Mi’pu‘mi Games ist vielen Adventure-Fans seit 'The Lion's Song' ein Begriff. Nach dem Pixel-Adventure wagt sich das österreichische Studio mit 'The Flower Collectors' in andere Gefilde – in allen Belangen. 3D-Grafik, menschenähnliche Tierwesen und die 1970er-Jahre. Nach dem Tod des faschistischen Diktators Francisco Franco Bahamonde herrscht in Spanien eine Umbruchstimmung. Demokratische Wahlen stehen an, doch die Gewalt und Unterdrückung ist zugleich noch überall zu spüren. Wir schlüpfen in die Rolle des Ex-Cops Jorge der einen Mord beobachtet. Im Test erfahrt Ihr, was Euch in diesem Krimi alles erwartet.
Spanien, Diktatur im Wanken und das Fenster zum Hof
Eigentlich sind die Ermittlungstage von Jorge gezählt. Nach einem Unfall ist er im Rollstuhl und hat ein beschauliches Apartment in Barcelona über einem belebten Platz. Seine Beschäftigung könnte direkt aus Alfred Hitchcocks 'Das Fenster zum Hof' kommen: Er beobachtet mit dem Fernglas die Nachbarschaft und zeichnet seine Erlebnisse per Skizzenblock auf.
Eines Nachts träumt er wieder von seinem Unfall und wacht gegen Mitternacht auf. Doch irgendetwas ist komisch. Am Balkon blicken wir mit Jorges Fernglas über den Platz. Eine verdächtige Gestalt steht da in der Dunkelheit. Was tut sie nur? Plötzlich schallt ein Schuss über den Platz und die Gestalt fällt zu Boden. Schnell fahren wir rein in die Wohnung, rufen die Polizei und sprechen mit unserem alten Kollegen Diego über den Vorfall. Ebenso plötzlich hören wir im Treppenhaus etwas poltern, machen die Tür auf und die junge Melina stürmt in die Wohnung. Nach diesem Strudel der Ereignisse werden wir widerwillig in den Mordfall hineingezogen und starten unsere eigenen Ermittlungen. Kurz vor den ersten demokratischen Wahlen im September 1977. Wird es hier doch nicht etwa um Politik gehen?
Spannende Prämisse und durchsichtige Story?
Spanien ist schon nicht der häufigste Ort für Adventures und Spiele allgemein. Die turbulente Zeit kurz nach Diktator Francos Tod ist noch seltener ein Thema. Bis heute ist die Franco-Ära im Land nur wenig aufgearbeitet. Es liegt nahe, dass dieser Mord mit diesen Geschehnissen zu tun hat. Führt die spannende Prämisse dadurch zu einer durchsichtigen Story? Nur zum Teil. In den Details bleibt sie spannend.
Erzählt wird eine fiktive Geschichte auf Basis dieser Zeit aus der Sicht des Ex-Cops Jorge und der jungen Journalistin Melinda, die für das eher linksgerichtete Blatt El Diario schreibt. Das sind von Grund auf zwei sehr unterschiedliche Standpunkte. Es geht um Polizeigewalt und Nachwirkungen der Diktatur und deren Auswirkungen auf die zivile Gesellschaft. Wir blicken also nicht nur auf die Hauptgeschichte um den Mord, sondern auch auf die Schicksale der Bewohner rund um den Platz: Die Geschichte der Mechanikerinnen aus Italien können wir ebenso beobachten, wie zum Beispiel das Drama um das Cabaret und der Sängerin Lola, oder die Liebesgeschichte zwischen ihr und dem Café-Besitzer.
Auf voyeuristischen Pfaden sitzen wir mit Fernglas und später mit Melindas Fotoapparat im Rollstuhl am Balkon und sammeln so Puzzle-Teile für die gesamte Geschichte. Moment! Jorge sitzt doch im Rollstuhl – sollten wir das nicht deutlicher merken? Eigentlich nicht. Trotz der Beeinträchtigung ist er ein Teil der Gesellschaft. Er fühlt sich zwar nicht immer so und kommt selten aus seiner Wohnung hinaus. Das ist jedoch seine eigene Entscheidung. Im Spiel macht deutlich, dass Jorge trotz seiner Beeinträchtigung alles machen kann und nicht überall Barrieren hat.
Bäriger Beobachter: So spielt es sich als Jorge
Die 1970er sind außerdem die Zeit vor der Digitalisierung und Funkgerät, Fernglas und Fotoapparat in einem begrenzten Kammerspiel machen hier Sinn. Die Inspiration von Firewatch wird in diesem Punkt spürbar. Die Perspektive von Jorge bleibt dadurch jedenfalls einzigartig: Er ist in der Wohnung oder am Balkon und beobachtet aufmerksam seine Umgebung.
Wie können wie so ermitteln? Melinda ist in einer Person unsere Ohren, unser verlängerter Arm und unser Sprachrohr. Durch sie können wir ihr per Funk Bescheid geben, wann keine Polizei herumschwirrt und sie nachts herumschleichen oder mit Zeugen sprechen kann. Ebenso dokumentieren wir den Stand der Ermittlungen per Fotokamera. In den zehn Kapiteln zu insgesamt ungefähr fünf Stunden Spielzeit sammeln wir auf unserer Ermittlungswand unsere Fotos und Skizzen und ordnen die entsprechend der Indizienvorgaben zu. Bei jedem Rahmen dazu steht immer dabei, was dieser Beweis oder dieses Indiz bezeugen soll. Im Endeffekt gibt es bei den Schlussfolgerungen immer nur eine richtige Lösung.
Vor allem die Sammelaufgaben Schleichsequenzen sind hervorzuheben, denn hier haben wir meist ein Zeitlimit von mehreren Minuten, das aber so großzügig gesetzt ist, dass man alles ohne Stress schaffen kann. In mehreren Minuten müssen nur wenige Dinge gemacht werden und während der Ausführung oder dem Sammeln hält die Uhr auch immer an. So fühlt man mit, dass die Ermittlungen nicht ewig dauern dürfen und stresst nicht gleichzeitig unnötig. Durch optionale Nebenstränge der Geschichte, wie etwa die Entwicklungen rund um die Mechanikerinnen, kann man etwas länger am Spiel sitzen. Es gibt zudem eine Handvoll von Entscheidungen, die nicht nur Achievements ändern, sondern auch das Ende entsprechend beeinflussen.
Zeitgenössischer Grafikstil und Sound
Die Grafik von The Flower Collectors ist im Cel-Shading-Look gehalten. Durch die anthropomorphen Tierwesen ist die Parallele zu Blacksad: Under the Skin schnell gezogen. Mi’pu’mi Games setzt jedoch auf eine andere Stilrichtung, auch bedingt durch das Setting und den zeitlichen Kontext. Durch den Stil der 1970er-Jahre entsteht ein etwas flacherer Look, der Figuren deutlicher in Richtung Comic-Grafik schiebt. Es geht also einen deutlich anderen Weg als Blacksad: Under the Skin, wo Realismus größer geschrieben wurde.
Neon-Lichter auf den Bars, ein Platz und ein postkolonialer Stil an den Gebäuden, all das wirkt eindeutig wie ein Barcelona aus der damaligen Zeit. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch die hervorragende Jazz-Musik im Hintergrund. Wer mehr Zeit beim Beobachten aufbringt, merkt leider, dass manche Musikstücke zu kurze Loops haben. Die Qualität der Stücke ist dennoch hervorragend und würde zweifellos auch auf einem Plattenspieler zu Hause funktionieren. Dazu passt die englische Sprachausgabe, die zwar nur aus wenigen Sprechern besteht, aber stark vertont klingt. Der Bär Jorge hat eine entsprechend sonore, tiefe Stimme, die ihn schon beim Zuhören immer etwas grummelig erscheinen lässt. Klasse! Auf eine deutsche Sprachausgabe müssen wir zwar verzichten, aber deutsche Untertitel sind zumindest vorhanden und gut gelungen.
Großartiges Setting, aber ist die Story vielleicht zu durchsichtig? So ging es mir in den ersten zwei bis drei Stunden von 'The Flower Collectors'. Dann wurde mir jedoch klar, dass die Befürchtung nicht ganz eintritt. Es wurde vielschichtiger, die Verschwörung dichter und es gibt natürlich die netten Nebenstories, die mir beim zweiten Durchlauf klarer wurden. Dass ich ein Adventure zweimal durchspiele, das passiert nicht oft – außer bei den Allzeitklassikern. An diese reicht 'The Flower Collectors' natürlich nicht heran. Trotzdem ist es ein richtig gutes Spiel. Grafik, Sound und Story passen super zueinander. Das Gameplay hat jetzt keine echten Rätsel, weiß aber trotzdem zu fesseln. Stets sucht man die bekannte Umgebung ab und genauso oft verändert sich diese. Dazu kommt eine bärenstarke Sprachausgabe. Und habe ich schon vom Setting gesprochen? Ja, 'The Flower Collectors' ist schon sehr ordentlich. Nur Details und die nicht ganz so originelle Grundstory verhindern den Kultstatus für mich.
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The Flower Collectors
- Entwickler
- Mipumi Games
- Publisher
- Mipumi Games
- Release
- 21. April 2020
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Webseite
- https://www.flowercollectors.com/
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
- The Flower Collectors im Epic Store kaufen (Affiliate-Link)
- Zur offiziellen Website
4 Kommentare
Ich flaaaaaäääääàäme jetzt dann gleich...