Der Spiele-Entwickler Raphael Vogt hat bereits Erfahrungen im Adventure-Genre gesammelt. Von ihm stammt beispielsweise das kostenfreie Adventure 'Identität'. Nun möchte er über die Crowdfunding-Plattform Startnext.de 1.000 € für ein neues Projekt einsammeln. Wir haben mit ihm über sein Spiel 'S*intuition und die Ideen dahinter gesprochen. 'S*intuition' wurde einige Zeit nach diesem Interview übrigens zu 'Intra Muros’ umbenannt.

Adventure Corner (AC): Hallo Raphael! Vielen Dank, dass Du Dir Zeit für dieses Interview nimmst. Viele unserer Leser kennen Dich noch nicht. Magst Du Dich einmal vorstellen?
Raphael Vogt (RV): Ich bin 38, verheiratet und Vater einer kleinen Tochter die demnächst ein Geschwisterchen bekommt. Ich arbeite als Künstler, Hausmann und mal mehr, mal weniger im Sozialen Bereich wo ich z.B. in kleinerem Rahmen kreative Freizeitgestaltung mit Behinderten mache.
Meine größte Leidenschaft gilt jedoch nun schon seit einiger Zeit der Entwicklung von Computerspielen. Mich fasziniert die sich dadurch eröffnende Möglichkeit, gleichzeitig mit verschiedenen kreativen Medien wie Text, Bild und Musik arbeiten zu können ..
AC: Wie bist Du zum Adventure Genre gekommen?
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Raphael Vogt |
RV: Eigentlich über den Umweg, dass ich auf der Suche nach einer geeigneten Software war, um Ausschnitte eines selbst verfassten Romanes auf interessante Weise online präsentieren zu können. Fragmente meiner bisher noch unveröffentlichten Erzählung 'Das Grab eines Dichters' sollten als interaktive Webseite lesbar und zugleich mit spielerischen Elementen verknüpft werden.
Da war es zum Point-n-Click-Prinzip nicht weit, zudem mich das Adventure Genre seit jeher, sprich vom Erwerb des ersten eigenen Amigas fürs Kinderzimmer an, mit Abstand am Meisten fasziniert hat. Und so wurde aus der eigentlich geplanten Webseite mein erstes Spiel 'Identität', seither als Freegame downloadbar sowie von der Computerfachzeitschrift c´t als Teil einer beiliegenden Softwaresammlung (Ausgabe 24 / 2010) etwa 350.000 mal vertrieben.
AC: Derzeit arbeitest Du an dem Adventure 'S*intuition'. Worum geht es da?
RV: Politik, Philosophie, Spiritualität, Identität. Der Spieler ist zugleich Protagonist in der Ich-Perspektive und damit beauftragt, den Spuren eines seltsamen Tondokumentes zu folgen, welche auf illegale Aktivitäten in einem geheimen Waldgelände schließen lassen.
Auch wenn ich mit dem Spiel nicht dem Trend postapokalyptischer Endzeitthematiken zu folgen beabsichtige, gibt es durchaus einen Spielkontext globaler Bedrohung durch die irreversiblen Folgen (para)militärischer Drohnen, Überwachung, Fracking und Gentechnik. Doch liebgewonnene Erkenntnisse werden im Laufe der Erzählung durch parallele Handlungsstränge durchaus wieder in Frage gestellt, so dass am Ende dem Spieler selbst überlassen bleibt, sich für seine eigene Version von Realität zu entscheiden. Jede Entscheidung bringt selbstredend unterschiedliche Konsequenzen mit sich!
AC: Das sind ja doch sehr politische und zum Teil auch komplizierte Themen. Was hat Dich dazu bewogen, diese auszuwählen? RV: Die Schnittstelle zu realen, persönlichen wie auch global zusammenhängenden Problemen hat für mich persönlich eine große Bedeutung. Reine Unterhaltung ist mir zu wenig, die moralische Keule andererseits auch wieder zuviel. Aber es geht mir durchaus um das Thema Verantwortung. Verantwortung für eine Welt, die ohne unser positives Zutun unwiderruflich auf Selbstzerstörung ausgerichtet ist.
Darum die konkreten Themen wie Freihandelsabkommen und damit einhergehende Gefahren durch Gentechnik, Fracking, Überwachung(sstaat) und der Einsatz von Drohnen. Die Macht des freien Marktes funktioniert einerseits nur durch die Ausbeutung seltener Rohstoffe wie Coltan für die wir Kindersklaverei in Afrika und anderenorts einstürzende Kleiderfabriken in Kauf nehmen, ist aber mittlerweile - nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten - auch zu einer Bedrohung des gesamten Planeten mutiert.
Es geht um nichts weniger als die letzte Entmündigung
der Politik, des Staates und der gesamten EU.
AC: Über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ist nicht viel bekannt, da es hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Wie hast Du für das Spiel recherchiert?
RV: Durch investigative Medien, vorwiegend im Internet. Abgesehen davon ist das durchwegs konspirative Verhalten der Vertragsunterhändler undemokratisch genug, um sich ausmalen zu können, dass da wohl nichts Verbraucherfreundliches hinter den verschlossenen Türen vereinbart werden wird. Es geht definitiv ausschließlich um Geld, um die weitere Radikalisierung des freien Marktes. Es geht um nichts weniger als die letzte Entmündigung der Politik, des Staates und der gesamten EU.
Wenn die amerikanische Wirtschaftslobby sich durchsetzen wird, werden sie hier Krankenhäuser bauen, in denen der genaue Auenthaltsort der Patienten per Chip am Hals überwacht wird, es auschließlich nur noch gentechnisch veränderte Nahrungsmittel geben wird, Medikamente frühestens nach dem ersten Todesfall als testpflichtig gelten und dank Fracking extrem giftige Chemikalien das Grundwasser verseuchen dürfen, ohne das weder auf lokaler noch auf überregionaler Ebene juristisch dagegen vorgegangen werden kann. Es gibt - und das sogar laut öffentlichen Medien wie der ARD - eine geheime Klausel im Freihandelsabkommen, dass zukünftig Lobbyisten der jeweiligen Unternehmen in den Ausschüssen für Risikobewertung sitzen dürfen. Und die Amerikaner behalten sich außerdem vor, gegen jegliche politische Entscheidung, auf jeder politischen Ebene vor - unserer Justiz übergeordneten - Gerichten klagen zu dürfen. Damit würde der letzte Rest an demokratischer Handlungsfreiheit ausgehöhlt und zur reinsten Farce degradiert. So etwas kennzeichnet nichts weniger als das Prinzip einer Diktatur.
AC: Freihandelsabkommen, Drohnen, Gentechnik... Wie groß wird 'S*intuition', damit das alles ins Spiel passt? RV: So wie es sich im Moment abzeichnet werden die Themen im Arbeitsprozeß soweit abstrahiert, dass sie viel Raum für die persönliche Interpretation zulassen. Die erwähnten Begriffe dienen als Stichwort für einen Kontext, die eigentliche Handlung aber spielt überwiegend zwischen den Zeilen. Um es etwas weniger kryptisch zu formulieren: Die Kernfragen drehen sich um Philosophisches wie - was ist eigentlich Wirklichkeit - und alle anderen Themen wie der außenrum gebaute Gesamtkontext dienen als Schnittstelle zur am Zeitgeschehen orientierten Realität.
Einiges begleitet die Handlung nur ganz vage als diffuse Bedrohung, traumgleich, beinahe surreal und der Schrecken besteht darin, dass es nicht gelingt, ausfindig zu machen, woher diese genau kommt. Um konkrete Erwartungen jedoch nicht zu enttäuschen würde ich dabei weniger von einer klassischen Horroratmosphäre sprechen, denn eher von surrealen Stilmitteln und grafisch wie soundtechnisch psychedelisch orientierten Elementen. Und der letztendliche Umfang hängt durchaus von der Höhe der Finanzierung ab.
Es wird mehrere parallele Lösungswege geben.
AC: Du möchtest für 'S*intuition' Medien wie Text(adventure), Hörspiel/ Hörbuch und Graphic Novel mit Musik und Video verknüpfen. Wieviel Adventure wird es denn am Ende werden? Und wie dürfen wir uns das vorstellen?
RV: Ich setze dabei weniger auf die Quantität der Rätsel als vielmehr auf die Erzählkraft der Texte, Töne und Bilder. Dennoch wird es mehrere parallele "Lösungswege" geben, deren Ziel jedoch die persönliche Interpretation und nicht ein endgültig vorgegebenes Ergebnis darstellt. Um es besser zu umschreiben darf ich an den herausragenden Thriller 'Shutter Island' - verfilmt mit Leonardi die Caprio - erinnern. Am Ende bleibt die Frage nach der Wahrheit offen, oder auch nicht. Es ist eben letztlich eine Frage der Interpretation. Um bei 'Shutter Island' zu bleiben: Mein Spiel wird auf jeden Fall garantiert mehr Adventure werden, als das am soeben genannten Film orientierte Wimmelbildspiel ;)
AC: Wenn mehr als 1.000 € zusammenkommen, möchtest Du mehr Innovation ins Genre bringen. Woran kranken andere Adventures Deiner Meinung nach? Was möchtest Du gern ändern? RV: Ich finde es einerseits zwecklos, dem geistreichen Humor der ersten Lucasfilm Games das Wasser reichen zu wollen oder andererseits auf angestaubte Mechanismen des Krimi-, Thriller- oder Horroradventures zu setzen. Auch wenn sich mittlerweile viele Stories mit politisch brisanten Themen beschäftigen und es außerdem durchaus beachtliche Innovationen im Adventuresektor gibt, die sich längst von der klassischen Interpretation des Genres gelöst haben - 'Dear Esther' von The Chinese Room nur als ein Beispiel - suche ich mit Leidenschaft nach eigenen neuen Möglichkeiten um den Begriff Adventure auf meine eigene Weise auszuschöpfen oder neu zu definieren.
Ob linearer oder auch nicht linearer Lösungsweg bleibt das Genre nicht selten in seinem Selbstverständnis als interaktiver Film mit dem Schema A plus B istgleich C hängen. Was mir vorschwebt ist zudem, Seh- und Denkweisen zu erneuern. Mein Protagonist sammelt z.B. Gedanken wie Gegenstände und Geräusche und Licht. Da ich künstlerisch sozialisiert bin liegt mir zudem die Begeisterung für Abstraktion sehr nahe; es muß nicht unbedingt sinnlos sein, was auf den ersten Blick keinen Sinn ergibt. Natürlich ist das auch keine weltbewegende Innovation die ich für mich alleine beanspruchen kann. Gerade im Indiegame Sektor ist das ein sich mehr und mehr abzeichnendes stilistisches Prinzip.
AC: Du hast für 'S*intuition' derzeit eine Crowdfunding-Aktion bei Startnext laufen. Warum bist Du zu dieser doch recht unbekannten Plattform gegangen und nicht z.B. zu Kickstarter oder Indiegogo?
RV: Vielleicht habe ich etwas unterschätzt, welche Möglichkeiten sich mit einer englischsprachigen im Gegensatz zu einer lediglich deutschlandweit agierenden Plattform eröffnen können. Die Entscheidung für Startnext lag hauptsächlich darin begründet, dass mein bisheriges Konzept und die bisher getätigte Arbeit am Spiel vorwiegend auf eine deutsche Sprachausgabe fokusiert war. Zudem habe ich bei Indiegogo zeitgleich hervorragende Team-Konzepte wie 'The Town of Light' scheitern sehen. Das hat mich als semiprofessionelles Einmannprojekt nicht gerade ermutigt, es dort überhaupt erst zu versuchen.
AC: Hast Du einen Plan B, falls die Finanzierung bei Startnext nicht klappt?
RV: Dann wird es das Spiel vorerst nur in abgespeckter Version, auf englisch oder deutsch, ohne Sprecher (außer der Erzählerstimme) und nur für Windows geben und alles Weitere davon abhängen, inwieweit sich das Spiel über etwaige Download-Plattformen verkaufen lässt.
AC: Hattest Du schon Kontakt zu anderen Entwicklern und falls ja: Wie war da das Feedback auf Deine Spiele? RV: Eher wenig. Ich bin zwar seit Kurzem Mitglied einer Entwicklerplattform, doch haben sich bislang noch keine festen, persönlichen Kontakte ergeben. Durch andere, kreativ Tätige bekomme weitaus mehr Feedback im Bereich Bildender Kunst oder Literatur denn der Spieleentwicklung. Wer etwas Ungewöhnliches sucht, abseits von altbekannten Pfaden, der ist wahrscheinlich am Ehesten von meiner Arbeit fasziniert. Laut Nico Nowarra von c`t ist mein "kafkaeskes" Erstlingswerk 'Identität' "eigentümlich, reizvoll und bemerkenswert" und von Spielerseite her hat mir als Feedback zu 'Die Zelle' "Ein Spiel wie ein (LSD)Trip" bisher am Besten gefallen.
AC: Möchtest Du unseren Lesern noch etwas sagen?
RV: (Um möglichen Schlussfolgerungen zuvorzukommen:) Nein, ich brauche keine Drogen, um solche Spiele zu machen. Ich bin wirklich "natural stoned" ; )
AC: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit 'S*intuition'!
RV: Ich habe zu danken! Es war mir eine große Freude!
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INTRA MUROS
- Entwickler
- Raphael Vogt
- Publisher
- Raphael Vogt
- Release
- 5. April 2016
- Art
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Independent
- Sprachen
-
- Systeme
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- Stichwörter
- Schlagwort: Interviews
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