Interview mit Matt Kempke und Kevin Mentz zu 'Die Säulen der Erde': Religion, Musik und unser geliebtes Genre


Ein zentrales Element im Mittelalter ist die Religion. Findet ihr ohne Religion kann kein Spiel mittelalterlich sein? Seht ihr es als zentrales Element in 'Die Säulen der Erde'? Warum schon, warum nicht?

Matthias: Religion ist ein zentrales Element, schließlich geht es um eine Kathedrale, um ein Kloster und um einen Prior. Philips charakterliche Entwicklung war mir persönlich sehr wichtig. Da es um emotionale Entscheidungen und die Spielerperspektive geht, wollte ich von vornherein das Thema noch stärker einbringen als im Roman. Im Roman muss Philip in erster Linie lernen, ein Player zu werden, der mit Bischof Waleran und z.B. den Hamleighs mithalten kann. In unserer Adaption führt es Philip zusätzlich in eine Glaubenskrise. Er will Gutes tun, doch es führt, wie im Roman, nur zu Leid. Mir war wichtig, dass Philip die Frage stellt: Warum lässt Gott das zu? Schließlich ist Philip für vieles, was den anderen an Leid widerfährt, mitverantwortlich. Genauso können und müssen sich Spieler als Aliena und Jack zu ihren Taten und denen von Philip positionieren. Ein anderer Grund, warum mir die Kritik an Glaube und der Kirche als Institution wichtig war ist, dass es uns gleichzeitig erlaubt, die positive Kraft von Religion als Sinn stiftende und vorwissenschaftliche Form von Rationalität und Erklärungsversuch und moralischen Kompass darzustellen, ohne unkritisch zu sein.

Ich finde ein Spiel, das im Mittelalter spielt, sollte die Chance nutzen und Religion und Politik diskutieren, denn das sind ganz aktuelle Themen, auch wenn sie manchmal in anderem Gewand auftauchen. Der Blick in die Vergangenheit ist ein Blick auf uns selbst. Diese Themen zu ignorieren wäre sehr oberflächlich.

»Ich finde ein Spiel, das im Mittelalter spielt, sollte die Chance nutzen und Religion und Politik diskutieren, denn das sind ganz aktuelle Themen,auch wenn sie manchmal in anderem Gewand auftauchen.«

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Ebenso zentral in dieser Epoche ist die Musik? Euer Soundtrack ist äußerst stimmig und passend. Was hat euch zum Soundtrack inspiriert?
 
Matthias: Der Soundtrack stammt wieder vom wunderbare Tilo Alpermann, mit dem ich schon für The Night of the Rabbit zusammengearbeitet habe. Kevin, Tilo und ich hatten es uns zum Ziel gesetzt einen klassischen Soundtrack, wie man ihn aus dem Kino kennt, zu verwenden - also groß und orchestral, denn so eine epische Geschichte soll es auch sein. Natürlich dürfen auch die kleinen Töne nicht fehlen. Wir haben heroische und tragische Kompositionen für unsere Helden und harte Kompositionen für unsere Bösewichter. Unser Waleran-Thema musste einfach vom Soundtrack von 'Sicario' inspiriert sein. Das wusste ich, als ich den Film im Kino gesehen habe. Zu guter Letzt wurde unser Soundtrack von einem großen Orchester in Prag eingespielt. Das gibt ihm dann den epischen und professionellen Klang.

Was dem Soundtrack allerdings einen besonders mittelalterlichen Charakter verleiht, ist die Musik, die gerade in Stadt- und Burgszenen im Hintergrund spielt und mit Instrumenten aus dieser Zeit eingespielt ist. Einiges davon ist schon in Buch eins zu hören. In Buch drei geht es dann aber auch noch auf den Jakobsweg und nach Toledo. Auch da hat Tilo wunderbare Tracks gezaubert, die diese Orte und Stimmung reflektieren.

»Was dem Soundtrack allerdings einen besonders mittelalterlichen Charakter verleiht, ist die Musik, die gerade in Stadt- und Burgszenen im Hintergrund spielt und mit Instrumenten aus dieser Zeit eingespielt ist. «

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Ein anderes historisches Element sind unsere Chorstücke. Die sind mit Gesangs-Spezialisten in der Friedenskirche in Berlin aufgenommen worden. Die Texte sind größtenteils tatsächlich auch in der geschichtlichen Phase gesungen worden, in der das Spiel spielt. Allerdings haben wir zugelassen, dass die Kompositionen moderner klingen dürfen, um mehr Kontrolle über die Stimmung zu haben. Für Prior Philips Thema gibt es aber zwei Fassungen, die beide im Spiel auftauchen: eine modernere Komposition und eine, die authentischer nach dem 12./13. Jahrhundert klingt. Ein wunderbarer und sehr harmonischer Klang. Seit wir an diesem Spiel arbeiten, bin ich auch davon Fan geworden!

Seit Jahren hören wir die Rufe: 'Das Adventure-Genre ist tot.' Stimmt das so? Wie hat sich das Genre in euren Augen in den letzten Jahren entwickelt?

Kevin: Es gibt da zwei Entwicklungen, die für mich besonders auffällig sind. Zum einen ist vieles, was noch vor zwanzig Jahren fast schon ein Alleinstellungsmerkmal von Adventures war, in andere Genres übergeflossen: Eine emotionale, komplexe Story mit ausgefeilten, interessanten Charakteren kann sich inzwischen genauso gut in einem Ego-Shooter finden lassen, wie damals in z.B. 'Gabriel Knight' oder 'I Have No Mouth And I Must Scream'. Auch sind storybasierte Rätsel inzwischen zu einem allgemeinen Game-Design-Element geworden, über das man theoretisch in jedem zweiten AAA- oder Indie-Titel stolpern kann. Zum anderen ist es heutzutage nahezu jedem möglich mit einfachen Mitteln ein eigenes Adventure zu basteln, man muss sich nur in eine der nicht wenigen verfügbaren Engines einarbeiten und je nach Zeit, Durchhaltevermögen und Talent kann man nicht nur was aus dem Boden stampfen, sondern evtl. über Crowdfunding und letztlich Plattformen wie Steam eine Öffentlichkeit erreichen. Zu allem gibt es Tools, Tutorials und Erfahrungsberichte, um die eigene Produktion in Gang zu bekommen. Matt und ich haben selbst als solche Amateurentwickler begonnen. Auch kommen einige meiner Lieblingsadventures der letzten Jahre aus dieser Szene.

Erstere Entwicklung sorgt nun dafür, dass Adventures, was Story- und Puzzle-Design angeht, nicht mehr nur mit sich selbst, sondern auch mit anderen Genres konkurrieren müssen, während die große Demokratisierung der Spielentwicklung zwar viele neue spannende Titel wie Pilze aus dem Boden sprießen lässt, es aber auch individuellen Entwicklern immer schwerer macht, neben all der Konkurrenz Aufmerksamkeit zu generieren und von der eigenen Arbeit zu leben. Somit mag es zwar leichter sein, Adventures zu machen, aber zugleich rentiert es sich für immer mehr Entwickler immer weniger. Das finanzielle Risiko, Spiele zu produzieren, die sich am Ende des Tages nicht mehr zum Vollpreis verkaufen lassen, ist sehr groß geworden. Oder anders gesagt: Aus Spielersicht erleben wir vielleicht gerade die zweite goldene Ära des narrativen Adventures, aus Entwicklersicht ist das Damokles-Schwert kaum zu übersehen.



Wann wird denn Buch 2 und 3 auf den Markt kommen und wo seid ihr derzeit im Projekt?

Matthias: Wir sind gerade dabei die allerallerletzten Szenen von Buch 3 zu polishen. Ich habe gerade gestern unser großes Finale gespielt. Buch 2 befindet sich in den Startlöchern (Anm. d. Red.: zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht bekannt; Erscheinungsdatum: 13.12.2017), Buch drei folgt dann nach Plan Ende des ersten Quartals 2018.

Habt ihr schon Pläne, was danach ansteht?

Matthias: Das halte ich mir gerade noch offen. Erstmal etwas durchatmen.

Zum Schluss: Möchtet ihr unserer Community noch etwas mit auf den Weg geben? Ein Schlusswort vielleicht?

Matthias: Macht Werbung für klassische Adventures und für modernere Arten des interaktiven Storytellings. Kauft die Spiele, wenn sie euch gefallen. Es ist ein Liebhaber-Genre, dass sich schon zu LucasArts-Zeiten finanziell kaum rentiert hat. Wir sollten uns die Begeisterung dafür nicht nehmen lassen. Ich finde es schade, wenn zu spezielle Vorstellungen davon, wie ein Spiel zu sein hat (Nur Rätsel. Nur Textadventures. Nur 3D oder nur 2D. Nur Entscheidungen.), das große Genre des interaktiven Storytelling mit all seinen Subgenres als zersplittertes und damit kommerziell nicht ertragreiches Feld erscheinen lässt.

Wir danken für das Gespräch!

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1 Kommentar

k0SHiii (Gast) vor 7 Jahren
Danke für das schöne Interview.

Gerne hätte ihr kritisch den "Erfolg" von Buch 1 hinterfragen können, wie damit umgegangen wird und wie sich das auf Teil 2 (zu dem Zeitpunkt vielleicht nicht mehr möglich) und auf Teil 3 auswirkt, oder ob man "stumpf" konsequent zuendeentwickelt.

Auch würde ich mir ein Interview mit Carsten wünschen, wie er die aktuelle Projektlage und Ausrichtung bei Daedalic sieht.
Wird es wieder Jahre mit klassischen Adventures geben, oder ist der Markt für DD nicht mehr interessant?

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