Es gibt für die Liebhaberin oder den Liebhaber eines jeden Computerspiel-Genres Titel auf deren Erscheinung man sich freut und solche auf die man sich nicht freut. Spielt man den Titel bloß zum Spaß, dann kann man diejenigen Spiele die einen nicht interessieren getrost links liegen lassen. Spielt man das Spiel aber um einen Test darüber zu schreiben, dann spielt die Qualität des Produkts überhaupt keine Rolle darin, ob und wie intensiv man sich damit beschäftigt. Das gilt natürlich für jedes Genre und jedes Medium, dass sich zur großen und immer größer werdenden Familie der Video- und Computerspiele zählen darf. Aber als Adventure-Fan gehört man sicherlich nicht zu den mit haufenweise Spitzentiteln verwöhnten Spielern heutzutage. Auf dem Jump-N-Run- oder dem Action-Spiel –Markt ist die Auswahl an überdurchschnittlichen Games heutzutage weitaus größer und die Abstriche die man teilweise hinnehmen muss um einem Titel noch ein „sehr gut“ (oder ein äquivalentes Gütesiegel) aufzudrücken werden auch immer größer. Umso grandioser sind dann die Adventure die es dann tatsächlich schaffen einen vom Hocker zu reißen, die einen nicht mit einem Ja-Aber-Gedanken nach Hause schicken sondern den Spieler von vorne bis hinten verwöhnen und keine Wünsche übrig lassen. Nachdem 'Edna bricht aus', das Adventure mit Indie-Charme, im letzten Jahr einen unglaublichen Erfolg feiern konnte und mit Bestwertungen und Preisen überhäuft wurde, waren die Erwartungen an das nächste Adventure der Produktionsfirma Daedalic Entertainment dementsprechend groß. Aber niemand konnte ahnen wie fantastisch die Abenteuer des traurigen Clowns Sadwick und seiner drolligen Raupe Spot, welches von Marco Hüllen erdacht wurde, wirklich werden würde. Wir haben 'The Whispered World' auf Herz und Nieren geprüft und haben Ergebnisse vorzuweisen die jeden Kardiologen in Staunen versetzen würden.

Zeit für eine Geschichte
Es ist kühl geworden im Herbstwald, kühler als gewöhnlich und das kräftig grüne Moos und die rotbraunen Blätter die die warmen Sonnenstrahlen brechen können nicht darüber hinweg täuschen, dass das Ende kurz bevor steht. In einem kleinen Wohnwagen auf einer Lichtung mitten im Herzen des Waldes, liegt Sadwick der kleine Clown in seinem Bett. Er träumt. Er träumt vom Untergang, vom Auflösen der Welt. Er träumt vom Ende. Unter seinen kleinen Füßen bricht zerklüftetes Gestein auseinander, er rennt davon, aber es gibt keinen Ort der Zuflucht mehr. Plötzlich steht er auf dem Gipfel eines Berges inmitten einer verwüsteten Landschaft. Aus dem dunklen Himmel schwebt ein großes leuchtendes Etwas auf ihn zu. Es ist riesig und wirkt bedrohlich. Sadwick hebt schützend die Arme vor sein Gesicht, da brüllt die leuchtende Kugel mit ohrenbetäubender Stimme seinen Namen: SADWICK! Und der Traum ist vorbei.
Das Gameplay
Das Spiel beginnt unmittelbar nachdem Sadwick aus seinem Alptraum erwacht. Der kleine Clown, der seinen Beruf nicht freiwillig gewählt hat und von seinem älteren Bruder Ben und seinem Großvater vielmehr mitgeschleppt wird, spürt, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist und dass sein gruseliger Traum etwas damit zu tun hat. Zunächst aber hat Sadwick Alltagsprobleme zu erledigen. Ben drückt ihm einen Zettel mit Aufgaben in die Hand und dann ist der Spieler erst einmal sich selbst überlassen.
Das Gameplay von 'The Whispered World' ist als das eines klassischen Grafikadventures zu erkennen. Der Spieler steuert Sadwick per Mausklick durch die 2D Landschaft, spricht mit den Gestalten denen er im Laufe des Spiels begegnet, sammelt Gegenstände in seinem Beutel und löst massenweise Rätsel der unterschiedlichsten Art. Durch längeres Drücken der linken Maustaste öffnet sich ein kleines Pop-Up-Menü, das aus drei Symbolen besteht, einem Mund, einer Hand und einem Auge, mithilfe deren der Spieler die Interaktion zwischen Sadwick und seiner Umgebung steuert. Ein Klick auf die rechte Maustaste öffnet das Inventar-Menü, indem Sadwick seine gesammelten Items verstaut. Bei Gesprächen mit anderen Charakteren öffnet sich am unteren Bildschirmrand eine kleine Schriftrolle, die eine Auswahl an Sätzen bietet. Mit einem Druck auf die Space-Taste werden alle Hotspots auf dem Screen angezeigt, eine Technik die nicht nur sinnvoll sondern in diesem Fall auch zwingend notwendig ist, da Gegenstände oftmals sehr schwer auf dem Bildschirm zu erkennen sind.
Die einzige Besonderheit im Spiel stellt eine kleine grüne Raupe namens Spot dar, Sadwicks treues Haustier, die den Clown auf Schritt und Tritt begleitet und, trotz Sadwicks wiederholtem Lamentieren ob der Nutzlosigkeit Spots, des Öfteren von entscheidender Bedeutung für das Lösen von Rätseln sein kann. Der Spieler kann Spot benutzen wie einen Gegenstand im Inventar und ihn so durch Mausklick aufnehmen und mit anderen Gegenständen kombinieren. Im Laufe des Spiels wird Spot mit immer mehr verschiedenen Fähigkeiten ausgestattet und kann sich später beispielsweise in einen Feuerspot verwandeln der gerne Sachen in Brand steckt oder in den herzerwärmend niedlichen Fünfer-Spot, der aus fünf kleinen quietschenden Minispots besteht. Die kleine Raupe stellt so eine nette Alternative zum Inventar-Rätsel dar und nicht selten entstehen aus dem experimentellen Versuch der Spot-Gegenstand-Interaktion verdammt lustige Kommentare Sadwicks. Im späteren Verlauf des Spiels ist Spot sogar für eine Weile auf sich allein gestellt und wird so zur aktiv handelnden Figur.
In Sachen Gameplay erfindet Daedalic mit 'The Whispered World' das Rad sicherlich nicht neu, aber das wollen und brauchen sie auch nicht. Das Spiel ist vielmehr eine Rückkehr zu den Wurzeln des Grafikadventure-Genres, in dem höchster Wert auf die Qualität der Story und der Rätsel gelegt wird. Es gibt in 'The Whispered World' keine Action-Einlagen, keine Minispiele und keine Achievements zum Freischalten, in dieser Hinsicht ist das Spiel ein Adventure in Reinkultur. Aber was das Spiel vermittelt, das vermittelt es nahezu perfekt. In der geflüsterten Welt gibt es eine Fülle von Rätseln der verschiedensten Art. Neben Inventar-Rätseln muss Sadwick Maschinen zusammenbauen, kleine ulkige Vögel dirigieren und knifflige Schachprobleme lösen. Die Rätsel sind gut verteilt, in sich logisch und vor allem entdecken sie die verlorene Kunst der Integration von Rätseln und Story wieder. Heutzutage scheitern viele (darunter auch namhafte und erfolgreiche) Adventures daran, die Rätsel in den Verlauf der Geschichte zu integrieren was dem Spiel letztendlich einen bemühten und künstlichen Touch gibt, der verhindert, dass sich der Spieler in der Welt des Adventures verlieren kann. In 'The Whispered World' werden die Rätsel behutsam und kreativ aufgebaut, sodass man sich nie fragen muss: was soll das denn jetzt? Die Tatsache das die Autoren des Spiels, Marco Hüllen und Jan Müller-Michaelis ('Edna bricht Aus'), als Creative Directors auch stark in der Abteilung des Rätseldesigns involviert waren, könnte dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. An einigen Stellen raucht der Kopf aber schon gewaltig, denn die Rätsel werden in späteren Kapitel teilweise ziemlich kompliziert und erfordern ein hohes Maß an Konzentration. Ein abgespeckter Schwierigkeitsgrad für jüngere Spieler wäre hier sinnvoll gewesen, die sicherlich auch Freude an der geflüsterten Welt hätten, mit den happigen Rätseln an einigen Stellen aber sicher überfordert sein werden.
Die Story
Die Story des Spiels ist der nächste große Pluspunkt. Es ist schon lange her, dass ein neues Fantasy-Adventure derart überzeugend rüberkam. Keine der teilweise völlig abstrusen Gestalten denen Sadwick auf seiner Reise begegnet, wirken uninspiriert oder fehl am Platze. Keine Situation in die man stolpert wirkt abgegriffen oder konstruiert. Daedalic und Deep Silver haben es geschafft eine neue bezaubernde Umgebung aus dem Boden zu stampfen, in der man sich schnell so zu Hause fühlt, als ob man sie schon aus diversen Büchern oder Filmen kennt. Das liegt natürlich auch zum Teil daran, dass sich das Team bei vielen großen Vorbildern des Fantasy-Genres bedient. Hier und da erkennt man den Einfluss von Hayao Myazakis Animationsfilmen, da und dort könnte Jim Henson Pate gestanden haben, manchmal scheint Lewis Caroll Co-Autor gewesen zu sein. Dabei stoßen diese Vorbilder zu keiner Zeit unangenehm auf und vermitteln nie den Eindruck, dass sinnlos kopiert wurde.
'The Whispered World' schafft für das Fantasy-Genre das, was einst 'Monkey Island' für die Welt der Piraten und 'Simon the Sorcerer' für die Märchenwelt geschafft haben: eine geniale Kombination aus typischen Genreelementen und spitzenmäßigem Humor. Die Nebencharaktere sind teilweise zum brüllen komisch (wortwörtlich trifft dies auf Bando zu, einem frustrierten Handwerker der nichts lieber tut als laut zu schreien und für Lachanfälle vor dem Bildschirm sorgt) und passen hervorragend in die geflüsterte Welt. Sadwicks sarkastische Kommentare erinnern vor allem an Guybrush Threepwoods trockenen Humor, der eigene Unfähigkeit ironisiert und mit teilweise allzu patzigen Kommentaren hier und da ein wenig aneckt. Dabei ist der kleine Clown gewiss keine Kopie einer schon bekannten Spielfigur. Sadwick hat einen komplett eigenen und in sich äußerst schlüssigen Charakter, der das Leben als umhertingelnder Clown satt hat, durch seinen dominierenden Bruder allerdings so von seiner eigenen Unfähigkeit jegliche Aufgaben betreffend überzeugt ist, das man ihn Anfangs einfach nur knuddeln und ihm gut zureden möchte. Im Laufe des Spiels findet allerdings etwas statt, dass heutzutage im Adventuregenre ebenfalls häufig zu kurz kommt: Charakterentwicklung. Sadwick wächst an seinen gemeisterten Aufgaben und bricht allmählich aus der Rolle des Trauerkloses aus, wird mutiger und frecher und überzeugt so den Spieler von seiner Echtheit. Seine fatalistische Grundeinstellung verliert er allerdings nie.
Die gelungene Story und das bezaubernde Ambiente lassen einen manchmal wünschen, dass man von den Wesen in der geflüsterten Welt noch ein wenig mehr erfahren könnte. Die Dialoge im Spiel konzentrieren sich ein wenig zu sehr auf eine progressive Story und könnten an einigen Stellen noch weitschweifender und vieldimensionaler sein. Zu gerne möchte man mehr über das Wesen Kalida erfahren, welches man auf einer Insel im Herbstwald aufwecken muss. In welchem Kontext stehen die sprechenden Steine mit ihrer Umwelt? Gibt es noch mehr von ihnen? In einem Adventure sollte die Befriedigung der Entdeckerlust eine große Rolle spielen um die künstliche Welt echter wirken zu lassen. Hier bekommt der Spieler seine Grenzen ein wenig zu oft aufgezeigt. Auch ein paar mehr Hotspots pro Screen würden dahingehend helfen, denn alles was Sadwick zu seiner Umgebung zu sagen hat, ist witzig, traurig, clever und in jedem Fall interessant. Bis auf ein etwas sauer aufstoßendes Plothole gegen Ende des Spiels ist ansonsten aber alles tip top.
Die audiovisuelle Präsentation
'The Whispered World' verwöhnt die Spieler mit prächtig gezeichneten Hintergründen die mit weitem Abstand das Schönste sind, was man je bei einem 2D Grafikadventure gesehen hat. Die einzelnen Screens strotzen nur so vor Details, sodass man am liebsten zehnmal so viele Hotspots hätte um die Welt um sich herum zu erkunden. So bleibt einem manchmal nichts anderes übrig als stehen zu bleiben und zu staunen. Die Zeichnungen sind tatsächlich so beeindruckend, dass selbst das nicht langweilig wird. Durch exzessiv betriebenes Parallax-Scrolling das selbst die kühnsten 2D-Shooter von einst vor Neid erblassen lassen würde wird oft überzeugend ein Pseudo-3D-Effekt erzeugt, der die atemberaubend schöne Landschaft noch besser in Szene setzt. Die Parallax-Technik wird dabei sogar in ein (äußerst kniffliges) Rätsel integriert.
Die Animationen der einzelnen Figuren sind flüssig und ebenfalls mit viel Liebe zum Detail gezeichnet. Es gibt eine Fülle an Spezial-Animationen für diverse Situationen und selbst kleine Bewegungen wie Spots Transformationsanimationen sind hervorragend gelungen. Sicherlich gibt es trotzdem noch Luft nach oben was das angeht, dennoch sind die Animationen auf jeden Fall mit „sehr gut“ zu bewerten.
Auch die Musik, eingespielt von einem Ensemble klassischer Musiker, ist von allererster Güte. Der Soundtrack wird mit der sogenannten Mood-Technique eingesetzt. Die einzelnen Abschnitte haben verschiedene Grundinstrumente auf die dann die jeweiligen Stücke für die einzelnen Screens aufbauen. So gibt es im verträumten Herbstwald eine leicht entrückte fast schon sphärische Klaviermelodie während im dritten Kapitel bei den grausigen Asgil eine weitaus düstere Musik mit einigen Blechbläsern gewählt wurde. Auch hier vermag man wieder einige Inspirationsquellen herauszuhören. Die ruhigen Stücke klingen nach Joe Hisaishi (u.A. Hauskomponist von Miyazaki) oder Jimmy Webb (Das Letzte Einhorn) bei den gewaltigeren Kompositionen erinnert man sich zum Beispiel an Howard Shore (Herr der Ringe). Der Soundtrack ist so hochwertig, dass eine separate Veröffentlichung durchaus gerechtfertigt wäre. Teilweise vermisst man allerdings ein wenig Underscoring. Wenn Sadwick zum Beispiel ein besonders schweres Rätsel gelöst hat (davon gibt’s ne Menge) würde man sich eine kleine musikalische Untermalung des Ergebnisses wünschen. Stattdessen spielt die Musik unverändert weiter, was vor allem bei besonders ruhigen Stücken ein wenig das Triumphgefühl hemmt.
Die Sprachausgabe ist insgesamt gelungen und arbeitet mit professionellen Synchronsprechern. Dabei reicht die Palette von „Auf den Punkt getroffen“ bis „nervend“ bewegt sich aber für die meisten Charaktere auf einem überdurchschnittlichen Level. Vor allem Sadwick, dessen Stimme der Spieler natürlich am meisten hören wird, passt mit ihrem leicht weinerlichen und schüchternen Touch perfekt. Die Soundeffekte sind nicht weiter erwähnenswert, passen manchmal mehr und manchmal weniger und fallen weder positiv noch negativ auf.
Und was gibt es sonst noch?
Wer die Packung zu 'The Whispered World' zum ersten Mal öffnet, wird sich vielleicht wundern, dass ihm drei zwölfseitige Würfel entgegen gerollt kommen. Diese sind mit Symbolen versehen und dienen als innovativer Kopierschutz der vor jedem Start des Spiels abgefragt wird. Außerdem sollen sie, laut Daedalic, auch für das Würfelspiel „Droggel“ benutzbar sein, dessen Spielplan auf der Rückseite des riesigen Posters, das dem Spiel ebenfalls beiliegt, befinden soll. Für die Testversion lag der Spielplan allerdings noch nicht vor.Im Spiel gibt es dann noch Konzeptzeichnungen und anderes Artwork zu begutachten, dass man sich unter dem Punkt „Bonusmaterial“ im Hauptmenü anschauen kann.

'The Whispered World' ist ein hervorragender Titel. Es ist nicht nur das beste deutsche Grafikadventure aller Zeiten, sondern auch der beste Titel der vergangenen zwölf Jahre. Selten gab es einen so hochwertigen Mix aus einer spannenden, traurigen und witzigen Geschichte, einem wunderschönen Soundtrack, einer noch viel beeindruckenderen Grafik und einem spitzenmäßigen Gameplay. Die kleinen storytechnischen Mängel und die nicht ganz perfekten technischen Eigenschaften zu erwähnen bedeutet Mäkeln auf hohem Niveau, denn der Gesamteindruck wird von ihnen kaum beeinflusst. Einzig der harte Schwierigkeitsgrad ist ein Punkt der tatsächlich ein wenig Kopfschmerzen bereitet und einen entweder die Entschärfung einiger Rätsel oder besser einen abgespeckten Schwierigkeitsgrad herbeisehnen lassen. Alles in allem ist die Geflüsterte Welt ein absolutes „Must-Have“ für jeden der dem Adventuregenre auch nur ein Wenig abgewinnen kann und wird unter Garantie niemanden enttäuschen.
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The Whispered World
- Entwickler
- Daedalic
- Publisher
- KOCH Media
- Release
- 28. August 2009
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award • Adventure des Jahres • Adventure des Jahres Redaktionswahl • Der beste Soundtrack des Jahres • Die beste Geschichte des Jahres • Die beste Grafik des Jahres • Die besten Rätsel des Jahres • Überraschungs-Hit des Jahres
- Webseite
- http://www.the-whispered-world.de/
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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