Wir schreiben das Jahr 1999, in dem Sierras 3D-Adventure 'Gabriel Knight 3' veröffentlicht wurde. Zugleich ist es das Ende unserer umfangreichen Artikel-Serie.

1999 Das Ende
Nachdem Sierra im November 1998 zusammen mit den anderen Studios der ehemaligen CUC-Software-Sparte an Havas S.A. verkauft worden war, gab es nochmals einen Wechsel in der Eigentümerstruktur zu verzeichnen. Havas S.A. wurden kurze Zeit später vom ehemaligen französischen Staatsunternehmen Vivendi geschluckt. Die Konsolidierung wurde im Verlauf des Jahres 1999 erfolgreich abgeschlossen.
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Der Black Monday genannte 22. Februar 1999 entwickelte sich zum Schicksalstag für Sierra und viele seiner Mitarbeiter. |
Am Montag, den 22. Februar 1999 kam es zum so genannten „schwarzen Montag“ in der Geschichte von Sierra. Der Sierra CEO David Grenewetzki entschloss sich, das durch unzählige Übernahmen aufgeblähte und dadurch unübersichtlich gewordene und schwer zu leitende Firmenkonstrukt zu entflechten. Die verordnete Radikalkur hatte schwerwiegende Folgen für die Belegschaft.
Die Headgate Studios wurden inklusive der Rechte kurzerhand an den Eigentümer zurückverkauft. Books that Work Inc., PyroTechnix und Synergistic Software wurden sogar komplett geschlossen. Die Entscheidung hatte zur Folge, dass 250 Mitarbeiter gehen mussten. Den größten Schock bekamen jedoch die in Oakhurst tätigen Mitarbeiter der Yosemite Entertainment Studios zu spüren. Ihnen wurde 15 Minuten vor der offiziellen Pressemitteilung bekannt gegeben, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Von dieser Entscheidung waren 135 Mitarbeiter betroffen. Mit der Schließung des Studios in Oakhurst wurde das eigentliche Herz von Sierra via Federstrich vernichtet. Mit verheerenden Folgen für die Region. Viele Sierra Mitarbeiter waren extra in die idyllische und abgeschiedene Region von Oakhurst und Umgebung gezogen. Sierra war dort der zweitgrößte Arbeitgeber. Die Immobilienpreise waren in den Boomjahren regelrecht in die Höhe geschnellt. Jetzt konnten sich die ehemaligen Mitarbeiter nur in wenigen Fällen von ihren Häusern trennen. Die Immobilienpreise schlitterten in den Keller und die abgeschiedene Region wurde empfindlich getroffen. Zwar gab es für einige Mitarbeiter ein Angebot, in Seattle weiterarbeiten zu können, aber nur wenige nahmen dieses Angebot tatsächlich an. Ken Williams war von der Schließung so stark geschockt, dass er in einem offenen Brief an die Belegschaft sein tiefstes Bedauern ausdrückte. Er organisierte in der Folge über das Internet eine Arbeitsvermittlung, um möglichst viele Mitarbeiter bei anderen Arbeitgebern unterbringen zu können.
Für Sierra bedeutete die Schließung des Studios in Oakhurst jedoch den Anfang vom Ende. Oakhurst war der Ausgangspunkt für Sierras rasantem Aufstieg gewesen und markierte mit der Schließung des Standortes auch den finalen Schlußstrich dieser einzigartigen Erfolgsgeschichte. Für viele Mitarbeiter war Oakhurst nicht nur ein Arbeitsplatz. Der Ort war vielmehr ein Symbol. Man war eine große Familie, jeder kannte jeden. Diese Familie wurde abrupt und völlig unerwartet auseinander gerissen. Auch viele Projekte, die in Oakhurst konzipiert worden waren, wurden in der Folge gestrichen und nicht mehr weiterverfolgt. Darunter die Weltraumsimulation zur TV-Serie 'Babylon 5' oder das Multiplayer Addon für 'Quest for Glory V'. Auch ranghohe und langjährige Mitarbeiter verließen in der Folge das sinkende Schiff. Al Lowe musste miterleben, wie sein 'Larry 8: Lust im Weltraum' gestrichen wurde und wurde zusammen mit Mark Crowe, welcher an 'Space Quest 7' gearbeitet hatte, ebenfalls gefeuert. Das einstige Traditionsunternehmen wurde mit der Entscheidung vom 22. Februar 1999 endgültig seiner Wurzeln beraubt. Übrig blieb ein Torso, der mit Sierra bis auf den Namen nichts mehr gemeinsam hatte. Aus Sierra, dem Entwickler und Publisher, wurde Sierra, der Publisher von Spielen von Drittherstellern, mit den Sierra Studios als Aushängeschild.
Sierra wird mal wieder neu strukturiert
Auch nach dem 22. Februar ging die Entlassungswelle weiter. Am 1. März wurden 30 Mitarbeiter, konkret 15 Prozent der Belegschaft beim Entwickler Dynamix, entlassen. Begründet wurde diese Entscheidung aufgrund der kommerziell weniger erfolgreichen Spiele.
Nach der Radikalkur wurde der verbliebene Sierra Torso ein weiteres Mal neu strukturiert und aufgestellt. Von nun an bestand Sierra aus drei Geschäftsbereichen: Casual Entertainment, Core Games und Home Productivity. Diese Umstrukturierung hatte neben der Streichung von in der Entwicklung befindlichen Projekten auch die Entlassung von weiteren 105 Mitarbeitern zur Folge.
Hoffnung für Yosemite Entertainment
Zwar wurde der Standort in Oakhust nach dem verhängnisvollen 22. Februar geschlossen, doch für die entlassenen Mitarbeiter gab es Grund zur Hoffnung. Ken Williams hatte in der Folge über das Internet eine Jobbörse eingeleitet, die zumindest indirekt einen großen britischen Entwickler und Publisher aufmerksam gemacht hatte. Am 21. September erwarben Codemasters die Rechte an Yosemite Entertainment von Vivendi, um sich dadurch ein Standbein im Amerikanischen Markt zu sichern. Codemasters quartierte sich daraufhin auch in die verwaisten Büros in Oakhurst ein und stellte in der Folge auch viele ehemalige Sierra Mitarbeiter wieder ein. In den Lizenzen waren auch abgebrochene Projekte enthalten, wie das Spiel 'Navy SEALs', welches kurzerhand von Codemasters weiterentwickelt wurde. Des Weiteren übernahm Codemasters auch die Wartungsarbeiten für das Online-Rollenspiel 'The Realm Online'. So konnte zumindest für viele Menschen in Oakhurst ein neuer Arbeitgeber einspringen und die Probleme etwas lindern.
Gabriel Knight 3 kann das siechende Adventure Genre auch nicht retten
Im Herbst, konkret am 3. November, war es endlich soweit. Ursprünglich bereits für den Winter 1998 angekündigt und mehrmals verschoben, wurde mit 'Gabriel Knight 3: Blut der Heiligen, Blut der Verdammten' das letzte Adventure in der Geschichte von Sierra veröffentlicht. Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung war denkbar ungünstig gewählt. Das Genre war über die Jahre aus der Mode gekommen. Der Titel war komplett in 3D-Grafik gehalten und nutzte entgegen der Konkurrenz um Lucas Arts, eine klassische Maus- statt einer Tastatursteuerung. Dieses Mal musste der Protagonist Gabriel Knight mit seinen Freunden das Rätsel um den heiligen Gral und damit verbunden, die Geschichte um einen uralten Vampirkult lösen. Auf die weiteren Details der Geschichte verweist der Autor ausdrücklich auf seinen ausführlichen Klassikertest in der Klassiker Rubrik.
'Gabriel Knight 3' wurde mit geteiltem Echo aufgenommen. Der Titel lief quasi ohne Konkurrenz und konnte sich verhältnismäßig gut verkaufen, wurde jedoch ein kommerzieller Flop. Die Glanzzeiten der Sierra Adventures waren definitiv beendet. Vor allem hatte der Titel mit gravierenden Problemen während der Produktion zu kämpfen und stand mehrmals kurz vor dem Aus. Als erster und letzter Adventure Titel basierte 'Gabriel Knight 3' nämlich nicht mehr auf dem traditionellen SCI-Interpreter. Diese Entscheidung wurde von Sierra Northwest getroffen. Dies hatte zur Folge, daß 'Gabriel Knight 3' das seit längerer Zeit erste Adventure Projekt war, das vollkommen neu designt werden musste. In der Vergangenheit bauten die Sierra Adventures allesamt auf den diversen Nachfolgeversionen des SCI-Interpreters auf. Jetzt musste alles nochmals komplett neu am Reißbrett entworfen werden. Für die 3D-Grafikengine wurde Jim Napier angestellt, der mit der G-Engine kurzerhand ein mächtiges Grafikgerüst entwickeln konnte. Jedoch wurde Napier kurze Zeit später abberufen und musste bei dem Taktik-Shooter 'SWAT 3' aushelfen. Das unerfahrene Team war ohne die Expertise von Napier aufgeschmissen und musste 1998 die G-Engine einstampfen und alles nochmals komplett neu designen. Die Kosten liefen ebenfalls aus dem Ruder. Waren zunächst 2 Mio. USD angesetzt, wuchs das Budget letztendlich auf 4,2 Mio. USD an. Durch unzählige Überstunden, viel Überzeugungsarbeit und den Verschleiß von zwei Projektmanagern, gelang es letztendlich, 'Gabriel Knight 3' nach drei Jahren Entwicklungszeit fehlerfrei auszuliefern. Da die niedrigen Verkaufszahlen das hohe Entwicklungsbudget nicht annähernd decken konnten, entschied das Sierra Management, zukünftig keine Adventures mehr zu produzieren und schloss daraufhin die einst ruhmreiche Adventure Sparte. Dennoch dürfte aufgrund der Verkaufszahlen aus diversen Budgetversionen über die Jahre hinweg ein positiver Deckungsbeitrag übrig geblieben sein.
Half-Life: Opposing Force
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Gearbox Software lieferten mit 'Half Life: Opposing Force' (1999) ein gelungenes Addon ab. Dieses Mal galt es, sich in der Rolle eines US-Marines, lebendig durch Black Messa zu schießen. |
Am 1. November veröffentlichten die Sierra Studios das erste Addon zum Megaseller 'Half-Life'. 'Opposing Force' wurde vom Dritthersteller Gearbox Software entwickelt. Im Spiel galt es, in der Rolle des US-Marines Adrian Shephard, in die Forschungseinrichtung Black Messa vorzustoßen, um dort den Protagonisten des Originalspiels, Gordon Freeman, zur Strecke zu bringen. Hierbei stellten sich dem Spieler neben Außerirdischen Invasoren auch schwarz maskierte Killerkommandos in den Weg. Wie der englische Titel bereits aussagt, spielte man die Geschichte aus der Sicht der anderen Seite, konkret die der US-Marines und kam dabei auch an Orte, die man bereits im Originalspiel in der Rolle von Gordon Freeman besucht hatte. 'Opposing Force' erhielt durchweg gute Kritiken im hohen 80er Bereich und verkaufte sich allein über den Einzelhandel 1,1 Millionen Mal. Neben der guten Handlung punktete vor allem der Multiplayer-Modus, der bis heute noch über STEAM und LAN von vielen Fans mit Begeisterung gespielt wird.
SWAT 3: Close Quarter Battle
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'SWAT 3' (1999) machte eine erfolgreiche Transformation zum realistischen Taktik-Shooter durch und verkaufte sich stärker, als die geistigen Vorgänger der 'Police Quest Serie'. |
Über Sierra Northwest wurde 'SWAT 3: Close Quarter Battle' programmiert und am 23. November veröffentlicht. Für die 3D-Engine zeichnete sich Jim Napier verantwortlich, der vom 'Gabriel Knight 3 Projektteam' in 1998 abberufen worden war. Mit 'SWAT 3' wurde das Spielprinzip in Richtung 3D-Taktik-Shooter analog der 'Rainbow Six-Serie' verlagert. Mit der ursprünglichen 'Police Quest Serie' hatte 'SWAT 3' nicht mehr viel gemeinsam. Dennoch wurde der Titel zum bis dato kommerziell erfolgreichsten Spiel in der Geschichte der 'Police Quest / SWAT-Serie'. In 16 Missionen galt es, als Mitglied des LAPD-SWAT Kommandos diverse Aufgaben zu lösen. Vom retten von Geiseln bis hin der Entschärfung von Bomben war alles dabei. Das Spielprinzip war sehr realistisch und wurde von der Fachpresse mit guten Wertungen bedacht. Neben der für damalige Verhältnisse detaillierten 3D-Grafik konnte auch der 3D-Raumklang vollauf überzeugen.
Homeworld
Die Sierra Studios veröffentlichten das vom Dritthersteller Relic Entertainment entwickelte RTS-Spiel 'Homeworld' und landeten damit einen Überaschungshit. Hierbei handelte es sich um ein Echtzeitstrategiespiel im Weltraumszenario mit 3D-Grafik und einer über die Missionen spannend erzählten Geschichte. Auch die Soundeffekte und der Multiplayermodus konnten überzeugen.
Zusammenfassung
Mit der Schließung der Yosemite Studios in Oakhurst und damit verbunden, dem Stop der Adventure Produktion, endet unsere mehrteilige Sierra-Studie. Zwar bestand Sierra auch nach dem 22. Februar 1999 noch weiter, war aber lediglich ein Schatten ihrer Selbst, welcher an die früheren Glanzzeiten nicht mehr anknüpfen konnte. Aus diesem Grund wird auf die Folgejahre nicht mehr eingegangen und diese ggf. für eine spätere Studie aufgeschoben. Rückwirkend betrachtet, war die Geschichte von Sierra von vielen Auf- und Abschwüngen geprägt. Dennoch konnte das Unternehmen unter Ken Williams und dem Börsengang in 1989 einen beispielhaften Wachstumskurs einschlagen. Ohne den Börsengang, der letztendlich auch den Verlust der Selbständigkeit in 1996 zur Folge gehabt hatte, wäre Sierra niemals zum kurzfristigen Marktführer und Pionierunternehmen aufgestiegen. Denn ein Unternehmen dieser Größe benötigt sehr viel Kapital und kann sich als Aktiengesellschaft wesentlich einfacher in Form von Kapitalerhöhungen refinanzieren. Viele Trends hätten daher gar nicht finanziert werden können und der Computerspiele Markt würde ohne Sierra vermutlich heute ganz anders aussehen.
Speziell das Verdienst für das Adventuregenre kann nicht hoch genug angerechnet werden. Denn Sierra betrat mit dem ersten grafischen Adventure überhaupt, 'Mystery House', absolutes Neuland und erzeugte dadurch einen Innovationsschub, von dem spätere Unternehmen wie Lucas Arts sehr stark profitieren und darauf aufbauen konnten. Auch die Unterstützung der ersten Soundkarten und der CD-ROM Technologie wurden von Sierra rechtzeitig forciert und führten dazu, daß man technisch immer auf der Höhe der Zeit war und viele Trends, die heute Standard sind, entscheidend mitprägen konnte. Ohne 'Mystery House' sowie die späteren Marken wie beispielsweise 'King's Quest', 'Space Quest', 'Police Quest', 'Leisure Suit Larry' und 'Gabriel Knight', wäre das Genre vermutlich niemals so populär geworden, wie es bis Mitte der 90er Jahre gewesen ist. Aus diesem Grund kann das Verdienst für das Genre seitens Sierra nicht hoch genug angerechnet werden.
Was sonst noch so passierte
Am 11. August veröffentlichte Electronic Arts mit 'System Shock II' einen Genremix, der seines Gleichen suchte. Jedoch mit geringem kommerziellen Erfolg.
Ab dem 31. August verkaufte Nvidia mit der 'Geforce 256 Serie' die erste wirkliche Alternative zur 'Voodoo Serie' vom Konkurrenten 3dfx und stößt diesen daraufhin vom Hardware Thron. Der Anfang vom Ende von 3dfx.
Am 14. Oktober wurde in Europa die 'Dreamcast' von SEGA veröffentlicht. Trotz überragender Technik und tollen Spielen aus den Inhouse Studios, scheiterte das ambitionierte Projekt aufgrund der Ignoranz der westlichen Firmen. Allen voran Electronic Arts.
Am 28. Oktober wurde über Microsoft das von den Ensemble Studios entwickelte 'Age of Empires II: The Age of Kings' veröffentlicht. Der Echtzeitboom war auf seinem Höhepunkt und das dominierende Genre schlechthin auf dem PC.
'Ultima 9' von Origin wurde über Electronic Arts veröffentlicht. Nach mehrjährigen Verschiebungen und vielen Bugs markierte dieser Titel das traurige Ende der Serie. Origin wurden kurze Zeit später geschlossen. Das Ende einer weiteren Entwicklerlegende.
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Gabriel Knight 3: Blut der Heiligen, Blut der Verdammten
- Entwickler
- Sierra
- Publisher
- Sierra
- Release
- 5. Oktober 1999
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Trailer
- Hier ansehen • Bei Youtube ansehen
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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- Publisher und Entwickler: Sierra
- Schlagwort: Sierra-Studie
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