: mutig. Das Spiel ist überwiegend in Schwarz-Weiß gehalten, bis auf ganz gezielte Ausnahmen: Ein Feuer im Kamin oder Blumen am Wegrand sind schon mal bunt und setzten im Spiel Farbakzente. Der Stil ist am ehesten vergleichbar mit dem Film „Sin City“. Diese Ästhetik passt zum Spiel und unterstützt die etwas unheimliche Atmosphäre. Ein Vergleich mit alten Gruselfilmen liegt nahe. Als Hintergründe wurden überwiegend echte Fotos von realen Schauplätzen in Cornwall, England, verwendet, die mit Animationen, Effekten und Charakteren spielgerecht aufbereitet wurden. An zwei Stellen im Spiel weisen die Hintergrundfotos einen Riss auf. An einer anderen Stelle sind Flecke sichtbar, als hätte die Sonne das Negativ verbrannt. Absicht? Sozusagen ein Hinweis auf einen Riss in der Welt? Dies bleibt der Interpretation des Spielers überlassen.
Nicht gut gelungen sind definitiv die Animationen. Die Figuren bewegen sich wie ferngesteuerte Sprech- und Laufpuppen und ob das nun Absicht war oder ob geschlunzt wurde ist Schnuppe, denn es sieht einfach bescheiden aus. Ferner wird der Spieler auf eine Geduldsprobe gestellt, wenn er dabei zusehen muss, wie sich zuerst Nigels untere Körperhälfte dreht und dann erst langsam der Oberkörper folgt, bevor sich der ganze Nigel schwerfällig in Bewegung setzt.
Ein wenig Effekthascherei gehört dazu
Die Musik ist sehr schön, vielleicht leicht melancholisch, aber auf jeden Fall stimmig. Schon das Spiel zu starten und das Menü aufzurufen macht dank passender Klänge Spaß. Auch an den Soundeffekten gibt es nichts zu meckern. Dielen knarren und Geister flüstern so gut und unheimlich wie sonst nur im Film. Weniger gut schneidet die Sprachausgabe ab. Da sich 'The Lost Crown' nicht auch auf Englisch installieren lässt, lässt sich kein Vergleich zur Originalfassung ziehen. Jedenfalls können in der deutschen Ausgabe leider nicht alle Sprecher überzeugen. Besonders die Hauptfigur macht einen etwas lustlosen Eindruck. Dialoge lassen sich übrigens nicht abbrechen, was schon ganz schön nervt.
Und vom Jäger zum Hobbykoch
Es ist schwierig, etwas über die Rätsel zu verraten, ohne nicht auch etwas von der Handlung preiszugeben, daher übt sich die Schreiberin dieser Zeilen in Zurückhaltung. Dennoch soll es an dieser Stelle ein Beispiel geben: Nigel hat ein abgelegenes Häuschen jenseits der Bahnschienen erreicht, in dem der Haussegen etwas schief hängt. Die Dame des Hauses möchte den Göttergatten mit einem guten Essen versöhnlich stimmen, und es ist Nigels Aufgabe, einen Teil der Zutaten zu besorgen. Die gibt es natürlich nicht am Supermarkt an der Ecke, sondern Nigel muss Wald- und Feldwege absuchen, um wilden Knoblauch, Schnittlauch, Haselnüsse und Pilze zu finden. Hat er alles, muss man als Spieler feststellen, dass es nicht ausreicht, die Zutaten einfach in den Topf zu werfen. Was also tun? Sieht man sich etwas in der Küche um, entdeckt man ein Schneidebrett mit Messer und einen Mörser. Aha, alles klar: Die Sachen müssen erst klein geschnitten werden und dann ab in den Topf damit. Bisher war das ja noch nicht schwer. Dennoch besteht Nigels Besuch nicht nur darin, beim Kochen zu helfen, denn gleichzeitig gibt es eine Menge im Haus zu entdecken: Im und am Haus befinden sich mehrere Steinteller mit unterschiedlichen, mysteriösen Symbolen. Nach dem Essen hat man als Spieler nun auch Gelegenheit, mit dem Ehemann zu reden und einen Blick auf seine Arbeit zu werfen. Dabei findet man Notizen über Monolithe, an denen man im Wald vorbeigekommen ist. Diese weisen die gleichen mysteriösen Symbole auf wie die Steinteller. Spieler mit oben erwähntem, scharfen Verstand ahnen es schon: Die Steinteller geben Hinweise darauf, wie man die Monolithe im Wald drehen muss, damit man in der Geschichte weiterkommt. Des Rätsels Lösung ist häufig ein bestimmter Gegenstand, die Betätigung eines Schalters oder ein Dialog, der dem Geisterjäger auf die Sprünge hilft. Mitunter wird es nicht nur ganz schön knifflig, sondern auch schweißtreibend: z. B. wenn Nigel mitten in der Nacht auf einem Friedhof (wo sonst?) mit Hilfe seiner Nachtsichtkamera nach bestimmten Objekten suchen muss. Obwohl 'The Lost Crown' hartgesottenen 'Resident Evil'-Spielern vermutlich nicht mal ein müdes Lächeln entlocken kann, werden weniger Genre-erprobte Spieler vermutlich vor Spannung auf der Kante ihres Schreibtischstuhls sitzen und vielleicht doch lieber das Licht anlassen. Die Spannung kommt zwar erst spät im Spiel, aber sie kommt! Ein Wermutstropfen ist jedoch, dass 'The Lost Crown' streng linear aufgebaut ist, sodass man häufig buchstäblich nicht vom Fleck kommt, wenn nicht alles erledigt wurde. Außerdem fehlt eine Hotspot-Funktion und das Suchen nach Gegenständen kann schon mal mühsam werden. Unverzeilich aber ist, dass Nigels einziger Kommentar bei einer falschen Aktion aus „Das ist nicht richtig“ besteht. Selbst Spiele, die nicht gerade zu den Kronjuwelen in der Adventure-Schatzkammer gehören, bieten hier drei verschiedene Standardsätze als Auswahl oder lassen den Helden lieber ganz schweigen. Dafür gibt es einen großen Punktabzug. Denn das ist einfach nicht richtig.
Zugegeben, auf der Seite mit Contra-Punkten wären schon einige zu nennen: Die Steuerung geht nicht so leicht in Fleisch und Blut über, wie bei anderen Spielen. Weitere Probleme sind leider die schlechte Animation und die nicht ganz so gut gelungene, deutsche Sprachausgabe, die der schönen Atmosphäre etwas von ihrem Glanz nehmen. Störend sind auch nicht abbrechbare Dialoge und ein streng linearer Spielablauf. Lohnt sich die Anschaffung des Spiels trotzdem? Ja. Mit 'The Lost Crown' hat man definitiv ein spannendes Spiel, dass (fast) ohne die üblichen Horroreffekte auskommt. Außerdem ist die Geschichte fesselnd, nachdem sie in Fahrt gekommen ist, und die Spielzeit ist erfreulich lang. Auf der Packung sind zwar 36 Stunden als Spielzeit angegeben, doch das ist sehr großzügig bemessen. Das Spiel lässt sich – je nach Erfahrung – auch in 20+ Stunden meistern, was die durchschnittliche Spieldauer der meisten Spiele derzeit immer noch in den Schatten stellt. Die Rätsel variieren von leicht bis knifflig, sind aber logisch und daher lösbar. Nicht zuletzt hat die Schwarz-Weiß-Grafik mit einigen ausgewählten „Farbtupfern“ Aufmerksamkeit verdient. Adventure-Freunde können den Titel durchaus näher ins Auge fassen, sollten sich aber auf einen etwas zähen Spielbeginn gefasst machen.
-
The Lost Crown: A Ghosthunting Adventure
- Entwickler
- Darkling Room
- Publisher
- dtp - digital tainment pool
- Release
- 5. Juni 2009
- Webseite
- http://www.thelostcrown.co.uk/
- Sprachen
-
- Systeme
-
- Stichwörter
- The Lost Crown bei Amazon kaufen (Affiliate-Link)