gc2019: Charles Cecil - Adventure Gamers Interview: Das virtuelle Theater





Ivo: Eines habe ich zu deinem Vortrag noch nicht ganz verstanden: Die Wichtigkeit des virtuellen Theaters [Virtual Theater System]. Kannst du das etwas erklären?

Charles: Das typische, ursprüngliche Beispiel für das virtuelle Theater war ‘Lure of the Temptress‘ und da gab es noch viele Probleme damit. Anfangs gab es nicht die Möglichkeit Kommandos ins Spiel mit anderen Elementen so zu verknüpfen wie in ‘Beneath a Steel Sky‘. Obwohl es am Papier fantastisch aussieht, hat es in der Realität nur dazu geführt, dass man anderen Charaktere Aufgaben geben konnte, die man selbst aus bestimmten Gründen nicht machen konnte. Man wusste nicht wirklich, warum man die Wand nicht selbst niederreißen konnte, aber man musste jemand anderen dafür finden.

Trotz herumlaufenden Charakteren konnte man auch nicht das Gesprächsthema wählen, wenn man jemanden anspricht. Man konnte also nur mit Personen sprechen und dann nahmen die Ereignisse seinen Lauf. Beim nächsten Gespräch veränderten sich die Gesprächsthemen und Fragen automatisch.

So entwickelt sich das Wissen nur sehr klobig. Wenn Ihr zum Beispiel über diese Wasserflasche sprechen wolltet, weil ich sie gerade aufgehoben habe und es irgendwie mit der Story zusammenhing, konnten wir das in ‘Lure of the Temptress‘ nicht machen. Schlussendlich haben nämlich nur die großen Weltereignisse beeinflusst, was die Charaktere sagten.

Ivo: Ihr möchtet das System in ‘Beyond a Steel Sky‘ nutzen, aber eigentlich habt ihr es seit ‘Beneath a Steel Sky‘ nicht genutzt. Was für Erwartungen hast du?

Charles: Als ein Indie-Entwickler konnten wir vor einiger Zeit einen Prototyp entwickelt, der die Grundsätze des virtuellen Theaters und des Linc-Hackings drin hatte. Es war uns aber auch schnell klar, dass wir die Narrative nicht so stark vermitteln konnten, wie wir es meiner Meinung hätten müssen. Deswegen haben wir das Adventure als Schicht oben draufgegeben. Wenn wir in einem Vertrag mit einem Publisher gewesen wären, hätten wir das nicht gekonnt. Die Eigenfinanzierung ermöglicht uns eine wunderbare Freiheit und wir haben das Projekt stets nur dann in den nächsten Schritt geführt, wenn wir uns sicher waren, dass die Balance zwischen unseren Zielen genau richtig war.

Ist das die Zukunft? In gewisser Weise glaube ich schon, ja, weil man soviel damit machen kann. Das Prinzip dabei ist, dass es eine völlig andere Art des Spiels ist: Charaktere bewegen sich umher und haben eine klare Motivation. In klassischen Point-and-Click-Adventures sind Charaktere stattdessen in der Warteschleife und reagieren nur dann, wenn der Spieler sie dabei unterbricht.

»[Virtuelles Theater:] Ist das die Zukunft? In gewisser Weise glaube ich schon, ja, weil man soviel damit machen kann. «

Charles Cecil


Ivo: In klassischen Adventures gibt es Momente, wo man weiß, was man tun muss und man durch Überlegen dann darauf kommt, wie man das tun kann. ‘Beyond a Steel Sky‘ spielt sich aber anders, weswegen man erst einmal herausfinden muss, wie man dieses „Neue“ überhaupt macht. Im Beispiel, das du uns im Vortrag gezeigt hast, hat ein Vogel vielleicht etwas in seinem Schnabel und wie man das da herausbekommt. Es gibt viele Wege, das zu tun und klassischerweise ging es immer darum, wie man das macht, nicht was man dafür braucht. Willst du genau das umdrehen?

Charles: Das ist eine interessante Sichtweise. Genau so ist das! Es geht bei uns vielmehr darum, was du tust und nicht wie du es tust.

Ivo: Könntest du wenig genauer auf die „Simulationsaspekte“ eingehen, denn du beschreibst die dynamische Welt ja so, dass die Charaktere ihr eigenes Leben als Teil des virtuellen Theaters haben?

Charles: Ich mag das Wort „Simulation“. In gewisser Weise simulieren wir eine Welt, aber wir steuern sie nicht. Ich habe einmal über emergentes Gameplay gesprochen, aber es gibt eigentlich kein echtes emergentes Gameplay, weil wir die Resultate [vielleicht Wirkung? Ursache/Wirkung] skripten müssen. Wir können jedoch Indikatoren [Anm. d. Red.: im Original flags] einführen, wodurch ein Charakter basierend auf mehreren Ereignissen sich auf zwei oder drei verschiedene Weisen verhält. Ich bin deshalb sehr vorsichtig, das Wort emergent zu benutzen. Geht man nicht so streng mit dem Begriff um, könnte man aber schon sagen, dass es emergente Aspekte gibt. Hier ist der Term „Simulation“ doch passender.

Ivo: Welche Rolle wird Joey in diesem neuen Adventure spielen? Das ist für die großen Fans doch interessant.

Charles: Wie ich schon erwähnt habe, wird er mehrere Roboterhüllen haben, die immer coolere Sachen können. Ihr braucht diese auch, um die Probleme zu lösen.

Ivo: Manche sorgen sich darum, dass das Spiel in 3D erscheinen wird. Vor allem Dinge, wie Action-Events, sind Ihnen hier oft ein Dorn im Auge.

Charles: Ich kann Euch versichern, dass es keine Kisten-Schiebe-Rätsel geben wird, was die Action betrifft. Es ist aber auch nichts an Action verkehrt. Was man aber sicherlich nicht will, ist plötzlich von einem ruhigen, überlegten Spiel, wo du dich zurücklehnen und nachdenken kannst, und dann kommt plötzlich die Aufforderung sehr schnell die rechte Maustaste zu drücken. Das wollen wir nicht machen. Ich möchte aber den Spieler schon etwas unter Druck setzen. I möchte, dass der Spieler auch „sterben“ kann, wenn er sich falsch verhält, um einfach zu vermitteln, dass die Spielwelt gefährlich ist und Tumult herrscht.

Ivo: Kannst du uns etwas mehr über das Konzepte „Tod“ im Spiel erzählen?

Charles: Ich möchte eben vermitteln, dass die Welt gefährlich ist, ohne dass Menschen dabei wirklich sterben. Ich möchte die Spieler*innen etwas unter Druck setzen, wenn sie nicht reagieren. Wenn Zeit zum Nachdenken im Spiel gebraucht wird, gibt das spiel auch die entsprechende Zeit her. In ‘Baphomets Fluch 1‘ und 2 hatten wir Todes-Sequenzen, aber es war stets klar, dass genau in diesem Moment nur wenige Sekunden Reaktionszeit übrig sind. Bei echten Adventure-Rätseln, wie z. B. in Baphomets Fluch 2‘, wo George erwürgt werden konnte, konnte man zwar auch sterben, aber es gab viele Warnungen zuvor [und passierte nicht plötzlich]. Die Lösung ist genau vor Euch. Man kann das Spiel also spielen, ohne jemals zu sterben.

Ivo: Wird es ein Inventar-System geben?

Charles: Oh ja! Das sind die Elemente von Adventures: Inventar-Gegenstände, mit Charakteren sprechen, Dinge miteinander kombinieren und so weiter. Wie das Beispiel, das ich auf der Bühne erwähnt habe: Ihr werden Linc-Hacken. Ihr wisst, welchen Inventar-Gegenstand Ihr braucht (in dem gezeigten Fall eine Batterie) und Ihr wisst, woher Ihr sie bekommt. Das Rätsel ist fertig aufgebaut und Ihr müsst es nur noch lösen und die Batterie zurück zum LKW bekommen.

Ivo: Heutzutage scheint es so, dass Rätsel für einige eher einfacher sein müssen und andere möchten es sehr schwer. Wie werdet Ihr das ausbalancieren?

Charles: Alles, was in meiner Macht steht, ist die Rätsel logisch zu halten. Weil alles, was in dieser Welt passiert, kommt vom eigenmotivierten, vorsätzlichen Handeln der Charaktere (oder Droiden). Ich hoffe, dass die Spieler*innen das erfahren, wenn sie die Gegend erforschen und neue Dinge ausprobieren und sich so Lösungen präsentieren. Ich möchte genau davon wegkommen, dass das Spiel wie ein Kreuzworträtsel ist, das von einer Person geschrieben wurde und der Spieler sich deswegen in seinen oder ihren Kopf hineinversetzen muss, um das Rätsel zu lösen.

»Ich hoffe, dass die Spieler*innen das erfahren, wenn sie die Gegend erforschen und neue Dinge ausprobieren [...]. Ich möchte genau davon wegkommen, dass das Spiel wie ein Kreuzworträtsel ist [...].«

Charles Cecil

[Klassische] Point-and-Click Adventures machen genau das, was du vorher gesagt hast. Das Problem ist, dass man dann Dinge machen kann, die logischerweise ein Rätsel lösen sollten, sie es aber genau nicht machen. Dann geht die „Suspension of Disbelief“ kaputt. Hey, das hätte doch eigentlich funktionieren sollen! Ich erinnere mich da an ‘Lure of the Temptress‘. Wir hatten einen Schlüssel in einem Hintergrund (den ich nicht bemerkt hatte) und die Menschen da draußen konnten es nicht glauben: „Wie kannst du da einen Schlüssel hinlegen und ich kann ihn nicht aufnehmen!“

Ivo: Ein großes Feature, das ‘Thimbleweed Park‘ nach dem Release noch hinzugefügt hat, war ein Hilfe-System. Es gab nämlich viele neue Spieler, die das Spiel zu schwer empfanden. Überlegt Ihr Euch auch so etwas?

Charles: Oh ja, das machen wir unbedingt! Ich würde aber hoffen, dass die Spieler*innen die Welt erforschen und so immer mehr Verständnis für die Welt und für das Rätsel erlangen. So entsteht das Rätsel und auch die Lösung. Wenn die Spieler*innen in eine Lösungshilfe schauen müssen, dann hat man wieder die „Suspension of Disbelief“ zerstört.

In ‘Baphomets Fluch‘ hatten wir so ein Hilfe-System, das sehr transparent war. Ich glaube sogar, dass wir die ersten waren, die das gemacht hatten. Erinnert Ihr Euch an das UHS-System? Ich glaube nicht, dass andere Adventures das hatten. Wir waren also das erste Mainstream-Spiel, das Euch drei Stufen an Hinweisen gaben – eben durch das UHS-System inspiriert. Zuerst ein leichter Hinweis und auf der höchsten Hilfe-Stufe haben wir Euch einfach gesagt, was Ihr tun müsst. 

Das Problem bleibt aber, denn in dem Moment, wenn Ihr das macht – bei mir ist das zumindest so, wenn ich etwas nachschauen musste –, dann fühlt sich das einfach nicht so gut an. Also, ja, wir denken an ein Hilfe-System, but schlussendlich möchten wir eigentlich Rätsel logisch designen und Ihr sollte möglichst in die Geschichte eintauchen können.

Ivo: Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, Charles! Ich weiß, dass du heute viel vorhast und ich bin sehr dankbar, dass du dich mit mir zusammengesetzt hast. Alles gute für die weitere Entwicklung von ‘Beyond a Steel Sky‘!

Charles: Es war mir ein Vergnügen!

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