Narrative Spiele mit historischem Hintergrund findet man in rauen Mengen. Von dem etwas älteren Adventure 'The Abbey' über Blockbuster wie 'Assassin's Creed: Origins' bis hin zu Nischenspielen wie 'Crusader Kings II' nutzen viele Studios die Geschichte der Menschheit als Hintergrund. Wie sie diese Geschichte nutzen, ist jedoch unterschiedlich. Wir nehmen uns dieses Themas an und blicken im Rahmen dieser Kolumne auf die historischen Elemente in narrativen Spielen: Was wird dargestellt und vor allem warum wird es dargestellt? Wenn möglich möchten wir auch darauf eingehen, was es über die heutige Gesellschaft aussagt.
Wir fangen mit Daedalics aktuellem narrativen Adventure 'Die Säulen der Erde' an. Im Spiel geht es um den Bau einer Kirche im 12. Jahrhundert und diverse politische Intrigen im Rahmen dieses Unterfangens. Zusätzlich bildet sich noch eine Liebesgeschichte im Adventure heraus, die im Mittelalter nicht unbedingt einfach ist. Wir sehen uns zuerst die Darstellung der Frau in diesem Spiel nach Ken Folletts Epos an und schauen, was alles in den Hauptpersonen Aliena und Ellen drinsteckt.
Falls jemand weiter nachlesen will, haben wir am Ende der Kolumne eine Literaturliste zusammengestellt, die wir für dieses Kapitel selbst verwendet haben. Außerdem müssen wir vorweg warnen, dass es bei einer Abhandlung zu einem Spiel nie frei von Spoilern zugehen kann.

Aber historische Settings erlauben eine viel stärkere rationale und teils wissenschaftliche Reflektion über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das ist so ein Anspruch von uns.[2]
Matt Kempke fasst im Interview gut zusammen, warum Spiele mit historischem Hintergrund für den/die SpielerIn interessant sind und sein können. Man könnte Oden an die Videospiele schreiben und erklären, warum diese sehr wohl relevant sind – wie Thomas Carlisle Bissell in seinem Werk. In diesem erklärt Bissell akribisch, warum Videospiele für die heutige Gesellschaft hochrelevant sind.
Aus diesem Grund haben wir als erstes Thema der Kolumne 'Die Säulen der Erde' gewählt. Hier trifft ein Videospiel, das in England im Mittelalter spielt, auf das Epos des Bestseller-Autors Ken Follett. Das vollständige Spiel als Endergebnis erschien am 29.03.2018. Geht man an das 18-stündige Spieleepos heran, fallen nach genauer Betrachtung viele verschiedene Fragestellungen ein. Wir beginnen mit der Darstellung der Frauenfiguren im Spiel.
Beim der Darstellung der Frauenfiguren im Spiel wird die Diskrepanz zwischen dem typischen Frauenbild im Mittelalter und dem modernen Frauenbild, das Ken Follett auf seine Protagonistinnen projiziert, hervorgehoben. Dabei können wir Euch beruhigen, denn anachronistisch werden wir hier trotzdem nicht. Dabei sehen wir uns nicht nur ein Detail des Spiels genauer an, sondern können auch zeigen, was in einem einzigen Spiel an Potential zur Forschung und zum Nachdenken steckt. Das ermöglicht, wie Matthias Kempke im zu Beginn stehenden Zitat ansprach, noch vielerlei Reflexion in der Zukunft.
Das Frauenbild in 'Die Säulen der Erde'
Die Darstellung der Frauen ist bei den wichtigen Frauenfiguren (Ellen, Jacks Mutter sowie Aliena) nicht ganz historisch, sondern eher aus dramaturgischen/narrativen Gründen so gewählt. Die Frauen sind nämlich äußerst stark und haben einen eigenen Willen, eine eigene Agenda, welche sie auch durchsetzen. Dieser leichte Anachronismus macht dieses Thema umso interessanter.
Es fällt deutlich auf, dass die meisten Frauen eher stark dargestellt sind. Waren sie ursprünglich schwach, so verändern sie sich im Laufe der Geschichte zu einer starken Persönlichkeit. Für die Hauptprotagonistinnen zählt das umso mehr. Sie spielen keine untergeordnete Rolle, denn sie und die Autoren haben andere Visionen als Ziele.
Sie sollen:
sich gegen gesellschaftliche Zwänge auflehnen, selbstbestimmt leben wollen und damit vor allem die Leserinnen ansprechen […].[4]
Die zwei zu betrachtenden Hauptfiguren sind Ellen und Aliena. Beide werden in der Literatur von Christine Knust sehr treffend als unabhängig, leidenschaftlich und stolz geschildert. Sie hebt auch die Ähnlichkeit der beiden Figuren hervor – beide sind u. a. eben äußerst starke Frauen. Sie stechen auch dadurch heraus, dass sie belesen sind, was im Mittelalter für den Adel noch möglich war, für eine Gesetzlose aber schon deutlich schwieriger. Bei Ellen und Aliena weicht das Buch etwas vom Film ab, denn die Bisexualität von Ellen wird im Spiel nicht erwähnt, genauso wie die Vergewaltigung von Aliena kein Thema ist.
Wahrscheinlich wurde beides aufgrund der strengeren Altersbeschränkungspolitik bei Spielen von Seiten von Daedalic Entertainment bewusst weggelassen. Das würde auch zu den Aussagen im Interview passen, denn dort erwähnen die Autoren, dass sie möglichst kein 'Game of Thrones' mit Sex und Gewalt sein wollen. Sie bestätigen auch, dass im Buch deutlich mehr Sex und Gewalt existiert, damit es mehr Leser anzieht und zum Mainstream wird. Der Ansatz von Daedalic Entertainment ist hingegen, dass 'Die Säulen der Erde' weg vom Mainstream und hin zu emotionalen Entscheidungen gehen soll.
Bei Ellen wird außerdem bewusst die »Männlichkeit« der Figur hervorgehoben, denn Follett betont, dass sie Rehe erlegt, Kaninchenfallen baut oder mit Pfeil und Bogen Schwäne tötet. Dieses starke Bild der Frau weicht deutlich von dem Wahrgenommenen der Figuren im ‚Die Säulen der Erde'-Universum ab, denn diese bezeichnen sie als Hexe und Gesetzeslose. Man merkt jedoch, dass Ken Follett kein mittelalterliches Ideal der Frau bei Ellen angewandt hatte, denn gebräunte Glieder oder bronzebraune Haut zählen eher in der Gegenwart als Schönheitsideal. Ebenso wird Ellens Sportlichkeit und durchtrainierter Körper nicht nur einmal erwähnt. Sie wirkt zum Teil schon fast etwas unverwundbar oder unantastbar, denn das Überleben im Wald ist alles andere als einfach zu dieser Zeit.
Aliena hingegen ist die moderne Selbstständige, die ihr eigenes Handelsunternehmen besitzt und Wolle verkauft. Es gab natürlich auch weibliche Wollhändler im Mittelalter, aber Aliena stellt eher das Ideal einer Unternehmerin dar. Jeden Rückschlag verarbeitet sie, um wieder an die Spitze zu kommen. Ihr Beruf markiert einen Übergang zu einer anderen Gesellschaft: Weg vom Feudalismus, hin zur Gesellschaft der Frühen Neuzeit. Bezeichnend ist, dass nicht nur Aliena eine Händlerin ist, sondern auch ihre Mentorin beim Handeln eine Frau war.
Ihre Stärke wird noch einmal in Kapitel 15 des Spiels betont, denn die junge Wollhändlerin bricht mit ihrem kleinen Kind auf. Sie verlässt England, sucht ihren Geliebten Jack am Jakobsweg bis nach Santiago de Compostela und findet ihn schlussendlich nach einer langen Reise zurück in Saint Denis in Paris. Aliena wird als uneigennützig dargestellt. Sie nimmt sich stets in die Pflicht und will ihre Umgebung glücklich machen – auch auf ihre eigenen Kosten. Dies zieht sich durch ihr gesamtes Leben und ihr Endziel ist stets, dass die Personen um sie herum vorankommen. Trotzdem zeigt sich das Mittelalter im Frauenbild, denn Hochzeiten werden im Spiel oder auch im Buch hauptsächlich durch Versprechen besiegelt. Die Frau hat keine Wahl und hat sich zu fügen. Aliena hingegen kann sich ihre Heirat zwar auch nicht ganz aussuchen, wählt aber immerhin die Heirat aus finanziellen Gründen, damit sie weiterhin den Kampf um ihren Titel und ihr Land fortführen kann. Wenngleich auch indirekt über ihren Bruder oder Sir Catface, die sie je nach Entscheidung im Spiel, über dieses Geld finanziert.
Zum Schluss sitzt Aliena gar in einer Art Triumvirat als Richterin über den Prior Philip. Ihr Ziel ist somit erfüllt und ihr Machtanspruch bestätigt.
Fazit
Bei der Darstellung der Frauen ist klar, dass Follett und damit klarerweise auch Daedalic Entertainment ein breites Publikum ansprechen wollten und keine mittelalterlichen Frauenfiguren brauchen konnten. Somit sind die Hauptfiguren zwar aus Details der Geschichte geschaffen, wurden aber überspitzt, um den modernen Ansprüchen einer Heldin gerecht zu werden. Frauen sind in »Die Säulen der Erde« die wahren Stars, denn genau genommen dreht es sich weniger um die Intrigen der Kirche, sondern um den Kampf zweier Frauen in diesen alteingesessenen Machtstrukturen. Die mittelalterliche Gesellschaft scheint im Spiel veraltet zu sein und Aliena und Ellen versuchen diese kurzerhand umzukrempeln. Vor allem Aliena zeigt mit ihrer Selbstständigkeit ein gewisses anachronistisches, kapitalistisches Phänomen, das eigentlich erst viel später in der Geschichte voll greift. Sie stellt die typische Self-Made-Frau dar, die zu Beginn zwar viel hatte, sich aber dann doch alles selbst erarbeiten musste und ohne die nichts in der Geschichte geht.
Sieht man all diese Elemente genau an, merkt man, dass Matt Kempke mit dem anfangs erwähnten Zitat recht hatte, denn die historischen Settings erlauben uns nicht nur die Vergangenheit zu reflektieren, sondern auch die gegenwärtige Gesellschaft zu analysieren und vielleicht Schlüsse oder Hinweise für die Zukunft zu ziehen. Religion und Frauenfiguren stellen dabei nur die Speerspitze der Aspekte dar.
Quellen
[1] Thomas Carlisle BISSELL, Extra Lives. Why Video Games Matter, New York 2010.
[2] Adventure Corner, Interview mit Matt Kempke und Kevin Mentz von Daedalic Entertainment zum Spiel »Die Säulen der Erde«, Interview, online unter: http://www.adventurecorner.de/pages/646/interview-mit-matt-kempke-und-kevin-mentz-zu-die-saeulen-der-erde-teil-1.
[3] Matt KEMPKE / Kevin MENTZ,Ken Folletts »Die Säulen der Erde« , Episodisches Videospiel, Hamburg 2017
[4] Christine KNUST, Historische Realität und Fiktion in Ken Folletts Romanen Die Säulen der Erde und Die Tore der Welt, in: Mathias HERWEG & Stefan KEPPLER-TASAKI, Hg., Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur, Berlin /Boston 2012, 308-327.
[5] Richard C. TURNER, Ken Follett. A Critical Companion, Westport / London, 1996.
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Die Säulen der Erde
- Entwickler
- Daedalic
- Publisher
- Daedalic
- Release
- 15. August 2017
- Auszeichnungen
- Adventure Corner Award
- Sprachen
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- Systeme
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- Stichwörter
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- Schlagwort: Kolumnen